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OLG Frankfurt am Main Urteil vom 28.10.2005 - 24 U 111/05 - Zur Wertminderung und zur Dauer des Ausfallschadens bei langer Lieferzeit für ein Ersatzteil
OLG Frankfurt am Main v. 28.10.2005: Zur Wertminderung und zur Dauer des Ausfallschadens bei langer Lieferzeit für ein Ersatzteil
Das OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.10.2005 - 24 U 111/05) hat entschieden:
- Selbst bei hohem Reparaturkostenaufwand ist ein merkantiler Minderwert eines beschädigten und fachgerecht reparierten Kraftfahrzeugs nicht anzunehmen, wenn der Schaden ein eigentlicher Verkehrsunfallschaden war und das betroffene Fahrzeugmodell sehr gesucht und wertstabil ist.
- Ist ein zur Reparatur erforderliches Ersatzteil nicht zu beschaffen und steht deshalb eine monatelange Wartezeit im Raum, so obliegt es dem Geschädigten, den Schädiger vor der Entstehung eines ungewöhnlich hohen Nutzungsausfallschadens zu warnen und eine im Verhältnis zum anstehenden Ausfallschaden deutlich geringeren Aufwand fordernde Interimsreparatur vornehmen zu lassen.
Siehe auch Wertminderung / merkantiler Minderwert
Zum Sachverhalt: Der Wagen des Klägers, ein ... wurde am 17. November 2001 in der von der Beklagten betriebenen Waschstraße beschädigt; die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz ist dem Grunde nach unumstritten.
Der Kläger gab seinen Wagen in eine freie Werkstatt zur Reparatur. Diese bestellte am 11. Dezember 2001 zum Ersatz der in der Waschanlage der Beklagten beschädigten Heckscheibe eine neue Scheibe vom Typ der beschädigten. Dieser Scheibentyp war nicht lieferbar, und die Herstellerin lieferte eine ebenfalls zum Wagen des Klägers passende Scheibe aus. Diese unterschied von der beschädigten Scheibe dadurch, dass sie anders als diese nicht über eine Bohrung zum Einsatz eines Heckscheibenwischers verfügte.
Der Kläger beschaffte sich von privater Seite eine Heckscheibe mit entsprechender Bohrung, und die von ihm mit der Behebung des Schadens betraute Werkstatt baute sie ein. Die Werkstatt schloss die Reparatur am 23. Februar 2002 ab.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2001 hatte der Haftpflichtversicherer der Beklagten unter anderem Reparaturkosten in Höhe von 16.155,34 DM anerkannt; den von ihm ermittelten Entschädigungsbetrag zahlte er aus. Später kamen Zweifel an der Angemessenheit der dieser Zahlung zugrunde gelegten Einschätzung der Reparaturkosten auf; nach Einholung eines - weiteren - Sachverständigengutachtens im Verlaufe der ersten Instanz ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der zur Reparatur erforderliche Aufwand auf 5.607,39 € beschränkt ist.
Mit der Klage hat der Kläger weiteren Schadensersatz aus dem Ereignis vom 17. November 2001 gefordert; er hat Nutzungsausfallentschädigung für die Gesamtdauer der Reparatur in Höhe von 9.172,40 €, des weiteren unter anderem Ausgleich merkantiler Wertminderung in Höhe von 2.778,00 DM gefordert.
Die Beklagte hat diese Ansprüche zurückgewiesen und ihrerseits mit der Widerklage Rückzahlung der aufgrund Schreibens vom 20. Dezember 2001 geleisteten Entschädigung zu einem Anteil von 6.118,29 € gefordert.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und auf die Widerklage einen Betrag von 2.952,30 € zugesprochen. Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Wegen einer merkantilen Wertminderung ist der Kläger nicht zu entschädigen, da eine solche nicht entstanden ist.
Voraussetzung der Annahme, der geschädigte Kläger sei durch eine merkantile Wertminderung seines Wagens wirtschaftlich belastet, wäre, dass ein Schaden von einigem Gewicht entstanden ist, welcher im Verkehr - bei „fiktiven“ Kaufinteressenten - selbst nach ordnungsgemäßer Reparatur den Verdacht rechtfertigen könnte, es sei ein unsichtbarer „innerlicher Restschaden“ verblieben, und dass ein insofern gerechtfertigter Verdacht erfahrungsgemäß Anlass gebe, den Preis des - gebrauchten - Wagens unter den Listenpreis zu „drücken“.
