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OLG Hamm Beschluss vom 14.09.2005 - 20 U 117/05 - Grobe Fahrlässigkeit bei Schlüsselverwahrung in Werkstattbriefkasten

OLG Hamm v. 14.09.2005: Zur groben Fahrlässigkeit bei Schlüsselverwahrung in Werkstattbriefkasten


Das OLG Hamm (Beschluss vom 14.09.2005 - 20 U 117/05) hat in Übereinstimmung mit dem OLG Celle (Urteil vom 09.06.2005 - 8 U 182/04) entschieden:
Grobe Fahrlässigkeit für den Diebstahl des Fahrzeuges ist zu bejahen, wenn der Schlüssel in den ungesicherten, problemlos zu öffnenden Briefkasten der Werkstatt an der Außenwand des Gebäudes eingeworfen wird, auf dessen Funktion durch Schilder überdies hingewiesen wird.


Siehe auch Fahrzeugschlüssel und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1.) Die Beklagte ist nach § 61 VVG leistungsfrei geworden; der Kläger hat den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt.

a) Die Annahme der Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne des § 61 VVG setzt zunächst voraus, dass der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten den als vertragsgemäß vorausgesetzten Standard an Sicherheit gegenüber der Diebstahlsgefahr deutlich unterschritten hat (BGH VersR 1989, 141; BGH VersR 1994, 29). Das ist vorliegend der Fall. Die Gefahr eines Diebstahls wird deutlich dadurch erhöht, wenn ein Pkw oder Lkw auf einer öffentlich zugänglichen Fläche abgestellt wird und der zugehörige Fahrzeugschlüssel in einen in unmittelbarer Nähe befindlichen Außenbriefkasten eingeworfen wird. Diese Umstände können einen potentiellen Dieb leichter veranlassen, sich den Fahrzeugschlüssel zu beschaffen und den Wagen zu entwenden (so auch OLG Köln, MDR 2001, 449; OLG Celle, Urteil vom 09. Juni 2005, 8 U 182/04).

b) Das Vorliegen (objektiv) grober Fahrlässigkeit ist zu bejahen, wenn der Versicherungsnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgalt in hohem Maße außer Acht gelassen hat. Dieses ist u. a. dann der Fall, wenn er das Nächstliegende, das jedem in der gegebenen Situation einleuchtet, nicht beachtet. Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahelag, zur Vermeidung des Versicherungsfalles ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen. In subjektiver Hinsicht erfordert grobe Fahrlässigkeit ein unentschuldbares Verhalten. Es muss sich auch in subjektiver Hinsicht um ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden handeln (BGH aaO; Senat Beschluss vom 02. November 1999 - 20 W 17/99; r+s 2000, 403). Auch diese Voraussetzungen sind gegeben. Der Vorwurf der (objektiv) groben Fahrlässigkeit ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass der an der Außenwand angebrachte Briefkasten gegen den Zugriff Dritter erkennbar unzureichend gesichert war. Der Briefkasten befand sich frei zugänglich im Gang neben der Außenfassade des Ladenlokals. Ausweislich der von der Beklagten überreichten Lichtbilder handelte es sich um einen einfachen weißen Blechbriefkasten, der zusätzlich nur mit einem leichten Metallüberwurf gesichert war (Bl. 27 ff. d. A.). Dieser leichte Metallüberwurf bot keine hinreichende Sicherung gegenüber dem Zugriff auf den Inhalt. Wie sich aus dem Lichtbild Bl. 32 ergibt, konnte der Überwurf mit einfachen Mitteln aufgehebelt werden. Dies folgt auch aus dem Umstand, dass der Täter bereits unmittelbar nach dem Einwerfen des Schlüssels durch den Mieter in den Besitz des Schlüssels gelangte. Ausweislich des polizeilichen Protokolls vom 03.08.2004 (Bl. 34 d. A.) befanden sich der Mieter und sein Begleiter erst auf der anderen Straßenseite, als sie den Täter schon im Fahrzeug sahen. Damit war ein solcher Briefkasten kein sicherer Aufbewahrungsort für Fahrzeugschlüssel, mit denen in unmittelbarer Nähe stehende Kraftfahrzeuge bedient werden konnten (wie hier OLG Celle aaO, OLG Köln aaO).

...

Erschwerend kommt hinzu, dass ein potentieller Täter durch die vorhandenen Hinweisschilder geradezu „eingeladen„ wurde, den Schlüssel zu entwenden. Zumindest wurde der Täter durch die Hinweisschilder darauf hingewiesen, wo Schlüssel zu den vor dem Ladenlokal abgestellten Fahrzeugen zu finden waren. So befindet sich am Schaufenster des Ladenlokals ein in gelber Farbe - und somit deutlich wahrnehmbarer - Aufkleber mit dem Text „Schlüsselkasten um die Ecke„. Am Briefkasten selbst ist - ebenfalls in gelb - der Hinweis angebracht „Nachteinwurf, Bitte Tankquittungen, Schlüssel und Papiere einwerfen„. Ein Versicherungsnehmer, der solche Hinweise anbringt, hat für besondere Sicherungsmaßnahmen, die eine Entwendung verhindern, zu sorgen. Das Anbringen eines Scheinwerfers mit verbundenem Bewegungsmelder stellt eine solche besondere Sicherungsmaßnahme nicht dar. Denn das Aufbrechen des angebrachten Briefkastens konnte - wie bereits oben ausgeführt - in kurzer Zeit durchgeführt werden. Das Risiko für einen potenziellen Täter, aufgrund des „Anspringens„ des Scheinwerfers von Anwohnern wahrgenommen zu werden, war daher erkennbar gering und somit nicht geeignet, den Täter davon abzuhalten, den Briefkasten aufzubrechen.

Auch in subjektiver Hinsicht ist dem Kläger der Vorwurf des grob fahrlässigen Verhaltens zu machen. Es sind keine Umstände ersichtlich, die das Verschulden des Klägers in einem milderem Licht erscheinen lassen. Der Umstand, dass es im Geschäft des Klägers bislang noch nicht zu einem Schadensvorgang der hier vorliegenden Art gekommen ist, entlastet den Kläger naturgemäß nicht. Denn dann wäre im erstmaligen Schadensfall der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nie berechtigt. Auch der - von der Beklagten bestrittene - Umstand, dass die hier beschriebene Schlüsselrückgabepraxis der Praxis anderer Leihwagenunternehmer entsprechen würde, also üblich sei, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Es erscheint dem Senat bereits wenig wahrscheinlich, dass eine solche „allgemeine Üblichkeit„ existiert. Zwar ist dem Senat bekannt, dass Schlüssel nach Geschäftsschluss zurückgegeben werden. Im Regelfall erfolgt die Rückgabe aber dergestalt, dass die Schlüssel in gesicherte Briefkästen in der Hauswand in das Innere des Gebäudes geworfen werden und nicht - wie hier - in einen an der Außenwand angebrachten Briefkasten. Letztlich kann die Frage der „Üblichkeit„ aber dahingestellt bleiben. Denn dieser Umstand entbindet den Kläger nicht von der Prüfung, ob auch hier der konkrete Aufbewahrungsort für die Schlüssel sicher genug konstruiert war. Es ist stets im Einzellfall zu prüfen, ob die Sicherung ausreicht. Dieses war im vorliegenden Fall aus den vorstehend genannten Gründen gerade nicht der Fall. ..."