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Oberlandesgericht Hamm Urteil vom 10.04.2018 - I-9 U 131/16 - Verhalten des Kfz-Führers gegenüber Fußgängern

OLG Hamm v. 10.04.2018: Verhalten des Kfz-Führers gegenüber die Fahrbahn überquerenden Fußgängern


Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 10.04.2018 - I-9 U 131/16) hat entschieden:

1.  Grundsätzlich kann der Kraftfahrer darauf vertrauen, dass erwachsene Fußgänger die Fahrbahn nicht unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO betreten werden.

2.  Der Kraftfahrer muss dann auf die Fußgänger reagieren, wenn für ihn erkennbar wird, dass diese an der Fahrbahnbegrenzungslinie nicht anhalten werden und gegebenenfalls diese Linie tatsächlich zu überschreiten beginnen.

3.  War der Kraftfahrer zu schnell oder hat er schuldhaft verspätet auf die Fußgänger reagiert, wirken sich diese Verkehrsverstöße - auch gegebenenfalls alternativ - unfallursächlich aus, wenn anderenfalls ein Unfall zwar nicht hätte vermieden werden können, die Unfallfolgen aber milder ausgefallen wären.

4.  Die beiderseitigen Verursachungsbeiträge rechtfertigen in einem solchen Fall eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten des Fußgängers.


Siehe auch
Fahrbahnüberquerung durch Fußgänger
und
Fußgänger - Verkehrsunfälle mit Fußgängerbeteiligung


Gründe:


I.

Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Bl. 295 R ff. GA) Bezug genommen, wobei hinsichtlich des Klageantrages zu 6) zu korrigieren ist, dass ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 14.07.2016 (Bl. 284 GA) auch auf die mit diesem Antrag verfolgten außergerichtlichen Anwaltskosten von 4.288,34 EUR Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.03.2014 begehrt worden sind. Das Landgericht, dem auch die Ermittlungsakten 472 Js 1/13 der Staatsanwaltschaft Bochum vorgelegen haben, hat die Klägerin zu 2) und den Beklagten zu 1) persönlich angehört (vgl. Bl. 138 R f. GA) und gem. Beweisbeschluss vom 28.01.2015 (Bl. 180 f. = 183 f. GA) zum Unfallhergang Beweis erhoben durch urkundsbeweisliche Verwertung des im o.g. Ermittlungsverfahren erstatteten schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-​Ing. V (vgl. Bl. 38 ff. der BeiA) sowie Einholung ergänzender gutachterlicher Stellungnahmen des vorgenannten Sachverständigen (vgl. das weitere schriftliche Gutachten vom 13.11.2015, Bl. 198 ff., hinsichtlich S. 7 korrigiert Bl. 289 GA, sowie die - aufgrund der von Klägerseite unter Hinweis auf das vorgelegte Parteigutachten des Dipl.-​Ing. O, Bl. 248 ff. GA, erhobenen Einwände erfolgte - ergänzende Anhörung des Sachverständigen im Termin am 14.07.2016, Bl. 285 f. GA).Es hat sodann mit dem angefochtenen Urteil die Klagen insgesamt schon dem Grunde nach abgewiesen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen sei, dass die Kläger unter positiv feststehendem - im Übrigen auch schon kraft nicht erschütterten Anscheins anzunehmendem - Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die Fahrbahn unter Missachtung des Vorrangs des Beklagtenfahrzeugs überquert und dadurch den streitgegenständlichen Unfall grob fahrlässig verursacht hätten, während die Kläger für den Beklagten zu 1) nicht rechtzeitig erkennbar gewesen seien und ein sonstiges unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 1), namentlich ein unfallursächlicher Geschwindigkeitsverstoß, nicht feststellbar sei; die deshalb auf Beklagtenseite nur zu berücksichtigende Betriebsgefahr trete hinter dem groben Verschulden der Kläger ganz zurück.

Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urtel Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgen beide Kläger in erster Linie ihre erstinstanzlichen Klageanträge in vollem Umfang weiter, wobei die Klageanträge zu Ziffern 2), 3), 6) und 7) nunmehr entsprechend der Ankündigung im klägerischen Schriftsatz vom 04.01.2018 (Bl. 391 f. GA) dahin aktualisiert werden, dass

mit dem Klageantrag zu Ziffer 2) zusätzlich noch die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines weiteren Betrages von 4.095,00 EUR nebst Zinsen i.H. von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2017 an den Kläger zu 1) begehrt wird,

die mit dem Klageantrag zu Ziffer 3) beantragte gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Rentenzahlung nebst Zinsen an den Kläger zu 1) nunmehr ab dem 01.03.2018 begehrt wird,

mit dem Klageantrag zu Ziffer 6) zusätzlich noch die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines weiteren Betrages von 4.095,00 EUR nebst Zinsen i.H. von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2017 an die Kläger zu 2) begehrt wird,

die mit dem Klageantrag zu Ziffer 7) beantragte gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Rentenzahlung nebst Zinsen an die Klägerin zu 2) nunmehr ab dem 01.03.2018 begehrt wird.Hilfsweise stellen die Kläger den Antrag nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4 ZPO.

Zur Begründung tragen die Kläger - neben einer pauschalen Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen - ergänzend im Wesentlichen vor:

Das Landgericht habe die Klage zu Unrecht bereits dem Grunde nach insgesamt abgewiesen. Das angefochtene Urteil sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Bei richtiger Würdigung sei dem Grunde nach von einer Haftung der Beklagten zu 2/3 auszugehen. Zwar könne grundsätzlich durchaus der Anschein für den unfallursächlichen Verstoß eines Fußgängers gegen § 25 Abs. 3 StVO sprechen. Dies setze indes voraus, dass der Fußgänger überraschend auf die Fahrbahn trete. Letzteres stehe aber hier hinsichtlich der Kläger bei richtiger Würdigung gerade nicht fest. Zum einen hätten die Kläger, wie von dem Privatgutachter O in der Anlage A2 zu seiner Stellungnahme (Bl. 258 GA) eindrucksvoll dargestellt, die Fahrbahn erst nach Überschreiten eines Parkstreifens und einer weiteren Fahrbahnmarkierung betreten. Im Übrigen fehle es auch an Feststellungen des Landgerichts dazu, wann konkret, insbesondere in welcher Entfernung vom Beklagtenfahrzeug, die Kläger die Fahrbahn betreten hätten. Bei richtiger Würdigung seien die streitigen tatsächlichen Voraussetzungen des hier erörterten Anscheinsbeweises auch nicht erwiesen. Zudem gebe es auch keinen Anscheinsbeweis für ein grobes Verschulden. Die vom Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen V könnten insgesamt nicht überzeugen (vgl. dazu schon die erstinstanzliche Kritik im Schriftsatz vom 15.01.2016, Bl. 244 ff. GA).

Der Sachverständige habe sich insbesondere - wie auch das Landgericht selbst - mit den substantiierten Einwänden der von Beklagtenseite eingeholten und vorgelegten Stellungnahme des Dipl.-​Ing. O aus dem Sachverständigenbüro T (Bl. 248 ff. GA) nicht hinreichend auseinandergesetzt, wonach sich selbst bei Zugrundelegung der vom Sachverständigen V zugunsten des Beklagten zu 1) angenommenen Signalposition bei sonstigen Daten zugunsten der Kläger entweder eine höhere Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von 94 km/h oder ein nicht ausreichendes Bremsmanöver des Beklagten zu 1) ergebe.

Der gerichtliche Sachverständige habe ferner auch die von den Klägern mehrfach erbetene alternative Geschwindigkeitsberechnung unter Berücksichtigung temporärer Achslasterhöhung durch die gebremste Fußgängerkollision nicht angestellt.

Zudem seien auch die Ausführungen des Sachverständigen V zum Kollisionsort nicht nachvollziehbar und widersprächen ebenfalls den Ausführungen des Dipl.-​Ing. O. Eine in diesem Zusammenhang erbetene alternative Berechnung des Sachverständigen V für den Fall, dass die Kläger - entsprechend der klägerischen Darstellung - untergehakt nebeneinander gegangen seien und der Regenschirm an der rechten Seite geführt worden sei, fehle ebenfalls. Die Tatsache, dass die Kläger an unterschiedlichen Stellen auf die Motorhaube aufgeladen worden seien, erkläre sich schlichtweg durch unterschiedliche letzte Ausweichreaktionen der Kläger.

