Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Karlsruhe Beschluss vom 04.08.2004 - 1 Ss 79/04 - Zur Verwertung von Teileinlassungen und zur Entziehung der Fahrerlaubnis im Strafverfahren

OLG Karlsruhe v. 04.08.2004: Zur Verwertung von Teilgeständnissen


Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 04.08.2004 - 1 Ss 79/04) hat zur Verwertung teilweiser Angaben des Angeklagten zur Sache folgendes entschieden:
  1. Ein pauschales Bestreiten eines Tatvorwurfs stellt keine Mitwirkung an der Sachaufklärung dar, so dass eine solche Äußerung noch als Schweigen des Angeklagten und nicht als eine Teileinlassung zu verstehen ist und deshalb nicht zu seinem Nachteil verwertet werden darf.

  2. Liegt dem Angeklagten die Begehung eines versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall während der zeitweisen Unterbrechung einer Trunkenheitsfahrt zur Last, so dürfen Äußerungen des Angeklagten zum Tatvorwurf des Diebstahls nicht als Indiz für die Begehung der Trunkenheitsfahrt verwertet werden, wenn für den Angeklagten nicht offensichtlich war, dass seine Einlassung auch für diesen Tatvorwurf von Bedeutung ist.

    1. Auch bei Vorliegen eines Regelfalles nach § 69 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter stets zu prüfen hat, ob ausnahmsweise von der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden kann, weil der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht mehr ungeeignet zum Führen eines Fahrzeuges ist (Fortführung von Senat, 20. März 2003, 1 Ss 121/02, NStZ-RR 2003, 150 f. = DAR 2003, 235 f. = VRS 105, 127 ff. = Blutalkohol 40, 378 ff.).

    2. Ein derartiger Annahmefall liegt vor, wenn seit der Trunkenheitsfahrt eines Ersttäters ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist, keine große Überschreitung des Grenzwertes von 1,1 Promille vorlag, die Fahrerlaubnis für längere Zeit vorläufig entzogen war und der Täter an einem anerkannten Nachschulungskurs teilgenommen hat.

    3. Eine solche Feststellung ist auch dem Revisionsgericht möglich, wenn sicher auszuschließen ist, dass ein neuer Tatrichter bei Aufhebung des Urteils zu einer anderen Eignungsbewertung kommen könnte.

Siehe auch Verwertungsverbote


Gründe:

I.

Das Amtsgericht S. verurteilte den Angeklagten am 15.09.2003 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr, begangen am 27.01.2003, zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 33 Euro, entzog dem Angeklagten die Fahrerlaubnis und ordnete für deren Wiedererteilung eine weitere Sperrfrist von drei Monaten an. Von dem Vorwurf einer weiteren Trunkenheitsfahrt am 21.07.2002 sprach es den Angeklagten frei. Auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hob das Landgericht X. dieses Straferkenntnis auf und verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 55 Euro, entzog erneut die Fahrerlaubnis und setzte eine Sperrfrist von drei Monaten fest.

Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit welcher er die Verurteilung des Angeklagten wegen des Vorfalls am 21.07.2002 angreift und den Maßregelausspruch insgesamt beanstandet.

Die Generalstaatsanwaltschaft K. hat auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht ... angetragen.


II.

Die zulässig erhobene Sachrüge - die Verfahrensrüge ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt und daher unzulässig - hat Erfolg und führt - im angefochtenen Umfang - zur Freisprechung des Angeklagten, zur Aufhebung der Gesamtgeldstrafe und zum Wegfall der Entziehung der Fahrerlaubnis.

1. Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er habe nach Beendigung der Fahrt am 21.07.2002 zuhause noch zwei Flaschen Bier getrunken als Schutzbehauptung angesehen und ihre Überzeugung von einer Trunkenheitsfahrt darauf gestützt, dass zwischen dem Eintreffen des Angeklagten zuhause gegen 8.05 Uhr und dem Beginn der Wohnungsdurchsuchung um 9.00 Uhr nur ein kurze Zeitspanne verblieben sei, den Polizeibeamten dabei keine leeren Bierflaschen oder Gläser aufgefallen seien und der Angeklagte außerdem gegenüber der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht sein Aussageverhalten angepasst habe, indem er nunmehr behauptete, die leeren Bierflaschen sogleich in den Keller verbracht zu haben.

