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OLG Karlsruhe Urteil vom 16.03.2006 - 12 U 292/05 - Zur Eintrittspflicht des Kaskoversicherers bei typischen Unfallschäden am Fahrzeug
OLG Karlsruhe v. 16.03.2006: Steht fest, dass Schäden an einem Fahrzeug nach Art und Beschaffenheit nur auf einem Unfall im Sinne von § 12 Nr. 1 II e AKB beruhen können, so reicht diese Feststellung aus, um die Einstandspflicht des Kaskoversicherers zu begründen, selbst wenn sich der Versicherungsfall so wie vom Versicherungsnehmer geschildert nicht ereignet haben kann
Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 16.03.2006 - 12 U 292/05) hat entschieden:
Steht fest, dass Schäden an einem Fahrzeug nach Art und Beschaffenheit nur auf einem Unfall im Sinne von § 12 Nr. 1 II e AKB beruhen können, so reicht diese Feststellung aus, um die Einstandspflicht des Kaskoversicherers zu begründen, selbst wenn sich der Versicherungsfall so wie vom Versicherungsnehmer geschildert nicht ereignet haben kann.
Zum Sachverhalt: Der Kläger macht Ansprüche aus einer Kfz-Kaskoversicherung geltend.
Der Kläger war Eigentümer des Pkw Mercedes E 200 CDI, Baujahr 2000, amtliches Kennzeichen ..., das bei der Beklagten versichert war und im Laufe des Rechtsstreits an einen Dritten veräußert wurde. Der Kläger behauptet, dass er mit diesem Fahrzeug am 07.11.2004 auf der Kreisstraße ... in Höhe des Stationskilometers .... einen Unfall verursacht habe. Beim Durchfahren einer lang gezogenen Linkskurve sei er aus B kommend in Fahrtrichtung Hi ins Schleudern gekommen. Er sei auf die linke Fahrbahnseite geraten und an der linken Leitplanke seitlich entlang geschrammt; anschließend habe er sein Fahrzeug wieder auf die rechte Fahrbahn lenken können, wo er jedoch gleichfalls an die Leitplanke geraten sei und diese mit der gesamten Fahrzeuglänge gestreift habe. Der Kläger meint, etwa 60 km/h bis 70 km/h, vielleicht auch etwas schneller, gefahren zu sein und vermutet, dass diese Geschwindigkeit überhöht und unfallursächlich gewesen sei.
Die Reparaturkosten für den durch die Streifvorgänge beschädigten Pkw werden in einem Gutachten des Ingenieurbüros R vom 15.11.2004 auf 8.532,91 € (ohne MwSt.) veranschlagt und sind nach Auffassung des Klägers von der beklagten Versicherung zu ersetzen.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage auf Zahlung von 8.532,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.01.2005 abgewiesen.
Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 8. 532,91 € gemäß §§ 1, 49 VVG in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Abs. 2e AKB. Der für den Eintritt eines bedingungsgemäßen Versicherungsfalls darlegungs- und beweispflichtige Kläger hat den Nachweis eines Unfalls geführt. Demgegenüber konnte die Beklagte nicht nachweisen, dass dieser Unfall durch den Kläger absichtlich herbeigeführt wurde.
1. Das Landgericht verkennt die Beweislast, wenn es annimmt, der Kläger habe den Nachweis eines Unfalls im Sinne von § 12. Nr. 1 Abs. 2e AKB schon dann nicht geführt, wenn sich das Geschehen nicht wie in der Klageschrift und bei der Anhörung des Klägers behauptet ereignet haben kann. Kann der Sachverhalt im Einzelnen nicht aufgeklärt werden, steht jedoch fest, dass die Schäden nach Art und Beschaffenheit nur auf einem Unfall im Sinne von § 12 Nr. 1 Abs. 2e AKB beruhen können, so reicht diese Feststellung aus, um die Einstandspflicht des Versicherers zu begründen. Dies gilt letztlich auch dann, wenn sich der Versicherungsfall, so wie er geschildert wurde, nicht ereignet haben kann (Prölss/Martin-Knappmann, VVG 27. Aufl. (2004) AKB § 12 Rdnr. 49). Die Klage ist dagegen in Ermangelung eines Versicherungsfalls abzuweisen, wenn feststeht, dass der behauptete Unfall, aus dem Ansprüche gegen den Versicherer hergeleitet werden, an der angegebenen Unfallstelle und unter den angegebenen Bedingungen nicht stattgefunden haben kann, sondern nur anderswo und unter anderen Bedingungen. Denn in einer solchen Konstellation, wie sie auch der von der Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Hamm (MDR 2005, 924) zugrunde lag, ist der an einem anderem Ort und unter anderen Bedingungen verursachte Unfall nicht Gegenstand des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs im prozessualen Sinne und damit auch nicht Gegenstand des betreffenden Rechtsstreits.