Nicht nachvollziehbar sei es ferner, dass der Sachverständige V und das Landgericht das Gehtempo der Kläger zu Lasten der Kläger offen gelassen hätten. Mangels Vorliegens konkreter objektiver Spuren seien insoweit Durchschnittswerte heranzuziehen. Da die Kläger untergehakt und mit einem Schirm gegangen seien, müsse sich die maximale Gehgeschwindigkeit hier an der durchschnittlichen Gehgeschwindigkeit eines - wie der Kläger - 76 Jahre alten Fußgängers orientieren; dann ergebe sich indes auch nach dem Gutachten des Sachverständigen V ein Tempo des Beklagtenfahrzeugs von mindestens 81 km/h.

Auch hinsichtlich der Signalposition seien die Ausführungen des Sachverständigen V kritisch zu hinterfragen, worauf bereits Dipl.-​Ing. O hingewiesen habe. Dementsprechend seien sogar noch höhere Geschwindigkeiten des Beklagtenfahrzeugs als 94 km/h aufzeigbar. Auch insoweit habe der Sachverständige V alternative Berechnungen versäumt.

Weiter sei auch eine von Dipl.-​Ing. O angesprochene Nachtsichtuntersuchung unterblieben, ohne die die Frage der Erkennbarkeit der Kläger für den Beklagten zu 1) nicht hinreichend sicher beantwortet werden könne. Auch habe der Sachverständige V insoweit die Bedeutung der zugrunde zu legenden Kurvenfahrt des Beklagtenfahrzeugs auf der Kurveninnenseite und auch der möglichen Fahrzeuggeschwindigkeiten verkannt und nicht hinreichend berücksichtigt.

Hinsichtlich der Reaktionszeit habe der Sachverständige V zu Lasten der Kläger sowie unter Abweichung von den Empfehlungen des 20. Verkehrsgerichtstages eine zu lange Reaktionszeit zugrunde gelegt und dabei verkannt, dass unter den hier gegebenen Umständen der Beklagte zu 1) sich längst in Bremsbereitschaft hätte befinden müssen. Auch insoweit fehlten alternative Berechnungen (hier mit kürzeren Reaktionszeiten).

Das Landgericht habe sich ferner nicht hinreichend mit der Frage eines unfallursächlichen Verstoßes des Beklagten zu 1) gegen das Sichtfahrgebot des § 3 StVO auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass die Fahrbahn hier kurvenreich und regennass sowie die Sicht aufgrund der herrschenden Dunkelheit und Regenwetters schlecht gewesen sei. Vor diesem Hintergrund seien die grundsätzlich zulässigen 70 km/h zur Unfallzeit keineswegs angemessen gewesen. Dies gelte umso mehr, als (vom Landgericht jeweils fälschlich nicht berücksichtigt) sich in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle eine weit vorher durch Markierungsstreifen angekündigte Überquerungshilfe befunden habe und die Unfallstelle, an der die Kläger erkennbar die Straße hätten überqueren wollen, durch Straßenlaternen ausgeleuchtet gewesen sei.Unberücksichtigt geblieben sei schließlich § 3 Abs. 2a StVO. Bei den Klägern habe es sich offensichtlich und aufgrund der Beleuchtungssituation anhand Aussehen und Gangbild für den Beklagten zu 1) erkennbar und um ältere Menschen gehandelt, welche eine Straße nicht so schnell überqueren könnten, wie jüngere Menschen, und welche auch eine längere Reaktionszeit hätten. Auch aus diesem Grunde hätte der Beklagte zu 1) sein Tempo reduzieren müssen.

Insgesamt sei danach davon auszugehen, dass der streitgegenständliche Unfall überwiegend vom Beklagten zu 1) verschuldet worden sei und die Haftungsquote der Beklagten mit den der Klage zugrunde gelegten 2/3 richtig bemessen sei. Von einem haftungsausschließenden alleinigen Verschulden der Kläger sei vorgerichtlich nicht einmal die Beklagte zu 2) ausgegangen, habe vielmehr eine - seitens der Kläger allerdings als unangemessen niedrig abgelehnte - Regulierung auf Basis einer Haftungsquote der Beklagten von 25 % angeboten.




