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OLG München Urteil vom 22.02.2008 -10 U 4455/07 - Abbremsen zum Zweck der Disziplinierung des Nachfolgenden

OLG München v. 22.02.2008: Auffahrunfall bei scharfem Abbremsen zum Zweck der Disziplinierung des Nachfolgenden


Das OLG München (Urteil vom 22.02.2008 -10 U 4455/07) hat entschieden:

   Ein zwingender Grund i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, der ein starkes Abbremsen des Vorausfahrenden rechtfertigen könnte, setzt voraus, dass das Bremsen zum Schutz von Rechtsgütern und Interessen erfolgt, die dem Schutzobjekt der Vorschrift mindestens gleichwertig sind. - Ein scharfes Bremsen zum Zwecke der Disziplinierung/Verkehrserziehung des Nachfolgenden führt zur vollen Haftung des Bremsenden.



Siehe auch

Stichwörter zum Thema Auffahrunfälle

und

Auffahrunfall - Bremsen des Vorausfahrenden


Gründe:


A.

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz in Höhe von 15.207,76 € und vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 755,80 € aus einem Verkehrsunfall vom 30.06.2006 gegen 20.45 Uhr in G. geltend. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 23.07.2007 (Bl. 66/77 d.A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht München II hat nach Beweisaufnahme die Beklagten verurteilt, 9.240,60 € nebst Zinsen an die Klägerin zu bezahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.




Gegen dieses den Parteien am 09.08.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem beim Oberlandesgericht am 07.09.2007 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 79/80 d.A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim Oberlandesgericht am 08.11.2007 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 88/97 d.A.) begründet. Die Beklagten haben mit einem beim Oberlandesgericht am 10.09.2007 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 81/82 d.A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim Oberlandesgericht am 09.11.2007 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 98/112 d.A.) begründet.

Die Klägerin beantragt,

   unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem Antrag erster Instanz zu erkennen und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.


Die Beklagten beantragen,

   unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.


Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen Zl., Zn., B. und W.. Der Beklagte zu 1) wurde angehört.

Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 22.02.2008 (Bl. 124/131 d.A.) verwiesen.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift vom 22.02.2008 (Bl. 124/131 d.A.) Bezug genommen.


B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg, die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz bejaht.

Da das Fahrzeug der Klägerin bei dem Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) durch dieses beschädigt wurde, kommt grundsätzlich ein Anspruch der Klägerin aus § 7 I StVG und, soweit ein Verschulden des Beklagten zu 1) vorliegen sollte, aus § 823 I BGB in Betracht. Dass der Unfall durch höhere Gewalt (§ 7 II StVG) verursacht worden sei, wird von keiner Partei geltend gemacht.

Ein Anspruch der Klägerin ist hier aber ausgeschlossen, da ein gegen den Auffahrenden grundsätzlich anzuwendender Anscheinsbeweis für die Unfallverursachung und das Alleinverschulden vorliegend nicht gegeben ist, vielmehr der Unfallschaden durch den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs ganz überwiegend verursacht und verschuldet wurde, so dass der Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) vernachlässigt werden kann (§§ 17 I StVG; 254 I BGB). Die Beklagten haben bewiesen, dass die Betriebsgefahr des Pkws der Klägerin durch die schuldhafte Fahrweise des klägerischen Fahrers gegenüber der des Pkws des Beklagten zu 1) wesentlich erhöht war und dass diesen an dem Unfall ein alleiniges Verschulden trifft.

