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Landgericht Neuruppin Urteil vom 11.01.2018 - 1 O 120/17 - Posttraumatische Belastungsstörung eines Unfall-Helfers

LG Neuruppin v. 11.01.2018: Zur posttraumatischen Belastungsstörung eines Unfall-Ersthelfers


Das Landgericht Neuruppin (Urteil vom 11.01.2018 - 1 O 120/17) hat entschieden:

   Eine Haftpflicht des Unfallverursachers besteht in den Fällen, in denen der Geschädigte als direkt am Unfall Beteiligter infolge einer psychischen Schädigung eine schwere Gesundheitsstörung erlitten hat. - Eine Schädigung, die aus der bloßen Anwesenheit bei einem schrecklichen Ereignis herrührt, ist dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen.



Siehe auch

Psychische Unfallfolgen und Fehlverarbeitung traumatischer Erlebnisse - PTBS - posttraumatisches Belastungssyndrom

und

Stichwörter zum Thema Personenschaden


Tatbestand:


Die Parteien streiten wegen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen aus einem Verkehrsunfall der sich am 24.9.2014 ereignete.

Der Kläger befuhr mit seinem Lkw mit Sattelauflieger die Bundesstraße 5 in Richtung Warnow aus Richtung Karstadt kommen. Vor ihm fuhr ein Audi und davor ein weiterer Lkw, der vom Zeugen ... gesteuert wurde. Diesen 3 Fahrzeugen kam auf der Gegenspur der bei der Beklagten versicherte und von Herrn ... geführte Ford Transit entgegen. Plötzlich geriet der Ford Transit aus seiner Fahrspur, zog in die Fahrspur des Gegenverkehrs und kollidierte dort zunächst mit dem Lkw des Zeugen .... Anschließend kam es auch noch zum Zusammenstoß mit dem Audi. Bei dem Unfall wurde der Fahrer des Ford Transit sowie ein auf dem Rücksitz befindlicher Fahrzeuginsasse tödlich verletzt. Der Lkw des Klägers wurde durch umherfliegende Ladung an der linken Seitenverkleidung zwischen den Rädern leicht beschädigt.

Der Kläger behauptet, er habe sich nach dem Verkehrsunfall zum Ford Transit begeben um den Insassen Erste Hilfe zu leisten. Es sei ihm gelungen den Beifahrer aus dem Transporter zu befreien. Er habe durch seine Ersthelfertätigkeit und den damit verbundenen traumatischen Eindrücken sowie durch das Erleben des Verkehrsunfalls ein posttraumatisches Belastungssyndrom erlitten. Hierdurch sei er durchgehend seit dem 18.5.2015 arbeitsunfähig. Zeitweise sei er wegen der Unfallfolgen auch stationär behandelt worden. Der Versuch des Klägers unmittelbar nach dem Unfall regulär seinem Beruf als Kraftfahrer nachzugehen sei gescheitert.




Dem Kläger sei unfallbedingt ein Verdienstausfallschaden entstanden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vortrag in der Klageschrift vom 3.4.2017 (Bl. 4 ff. der Akte) Bezug genommen. Es sei davon auszugehen, dass weitere noch nicht bezifferbare Schäden entstünden.

Der Kläger beantragt,

   die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, welches der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 9.8.2016 zu bezahlen;

   die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 11.795,84 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 9.8.2016 zu bezahlen;

   festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 4. 20.9.2014 zu erstatten;

   die Beklagte zu verurteilen, an die ... Rechtsschutz-​Versicherung-​AG die von dieser bereits regulierten außergerichtlichen Kosten i.H.v. 1266,16 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.


Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.


Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger aufgrund seiner Ersthelfertätigkeit ein posttraumatisches Belastungssyndrom erlitten habe und deshalb bis heute arbeitsunfähig sei. Unabhängig davon sei dem bei der Beklagten versicherten Unfallverursacher ein etwaiger Gesundheitsschaden des Klägers nicht zurechenbar. Schließlich bestreitet die Beklagte die Höhe des behaupteten Verdienstausfallschadens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Dem Kläger stehen bereits dem Grunde nach die geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1, 11 StVG i.V.m. 115 VVG gegen die Beklagte nicht zu.

