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OLG Düsseldorf Urteil vom 06.02.2018 - I-1 U 112/17 - Zur Betriebsgefahr eines Rettungsfahrzeugs bei Rot

OLG Düsseldorf v. 06.02.2018: Zur Betriebsgefahr eines Rettungsfahrzeugs, das ungebremst mit mindestens 43 km/h bei Rotlicht in den Kreuzungsbereich einfährt.


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 06.02.2018 - I-1 U 112/17) hat entschieden:

   Zur Betriebsgefahr eines Rettungsfahrzeugs, das ungebremst mit mindestens 43 km/h bei Rotlicht in den Kreuzungsbereich einfährt.



Siehe auch

Sonderrechte - Einsatzfahrzeuge - Wegerechtsfahrzeuge

und

Stichwörter zum Thema Verkehrszivilrecht


Gründe:


I.

Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadenersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 19.01.2015 gegen 8:55 Uhr in Hückelhoven im Bereich einer durch eine Lichtzeichensignalanlage geregelten Kreuzung ereignete. Dort quert die aus Süden kommende Hilfrather Straße die Jülicher Straße und setzt sich unter dem Namen Dinstühler Straße nach Norden fort.

Die Beklagte zu 2) befuhr mit einem bei der Beklagten zu 1) haftpftlichtversicherten Pkw B. M. die Jülicher Straße in östlicher Fahrtrichtung.

Aus Süden näherte sich auf der Hilfrather Straße der beim Kläger vollkaskoversicherte Rettungswagen M.-B. S., der vom Zeugen K. geführt wurde. Der Rettungswagen war zu einem Notfalleinsatz unterwegs und wollte die Kreuzung trotz Rotlicht überqueren.

Der PKW B. M. prallte im Kreuzungsbereich gegen die linke Seite des querenden Rettungswagens. Beide Fahrzeuge wurden erheblich beschädigt.

Die Kosten für die Reparatur des Rettungswagens betrugen einschließlich Umsatzsteuer 17.901,72 Euro. Diese erstattete der Kläger seiner Versicherungsnehmerin abzüglich einer vereinbarten Selbstbeteiligung in Höhe von 300 Euro. Ferner erstattet er Abschleppkosten in Höhe von 359,24 Euro.

Die Beklagte zu 1) lehnte mit Schreiben vom 30.12.2015 eine Schadensregulierung ab.

Der Kläger hat behauptet, Blaulicht und Martinshorn seien durchgängig eingeschaltet gewesen. Der Zeuge K. habe, nachdem sämtliche übrigen Verkehrsteilnehmer die eingeschalteten Sondersignale des Rettungswagens wahrgenommen und auf ein Einfahren in den Kreuzungsbereich verzichtet hätten, darauf vertraut, dass auch die Beklagte zu 2) ihm freie Bahn verschaffen würde. Diese habe jedoch, als das für sie maßgebliche Lichtzeichen von Grün auf Gelb umgesprungen sei, beschleunigt und versucht, die Kreuzung unter Missachtung des Rettungswagen zu überqueren. Für den Zeugen K. sei dies nicht vorhersehbar gewesen, so dass er nicht mehr rechtzeitig hätte reagieren können. Trotz einer eingeleiteten Notbremsung habe er den Zusammenstoß nicht mehr verhindern können.




Eine Vorsteuerabzugsberechtigung der Versicherungsnehmerin des Klägers bestände nicht, da Krankentransporte nach § 4 Nr. 14 und Nr. 17 Lit. b UStG steuerfrei seien.

Der Kläger hat beantragt,

   die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 17.960,96 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. Dezember 2015 zu zahlen.


Die Beklagten haben beantragt,

   die Klage abzuweisen.