Außerdem hat die Strafkammer berücksichtigt, dass der Angeklagte zwar nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung gegenüber den Polizeibeamten von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, auf der Fahrt zur Blutentnahme im Gespräch mit den Polizeibeamten bezüglich des Vorwurfs eines von ihm am gleichen Tage begangenen versuchten Diebstahls jedoch spontan geäußert habe, „nur aus Spaß mit seinem Freund am Zigarettenautomaten hantiert zu haben“. Nach Auffassung der Strafkammer hätte es aber „auf der Hand gelegen, dass der Angeklagte auf dieser Fahrt auch über den Nachtrunk - sollte ein solcher tatsächlich stattgefunden haben - berichtet hätte“.

Diese Erwägung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Ein Angeklagter ist berechtigt, zu den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen zu schweigen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Macht er von diesem Recht Gebrauch, so kann dies nicht als belastendes Indiz gewertet werden (BGHSt 20, 281; 32, 140 ff.; Senat StV 2003, 609). Diese Rechtslage war der Strafkammer ersichtlich bewusst. Die Berechtigung, das Schweigen des Angeklagten zu seinem Nachteil zu werten, leitet sie daraus her, dass sich der Angeklagte teilweise zur Sache eingelassen habe.

Dies trifft aber nicht zu. Schweigen bedeutet nämlich nicht das Unterlassen jeder Erklärung (BGH StV 1997, 6 f.), vielmehr kommt es darauf an, ob sich der Angeklagte durch seine Äußerung zur Mitwirkung an einer Sachaufklärung bereit erklärt hat. Ist dies der Fall, so kann innerhalb eines einheitlichen Geschehens durchaus berücksichtigt werden, dass der Angeklagte etwa zu einzelnen Punkten Angaben macht, zu anderen aber nicht (ausführlich: Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. 2004, § 261 Rn. 17; LK-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl. 2000, § 261 Rn. 73 ff.). Ein solche teilweise Einlassung im Sinne einer Mitwirkung an der Tataufklärung liegt aber nicht vor, wenn der Angeklagte lediglich seine Täterschaft pauschal bestreitet (BGHSt 25, 365 ff.; 368; 38, 302, 307; NStZ 2000, 494 f.) oder sich nur zu einem von mehreren Tatvorwürfen äußert (BGHSt 32, 140; NStZ 2000, 494; Köln VRS 61, 361; Meyer-Goßner, a.a.O.).

Der Einlassung des Angeklagten „nur aus Spaß mit seinem Freund am Zigarettenautomaten hantiert zu haben“, kann eine Mitwirkung an der Tataufklärung nicht entnommen werden, vielmehr handelt es sich um ein pauschales Bestreiten eines strafrechtlich relevanten Vorwurfs. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, betraf die Äußerung nicht das von der Strafkammer abgeurteilte Trunkenheitsdelikt. Auf die Frage, ob es sich bei beiden Delikten - die Begehung eines versuchten Automatenaufbruchs des Angeklagten während der Trunkenheitsfahrt einmal unterstellt - um eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne handeln könnte (Meyer-Goßner, a.a.O., § 264 Rn. 2 a m.w.N.), kommt es - jedenfalls vorliegend - nicht an, denn diese Kriterium wäre nicht das allein Maßgebliche. Entscheidend ist nämlich auch, ob es für einen Angeklagten offensichtlich ist, dass seine Einlassung zu dem einem Vorwurf auch für den Anderen von Bedeutung sein kann, mithin ob vorliegend nach den äußeren Umständen eine Einlassung des Angeklagten auch zu dem Trunkenheitsdelikt zu erwarten gewesen wäre (vgl. BGH Strafo 2002, 260 ff.; BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 22; BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 19). Hieran fehlt es nach Auffassung des Senats aber, da zwischen den beiden Tatvorwürfen (Trunkenheitsdelikt und Diebstahl) kein unmittelbarer Sachzusammenhang besteht. Außerdem sind die Angaben auf das Gesamtgeschehen bezogen ersichtlich nur von fragmentarischer Natur.

