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Landgericht Dortmund Urteil vom 15.12.2005 - 2 O 1/05 - Einschlafen am Steuer ist grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls
LG Dortmund v. 15.12.2005: Einschlafen am Steuer ist grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls
Das Landgericht Dortmund (Urteil vom 15.12.2005 - 2 O 1/05) hat entschieden, dass das "Einnicken" während der Fahrt als grobfahrlässig zu bewerten ist:
Ein Einschlafen am Steuer entlastet den Versicherungsnehmer in der Fahrzeugversicherung nicht. Einem Einnicken am Steuer gehen stets unübersehbare Zeichen voraus, deren Nichtbeachtung dem Fahrer in der Regel zum groben Verschulden gereicht, sofern nicht im Einzelfall Anhaltspunkte bestehen, die das Verhalten des Fahrers in einem milderen Licht erscheinen lassen.
Siehe auch Die grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Voll- oder Teilkaskoversicherung und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die Klage ist jedoch unbegründet, weil die Beklagte sich mit Erfolg auf Leistungsfreiheit gemäß § 61 VVG beruft. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in hohem Maße außer Acht lässt, d. h., objektiv einen besonders groben, über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Verstoß gegen die Sorgfalts- und Verkehrspflichten und auch subjektiv eine in besonderer Weise vorwerfbares Verhalten zeigt, also ein beträchtliches und erhebliches schuldhaftes Versagen gegenüber den zu stellenden Anforderungen an die Achtsamkeit und Sorgfalt (BGH, VersR 1989, 469; OLG Oldenburg, VersR 1996, 841).
Die Voraussetzungen sind in objektiver Hinsicht erfüllt. Das Fahrverhalten der Verstorbenen wie es sich aus den Unfallspuren ergibt, war ersichtlich grob verkehrswidrig. Der Grund für das Fahrverhalten der Klägerin ist ungeklärt. Hieraus folgt jedoch nicht, dass zugunsten der Klägerin abstrakt anzunehmen wäre, dass ein Sachverhalt vorlag, welcher nicht zu einer Leistungsfreiheit gemäß § 61 VVG führte. Vielmehr ist zu prüfen, ob nach den Umständen des Einzelfalles vorliegend eine Sachverhaltsvariante ernstlich in Betracht kam, auf Grund derer Leistungsfreiheit gemäß § 61 VVG zu verneinen wäre (vgl. OLG Hamm, VersR 1997, 961).
Denkbar wäre, dass der Unfall durch einen kurzfristigen Bewusstseinsverlust der Fahrerin, einer sog. Synkope, verursacht wurde. In diesem Fall wäre sie für ihr Verhalten nicht verantwortlich gewesen. Jedoch ist für die Voraussetzungen des auch im Rahmen des § 61 VVG entsprechend anwendbaren § 827 Satz 1 BGB die Klägerin beweisbelastet (vgl. BGH, VersR 1990, 888; OLG Hamm, a. a. O.). Diesen Beweis kann die Klägerin nicht führen.
Soweit die Klägerin geltend macht, mögliche Ursache sei ein Einschlafen der Fahrerin gewesen, so entlastet dieses im Ergebnis nicht. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm, der die Kammer folgt, ist davon auszugehen, dass einem Einnicken am Steuer stets unübersehbare Zeichen vorausgehen, deren Nichtbeachtung dem Fahrer in der Regel zum groben Verschulden gereicht, sofern nicht im Einzelfall Anhaltspunkte bestehen, die das Verhalten des Fahrers in einem milderen Licht erscheinen lassen (OLG Hamm, VersR 1998, 1276; OLG Hamm, VersR 1997, 961, OLG Frankfurt, NJW-RR 1993, 102 f; Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, § 30, Rdnr. 62; vgl. Prölss/Martin, a. a. O., § 12 AKB, Rdnr. 97). Die Gegenauffassung, wonach es darüber hinaus im Einzelfall einer Feststellung bedarf, wonach die Anzeichen vor dem Einschlafen hinreichend deutlich gewesen sein müssen, um den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu rechtfertigen (OLG Oldenburg, VersR 1999, 1105, Thüringer OLG, OLG-NL 2003, 80) verdient dagegen keine Zustimmung, weil sie nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Anzeichen vor dem Einnicken stets für den Fahrer unübersehbar und damit zu beachten sind. Die von der Klägerin in Bezug genommene Fundstelle (Berliner Kommentar/Beckmann, § 61, Rdnr. 78) streitet nicht für ihre Position. Mit dieser werden lediglich Einzelfälle aus der Judikatur aufgelistet. Da vorliegend Anhaltspunkte, welche das Verhalten der Fahrerin in einem milderen Licht erscheinen lassen, weder vorgetragen noch ersichtlich sind, war mithin von grober Fahrlässigkeit auszugehen. ..."