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Landgericht Mönchengladbach Urteil vom 16.04.2002 - 5 S 86/01 - Auffahrunfall durch absichtliches starkes Abbremsen

LG Mönchengladbach v. 16.04.2002: Auffahrunfall durch absichtliches starkes Abbremsen zur Maßregelung des nachfolgenden Fahrzeugführers


Das Landgericht LG Mönchengladbach (Urteil vom 16.04.2002 - 5 S 86/01) hat entschieden:

  1.  Wer absichtlich nur deshalb scharf abbremst, um den nachfolgenden Verkehrsteilnehmer zu disziplinieren oder zu maßregeln, haftet für die Folgen eines Auffahrunfalls auch dann zu 100 %, wenn der Nachfolgende den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis dafür, dass dieser die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hat, nicht entkräften kann.

  2.  Akte der Selbstjustiz im Straßenverkehr widersprechen in schwerwiegender Weise den im Straßenverkehr geltenden Geboten der Vorsicht und Rücksichtnahme, und zwar auch dann, wenn sie sich gegen ein vorhergehendes Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers richten.


Siehe auch
Stichwörter zum Thema Auffahrunfälle
und
Auffahrunfall - Bremsen des Vorausfahrenden

Gründe:


Die Berufung der Bekl ist zulässig und begründet.

Die Anschlussberufung des Kl ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage ist insgesamt unbegründet und daher in Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung in vollem Umfang abzuweisen. Dem Kl steht gegenüber den Bekl ein Schadensersatzanspruch aus dem Unfallereignis v. 20. 1. 2000 nicht zu.

Zwar liegen die Voraussetzungen einer Haftung der Bekl nach §§ 18 Abs. 1 StVG, 3 PflVG grundsätzlich vor. Das Fahrzeug des Kl ist beim Betrieb eines Kfz beschädigt worden, dessen Fahrerin die Bekl zu 1) und dessen Haftpflichtversicherer die Bekl zu 2) war. Der Unfall war auch, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt und wie auch das AG zu Recht angenommen hat, für keinen der beiden beteiligten Fahrer unabwendbar im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG oder unverschuldet im Sinne von § 18 Abs. 2 StVG.

Bei der demgemäß vorzunehmenden Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG tritt jedoch der mögliche Anteil der Bekl zu 1) am Zustandekommen des Unfalles so weit hinter das grob verkehrswidrige Verhalten des Kl, welches als die Hauptursache des Unfalles anzusehen ist, zurück, dass eine Haftung der Bekl gänzlich entfällt und der unfallbedingte Schaden des Kl in vollem Umfang von diesem selbst zu tragen ist. Dies gilt auch in Ansehung eines nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auszuschließenden schuldhaften Verursachungsbeitrages der Bekl zu 1). Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG können nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die zwischen den Parteien unstreitig oder nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme erwiesen sind.

Unstreitig ist die Bekl zu 1) mit dem von ihr gesteuerten Wagen auf das vor ihr fahrende Fahrzeug des Kl aufgefahren. Bei Auffahrunfällen spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Auffahrende die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hat, weil er entweder zu dicht aufgefahren ist oder seine Fahrgeschwindigkeit nicht der Verkehrslage angepasst hat oder weil er es an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen (OLG Karlsruhe VRS 77, 100, 101 f.; KG DAR 1976, 74, 75; KG NZV 1993, 478; OLG Köln MDR 1995, 577; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 2 StVO, Rdnr. 17). Dieser gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis wird nur entkräftet, wenn die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen, nicht für ein Verschulden des Auffahrenden sprechenden Geschehensablaufes vorliegt. Letzteres muss der Auffahrende darlegen und ggf. beweisen (OLG Karlsruhe, aaO).

Im vorliegenden Fall haben jedoch die Bekl den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis erschüttern können. Zwar schließt allein der Umstand, dass der Kl unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO ohne zwingenden Grund scharf gebremst hat, eine Anwendung des genannten Anscheinsbeweises gegen die Bekl noch nicht aus. Auch bei unverhofft starkem Bremsen des Vorausfahrenden ohne zwingenden Grund ist vielmehr in der Regel von einem überwiegenden Verursachungsbeitrag des Auffahrenden auszugehen (OLG Köln MDR 1995, 577; KG NZV 1993, 478; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl.; § 4 StVO, Rdnr. 17 m. w. Nachw.). Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StVO ist der nachfolgende Fahrer nämlich verpflichtet, einen so großen Abstand zu halten, dass er auch dann hinter dem Vorausfahrenden halten kann, wenn dieser plötzlich bremst.