Schließlich hat die Strafkammer auch zu Unrecht berücksichtigt, dass sich der Angeklagte erst ein knappes halbes Jahr nach dem Vorfall und erst nach Wiederaufnahme der zeitweise eingestellten Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft auf den Nachtrunk berufen hat, denn auch der Verzicht auf den Antritt eines Entlastungsbeweises darf nicht als belastender Umstand gewertet werden (Senat a.a.O.).


III.

Der Senat kann gem. § 354 Abs. 1 Satz 1 StPO selbst entscheiden, da auszuschließen ist, dass es im Falle einer Neuverhandlung zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen werde.

Unter Berücksichtigung des vom Angeklagten geltend gemachten Nachtrunks von zwei Flaschen Bier hätte die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten während seiner Fahrt nicht 1,32 Promille, sondern - wie von der sachverständig beratenen Strafkammer festgestellt - lediglich 1,04 bzw. 0,94 Promille betragen, so dass von einer absoluten Fahruntüchtigkeit nicht ausgegangen werden könnte. Zureichende Hinweise auf das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit hat die Strafkammer aber nicht festgestellt. Eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG wäre zwischenzeitlich verjährt.

Als Beurteilungsgrundlage für den Nachweis einer absoluten Fahruntüchtigkeit stünden der Strafkammer aber neben der für den geltend gemachten Nachtrunk verbliebenen Zeitspanne von etwa einer Stunde lediglich die polizeilichen Erkenntnisse aus der Wohnungsdurchsuchung und das Aussageverhalten des Angeklagten zur Verfügung. Sämtliche Indizien lassen aber mangels Vorliegens einer hinreichend objektiven Grundlage weder für sich gesehen noch in ihrer Gesamtschau einen verlässlichen rational nachvollziehbaren und eine Verurteilung des Angeklagten tragenden Schluss zu (vgl. hierzu OLG Karlsruhe Die Justiz 2001, 364 ff.; Beschluss vom 15.03.2002, 3 Ss 10/02; BGHR StPO § 261 Vermutung 6, 11 und Indizien 6; BGH StV 1986, 61 f.).

So ist es einem Erwachsenen durchaus möglich, nach durchzechter Nacht auch am frühen Morgen innerhalb einer Stunde zwei Flaschen Bier zu trinken, so dass der Zeitspanne allenfalls ein geringes Gewicht beigemessen werden kann. Gleiches gilt für die erfolgte Durchsuchung der Wohnräumlichkeiten, denn die Beamten haben diese nicht wegen eines etwaigen Nachtrunks des Angeklagten gesichtet, sondern ihre Nachschau galt der Sicherstellung von Beweismitteln im Hinblick auf den damals noch in Rede stehenden Automatenaufbruch. Den Angaben der Beamten, sie hätten weder Flaschen noch Gläser entdeckt, kann deshalb kein maßgebliches Gewicht beigemessen werden. Auch das nach Auffassung der Strafkammer angepasste Aussageverhalten des Angeklagten stellt kein wirklich tragendes Indiz dar, da der Angeklagte „das zeitnahe Aufräumen der Bierflaschen“ bei seinen ersten Angaben auch vergessen oder diesem Umstand mangels Rechtskenntnissen auch keine Bedeutung beigemessen haben könnte.

Der Strafkammer war diese - für sich gesehen unzureichende - Beweislage auch ersichtlich bewusst, wie sich aus ihren Ausführungen zur Bedeutung des Schweigens eines Angeklagten belegen lässt. Da weitere belastende Umstände nicht ersichtlich sind, ist davon auszugehen, dass der Angeklagte - wie vom Amtsgericht unter zutreffender Beurteilung der Rechtslage bereits zu Recht angenommen - in einer neuen Hauptverhandlung aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden müsste.


IV.

Die Aufhebung des Schuldspruchs bedingt den Wegfall des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Da der Angeklagten die Verurteilung bezüglich der Tat am 27.01.2003 weder im Schuld- noch im Strafausspruch angefochten hat, ist diese rechtskräftig und die dort verhängte Einsatzstrafe von 40 Tagessätzen zu je Euro 55 bleibt als Endstrafe bestehen.