Die Beklagten haben behauptet, die Beklagte zu 2) habe vor Einfahrt in die Kreuzung weder ein Martinshorn noch Blaulicht wahrgenommen und sei bei Grün in die Kreuzung eingefahren. Von einem Hineintasten des Rettungswagens in die Kreuzung könne keine Rede sein, denn die Geschwindigkeit des Rettungswagens habe ausweislich der vom Kläger vorgelegten Auswertung des Unfalldatenschreibers zwischen 43 und 45 km/h betragen.

Umsatzsteuer könne nicht verlangt werden, da davon auszugehen sei, dass die Versicherungsnehmerin des Klägers zum Vorsteuerabzug berechtigt sei.

Das Landgericht hat die Beklagte zu 2) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K., N. und J. sowie Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen Dr. H.. Sodann hat es ausgehend von einer Haftungsquote von 50 Prozent einen Betrag in Höhe von 8.980,48 Euro nebst Zinsen zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe gemäß den §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 86 Abs. 1, 115 VVG einen Anspruch in der zuerkannten Höhe.

Der Unfall sei für keinen der Beteiligten unabwendbar gewesen. Ein Idealfahrer hätte den Zusammenstoß dadurch vermieden, dass er entweder mit reduzierte Geschwindigkeit oder gar nicht in den Kreuzungsbereich eingefahren wäre.

Der Kläger könne Ersatz der Hälfte der von ihm erbrachten Versicherungsleistungen verlangen, da im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung die Verursachungsbeiträge der unfallbeteiligten Fahrzeuge als gleichwertig anzusehen seien.

Die Beklagte zu 2) sei mit einer Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren, die über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gelegen habe. Nach den Erkenntnissen des Sachverständigen habe die Beklagte zu 2) unmittelbar reagiert, als sie den Rettungswagen erstmals wahrgenommen habe. Zu diesem Zeitpunkt müsse sie rund 30 Meter vom Kollisionsort entfernt gewesen sein, woraus sich eine Geschwindigkeit der Beklagten zu 2) von 60 km/h ableiten ließe. Hätte sie hingegen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten, hätte sie durch die angezeigte Vollbremsung das Fahrzeug sechs Meter vor dem gedachten Kollisionsort anhalten können. Lediglich für den Fall, dass die Beklagte erst eine halbe Sekunde nach dem erforderlichen Reaktionszeitpunkt reagiert hätte, könne eine Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h angenommen werden. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass sich die Beklagte zu 2) der Unfallkreuzung mit überhöhter Geschwindigkeit genähert oder verspätet reagiert habe.

Hingegen könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte zu 2) auf das vom Martinshorn ausgehende Signal hätte früher reagieren müssen. Nach den Erkenntnissen des Sachverständigen sei von keiner ausreichenden Wahrnehmbarkeit im Pkw BMW M. auszugehen. Durch ein an der Ecke stehendes Haus und eine Hecke sei es zu einer akustischen Abschottung gekommen. Zudem sei die Wahrnehmbarkeit in einem Cabrio mit Stoffdach eingeschränkt.

Auf der anderen Seite sei zu berücksichtigen, dass der Rettungswagen mit nicht angemessener Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich eingefahren sei. Unstreitig habe das insoweit beachtliche Lichtzeichen Rotlicht gezeigt, so dass der querende Verkehr einschließlich der Beklagten zu 2) ein Vorfahrtsrecht gehabt habe. Vor diesem Hintergrund könne dahinstehen, dass auf Grund der Angaben der im Rettungswagen befindlichen Zeugen davon ausgegangen werden müsse, dass der Rettungswagen unter Einsatz der entsprechenden Sondersignale geführt worden sei.

Nach dem eigenen Vortrag des Klägers stände fest, dass der Rettungswagen zum Zeitpunkt der Kollision eine Geschwindigkeit von 43 km/h gehabt habe. Bei "Rotlicht" sei einem Wegerechtsfahrzeug die Weiterfahrt jedoch nur gestattet, wenn sich der Fahrzeugführer vergewissert habe, dass sich der Verkehr darauf eingestellt habe, ihm Vorrang einzuräumen, denn die Inanspruchnahme der Vorrechte aus den §§ 35 und 38 StVO dürfe nur mit größtmöglicher Sorgfalt erfolgen. Diese habe der Fahrer des Rettungswagens nicht eingehalten. Er hätte unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht weiterfahren dürfen, jedenfalls nicht mit einer Geschwindigkeit, die der innerorts unter optimalen Verkehrsverhältnissen zulässigen Höchstgeschwindigkeit nahe komme.