Solches wäre unter den hier gegebenen Umständen nicht gerechtfertigt, der Handelswert des Wagens ist nicht gemindert. Denn der Schaden stellt keinen eigentlichen „Unfallschaden“ dar; ein Kaufinteressent, der wegen dieses die Fahrzeugstruktur nicht im geringsten betreffenden Schadens auf eine Verringerung des Kaufpreises dringen würde, wäre nicht recht ernst zu nehmen. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Wagen des Klägers - wie der Sachverständige Dr. A hervorgehoben hat - um ein sehr gesuchtes, wertstabiles Fahrzeugmodell; „fadenscheinige“ Versuche, den Preis eines gebrauchten Wagens zu drücken, sind in diesem Rahmen von vornherein praktisch aussichtslos.
d) Dem Kläger steht hingegen Nutzungsausfallentschädigung zu, dies zur Höhe von 3.040,00 €..
Der - gewohnheitsrechtliche - Anspruch auf Ersatz entgangener geldwerter Gebrauchsvorteile eines beschädigten Kraftfahrzeuges setzt eine fühlbare Beeinträchtigung, also neben dem tatsächlichen Ausfall vor allem den Willen zur weiteren, fortwährenden Nutzung des Wagens voraus; negativ wird in der Regel - ob das gerade auch dann anzunehmen ist, wenn, wie hier, ein Fahrzeug über lange Zeit ausfällt, braucht nicht geklärt zu werden - erforderlich sein, dass der Geschädigte nicht über einen zumutbar nutzbaren Zweitwagen verfügt.
aa) Diese Negativvoraussetzung steht der Annahme der „Fühlbarkeit“ des Fahrzeugausfalls nicht von vornherein entgegen. Die Beklagte hat nichts vorgebracht, was die allein schon durch die Anschaffung und Zulassung eines Wagens gerechtfertigte Vermutung in Frage stellen würde, der Halter sei nicht nur Willens und in der Lage, den Wagen zu benutzen, sondern auch zur Erfüllung seiner Nutzungswünsche auf diesen Wagen angewiesen. Der in die gegenteilige Richtung zielende Vortrag der Beklagten - und ihrer Streithelferin - entbehrt jeglicher inhaltlicher Substanz. Ihr Hinweis, der Kläger unterhalte „neben dem streitgegenständlichen Pkw noch weitere Fahrzeuge ..., die er während der Reparatur benutzt hat“ (Klageerwiderung vom 15. Oktober 2002), die inhaltliche Wiederholung „dass der Kläger neben dem streitgegenständlichen Pkw noch weitere Fahrzeuge unterhält, die er während der Reparatur genutzt hat... Der Kläger hat ohne Frage Zugriff auf andere Fahrzeuge“ (Berufungserwiderungsschrift vom 19. September 2005) lässt ebenso wie der Vortrag der Streithelferin der Beklagten „dass er weitere Fahrzeuge besitze, die er für anstehende Fahrten nutzen könne“ (Berufungserwiderungsschrift der Streithelferin der Beklagten vom 5. September 2005) auch nur den geringsten tatsächlichen Hintergrund vermissen; er ist als Vortrag „ins Blaue“ unbeachtlich. Unabhängig hiervon trägt das Gericht nach der anschaulichen Schilderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Verhandlungstermin vom 30. September 2005 - welcher inhaltlich auch nicht widersprochen wurde - umgekehrt keinen Zweifel daran, dass der Kläger selbst nur dieses eine Fahrzeug hat, und dass es in der Familie nur ein weiteres Fahrzeug gibt, welches auf den Namen seiner Ehefrau zugelassen ist und von dieser auch tatsächlich benutzt wird, auch und vor allem, um ihr Kind zu fahren.
bb) Aus einem rechnerischen Nutzungsausfallwert von 6.435,00 € entsprechend 99 Tagen zu je 65,00 € hat die Beklagte einen Anteil von 3.040,00 € auszugleichen; der der tatsächlichen Ausfalldauer entsprechende Wert ist auf der Grundlage eines mitwirkenden Verschuldens des Klägers in der Schadensentwicklung zu begrenzen.
In der Bemessung des Tageswertes von 65,00 € folgt das Berufungsgericht übereinstimmend mit der absolut herrschenden Rechtsprechung den Nutzungsentschädigungstabellen von Küppersbusch, Seifert und Kuhn (früher: Sanden/Danner); diese Tabellen ordneten den Wagentyp des Klägers altersabhängig den Gruppen K-H zu, was für den Schadenszeitpunkt gerundet in Euro K=91,00 € / J=79,00 € / H=65,00 € entsprach; dabei war die letzte Gruppe einem Fahrzeugalter von mehr als 10 Jahren zugeordnet. Die Gruppenzuordnung löst das Berufungsgericht nicht auf. Angesichts dessen, dass die Tabellen von Küppersbusch, Seifert und Kuhn in der Rechtsprechung allgemein Anwendung finden und die Rechtsprechung auch die Abstufung nach Fahrzeugalter mitträgt, fordert die Rechtssicherheit in einem besonders weiten Rahmen eine „formale“ Anwendung. Auf die vom Kläger hervorgehobene Tatsache, dass das Fahrzeug in besonders gepflegtem Zustand war, kann es nicht ankommen, weil ein guter Pflegezustand keine ungewöhnliche Besonderheit darstellt.
Nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB obliegt es dem Geschädigten, die Schädigerin auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, um so das seine zu tun, den Schaden nach Kräften zu mindern. Daraus folgt in Fällen, in denen einer gleichsam routinemäßigen Abwicklung der Reparatur Hindernisse entgegenstehen und diese Hindernisse die Gefahr eines unverhältnismäßig hohen Nutzungsausfallschadens begründen, eine „Warnpflicht“ gegenüber dem Ersatzpflichtigen ebenso wie die Pflicht, auf eine möglichst rasche Abwicklung hinzuwirken.
Anlass, zu warnen und einzugreifen, bestand: Die zum „wirklichen“ Ersatz notwendige Heckscheibe, nämlich der Scheibentyp mit Bohrung für einen Heckscheibenwischer, war seinerzeit nicht lieferbar, es stand nur eine im Grundsatz passende, aber eben nicht gleiche Heckscheibe ohne Bohrung zur Verfügung. Hier musste sich die Frage nach einer Interimsreparatur aufdrängen, die Frage danach, ob man nicht durch den Einbau der zur Verfügung stehenden typenungleichen Heckscheibe die Nutzungsfähigkeit des Wagens fürs erste wieder herstellen, danach abwarten sollte, bis die an sich benötigte Scheibe zur Verfügung stünde, um dann die Reparatur abzuschließen.
Diese Problematik war aus der Sicht eines wirtschaftlich vernünftig handelnden Geschädigten in der Abwägung der zeitlichen Aspekte einer Ersatzbeschaffung und dem beim bloßen Abwarten anlaufenden Nutzungsausfallschaden einerseits, der Kosten einer Interimsreparatur andererseits im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren zu lösen. Gerade weil die Beklagte durch einen - naturgemäß - in der Schadensabwicklung erfahrenen Versicherer vertreten wurde, musste es fast zwingend geboten erscheinen, mit diesem Rücksprache zu nehmen, als deutlich wurde, dass die passende Heckscheibe derzeit nicht lieferbar war (Warnpflicht). Die Erfahrung spricht dafür, dass der Versicherer eine Interimsreparatur angeraten hätte; da ihm diese Möglichkeit nicht gegeben wurde, kann dahinstehen, welchen Einfluss eine Weigerung des Versicherers auf die Zumutbarkeitsproblematik gehabt hätte.
Das Berufungsgericht schätzt die Kosten einer fiktiven Interimsreparatur auf insgesamt 2.000,00 € ein. Dabei geht es von den im Schadensgutachten vom 19. November 2001 zu Positionen 51035306, 3152 und 3161 bezeichneten Werten aus und schlägt dem einen weiteren Nutzungsausfall von vier Tagen hinzu.
Dieser Satz hätte auf der Grundlage täglichen Nutzungsausfallschadens von 65,00 € dem Nutzungsausfallwert eines Monats entsprochen; angesichts dessen, dass tatsächlich mehr als drei Monate bis zur Beschaffung und zum Einbau der Scheibe vergingen, war es fast zwingend, die Interimsreparatur an die Stelle bloßen Zuwartens und der Beschaffung von Privat zu setzen. Der Nutzungsausfall während der Wartezeit begrenzt sich damit auf den Gegenwert einer solchen Reparatur.
Hinzu kommt der erfahrungsgemäß für die „eigentliche“ Reparatur notwendige Zeitaufwand; ihn bemisst das Berufungsgericht auf 16 Tage. Hierbei geht es von dem von Seiten des eingesetzten Sachverständigen veranschlagten Zeitaufwand von acht Werktagen entsprechend höchstens 12 Kalendertagen zuzüglich einer Wartezeit für die Ersatzteilbeschaffung, wie sie sich hier zuzüglich Transportzeit und anknüpfend an das Schreiben der Firma X vom 18. Juni 2002 mit vier Tagen bemessen lässt, aus.
16 Tage zu einem Satz von jeweils 65,00 € entsprechen einem Gesamtbetrag von 1.040,00 €. Die Summe dieses Betrages und der mit 2.000,00 € zu veranschlagenden Kosten einer Interimsreparatur begrenzen den Nutzungsausfallschaden nach oben. ..."