Die verhängte Maßregel hat jedoch keinen weiteren Bestand.

So ist anerkannt, dass auch - wie hier - bei Vorliegen eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 StGB der Tatrichter stets zu prüfen hat, ob ausnahmsweise von dieser Maßregel abgesehen werden kann, weil der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht mehr ungeeignet zum Führen eines Fahrzeuges ist (Senat DAR 2003, 235 ff. und Urteil vom 12.10.2000, 1 Ss 120/00; OLG Zweibrücken StV 1989, 250 f.; OLG Hamm VRS 25, 24 f.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage 2003, StGB, § 69 Rn. 12 ff.). Ein solche Annahme kann etwa vorliegen, wenn seit der Trunkenheitsfahrt eines Ersttäters ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist, keine erhebliche Überschreitung des Grenzwertes von 1,1 Promille vorlag (vgl. hierzu Senat DAR 2003, 235 ff.), die Fahrerlaubnis für längere Zeit vorläufig entzogen war und der Täter an einem anerkannten Nachschulungskurs teilgenommen hat (vgl. ähnlich OLG Köln VRS 61, 118 ff.; OLG Naumburg ZfSch 2000, 554 f.; OLG Hamburg VRS 60, 192 ff.;).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Die nunmehr rechtskräftig festgestellte Trunkenheitsfahrt erfolgte am 27.01.2003, der Führerschein des Angeklagten war vom 28.01.2003 bis 01.04.2003 und ist seit 28.04.2003 - und damit seit nunmehr etwa 19 Monaten - vorläufig entzogen. Das Amtsgericht S. hatte hierfür ursprünglich unter Berücksichtigung der vorläufigen Entziehung lediglich eine Sperrfrist von etwa acht Monaten für notwendig erachtet, zumal der Angeklagte - wie auch von der Strafkammer festgestellt - bis zur polizeilichen Kontrolle lediglich eine kurze Fahrstrecke von 400 Metern zurückgelegt hatte. Entgegen der Ansicht der Strafkammer darf die erfolgreiche Teilnahme an einem Nachschulungskurs nicht erst bei der Prüfung einer etwaigen Abkürzung der Dauer der Sperrfrist berücksichtigt werden (§ 69 Abs. 7 StGB), sondern diese Frage ist - wenn auch nur ausnahmsweise - bereits für die Prüfung einer fortdauernden Ungeeignetheit relevant (Senat DAR 2003, 235 f.; zum Streitstand vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Auflage 2004, § 69 Rn. 35; Hentschel, a.a.O., Rn. 19).

Auch wenn vorliegend zu sehen ist, dass der Angeklagte bei dem Vorfall am 21.07.2002 sein Fahrzeug nachweislich mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,94 Promille (§ 24 a StVG) gesteuert hat und er aus diesem Grund hinsichtlich des weiteren Vorfalls am 27.01.2003 nicht als „reiner Ersttäter“ angesehen werden kann, schließ der Senat insbesondere wegen des langen Zeitraumes der Entziehung der Fahrerlaubnis von nunmehr 19 Monaten aus, dass der Angeklagte, der erfolgreich an der Nachschulung nach dem „Modell Mainz 77“ teilgenommen hat, heute noch ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges ist und ein neuer Tatrichter zu einer anderen Bewertung kommen könnte.


V.

Nachdem die Maßregel entfallen ist, kann der Senat selbst nach § 111 a Abs. 2 StPO die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufheben (Senat a.a.O.).

Gemäß § 2 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 5 StrEG ist der Angeklagte für den durch den Vollzug der Beschlagnahme des Führerscheins und der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund der Tat vom 21.07.2002 erlittenen Schaden aus der Staatskasse für den Zeitraum vom 21. bis 24.07.2002 zu entschädigen. Im Übrigen scheidet eine Entschädigung aus, da wegen der rechtskräftigen weiteren Verurteilung des Angeklagten die Voraussetzung des Entzugs der Fahrerlaubnis erst durch den Zeitablauf bis zur Entscheidung des Senats entfallen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.