Angesichts dieser Verursachungsbeiträge seien die Haftungsanteile gleich hoch anzusetzen.

Der Kläger könne dabei auch entsprechend der Haftungsquote Ersatz der Umsatzsteuer verlangen, da er diese gegenüber seiner Versicherungsnehmerin ausgeglichen habe. Der Umstand, dass bezüglich der Abschleppkosten keine Rechnung vorgelegt worden sei, entlaste die Beklagten nicht, denn es sei kein erhebliches Bestreiten dieser Schadensposition zu erkennen.

Die Beklagten verfolgen mit der Berufung ihr erstinstanzliches Klagebegehren auf vollständige Klageabweisung weiter und wenden sich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts.

Eine Geschwindigkeitsüberschreitung der Beklagten zu 2) könne nicht festgestellt werden. Weder habe der Sachverständige die Kollisionsgeschwindigkeit genau bestimmen können, noch könne hieraus mit ausreichender Sicherheit auf eine Annäherungsgeschwindigkeit von 60 km/h geschlossen werden. Diese ergäbe sich nur unter Annahme einer Kollisionsgeschwindigkeit von 20 km/h und dem sofortigen Einleiten einer Vollbremsung durch die Beklagte zu 1) bei erstmaliger Wahrnehmbarkeit des Rettungswagens. Sofern die Vollbremsung nur eine halbe Sekunde später eingeleitet worden sei, ergäbe sich nach den Erkenntnissen des Sachverständigen eine Annäherungsgeschwindigkeit von 50 km/h.

Die Beklagten stellen die Annahme des Landgerichts in Frage, eine um eine halbe Sekunde verlangsamte Reaktion stelle eine verspätete Rektion dar.

Ferner rügen sie die vom Landgericht vorgenommene Abwägung der Verursachungsanteile. Selbst wenn zu Lasten der Beklagten von einer Ausgangsgeschwindigkeit von 60 km/h auszugehen sei, fiele diese geringe Geschwindigkeitsüberschreitung gegenüber dem Fehlverhalten des Fahrers des Rettungswagens nicht ins Gewicht.

Die Beklagten beanstanden die Ausführungen des Landgerichts zur Schadenshöhe und bestreiten weiterhin, dass für die Versicherungsnehmerin des Klägers keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug bestände bzw. diese mit der Umsatzsteuer belastet worden sei. Hinsichtlich der Abschleppkosten bestreiten die Beklagten mangels Vorlage einer Rechnung weiterhin mit Nichtwissen, dass das Fahrzeug durch einen Dritten abgeschleppt und der von der Klägerin geltend gemachte Betrag gefordert worden sei.

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und verweist hinsichtlich der Abschleppkosten auf die erstinstanzlich vorgelegte Rechnung.

II.

Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet.

1. Die Beklagten sind dem Kläger gemäß den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVO, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG als Gesamtschuldner zum Ersatz des Schadens aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall verpflichtet, denn der Unfall hat sich beim Betrieb des Beklagtenfahrzeugs ereignet.

a) Der Kläger ist aktivlegitimiert, da die Schadenersatzforderung der Eigentümerin des Rettungswagens gegen die Beklagten gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf ihn übergegangen ist, soweit er den Schaden ersetzt hat. Unstreitig hat er den Schaden in Höhe von 17.960,96 Euro gegenüber der Firma Rettungsdienst im Kreis H. gG. reguliert.

b) Die Ersatzpflicht der Beklagten beschränkt sich auf 20 Prozent des Schadens, denn bei einem durch mehrere Kraftfahrzeuge verursachten Unfall richtet sich der Umfang der Ersatzpflicht gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist.