1. In tatsächlicher Hinsicht ergibt sich das aus der vom Senat in zweiter Instanz durchgeführten erneuten Beweisaufnahme.

a) Nach § 286 I 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine - ohnehin nicht erreichbare (vgl. RGZ 15, 339; Senat NZV 2006, 261 und Urt. v. 28.07.2006 - 10 U 1684/06 [Juris]) - absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256] = NJW 1970, 946, stRspr., insbesondere NJW 1992, 39 [40] und zuletzt VersR 2007, 1429 [1431 unter II 2]; Senat a.a.O.).

b) Auf Grund der jeweiligen Angaben der unbeteiligten Zeugen Zn., B. und W., bestätigt durch die Aussage des Beklagten zu 1), steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte zu 1) mit seinem Taxi vor dem rechts an der Ampel stehenden Zeugen Zl. losgefahren ist, um vor diesem einscheren zu können, weil der weitere Straßenverlauf ein paralleles Weiterfahren wegen einer Verkehrsinsel in der Mitte der Fahrbahnen nicht mehr zuließ. Dies wollte der Zeuge Zl. verhindern, weswegen er seinerseits mit seinem wesentlich stärker motorisierten Mercedes beschleunigte, am Taxi vorbeizog und dadurch den Beklagten zu 1) gezwungen hat, hinter dem Zeugen Zl. einzuscheren. Nachdem der Zeuge Zl. von hinten ein Hupen und Blinken mit der Lichthupe wahrnahm, was er dem Beklagten zu 1) zugeordnet hatte, hat er ohne äußeren Anlass eine Vollbremsung vorgenommen, wodurch der Beklagte zu 1) trotz einer Ausweichbewegung nach links und einer eingeleiteten Bremsung ein Aufprallen auf das linke hintere Heck des Mercedes des Zeugen Zl. nicht mehr verhindern konnte. Dieses Verhalten des Zeugen Zl. stellte den Versuch dar, den nachfolgenden Beklagten zu 1) zu disziplinieren oder maßzuregeln.

c) Den Angaben des Zeugen Zl. hingegen konnte nicht gefolgt werden. Die Zeugenaussage war in ihren wesentlichen Punkten widersprüchlich. In seiner Einvernahme vor dem Senat erklärte der Zeuge, er sei vom Ampelstart weg immer schon vor dem Taxi des Beklagten zu 1) gefahren, habe diesen mehr oder minder gar nicht wahrgenommen. Das spätere Bremsmanöver sei dadurch veranlasst worden, dass er, während er wegen des Lichthupens des Beklagten zu 1) in den Rückspiegel geschaut habe, im Augenwinkel einen Schatten gesehen habe, die wahrscheinlich eine Katze gewesen sei.

aa) Die unbeteiligten Zeugen Zn. und W., die im nachfolgenden Fahrzeug fuhren, haben dagegen übereinstimmend erklärt, dass das Taxi (des Beklagten zu 1) an der Ampel vor dem Mercedes, gesteuert vom Zeugen Zl., losgefahren ist. Lediglich darin, wie weit sich das Taxi vor das Klägerfahrzeug setzen konnte, differierten die Aussagen. Dass der Zeuge Zl. das Taxi jedoch bemerkt hat, ergibt sich aus den Angaben des Zeugen Zn., der bekundete, dass der Zeuge Zl.. den Taxifahrer nicht habe herüberfahren lassen wollen und deswegen beschleunigt habe. Diese Aussage, die vom Zeugen Zn. bereits in ähnlicher Weise in erster Instanz getätigt wurde, ist nachvollziehbar, wogegen die Aussage des Zeugen Zl., er habe das Taxi gar nicht bemerkt, vor dem Senat erstmalig gemacht wurde. Weder in seiner Aussage vor der Strafrichterin (AG Fürstenfeldbruck, Az.: 3 Cs 56 Js 28048/06, Protokoll der Hauptverhandlung vom 12.06.2007, Bl. 42 der Strafakte, die vom Erstgericht beigezogen und verwertet wurde) noch vor dem Erstgericht oder in Schriftsätzen der Klägerin wurde bislang davon berichtet, der Zeuge Zl. sei von der Ampel weg vor dem Taxi gefahren. Die Angaben des Zeugen Zl., der als Angestellter der Klägerin und Sohn des Geschäftsführers der Klägerin ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, sind deshalb unglaubwürdig.

