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VGH München Beschluss vom 11.05.2011 - 11 ZB 11.462 - Vorübergehender Drogenkonsum zur Schmerztherapie bildet keinen Ausnahmefall für die Fahruntauglichkeit

VGH München v. 11.05.2011: Vorübergehender Drogenkonsum zur Schmerztherapie bildet keinen Ausnahmefall für die Fahruntauglichkeit




Der VGH München (Beschluss vom 11.05.2011 - 11 ZB 11.462) hat entschieden:

Der Hinweis des Betroffenen auf eine seit über 20 Jahren bestehende schmerzhafte Fußerkrankung und die deswegen durchgeführte Schmerztherapie, in deren Rahmen ihm zwischen 2005 und 2010 Tramadol, Ibuprofen und Nomavinzulfon verordnet worden seien, ändert nichts an der Annahme eines Regelfalls der Fahrungeeignetheit, wenn außerdem vom Konsum von Morphin und Codein auszugehen ist, weil zwischen diesen Betäubungsmitteln und den früher eingenommenen Medikamenten kein Zusammenhang besteht.

Siehe auch
Schmerztherapie und Drogen als Medizin
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Gründe:


I.

Der am 26. Mai 1972 geborene Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S sowie seiner Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (Mietwagen, Taxi).
Am 24. Juli 2007 wurden anlässlich einer Durchsuchung der Wohnung des Klägers u.a. 10,5 Gramm Rohopium gefunden. Der Kläger wurde deshalb mit rechtskräftig gewordenem Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 10. März 2008 wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe verurteilt. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung hatte er angegeben, dass er das sichergestellte Opium zur Schmerzbehandlung benötige und unterstützend zu seiner ärztlichen Behandlung wegen einer Tumorerkrankung im Fuß gelegentlich eingenommen habe.

Mit Schreiben vom 2. Juli 2009 ordnete die Beklagte an, dass der Kläger bis spätestens 4. September 2009 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung der Frage beizubringen habe, ob er trotz früheren Drogenkonsums ein Kraftfahrzeug der Klassen B, BE, C1, C1E, L und M sicher führen könne und ob insbesondere nicht zu erwarten sei, dass er ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln und anderen psychoaktiven Stoffen oder deren Nachwirkungen führen werde. Nach Ablauf der dem Kläger gesetzten Frist hörte ihn die Beklagte mit Schreiben vom 8. September 2009 zum beabsichtigten Entzug der Fahrerlaubnis an, sah aber im Hinblick auf seine Stellungnahme vom 29. September 2009, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, von weiteren Maßnahmen ab.




Durch eine Mitteilung der Polizeiinspektion Würzburg Ost wurde der Beklagten bekannt, dass der Kläger am 24. Februar 2010 um 3.24 Uhr in Würzburg mit seinem Taxi wegen überhöhter Geschwindigkeit auffällig geworden war. Die wegen bei ihm festgestellter drogentypischer Auffälligkeiten durchgeführte Blutentnahme ergab laut toxikologischem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Würzburg vom 31. März 2010 Morphin mit einer Konzentration von 13,6 ng/ml sowie Codein mit einer Konzentration von 15,0 ng/ml. Auch am 14. April 2010 um 2.40 Uhr führte der Kläger in Würzburg ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Betäubungsmitteln. Laut toxikologischem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Würzburg vom 21. Mai 2010 ergab die Untersuchung der ihm entnommenen Blutprobe Morphin mit einer Konzentration von 13,2 ng/ml sowie Codein mit einer Konzentration von 42,8 ng/ml. Anlässlich der ärztlichen Untersuchung hatte der Kläger jeweils angegeben, das Medikament Tramadol eingenommen zu haben.

Mit Bescheid vom 7. Juli 2010 entzog die Beklagte dem Kläger nach vorheriger Anhörung die Fahrerlaubnis (Nr. 1) und gab ihm auf, den Führerschein der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S sowie die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung bei ihr abzuliefern (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Nr. 3).

Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am 21. Juli 2010 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben, die das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. Januar 2011 als nicht begründet abwies. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend macht.





II.

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war abzulehnen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht vorliegt. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das ist nur dann der Fall, wenn gegen dessen Richtigkeit nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden und sich ohne nähere Prüfung die Frage nicht beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 124 RdNr. 7).

a) Der Kläger lässt hierzu vortragen, dass das Verwaltungsgericht atypische Umstände im Sinn der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung unter Hinweis auf das im Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeholte Gutachten des rechtsmedizinischen Instituts der Universität Würzburg zu Unrecht verneint habe. In diesem Zusammenhang verweist er auf seine seit über 20 Jahren bestehende schmerzhafte Fußerkrankung und die deswegen durchgeführte Schmerztherapie, in deren Rahmen ihm im Jahre 2005 Tramadol verordnet worden sei, das er bei Bedarf bis zum April 2010 eingenommen habe. Seit diesem Zeitpunkt sei er von den ihn nunmehr behandelnden Ärzten auf die Medikamente Ibuprofen und Nomavinzulfon umgestellt worden.