Diese Ersatzpflicht ist für keinen der Unfallbeteiligten nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen, denn dies setzt voraus, dass der Unfall durch ein für ihn unabwendbares Ereignis verursacht worden ist, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs, noch einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht und sowohl Halter als auch Fahrer jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben.

aa) Der Zeuge K. hätte nach den Erkenntnissen des Sachverständigen den Unfall vermeiden können, wenn er bei Erkennbarkeit des Pkw B. M. umgehend eine Vollbremsung eingeleitet hätte.

bb) Ebenso war der Zusammenstoß für die Beklagte zu 2) vermeidbar, denn sie hätte nach den Erkenntnissen des Sachverständigen bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h und Durchführung einer Vollbremsung bei erstmaliger Sichtbarkeit des Rettungswagens ihr Fahrzeug rund sechs Meter vor der Kollisionsstelle anhalten können.

c) Für den Umfang der Ersatzpflicht ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten bzw. deren Fahrzeuge zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei das auf der einen oder anderen Seite vorhandene individuelle Verschulden der Fahrzeuglenker nur einen Faktor der Abwägung darstellt. Im Rahmen dieser Bewertung sind nur unstreitige oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 13.02.1996, Verfahren VI ZR 126/95, juris; Senat, Urteil vom 23.02.2016, Verfahren I-​1 U 79/15, juris; OLG Hamm, Urteil vom 18.11.2003, Verfahren 27 U 87/03, juris). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Nachteil gereichen und aus denen er die nach der Abwägung günstigen Rechtsfolgen für sich herleiten will (BGH a.a.O.).

d) Auf Seiten der Beklagten hat ist dabei die durch einen Verkehrsverstoß gesteigerte Betriebsgefahr des Pkw B. M. zu berücksichtigen.

aa) Die Beklagte zu 2) hat entweder die nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten oder entgegen von § 1 Abs. 2 StVO zu spät reagiert und dem Rettungswagen hierdurch nicht gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO freie Bahn verschafft.

Der Rettungswagen war für die Beklagte zu 2) erstmals wahrnehmbar, als sie sich rund 32 Meter vor der späteren Kollisionsstelle befand und der Rettungswagen für sie sichtbar wurde. Eine vorherige Wahrnehmbarkeit des Martinshorns bestand hingegen nach den auf die Erkenntnisse des Sachverständigen gestützten Feststellungen des Landgerichts durch die besondere bauliche Situation im Kreuzungsbereich nicht, ohne dass dies angegriffen wird.

(1) Sofern die Beklagte zu 2) bei erstmaliger Sichtbarkeit des Rettungswagens umgehend eine Vollbremsung eingeleitet hat, hat ihre Ausgangsgeschwindigkeit 60 km/h betragen.

Die Beklagten wenden sich ohne Erfolg gegen die entsprechenden Erkenntnisse des Sachverständigen. Auch wenn dieser auf keinen Crashtest für eine identische Unfallsituation zurückgreifen konnte, so konnte er anhand der Daten des Unfalldatenschreibers des Rettungswagens dessen Geschwindigkeit und den Kollisionsort berechnen. Ferner konnte er die unfallbedingte Beschleunigung feststellen und hieraus eine Kollisionsgeschwindigkeit des Pkw B. M. von 20 km/h ableiten, die mit den vorgefundenen Schäden in Einklang steht. Ausgehend von einer Bremsverzögerung von 8 m/s², die nach den Ausführungen des Sachverständigen ohne weiteres erreicht werden kann, da bei dem Pkw B. M. technisch eine Verzögerung von 9 m/s² bis 9,5 m/s² möglich ist, ergibt sich eine Ausgangsgeschwindigkeit von 60 km/h.