Die Beklagten treten der Berufung entgegen und begehren deren Zurückweisung. Sie verteidigen das landgerichtliche Urteil und tragen dabei - neben einer pauschalen Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen - ergänzend im Wesentlichen vor: Das Landgericht habe richtig entschieden. Das angefochtene Urteil sei weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden und habe alle maßgeblichen Aspekte hinreichend berücksichtigt und erörtert.Vorliegend spreche selbstverständlich zunächst einmal schon der Anschein für einen unfallursächlichen Verstoß der Kläger gegen § 25 Abs. 3 StVO, da der streitgegenständliche Unfall sich unstreitig in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Überqueren der Fahrbahn durch die Kläger ereignet habe. Diesen gegen sie sprechenden Anschein hätten die Kläger in der Tat - wie vom Landgericht zutreffend angenommen - nicht zu erschüttern vermocht. Im Gegenteil habe der Sachverständige V überzeugend ausgeführt, dass die Kläger das herannahende Beklagtenfahrzeug unproblematisch hätten wahrnehmen und eine Kollision durch schlichtes Stehenbleiben am Fahrbahnrand hätten vermeiden können. Danach stehe ein unfallursächliches grobes Verschulden der die Straße danach unachtsam, zudem auch noch dunkel gekleidet bei Dunkelheit und Regenwetter sowie abseits einer nahe gelegenen Überquerungshilfe überquerenden Kläger sogar positiv fest.

Das Landgericht habe ferner völlig zu Recht ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 1) als nicht feststellbar erachtet. Der Beklagte zu 1) habe in der Tat darauf vertrauen dürfen, dass keine Fußgänger die Fahrbahn unachtsam betreten würden. Die von den Klägern selbst geschaffene Gefahr sei schon durch die herrschende Dunkelheit und die dunkle Kleidung extrem erhöht gewesen. Einen Reaktionsverschulden oder ein Tempoverstoß habe das Landgericht zutreffend unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den von ihm zugrunde gelegten überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen V und auch mit den Ausführungen des Privatgutachters O verneint. Die diesbezüglichen Einwände der Berufung gingen fehl. Insbesondere habe der Sachverständige V einen relevanten Einfluss der temporären Achslasterhöhung unter Zugrundelegung der Gewichte der Kläger zutreffend explizit verneint;

habe der Sachverständige die Gehgeschwindigkeit der Kläger keineswegs zu deren Lasten offen gelassen, sondern insoweit schlicht keine sicheren Feststellungen treffen können, da keine entsprechenden Studien oder Statistiken für eingehakt nebeneinander Gehende vorlägen, wobei anzumerken sei, dass es einen Erfahrungssatz, wonach sich die gemeinsame Gehgeschwindigkeit automatisch an derjenigen der älteren Person orientiere, nicht gebe;

sei das Landgericht zu Recht hinsichtlich der Reaktionszeit des Beklagten zu 1) den diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen V gefolgt, da der Beklagte zu 1) eben nicht über das übliche Maß hinaus bremsbereit hätte sein, insbesondere nicht mit querenden Fußgängern an hier in Rede stehenden Stelle hätte rechnen müssen;

könne dem Beklagten zu 1) im Hinblick auf den bereits genannten Vertrauensgrundsatz und die vom Landgericht zutreffend angenommene Nichterkennbarkeit der Kläger vor Betreten der Fahrbahn auch kein unfallursächlicher Verstoß gegen § 3 Abs. 1 oder § 3 Abs. 2a StVO angelastet werden.Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens bis zum Senatstermin am 19.01.2018 wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat, dem die o.g. Ermittlungsakten ebenfalls vorgelegen haben, hat die Kläger ergänzend persönlich angehört und gem. § 412 Abs. 1 ZPO weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-​Ing. T1. Wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin am 19.01.2018 (Bl. 406 ff. = 413 ff. GA) i. V. m. den vom Sachverständigen im Termin allen Beteiligten überreichten Anlagen (vgl. das lose bei den Akten befindliche Anlagenheft) Bezug genommen. Eine ergänzende Befragung des ursprünglichen Beklagten zu 1) war nicht möglich, weil dieser am 24.02.2017 verstorben ist.Den Parteien ist antragsgemäß eine Stellungnahme zum Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme gewährt worden. Es haben lediglich die Kläger mit Schriftsatz vom 26.02.2018 (Bl. 429 ff. GA), auf dessen Inhalt verwiesen wird, weiter Stellung genommen und dabei ihren Rechtsstandpunkt vertieft.





