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OVG Greifswald Beschluss vom 21.06.2006 - 1 M 10/06 - Zur förmlichen Zustellung von Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde

OVG Greifswald v. 21.06.2006: Zur förmlichen Zustellung von Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde bei bestimmten Punkteschwellen




Das Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald (Beschluss vom 21.06.2006 - 1 M 10/06) hat entschieden:

Die Schreiben gem. § 4 Abs. 3 StVG (Maßnahmen bei Erreichen bestimmter Punkteschwellen) sind keine Verwaltungsakte; eine fingierte Zustellung kommt daher nicht in Betracht. Die Schreiben müssen ordnungsgemäß zugestellt werden. Die Behörde hat für den Zugang die materielle Beweislast.

Siehe auch Stichwörter zum Thema Zivilprozess


Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Rüge des Antragstellers, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, er habe das Schreiben des Antragsgegners vom 22. März 2005 erhalten, greift ... durch ...

Das Verwaltungsgericht hat für seine Überzeugung, der Antragsteller habe das Schreiben des Antragsgegners vom 22. März 2005 erhalten, als einziges Argument angeführt, nach Aktenlage habe der Antragsteller beim Antragsgegner am 05. Mai 2005 eine Teilnahmebescheinigung - der ... & .... KG über eine verkehrspsychologische Beratung - eingereicht. Das Verwaltungsgericht ist insoweit offenbar der Auffassung, wegen des zeitlichen Zusammenhangs und des im Schreiben des Antragsgegners vom 22. März 2005 enthaltenen Hinweises auf die Möglichkeit zur Teilnahme an einer freiwilligen verkehrspsychologischen Beratung stehe der Zugang des Schreibens fest.




Diese Wertung des Verwaltungsgericht ist schon deshalb nachhaltig erschüttert, weil der Antragsteller durch Vorlage einer Zahlungsaufforderung der ... & ... vom 08. Februar 2005 betreffend die Auftragserteilung für eine verkehrspsychologische Beratung nachweisen konnte, dass er schon zuvor unabhängig vom Schreiben des Antragsgegners vom 22. März 2005 entsprechenden Kontakt zur ... & ... - vermittelt durch seine Ehefrau - aufgenommen hatte.

Darüber hinaus ist der rechtliche Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts bezüglich der Frage des Nachweises des Zugangs unklar.

Von einer Zustellung des Schreibens vom 22. März 2005 an den Antragsteller kann nach Aktenlage nicht ausgegangen werden. Zwar hat der Antragsgegner im Schriftsatz vom 05. Oktober 2005 eine solche Zustellung auch für das genannte Schreiben behauptet; diese Äußerung ist aber zum einen vereinzelt, zum anderen findet sich in den Verwaltungsvorgängen keine Postzustellungsurkunde. Auch verweist der Antragsgegner im Schriftsatz vom 29. August 2005 selbst darauf, dass ein Hinweis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG nicht zwingend zuzustellen sei.

Im Übrigen wäre eine dann durch Einwurf in einen Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung erfolgte Ersatzzustellung nach Maßgabe von § 96 Abs. 2 Satz 1 VwVfG M-V i.V.m. § 180 ZPO unwirksam, da sie vorausgesetzt hätte, dass der Antragsteller unter der Anschrift ... 5 in ... im Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich wohnte (vgl. BFH, Beschl. v. 10.08.2005 - XI B 237/03 -, juris; Beschl. v. 16.12.2004 - II B 164/03 -, juris; BGH, Urt. v. 24.11.1977 - II ZR 1/76 -, NJW 1978, 1858 - zitiert nach juris; LAG Köln, Beschl. v. 17.05.2004 - 4 Ta 165/04 -, juris; BayObLG, Beschl. v. 16.03.2004 - 2 ObOWi 7/2004, 2 ObOWi 7/04 -, DAR 2004, 281 - zitiert nach juris). Dass dies nicht der Fall gewesen sein dürfte, hat der Antragsteller durch Vorlage einer eigenen Eidesstattlichen Versicherung sowie einer solchen seiner Mutter und einer Meldebestätigung, derzufolge er seit dem 08. März 2005 unter der Anschrift ... 2 in ... gemeldet war, für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hinreichend glaubhaft gemacht. Die Frage, ob an der alten Anschrift noch ein Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung hing, ist in diesem Zusammenhang jedenfalls vorliegend rechtlich irrelevant. Für eine Heilung des Mangels einer unterstellten Zustellung gemäß §102 VwVfG M-V ist nichts ersichtlich.