Im vorliegenden Fall kommt jedoch hinzu, dass der Kl nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme absichtlich scharf gebremst hat, um die Bekl zu 1), über deren vorhergehendes Fahrverhalten er sich geärgert hatte, zu disziplinieren oder zu maßregeln. Der Kl hat mithin zwar nicht den Unfall, aber die Gefahrensituation, welche sich in dem Zusammenstoß beider Fahrzeuge verwirklicht hat, vorsätzlich herbeigeführt. Dies rechtfertigt es, dem Kl die volle Haftung für den unfallbedingten Schaden aufzuerlegen, ungeachtet der Tatsache, dass die Bekl zu 1) durch ausreichenden Abstand, aufmerksame Fahrweise und eine schnelle Bremsreaktion den Unfall möglicherweise hätte verhindern können.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kl das von ihm geführte Fahrzeug plötzlich und stark abgebremst hat. Dies ergibt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aufgrund der schlüssigen und nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen. Zur näheren Begründung kann insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Beweiswürdigung des amtsgerichtlichen Urteils verwiesen werden, der sich die Kammer insoweit anschließt.

Die hiergegen von Seiten des Kl vorgebrachten Einwendungen vermögen kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. So hat der Sachverständige seine Feststellung insbesondere nicht unkritisch auf die Feststellungen der unfallaufnehmenden Polizeibeamten vor Ort gestützt, sondern diese lediglich im Zusammenhang mit dem Beschädigungsbild und den sonstigen Tatsachen angemessen gewürdigt. Demgemäß hat der Sachverständige seine Feststellung, dass das Fahrzeug des Kl vor dem Unfall stark abgebremst wurde, ausdrücklich auch bereits ohne Berücksichtigung der Spuren auf der Fahrbahn getroffen und das Vorhandensein dieser Spuren, die nach seinen nachvollziehbaren Darlegungen durchaus vom klägerischen Fahrzeug stammen können, nur als ein weiteres Indiz für diese Feststellung verwertet. Auch die Kammer erachtet daher das Gutachten des Sachverständigen für in vollem Umfang zutreffend und überzeugend.


Die Kammer sieht es darüber hinaus aber auch als erwiesen an, dass der Kl das beschriebene Bremsmanöver bewusst vornahm, um die hinter ihm fahrende Bekl zu 1) zu maßregeln. Ein verkehrsbedingter Grund für das plötzliche Bremsen des Kl ist nicht ersichtlich. Soweit der Kl behauptet, er habe deshalb gebremst, weil er gemerkt habe, dass sein Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h etwas überschritten habe, sieht die Kammer dies als durch das Gutachten des Sachverständigen widerlegt an. Die von dem Sachverständigen festgestellte Stärke und Heftigkeit des Bremsmanövers lässt sich mit einem Abbremsen wegen geringfügiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht vereinbaren. Da auch ein sonstiges Motiv für das plötzliche Bremsen des Kl nicht erkennbar ist, sieht es die Kammer als mit hinreichender Sicherheit erwiesen an, dass der Kl, der sich unstreitig über das vorhergehende Fahrverhalten der Bekl zu 1) geärgert hatte, bremste, um diesem Ärger gegenüber der Bekl zu 1) Ausdruck zu verleihen.

Da die Kammer diese Überzeugung bereits auf Grund des bisherigen Beweisergebnisses gewonnen hat, bedurfte es einer Vernehmung der in der Berufungsinstanz von den Bekl zum Beweis dieser Tatsache benannten Zeugin nicht mehr.

Der Kl hat damit den Unfall durch ein Verhalten verursacht, welches als grob verkehrswidrig anzusehen ist. Akte der Selbstjustiz im Straßenverkehr widersprechen in schwer wiegender Weise den darin geltenden Geboten der Vorsicht und Rücksichtnahme und zwar auch dann, wenn sie sich gegen ein vorhergehendes Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers richten oder auf ein solches reagieren. Der Kl hat hier vorsätzlich eine Gefahrensituation geschaffen, die sich dann in dem Unfall verwirklicht hat. Auch wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kl einen Unfall herbeiführen wollte, so hat er willentlich eine Unfallgefahr geschaffen. Es kann ihn daher nicht entlasten, dass er möglicherweise darauf vertraute, dass die von ihm bewusst und ohne rechtfertigenden Grund zum Bremsen genötigte Bekl zu 1) noch rechtzeitig abstoppen und so einen Zusammenstoß würde verhindern können. Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang auch, dass der Bekl sein Fahrzeug nicht bis zum Stillstand abgebremst hat.



Bei Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge gemäß dem vorgenannten Beweisergebnis wiegt das verkehrswidrige Verhalten des Kl so schwer, dass ausnahmsweise nicht nur die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges, sondern auch ein mögliches, im vorliegenden Falle jedenfalls nicht gravierendes Verschulden der Bekl zu 1) vollständig dahinter zurücktritt. Die Klage ist daher in vollem Umfang abzuweisen.

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