bb) Noch weniger glaubwürdig war der vom Zeugen Zl. angegebene Grund für die durchgeführte Vollbremsung. In der oben angegeben Einvernahme vor der Strafrichterin hat der Zeuge gesagt:

   „Ich musste bremsen, weil eine Katze über die Straße gelaufen ist...Es war eine schwarze Katze, die kam unvermittelt von rechts.“


In der Klageschrift vom 21.12.2006 auf S. 2 hat die Klägerin, durch das Angebot des Zeugen Zl. unter Beweis gestellt, folgendes vorgetragen:
   „Der Zeuge sah plötzlich von rechts einen Schatten vor sein Auto springen und befürchtete, dass es sich hierbei um einen Menschen handeln könnte. Er bremste daraufhin sein Fahrzeug scharf ab und sah, dass er sich geirrt hatte. Es war kein Mensch, sondern glücklicherweise nur ein Tier, wahrscheinlich eine Katze.“


In seiner Zeugeneinvernahme vor dem Landgericht (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2007, S. 2/3 = Bl. 40/41 d.A.) gab der Zeuge Zl. an:
   „In dem Moment, als ich in den Rückspiegel blickte und Blinkzeichen wahrnahm huschte vor mir etwas über die Straße... Ich bremste deshalb, weil ich annahm, dass es sich um einen Menschen handelte, der vor mir über die Straße lief.“


In seiner Einvernahme vor dem Senat erklärte der Zeuge Zl., dass er während des Blicks in den Rückspiegel im Augenwinkel eine Katze wahrgenommen habe. Auf Vorhalt seiner Angaben vor dem Landgericht, erklärte der Zeuge, er sei, weil er so erschrocken gewesen sei, davon ausgegangen, dass es ein Mensch gewesen sei. Erst auf den zweiten Blick habe er bemerkt, dass es doch eine Katze gewesen sei. Er könne aber nicht sagen, welche Farbe die Katze hatte.

Diese Angaben sind insgesamt widersprüchlich und widersprechen auch den Angaben der übrigen Zeugen. Vor allem der Zeuge B., der von der Seite her die beste Sichtposition hatte, bestätigte, wie schon in seiner Aussage vor dem Landgericht, dass er weder einen Menschen noch eine Katze oder ein anderes Tier über die Straße laufen hat sehen. Da der Mensch oder das Tier in Richtung des Zeugen gelaufen wäre, der Zeuge Zl. behauptete ja, die Katze sei von rechts gekommen, hätte sie vom Zeugen wahrgenommen werden müssen. Im Übrigen ist, worauf bereits das Landgericht zu Recht hingewiesen hat, nicht nachvollziehbar, wie der Schatten eines Menschen mit dem Schatten einer Katze verwechselt werden kann. Auch ist nicht glaubhaft, dass der Zeuge während des Blicks in den Rückspiegel im Augenwinkel vorne den Schatten einer Katze wahrgenommen haben will. Der Zeuge hat ja nicht behauptet, dass die Katze von oben auf die Fahrbahn gesprungen sei, was dann aber auch von den Zeugen Zn. und W. hätte gesehen werden müssen, haben diese genau in diese Richtung geblickt. Aber auch diese beiden Zeugen haben klar bekundet, nichts von einem querenden Tier oder Menschen gesehen zu haben. Daneben war in der ersten Aussage vor einem Richter (Strafgericht) von einer Rückschau in den Spiegel und einem Schatten überhaupt nicht die Rede, sondern klar von einer schwarzen Katze. Später war es nur wahrscheinlich eine Katze und ob sie schwarz war, wusste der Zeuge auch nicht mehr. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass der Zeuge in Wirklichkeit weder einen menschlichen Schatten, noch einen Katzenschatten oder eine Katze gesehen hat.

