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Amtsgericht Solingen Urteil vom 17.07.2003 - 10 C 49/03 - Haftungsverteilung bei Auffahrunfall durch Abbremsen vor einer Taube

AG Solingen v. 17.07.2003: Haftungsverteilung bei Auffahrunfall durch Abbremsen vor einer Taube


Das Amtsgericht Solingen (Urteil vom 17.07.2003 - 10 C 49/03) hat entschieden:

1. Eine Taube auf der Straße stellt in Anbetracht der drohenden höheren Sachschäden und sogar der Gefährdung von Menschen keinen zwingenden Grund für ein Bremsen dar.

2. Bremst der Vordermann in einer Fahrzeugkolonne vor einer Ampel nach dem Anfahren bei Grünlicht sofort wieder ab, um eine auf der Fahrbahn sitzende Taube nicht zu überfahren, hat der Auffahrende Anspruch auf Ersatz von 1/4 seines Schadens.

3. Auch für das Anfahren aus Kolonnen gilt, dass der notwendigerweise zunächst geringere Sicherheitsabstand durch eine erhöhte Bremsbereitschaft auszugleichen ist.



Siehe auch

Auffahrunfall - Bremsen des Vorausfahrenden

und

Stichwörter zum Thema Auffahrunfälle


Tatbestand:


Die Klägerin ist die Eigentümerin und Halterin des Fahrzeugs ... mit dem amtlichen Kennzeichen: ... . Die Beklagte zu 2) ist die Halterin des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen: ... , der bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert ist.

Am ... gegen ... Uhr wartete die Beklagte zu 2) mit ihrem Fahrzeug als erste auf der ... Straße in südöstlicher Fahrtrichtung an der rotlichtzeigenden Ampel vor der Kreuzung mit der ... Straße. Hinter ihr wartete die Klägerin. Auf der Kreuzung befand sich eine Taube. Als die Ampel auf Grün umsprang, fuhren beide Fahrzeuge an. Nach etwa 2 Fahrzeuglängen hielt die Beklagte zu 2) vor der Taube an, um diese nicht zu überfahren. Die Klägerin fuhr mit ihrem Fahrzeug hinten auf.

An dem Fahrzeug der Klägerin entstand wirtschaftlicher Totalschaden. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs betrug 2.700 Euro brutto, der Restwert 200 Euro brutto. Für das Schadensgutachten wandte die Klägerin 135,12 Euro auf. Sie beansprucht weiter eine Unkostenpauschale von 25 Euro.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte zu 1) habe abrupt abgebremst. Mit der Klage verlangt sie Ersatz von 2/3 ihres vermeintlichen Schadens.




Die Klägerin beantragt,

   die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 1.773,41 Euro Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall vom ... in Solingen, ... Straße/ ... Straße, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.


Die Beklagten beantragen,

   die Klage abzuweisen.


Sie behaupten, die Beklagte zu 2) sei nach dem Umschalten der Ampel langsam angefahren und habe dann wieder angehalten, ohne abrupt zu bremsen. Die Klage ist den Beklagten am ... zugestellt worden. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von zwei Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom ... (Blatt ... d.A.) verwiesen.




Entscheidungsgründe:


Die Klage ist teilweise begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten gemäß §§ 7, 17 StVG, 3 PflVG Anspruch auf Ersatz von 1/4 ihres Schadens in Höhe von insgesamt 2.315,29 Euro, also 578,32 Euro.

Die Klägerin hat den Verkehrsunfall verschuldet, indem sie unter fahrlässigem Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 1 StVO keinen hinreichenden Sicherheitsabstand eingehalten hat und unaufmerksam war. Dies wird nach dem ersten Anschein vermutet, wobei auch für das Anfahren aus Kolonnen gilt, daß der notwendigerweise zunächst geringere Sicherheitsabstand durch eine erhöhte Bremsbereitschaft auszugleichen ist (OLG Karlsruhe VRS 73, 334). Die Klägerin hat diesen Anschein nicht widerlegt.

Der Anschein ist nicht dadurch widerlegt, daß die Beklagte zu 2) unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO stark gebremst hätte. Die Klägerin hat nicht beweisen können, daß dies der Fall war, wobei dahinstehen kann, ob ein "starkes" Bremsen begrifflich bei der notwendig geringen Geschwindigkeit der Beklagten zu 2) kurz nach dem Anfahren überhaupt in Betracht kommt.

Zwar haben die Zeugen im wesentlichen übereinstimmend bekundet, die Beklagte zu 2) habe nach normalem Anfahrvorgang abrupt abgebremst. Unabhängig davon, ob die Zeugen von ihrem Standort aus den Unfall überhaupt beobachten konnten, ist bei der Würdigung der Aussagen jedoch zu beachten, daß beide Zeugen auf das ihnen bekannte "Pizzaauto" der Klägerin konzentriert waren. Selbst bei weniger starkem Abbremsen kann der Bremsvorgang der Beklagten zu 2) in Anbetracht der geringen Geschwindigkeit nur etwa 1 Sekunde gedauert haben. Die Wahrnehmungsmöglichkeit der Zeugen war unter diesen Umständen sehr begrenzt. Im übrigen muß die Taube, wie auch der Zeuge ... bestätigt hat, für die Beklagte zu 2) gut zu sehen gewesen sein. Es ist nicht plausibel, daß die Beklagte zu 2) in dieser Situation so angefahren sein soll, daß sie sogleich wieder stark bremsen mußte.

Bei der Abwägung des Maßes der beiderseitigen Unfallverursachung überwiegt der von der Klägerin mit dem fahrlässigen Verkehrsverstoß geleistete Verursachungsbeitrag deutlich. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten zu 2) durch das Bremsen und Anhalten auf der Kreuzung in der heiklen Anfahrphase nach dem Umschalten der Ampel erhöht wurde. Eine Taube auf der Straße stellt in Anbetracht der drohenden höheren Sachschäden und sogar Gefährdung von Menschen keinen zwingenden Grund für ein Bremsen dar (OLG Köln VersR 1993, 1168). Im Ergebnis hält das Gericht daher eine Haftung der Beklagten zu 1/4 für angemessen, so daß die Klägerin 3/4 ihres Schadens selbst tragen muß (vgl. OLG Hamm NZV 1993, 435).

Der ersatzfähige Schaden der Klägerin beläuft sich auf insgesamt 2.315,23 Euro, nämlich 2.155,17 Euro Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert, jeweils netto, zuzüglich 135,12 Euro Gutachterkosten sowie 25 Euro Unkostenpauschale. Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB sind die Nettowerte anzusetzen, da nicht ersichtlich ist, daß die Klägerin tatsächlich ein neues Fahrzeug erworben hätte.




Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 100 Abs. 4 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 1.773,41 Euro festgesetzt.

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