II.

Die zulässige Berufung des Klägers führt zur Teilabänderung des landgerichtlichen Urteils im aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang sowie zur - von den Klägern hilfsweise auch ausdrücklich beantragten - Zurückverweisung der Sache nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO hinsichtlich des Betragsverfahrens. Soweit mit den Berufungen eine höhere Haftungsquote der Beklagten geltend gemacht wird, als vom Senat angenommen, war das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen.

1. Die Kläger können jeweils von den Beklagten als Gesamtschuldnern dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1967 BGB bzw. § 115 VVG zu einer Haftungsquote von 1/3 Ersatz ihrer unfallbedingten Schäden ersetzt verlangen.

a. Der streitgegenständliche Unfall, bei dem die Kläger unstreitig schwer verletzt worden sind, hat sich zunächst zweifellos i.S. des § 7 Abs. 1 StVG beim Betrieb des vom ursprünglichen (zwischenzeitlich verstorbenen) Beklagten zu 1) geführten und gehaltenen, bei der Beklagten zu 2) versicherten PKW Opel Insignia ereignet.

Höhere Gewalt i.S. des § 7 Abs. 2 StVG liegt keinesfalls vor. Eine Unabwendbarkeit des Unfalls i.S. des § 17 Abs. 3 StVG würde die Haftung gegenüber den Klägern als Fußgängern schon von vornherein nicht ausschließen, ist im Übrigen ohnehin für keine Seite positiv feststellbar.

b. Für die Frage der Haftungsquote kommt es maßgeblich auf die gem. §§ 9 StVG, 254 BGB vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge an, bei der jeweils zu Lasten einer Seite nur unstreitige bzw. bewiesene Umstände berücksichtigt werden können. Diese Abwägung führt - entgegen der Annahme des Landgerichts - nicht zum völligen Zurücktreten des Verursachungsanteils des ursprünglichen Beklagten zu 1), sondern zu einer Haftungsquote der Beklagten von 1/3. Denn nach dem Ergebnis der - vom Senat noch ergänzten - Parteianhörung und Beweisaufnahme ist sowohl auf Seiten der Kläger, als auch auf Beklagtenseite ein sich ursächlich auswirkendes Verschulden in die Abwägung einzustellen. aa. Den Klägern ist jeweils ein gravierender unfallursächlicher Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO anzulasten. Denn in allen zu betrachtenden Varianten war das Beklagtenfahrzeug - darin waren sich schon der erstinstanzliche Sachverständige V und der Parteigutachter O einig (vgl. dazu insbesondere S. 8 der Stellungnahme des Parteigutachters Dipl.-​Ing. O vom 12.01.2016, Bl. 255 GA) - für die Kläger bei Überschreiten der Fahrbahnbegrenzungslinie wahrnehmbar. Dies hat auch das nachvollziehbare und überzeugende - auch von keiner Seite in Zweifel gezogene - mündliche Gutachten des vom Senat eingeschalteten Sachverständigen Dipl.-​Ing. T1 klar bestätigt (vgl. dazu S. 6 des Berichterstattervermerks i.V.m. Anlage A 56 zum mündlichen Gutachten). Die gegen die Kläger geführten Ermittlungsverfahren sind auch nur mangels Strafantrags und öffentlichen Interesses gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden (vgl. Bl. 157 BeiA).