So verhält es sich hier jedoch nicht. Aus der Art der an dem klägerischen Pkw gesicherten Beschädigungen folgt zwingend, dass sie durch einen Unfall, d.h. durch ein von außen mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis entstanden sind (§ 12 Abs. 2e AKB); dies geschah auch an der von dem Kläger angegebenen Stelle, was genügt, um die Einstandspflicht der Beklagten auszulösen. Der Senat ist nach der Anhörung des Klägers und den Ausführungen des Sachverständigen davon überzeugt, dass die an dem Fahrzeug gesicherten Schäden nach Art, Lage und Höhe von den an der Unfallstelle montierten Leitplanken des so genannten „runden Typs“ herrühren; die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten haben zudem eine zu den Streifschäden passende Beschädigung der dortigen Leitplanke festgestellt. Der Unfall ereignete sich auch am 07.11.2004 gegen 00.00 Uhr, wie der Kläger wenig später gegenüber den an die Unfallstelle gerufen Polizeibeamten angegeben hat. Hinzukommt, dass es nach den Ausführungen des Sachverständigen fahrdynamisch möglich ist, mit dem klägerischen Pkw eine Fahrstrecke zu durchfahren, die an der angegebenen Unfallstelle zu einen längsachsenparallelen Streifvorgang links, gefolgt von einem längsachsenparallelen Streifvorgang rechts führt, wie es dem gesicherten Schadensbild entspricht (s.u. 2.). Anhaltspunkte dafür, dass sich der Unfall an anderer Stelle und unter anderen Bedingungen ereignet hätte, sind demgegenüber nicht auszumachen. Im Übrigen läge es gerade bei einem manipulierten Schaden, wie ihn die Beklagte vermutet, nahe, diesen an der später angegebenen Unfallstelle herbeizuführen, da sonst Abweichungen zwischen den Schleifspuren an den Seitenwänden des Pkw und der Höhe bzw. Lage der Leitplanken nicht auszuschließen wären.
2. Die Unfreiwilligkeit des Schadensereignisses, d.h. der Umstand, dass ein bestimmter Geschehensablauf nicht absichtlich herbeigeführt wurde, gehört nach allgemeiner Meinung nicht zum Begriff des Unfalls im Sinne von § 12 Nr. 1 Abs. 2 AKB, so dass der Versicherer den Vorsatz des Versicherungsnehmers als Voraussetzung seiner Leistungsfreiheit nach § 61 VVG beweisen muss (vgl. BGH VersR 1981, 450; OLG Köln RuS 2002, 321-322; Prölss/Martin-Knappmann aaO. Rdnr. 53). Diesen Nachweis hat die Beklagte nicht geführt.
Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass Streifschäden der entstandenen Art bei manipulierten Unfällen häufiger vorkommen, schon weil sie einen relativ hohen kalkulatorischen Schaden verursachen, der mit den nötigen fachlichen Kenntnissen in Eigenregie oft kostengünstig instand gesetzt werden kann. Zuzugeben ist auch, dass der Kläger als Fahrzeughändler und Lackierer möglicherweise in der Lage ist, Schäden dieser Art selbst zu beheben oder zumindest über entsprechende Kontakte verfügen wird. Auch der Umstand, dass der Kläger - insoweit unbestritten - schon einen Leitplankenschaden vom 13.11.2001 über einen Kaskoversicherer abgerechnet hat, der ebenfalls die rechte und linke Fahrzeugseite betraf, mag auffallend sein und Anlass geben, an der Redlichkeit des Klägers zu zweifeln. Diese Umstände konnten aber auch in ihrer Gesamtschau nicht die Überzeugung des Senats begründen, der Kläger habe das Unfallgeschehen vom 07.11.2004 absichtlich herbeigeführt, um einen manipulierten Schadensfall abzurechnen. Entscheidend ist, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen, die gesicherten Schäden an der betreffenden Unfallstelle und unter den konkreten Bedingungen durch ein unbeabsichtigtes Geschehen verursacht werden konnten und die Unfallschilderung des Klägers nicht unglaubhaft ist. Bleiben aber auch nur Zweifel hinsichtlich der absichtlichen Herbeiführung des Unfallgeschehens, muss dies zulasten der hierfür beweispflichtigen Beklagten gehen.
Dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, dass er falsche oder widersprüchliche Angaben über das Unfallgeschehen gemacht hätte. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist nicht davon auszugehen, dass die Unfallschilderung des Klägers mit der Spurenlage unvereinbar ist, was das Gericht im Wesentlichen deshalb angenommen hat, weil der Kläger von einem Schleudern des Fahrzeugs berichtet habe. Der Senat ist dagegen nach Anhörung des Klägers der Auffassung, dass die Angabe, er sei ins Schleudern geraten, nicht im technischen Sinn als ein instabiler, vom Fahrer nicht beherrschbarer Fahrzustand zu verstehen ist und er sich insoweit auch nicht in Widerspruch zu seinen früheren Angaben setzt. Der Kläger hat angegeben, dass er auf die linke Fahrspur geraten sei und die Leitplanke gestreift habe, anschließend nach rechts gelenkt habe und mit der dortigen Leitplanke in Berührung gekommen sei. Es erscheint ohne weiteres möglich und nahe liegend, die so schon bei der Unfallaufnahme am 07.11.2004 und bei der Anhörung des Klägers durch das Landgericht geschilderte Abfolge von Fahr- und Ausweichbewegungen umgangssprachlich als Schleudern zu bezeichnen, ohne dass damit ein Schleudervorgang im Sinne einer nicht mehr beherrschbaren Drehbewegung oder eines unkontrollierten Ausbrechens des Fahrzeugs gemeint ist. Bei der von dem türkischen Kläger verwendeten Begrifflichkeit ist außerdem zu berücksichtigen, dass er nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung vom 16.03.2006 die deutsche Sprache jedenfalls nicht uneingeschränkt beherrscht. Wenn „Schleudern“ aber in diesem Sinne untechnisch verstanden wird, ist es durchaus möglich, den behaupteten Fahrverlauf mit den gesicherten Spuren in Einklang zu bringen. Dies hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten erläutert und zur Überzeugung des Senats in der mündlichen Verhandlung dargelegt. Danach ist es fahrdynamisch möglich, die Unfallstelle, wie von dem Kläger beschrieben, zu durchfahren, wobei es zunächst zu einem längsachsenparallelen Streifvorgang links, dann zu einem längsachsenparallelen Streifvorgang rechts kommt. Dieser Vorgang kann durch Unachtsamkeit, einen Fahrfehler oder durch einen Sekundenschlaf eingeleitet werden und sich im weiteren Verlauf aus einer Schreckreaktion erklären, nämlich einer starken Lenkbewegung nach rechts, unmittelbar vor dem Touchieren der linken Leitplanke, gefolgt von einem erneuten Gegenlenken nach links, um einer drohenden Kollision mit der rechten Leitplanke zu entgehen. Dass ein solcher Fahrverlauf dem Sachverständigen zufolge nicht unbedingt zu erwarten ist, sondern sich in einem fahrtechnischen Grenzbereich abspielt und die Beherrschung des Fahrzeugs dabei entweder auf guten fahrerischen Fähigkeiten oder einem besonderen Zufall beruhen muss, lässt die physikalische Möglichkeit des behaupteten Geschehens nicht entfallen. Auch schließt der Umstand, dass der Kläger selbst den Unfall auf überhöhte Geschwindigkeit zurückgeführt hat, was dem Sachverständigen zufolge nicht plausibel ist, einen Fahrfehler oder Sekundenschlaf als Unfallursache nicht aus. Der Kläger hat bei seiner mündlichen Anhörung durch das Landgericht wie schon bei der Unfallaufnahme am 07.11.2004 lediglich angegeben, er vermute, dass der Unfall durch überhöhte Geschwindigkeit ausgelöst worden sei; eine bloße Vermutung aber schließt eine anderweitige Ursache nicht aus, wobei es der Lebenserfahrung entspricht, dass ein Unfallgeschehen häufiger nicht in allen Einzelheiten erinnert wird. ..."