Dieses Vorbringen begründet keine Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass beim Kläger ein Regelfall vorliegt. Als Gründe für eine Ausnahme von der Regelfallbewertung werden in Nummer 3 Satz 2 der Vorbemerkung zur Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellungen und durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen genannt. Da es im Fall des Klägers um den Verlust der Fahreignung durch die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (hier von Morphin und Codein) gemäß Nummer 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung geht, müssten sich die zur Begründung eines Ausnahmefalls vorgetragenen Gründe auf eine vom Regelfall abweichende Wirkung der Einnahme von Morphin und Codein auf seine Fahreignung beziehen. In dieser Richtung wurde vom Bevollmächtigten des Klägers jedoch nichts vorgetragen. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die seit April 2010 ärztlich verordnete Einnahme von Ibuprofen und Nomavinzulfon begründen können soll, dass bezüglich der nachgewiesenen Einnahme von Morphin und Codein durch den Kläger eine Ausnahme von der Regelbewertung anzunehmen sein soll.

b) Der Kläger lässt weiter ausführen, dass er weder medikamentenabhängig noch medikamentensüchtig sei. Hiergegen spreche auch der Umstand, dass eine ihm am 20. April 2010 im Rahmen einer polizeilichen Verkehrskontrolle entnommene weitere Blutprobe ausweislich des toxikologischen Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Würzburg vom 26. April 2010 keine Substanzen aus der Anlage zu § 24 a StVG bzw. deren Metabolite enthalten habe.

Dieser Einwand ändert nichts daran, dass der Kläger durch die Einnahme der Betäubungsmittel Morphin und Codein seine Fahreignung verloren hat, was weder eine Medikamentenabhängigkeit noch eine Medikamentensucht zur Voraussetzung hat.

c) Der Kläger lässt weiter vortragen, dass die Anordnung der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens in seinem Fall ermessensfehlerhaft gewesen sei, so dass ihm nicht nach § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis hätte entzogen werden dürfen. Aus Nummer 2 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ergebe sich, dass Grundlage der im Rahmen der §§ 11, 13 oder 14 FeV vorzunehmenden Beurteilung, ob im Einzelfall Eignung oder bedingte Eignung vorliege, in der Regel ein ärztliches Gutachten gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV und nur in besonderen Fällen ein medizinisch-psychologisches Gutachten sei.




Dieser Vortrag lässt völlig außer Acht, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis nicht nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV entzogen wurde, sondern nach § 11 Abs. 7 FeV, weil er die Fahreignung aufgrund der Einnahme der Betäubungsmittel Morphin und Codein gemäß Nummer 9.1 der Anlage 4 zur FeV verloren hatte.

d) Der Klägerbevollmächtigte führt weiter aus, dass der Kläger die unter Nummer 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung genannten Voraussetzungen für eine Wiedererlangung der Fahreignung nicht zu erfüllen brauche, weil diese nur bei Vorliegen eines Regelfalls gelten würden, der beim Kläger jedoch nicht gegeben sei. Unabhängig hiervon liege beim Kläger der vom Verwaltungsgericht in Abrede gestellte tiefgreifende Einstellungswandel vor.

Dieses Vorbringen geht zu Unrecht davon aus, dass beim Kläger kein Regelfall im Sinn der Nummer 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegt. Insoweit kann auf die Ausführungen oben unter 1. a) verwiesen werden.

Der sinngemäßen Behauptung des Klägers, seine durch den Betäubungsmittelkonsum verloren gegangene Fahreignung wiedererlangt zu haben, brauchte die Beklagte nicht nachzugehen, weil im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Bescheid vom 7. Juli 2010 die sogenannte verfahrensrechtliche Einjahresfrist gemäß Nummer 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung noch nicht abgelaufen war (vgl. BayVGH vom 9.5.2005 BayVBl 2006, 18). Diese Frist für eine Entscheidung nach § 11 Abs. 7 FeV endete hier ein Jahr nach dem Tag, den der Kläger sinngemäß als Beginn seiner Betäubungsmittelabstinenz angegeben hat, d.h. am 25. Februar 2011. Aus diesem Grund ist die der Sache nach gemäß § 11 Abs. 7 FeV verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis ohne vorherige Einholung eines ärztlichen oder eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht zu beanstanden.

e) Schließlich kommt es auf den von der Klagepartei erhobenen Einwand, dass dem Kläger keine Unglaubwürdigkeit unterstellt werden könne, für die Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht an. Denn der Verlust seiner Fahreignung steht aufgrund der durch die toxikologischen Gutachten vom 31. März 2010 und 21. Mai 2010 nachgewiesenen Einnahme der beiden Betäubungsmittel Morphin und Codein fest.



2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Abschnitt II. Nrn. 46.3, 46.5, 46.8 und 46.12 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1227).

3. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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