In der Gesamtschau ist der Senat daher davon überzeugt, dass der behauptete Schatten nur die Rechtfertigung des Zeugen Zl. ist, um die Schuld von sich abzuwälzen und eine Begründung für den von seinem Vater geltend gemachten Schaden zu finden. Es sprechen alle Umstände dafür, dass es der Zeuge Zl. bereits als Provokation empfunden hatte, dass der Beklagte zu 1) es überhaupt gewagt hat, mit seinem „schwächeren“ Dieseltaxi vorfahren zu wollen. Als sich der Beklagte zu 1) nach der Zurechtweisung seitens des Zeugen zusätzlich nicht einsichtig gezeigt, sondern vermeintlich durch Hupen und Lichthupe sogar noch protestiert hat, was dem Beklagten zu 1) schon in erster Instanz nicht nachgewiesen werden konnte (Stichwort: Fußball-​WM), meinte der Zeuge offenbar, den Beklagten zu 1) durch ein „Ausbremsmanöver“ maßregeln zu müssen.

2. Der Fahrer des Klägerfahrzeugs hat mit seinem „verkehrsfremden“ Bremsmanöver gegen §§ 4 I, 1 II StVO verstoßen.



a) Der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug muss im fließenden Verkehr in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird (§ 4 I 1 StVO). „Plötzliches“ Bremsen bedeutet: für den Hintermann überraschend, d.h. ohne vorhersehbaren Grund. Mit einem Abbremsen ohne für ihn erkennbaren Grund muss der Hintermann grundsätzlich rechnen und seinen Sicherheitsabstand entsprechend einrichten. Der Vorausfahrende darf aber nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen (§ 4 I 2 StVO). „Stark“ bremsen heißt mehr als „normales“ Abbremsen, nicht unbedingt eine Vollbremsung (KG NZV 93, 478). Nach allen Zeugenaussagen und den Angaben des Beklagten zu 1) hat der Zeuge Zl. stark gebremst in besagtem Sinne.

Erlaubt ist ein starkes Bremsen nur bei einem „zwingenden Grund“. Das ist mehr als ein „triftiger Grund“; es muss eine akute Gefahr für Leib oder Leben des Fahrers oder eines Dritten bestehen.

Diese Gefahr lag hier schon nicht vor. Da ein zwingender Grund, der ein starkes Bremsen des Vorausfahrenden rechtfertigen könnte, voraussetzt, dass das Bremsen zum Schutz von Rechtsgütern und Interessen erfolgt, die dem Schutzobjekt der Vorschrift (Sachen und Personen) mindestens gleichwertig sind, hätte sogar ein „zwingender Grund“ dann nicht vorgelegen, wenn tatsächlich eine Katze in die Straße hineingelaufen wäre (vgl. KG DAR 2001, 122, „Dackel“).

Ein starkes Bremsen i.S. von § 4 I 2 StVO ist nur dann schuldhaft verkehrswidrig, wenn der nachfolgende Fahrzeuglenker einen derart geringen Abstand einhält, dass die ernstliche Gefahr eines Auffahrunfalls besteht (Senat DAR 1974, 19 = VersR 1974, 674), was hier durch die vorherige Verhinderung des Einscherens des Beklagten zu 1) provoziert wurde mit der Folge, dass der Beklagte zu 1) wegen der Verkehrsinsel knapp hinter dem Zeugen Zl. herüberziehen musste. Der Vorausfahrende darf allenfalls dann ohne zwingenden Grund scharf abbremsen, wenn ein ausreichend großer Sicherheitsabstand zum Nachfolger besteht (KG DAR 2001, 122), was hier nicht der Fall war.