Der Einwand der Beklagten, eine Verzögerung von 9 m/s² könne nicht angenommen werden, da die Beklagte zu 2) von keiner Vollbremsung berichtet habe, geht fehl. Der Sachverständige hat bei seiner Rückrechnung keine Verzögerung von 9 m/s² berücksichtigt, sondern eine Vollbremsung mit 8 m/s² zu Grunde gelegt.

Eine geringe Verzögerung als 8 m/s² vermag die Beklagte zu 2) nicht zu entlasten. Hierdurch ergäbe sich zwar eine geringere Ausgangsgeschwindigkeit, doch hätte die Beklagte zu 2) dann nicht die erforderliche Vollbremsung durchgeführt, die bei Erkennbarkeit des querenden Rettungswagens geboten war.

Soweit die Beklagten rügen, die Ausgangsgeschwindigkeit sei unzutreffend ermittelt, da die Kollisionsgeschwindigkeit einer Toleranz unterläge, hat dies keinen Erfolg, denn selbst wenn die Ausgangsgeschwindigkeit ein oder zwei km/h niedriger anzusetzen wäre, verbliebe eine Geschwindigkeitsüberschreitung der Beklagten zu 2).

Diese Geschwindigkeitsüberschreitung wäre kausal für den Unfall, denn der Sachverständige kommt zum Ergebnis, die Beklagte zu 2) hätte bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h und Einleiten einer Vollbremsung 0,8 Sekunden nach erstmaliger Erkennbarkeit des Rettungswagen ihr Fahrzeug sechs Meter vor der späteren Kollisionsstelle anhalten können.

(2) Von der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit könnte nur ausgegangen werden, wenn die Beklagte zu 2) nicht bereits nach 0,8 Sekunden, sondern erst 1,3 Sekunden nach erstmaliger Sichtbarkeit des Rettungswagens gebremst hätte.

Dann jedoch hätte die Beklagte zu 2) nicht rechtzeitig auf den Rettungswagen reagiert, dem sie auf Grund der Verwendung von Blaulicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO zu verschaffen hatte. Dass Blaulicht und Einsatzhorn eingeschaltet waren, ergibt sich aus den Angaben der vernommenen Zeugen und den vom Sachverständigen ausgewerteten Daten des Unfalldatenschreibers.

Die erforderliche Reaktionszeit, um eine innerörtliche Gefahrensituation zu erkennen und hierauf zu reagieren, beträgt einschließlich der Bremsanspruchszeit für einen aufmerksamen Verkehrsteilnehmer 0,7 bis 0,8 Sekunden (BGH, Urteil vom 17.09.1969, 4 StR 286/69, VRS 38, 44 f.; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 1 StVO, Rn. 30a mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Selbst bei einem unvermuteten Vorgang liegt die erforderliche Reaktions- und Bremsansprechzeit bei einer knappen Sekunde (König a.a.O; vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2000, VI ZR 126/99, juris, Rn. 15).

Auch wenn ein bei Grün in eine Kreuzung einfahrender Verkehrsteilnehmer in der Regel darauf vertrauen darf, dass der Querverkehr Rotlicht beachten muss und deshalb still steht (Senat, Urteil vom 10.01.2017, I-​1 U 46/16, juris, Rn. 32; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 37 StVO, Rn. 15 mit Hinweis auf BGH NZV 1992, 108 und zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen) und ein Kraftfahrer auch nicht ständig mit dem Auftauchen eines Fahrzeugs rechnen muss, dem freie Bahn einzuräumen ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.05.1984, 18 U 3/84, VersR 1985, 669), entbindet ihn dies nicht davon, auf ein plötzlich auftauchendes Einsatzfahrzeug umgehend zu reagieren.