Auch unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers, dass er infolge seiner Ersthelfertätigkeit nach dem Verkehrsunfall vom 24.9.2014 ein posttraumatisches Belastungssyndrom erlitten habe und infolgedessen arbeitsunfähig geworden sei, besteht eine Haftung des unfallverursachenden Fahrer des Ford Transit, Herrn ..., nicht. Dementsprechend scheidet auch ein Direktanspruch aus § 115 VVG gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs aus.

Zwar können die durch ein Unfallgeschehen ausgelösten, traumatisch bedingten psychischen Störungen von Krankheitswert grundsätzlich eine Verletzung des geschützten Rechtsguts Gesundheit im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB darstellen.

Die hier vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung sind jedoch nicht unmittelbar durch das verkehrswidrige Verhalten des Fahrers des bei der Beklagten versicherten Ford Transit verursacht worden. Sie sind vielmehr auf eine psychisch vermittelte Schädigung zurückzuführen, die nach dem Vortrag des Klägers dadurch entstanden ist, dass er nach dem eigentlichen Unfallereignis im Rahmen seiner Ersthelfertätigkeit schwer verletzte bzw. getötete Unfallopfer antraf.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass eine Haftpflicht des Unfallverursachers in den Fällen besteht, in denen der Geschädigte als direkt am Unfall Beteiligter infolge einer psychischen Schädigung eine schwere Gesundheitsstörung erlitten hat (vgl. BGH VersR 1986, 240; BGH VersR 1993, 589; BGH r+s 2007, 388 ff. mit weiteren Nachweisen). Maßgeblich für die Zurechnung ist, dass der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte.

Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch nicht, da der Kläger an dem eigentlichen Unfallgeschehen nämlich der Kollision zwischen dem Audi des Zeugen ... und dem Lkw des Zeugen ... nicht beteiligt war. Der Umstand, dass Ladungsteile das Fahrzeug des Klägers getroffen haben und leichte Beschädigungen verursacht haben, genügt nicht. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 22.5.2007 (Az. VI ZR 10/06 0 r+s 2007, 338 ff.) die Haftung eines "Geisterfahrers" gegenüber Personen verneint, die bei dem Versuch den Unfallfahrzeugen auszuweichen gegen eine Leitplanke gerieten und anschließend mit ansehen mussten, wie in dem Wagen, der frontal mit dem "Geisterfahrer" zusammenstieß sämtliche Insassen verbrannten. Auch in diesem Fall lag eine unmittelbare Beteiligung am eigentlichen Unfallgeschehen, nämlich der Kollision nicht vor.

Es handelt sich auch nicht um eine Konstellation, bei der eine Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der Herausforderung zu einer Rettungshandlung erfolgen könnte. Eine auf solcher Grundlage beruhende deliktische Haftung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand der Festnahme durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht zu entziehen versucht, diese Person dadurch in vorwerfbarer Weise zu einer sich selbstgefährdenden Verfolgung herausgefordert hat und dann infolge der gesteigerten Gefahrenlage ein Schaden eingetreten ist. Ein vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor. Es handelt sich vielmehr um eine Schädigung, die aus der bloßen Anwesenheit bei einem schrecklichen Ereignis herrührt und infolgedessen dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.5.2007, a.a.O.). Nach der Wertung des Gesetzgebers ist nämlich die Deliktshaftung auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken, mit der Folge, dass Beeinträchtigungen, die auf die Rechtsgutsverletzung bei Dritten zurückzuführen sind, soweit diese nicht selbst in ihren eigenen Schutzgütern betroffen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB grundsätzlich ersatzlos bleiben (BGHZ 56, 163 ff; BGH r+s 2015, 151 ff).

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

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