Dem Beklagten zu 2) konnte entgegen der Auffassung der Klägerin unabhängig von der Frage, ob ein derartiges Ausweichmanöver überhaupt noch möglich war, auch nicht vorgeworfen werden, dass er nicht in die Gegenfahrbahn oder in die Verkehrsinsel hinein ausgewichen ist. Eine derartige Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kann nicht verlangt werden. Aber selbst wenn der Beklagte zu 2) mit seiner Abwehrreaktion nicht fehlerfrei reagiert hätte, wäre ihm das haftungsrechtlich nicht vorzuwerfen. Denn nach ständiger Rechtsprechung begründet das falsche Reagieren eines Verkehrsteilnehmers dann kein Verschulden, wenn er in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgemäße unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert (RGZ 92, 38; BGH LM Nr. 2 zu § 286 [A] ZPO; VRS 5 [1952] 87; 34 [1967] 434 [435]; 35 [1968] 177; VersR 1953, 337; 1958, 165; 1971, 909 [910]; 1976, 734 = DAR 1976, 184 [185] = NJW 1976, 1504 = MDR 1976, 749; 1982, 443; KG VersR 1978, 744; 1995, 38; OLG Karlsruhe VersR 1987, 692; OLG Koblenz, Urt. v. 27.10.2003 - 12 U 714/02; OLG Düsseldorf NZV 2006, 415 [416]; NJOZ 2008, 5944 [5950]; SenatBeschl. v. 11.08.2006 - 10 U 2990/06 und v. 22.08.2007 - 10 U 3101/07; LG Ravensburg SP 1995, 227).




2. Grundsätzlich hat der Auffahrende den Beweis des ersten Anscheins gegen sich, dass er entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten oder seine Fahrgeschwindigkeit nicht der Verkehrssituation angepasst oder falsch reagiert hat (st. Rspr., z.B. BGH VersR 1964, 263). Grundvoraussetzung für den Beweis eines Verschuldens nach Anscheinsregeln ist aber ein typischer Geschehensablauf, d.h. derjenige, der sich auf den Anscheinsbeweis beruft, muss einen Sachverhalt darlegen und notfalls beweisen, der nach der Lebenserfahrung auf ein Verschulden schließen lässt. Bei der Prüfung, ob ein typischer Geschehensablauf vorliegt, sind sämtliche bekannten Umstände des Falles in die Bewertung einzubeziehen (BGH NJW 2001, 1140), d.h. der Sachverhalt ist in seiner ganzen Breite zu betrachten, nicht nur in seinem Kern. Bei Berücksichtigung aller unstreitigen und festgestellten Einzelumstände und besonderen Merkmale des Sachverhalts liegt hier, wie oben ausführlich dargestellt, kein typischer Geschehensablauf vor, die Beklagten haben damit den gegen sie sprechenden Anschein widerlegt. Ergänzend darf darauf hingewiesen werden, dass ein „teilweises Entkräften“ eines Anscheinsbeweises (vgl. S. 6 des landgerichtlichen Endurteils) schon vom rechtlichen Ansatz her ausscheidet.

3. Bei der Haftungsabwägung gemäß § 17 I StVG ergibt sich, dass das Verhalten des klägerischen Fahrers, wenn nicht sogar als vorsätzlich schädigend, so doch zumindest als grobfahrlässig anzusehen ist, wodurch schon jegliche Mithaftung der Beklagten aus Betriebsgefahr ausscheidet. Bei einem scharfen Abbremsen zum Zwecke der Disziplinierung/Verkehrserziehung des Nachfolgenden ergibt sich eine volle Haftung des Bremsers (LG Mönchengladbach VA 2002, 140 = NJW 2002, 2186). Wie das LG Mönchengladbach zu Recht ausgeführt hat, widersprechen Akte der Selbstjustiz im Straßenverkehr in schwer wiegender Weise den im Straßenverkehr geltenden Geboten der Vorsicht und Rücksichtnahme (§ 1 StVO), was vor allem dann in besonderer Weise wie hier verwerflich ist, wenn die angebliche Störung des eigenen Fahrflusses durch einen anderen Verkehrsteilnehmer in Wirklichkeit von einem eigenem vorherigen verkehrswidrigen Verhalten provoziert wurde.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 I, 97 I ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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