Die Beklagte zu 2) hat selbst bei Zubilligung einer Reaktions- und Bremsansprechzeit von einer Sekunde verspätet reagiert, denn auch zu diesem Zeitpunkt wäre es ihr möglich gewesen, das Fahrzeug rund drei Meter vor der späteren Kollisionsstelle anzuhalten.

bb) Die Beklagte zu 2) hat hingegen keinen Gelblichtverstoß begangen, auch wenn davon auszugehen ist, dass sie Beklagte zu 2) bei Gelb in die Kreuzung eingefahren ist.

Dass das für sie geltende Lichtzeichen bei Einfahrt in die Kreuzung Gelb zeigte, ergibt sich aus ihrer persönlichen Anhörung durch das Landgericht, wonach die Ampel von Grün auf Gelb umgesprungen sei, als sie schon ziemlich nah gewesen sei.

Nach § 37 Abs. 2 Nr. 2 Satz 5 StVO ordnet Gelb an, vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen zu warten. Ein Kraftfahrer muss daher das Fahrzeug anhalten, wenn ihm dies mit einer normalen Betriebsbremsung möglich ist (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 37 StVO, Rn. 24).

Ob der Beklagten zu 2) ein solches Anhalten möglich gewesen ist, lässt sich nicht feststellen, da nicht feststeht, wo sich sie sich befunden hat, als die Ampel auf Gelb umgesprungen ist.

e) Auf Seiten des Klägers ist eine hohe Betriebsgefahr zu berücksichtigen, die durch einen Verkehrsverstoß des Zeugen K. weiter gesteigert war.

aa) Von einem Rettungswagen, der unter Inanspruchnahme von Sonderrechten trotz Rotlicht in eine Kreuzung einfährt, geht eine hohe Gefährdung aus, da die anderen Verkehrsteilnehmer sich erst auf diese unvermittelt geschaffene Verkehrssituation einstellen müssen. Diese Gefahr hat sich beim vorliegenden Unfall realisiert.

bb) Die vom Rettungswagen ausgehende Gefahr war zudem durch einen Verkehrsverstoß des Zeugen K. erheblich gesteigert.

Zwar lag kein Rotlichtverstoß vor, denn der Zeuge K. war auf Grund des Notfalleinsatzes gemäß § 35 Abs. 5a StVO von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit, jedoch darf dieses Sonderrecht nach Maßgabe des § 35 Abs. 8 StVO nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Das einschränkende Rücksichtnahmegebot ist eine Amtspflicht, die der Fahrer eines Einsatzwagens gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern zu erfüllen hat. Diese Pflicht hat die Wirkung, dass der Einsatzfahrer kein unbedingtes Vorfahrtrecht verliehen bekommt, sondern nur die Befugnis, grundsätzlich weiter bestehende Vorrechte eines nach den allgemeinen Bestimmungen Vorfahrtberechtigten unter bestimmten Voraussetzungen außer Acht zu lassen (Senat, Urteil vom 10.01.2017, I-​1 U 46/16; Urteil vom 25.06.2013, I-​1 U 195/12 mit Hinweis auf BGH NJW 1971, 616; so auch OLG Köln, Urteil vom 26.10.1995, 7 U 52/95, Rn. 5 - zitiert nach juris). Der nach den allgemeinen Regeln Vorfahrtberechtigte behält grundsätzlich die ihm zustehende Rechtsposition. Er wird allerdings zu Gunsten der Sonderrechtsfahrer beschränkt. Diese dürfen nur unter Anwendung größtmöglicher Sorgfalt das Vorfahrtrecht eines anderen Verkehrsteilnehmers im Zusammenhang mit der Einsatzfahrt außer Acht lassen (Senat a.a.O. mit Hinweis auf BGH NJW 1975, 648 und weiteren Nachweisen; OLG Köln a.a.O.).

Die größtmögliche Sorgfalt, die der Zeuge K. anlässlich seiner Rotlichteinfahrt in die Kreuzung einzuhalten hatte, erforderte es, sich nur langsam und unter Vergewisserung, dass der Querverkehr sein Wegerecht beachtet, einzufahren.