Von einer fingierten Bekanntgabe des Schreibens vom 22. März 2005 nach Maßgabe von § 41 Abs. 2 VwVfG M-V kann aus mehreren Gründen ebenfalls nicht ausgegangen werden. Zum einen dürfte die Vorschrift schon auf das Schreiben vom 22. März 2005 nicht anwendbar sein, da es sich bei ihm nicht um einen Verwaltungsakt handelt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 41 Rn. 3, 4; VGH Mannheim, Urt. v. 06.07.1972 - V 1191/70 -, juris). Zum anderen kann aus den Verwaltungsvorgängen, die dem Senat leider nur in teilweise schwer lesbaren Kopien vorliegen, schon eine Aufgabe zur Post nicht zweifelsfrei nachvollzogen werden. Es ist nicht ersichtlich, ob das Schreiben überhaupt abgesandt worden ist. Zudem bestehen mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen zumindest Zweifel, ob das Schreiben zugegangen ist (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG M-V).

Ist mit Blick auf das ordnungsgemäße Durchlaufen des abgestuften Systems des § 4 Abs. 3 StVG der Zugang einer Maßnahme offen bzw. im Streitfall nicht nachgewiesen, trägt die Fahrerlaubnisbehörde, die im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis für sie günstige Rechtsfolgen aus dem Zugang ableiten will, die materielle Beweislast.


Da der Antragsteller mit Blick auf die vorstehend erwähnten Umstände zumindest substantiiert einen Sachverhalt vorgetragen hat, der es plausibel erscheinen lässt, dass ihm das Schreiben vom 22. März 2005 nicht zugegangen ist, ist der Antragsgegner gehalten, den Zugang mit Blick auf den summarischen Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zumindest glaubhaft zu machen. Dies ist ihm bislang nicht gelungen. Dass den Antragsteller ein Schreiben des Regierungspräsidiums K. unter seiner alten Anschrift erreicht haben soll, kann aus der Akte nicht abgelesen werden. Unklar ist auch, in was für ein Behältnis die Anhörung zur Fahrerlaubnisentziehung sowie letztere selbst bei der Zustellung eingelegt worden sein sollen. Der Antragsteller trägt vor, er habe bei seinem Wegzug aus der alten Wohnung seinen Briefkasten mitgenommen, nur das Namensschild an der Haustür sei zurückgeblieben. Das in den Verwaltungsvorgängen vermerkte Gespräch mit der Zustellerin Frau ... bestätigt das Vorbringen des Antragstellers insoweit, als tatsächlich offenbar nur noch ein Namensschild vorhanden war. Bei dieser Sachlage hätte es nahe gelegen, die Frage zu klären, in welche Vorrichtung zu welcher Wohnung die Zusteller - u.a. Frau ... - die jeweiligen Schriftstücke eingeworfen haben. Diese Frage wurde etwa Frau ... offenbar nicht - jedenfalls nicht aktenkundig - gestellt. Auch wenn der Vortrag des Antragstellers, er habe in seinem Briefkasten an der neuen Wohnung das an die alte Anschrift adressierte Schreiben des Antragsgegners vom 26. Juli 2005 gefunden, Fragen aufwirft, ist danach jedenfalls nicht von der erforderlichen Glaubhaftmachung des Zugangs durch den Antragsgegner auszugehen. ..."

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