Nach den Erkenntnissen des Sachverständigen ist der Zeuge K. stattdessen ungebremst mit 43 km/h in die Kreuzung eingefahren.

f) Im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 StVO vorzunehmende Abwägung überwiegen die Verursachungsbeiträge auf Klägerseite deutlich.

Der auf Beklagtenseite durch mangelnde Aufmerksamkeit bzw. eine geringfügige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erhöhten Betriebsgefahr steht auf Klägerseite die durch die Inanspruchnahme von Sonderrechten gesteigerte Betriebsgefahr des Rettungswagen gegenüber, die durch ein im höchsten Maße grob fahrlässiges Verhalten des Zeugen K. weiteres Gewicht erhält.

Der Zeuge K. hätte nur mit Schrittgeschwindigkeit und nach Vergewisserung, dass die anderen Verkehrsteilnehmer sein Wegerecht beachten, bei Rotlicht in die Kreuzung einfahren dürfen. Stattdessen ist er mit einer Geschwindigkeit von über 40 km/h in die Kreuzung gefahren, ohne auf die Beklagten zu 2) nur ansatzweise zu achten. Die von ihm in Anspruch genommen Sonderrechte vermögen sein unverantwortliches und rücksichtslos Verhalten nicht zu rechtfertigen.

Auch wenn dieser Verursachungsanteil den Verursachungsbeitrag der Beklagten zu 2) bei Weitem überwiegt, vermag die durch ein Verschulden der Beklagten zu 2) gesteigerte Betriebsgefahr nicht vollständig zurücktreten. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats.




Angemessen ist eine Haftungsquote der Beklagten von 20 Prozent.

2. Der Schaden beläuft sich auf 18.260,96 Euro und setzt sich aus den Reparaturkosten in Höhe von 17.901,72 Euro und den Abschleppkosten in Höhe von 359,24 Euro zusammen.

a) Die Beklagten greifen die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts erfolglos an.

aa) Ausweislich der vom Kläger vorgelegten Rechnungen wurde gegenüber seiner Versicherungsnehmerin Umsatzsteuer erhoben, die nicht als Vorsteuer in Abzug gebracht werden konnte, da Krankentransporte gemäß § 4 Nr. 17 Lit. b UStG von der Umsatzsteuer befreit sind, so dass ein Vorsteuerabzug nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen ist. Dass die Versicherungsnehmerin mit dem Rettungswagen andere Leistungen erbringt als Krankentransporte im öffentlichen Rettungsdienst, ist nicht ersichtlich und von den Beklagten auch nicht dargetan.

bb) Soweit die Beklagten mit Nichtwissen bestreiten, dass der Rettungswagen durch einen Dritten abgeschleppt und der vom Kläger geltend gemachte Betrag gefordert worden ist, ist dies nicht ausreichend, denn der Kläger hat bereits mit Schriftsatz vom 12.08.2016 eine entsprechende Rechnung vorgelegt. Angesichts der unstreitigen Schäden war ein Abschleppen des nicht mehr fahrbereiten Rettungswagen erforderlich.

b) Von dem Schaden in Höhe von 18.260,96 Euro müssen die Beklagten 20 Prozent und damit 3.652,19 Euro ersetzen.

Auf den Kläger ist die Forderung auf Grund des Kaskoprivilegs seiner Versicherungsnehmerin jedoch nur in Höhe von 3.352,19 Euro übergegangen. Zwar hat der Kläger einen wesentlich höheren Betrag an seine Versicherungsnehmerin geleistet und bei den Schäden handelt es sich auch um Schäden, die vom Versicherungsschutz der Kaskoversicherung umfasst sind, der Anspruchsübergang nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG kann jedoch gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden.

Da in Höhe der Selbstbeteiligung der Schaden der Versicherungsnehmerin nicht ausgeglichen ist, bleibt diese insoweit allein berechtigt ist, die Beklagten auf Ersatz ihres Schadens in Anspruch zu nehmen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713, 543, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.980,48 Euro festgesetzt.

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