bb. Entgegen der Annahme des Landgerichts ist indes nach dem Ergebnis der - vom Senat noch ergänzten - Parteianhörung und Beweisaufnahme auch dem ursprünglichen Beklagten zu 1) ein sich ursächlich auswirkender schuldhafter (betriebsgefahrerhöhender) Verkehrsverstoß anzulasten, nämlich entweder eine Überschreitung der am Unfallort zulässigen Geschwindigkeit von 70 km/h oder ein Aufmerksamkeits- bzw. Reaktionsverschulden.Der vom Senat insoweit gem. § 412 Abs. 1 ZPO eingeschaltete Sachverständige Dipl.-​Ing. T1 hat nachvollziehbar und überzeugend - zudem auch von keiner Partei in Zweifel gezogen - ausgeführt, dass der ursprüngliche Beklagte zu 1) entweder mit mindestens 85 km/h statt am hier in Rede stehenden Ort nur erlaubter 70 km/h gefahren ist oder unaufmerksam war bzw. verzögert reagiert hat. Bei der Ermittlung der Ausgangsgeschwindigkeit hat der Sachverständige als zur Reaktion auffordernde Signalposition das tatsächliche Überschreiten der Fahrbahnbegrenzungslinie angenommen. Eine Vorverlagerung der Signalposition ist aus Sicht des Senats auch nicht gerechtfertigt. Denn der ursprüngliche Beklagte zu 1) musste erst reagieren, als für ihn erkennbar wurde, dass die Kläger unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO (auf dessen Einhaltung grundsätzlich vertraut werden kann) nicht am Fahrbahnrand stehen bleiben, sondern die von ihm befahrene Fahrbahn betreten würden, ohne ihm Vorrang zu gewähren. Dass Letzteres bereits vor Erreichen der Fahrbahnbegrenzungslinie erkennbar gewesen wäre, lässt sich nach dem Ergebnis der Parteianhörung und Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Die Parteien haben zum konkreten Verhalten der Kläger bei der Annäherung an die eigentliche Fahrbahn keine konkreten Angaben machen können. Zeugen stehen nicht zur Verfügung. Eine schlichte, im Voraus nicht erkennbare Unaufmerksamkeit lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen und kann auch bei grundsätzlich sorgfältigen Fußgängern vorkommen. Der Senat hält es auch nicht für gerechtfertigt, die Reaktionsaufforderung für den ursprünglichen Beklagten zu 1) etwa deshalb vorzuverlagern, weil - wie der Sachverständige Dipl.-​Ing. T1 ausgeführt hat - im Hinblick auf den Kurvenverlauf aus der Perspektive des ursprünglichen Beklagten zu 1) bereits der Eindruck des Erreichens der Fahrbahnbegrenzungslinie durch die Kläger bestand, als diese tatsächlich noch 20 cm von dieser Linie entfernt waren. In rechtlicher Hinsicht kann bzgl. der eine Reaktion verlangenden Signalposition nach Auffassung des Senats vielmehr nur an das tatsächliche Erreichen und Überschreiten der Fahrbahnbegrenzungslinie angeknüpft werden.

Eine frühere Reaktion bzw. Verlangsamung war vorliegend auch nicht gem. § 3 Abs. 2a StVO geboten. Es lässt sich angesichts der Ausführungen des Sachverständigen zur Erkennbarkeit der Fußgänger (vgl. dazu S. 5 f. des Berichterstattervermerks i.V.m. den Anlagen A 52 und A 53) schon nicht hinreichend sicher feststellen, dass die Kläger - namentlich der zum Unfallzeitpunkt bereits 76 Jahre alte Kläger zu 1) (die klagende Ehefrau war zur Unfallzeit 63 Jahre alt) - für den ursprünglichen Beklagten zu 1) überhaupt rechtzeitig als ältere Personen erkennbar waren, zumal die Kläger selbst vorgetragen bzw. angegeben haben, vor dem Unfall sehr agil bzw. rüstige und flotte Geher gewesen zu sein. Im Übrigen könnte § 3 Abs. 2a StVO auch allenfalls dann eingreifen, wenn die Kläger sich vorliegend in einer Verkehrssituation befunden hätten, in der nach der Lebenserfahrung damit gerechnet werden musste, dass sie aufgrund ihres Alters das Geschehen nicht mehr voll würden übersehen und meistern können (vgl. BGH, NJW 1994, 2829; Senat, MDR 2016, 458). Auch hinsichtlich des Vorliegens dieser Voraussetzung bestehen vorliegend aus Sicht des Senats erhebliche Zweifel. Denn im Gegensatz zu dem vom Bundesgerichtshof in der oben zitierten Entscheidung zu beurteilenden Fall überquerten die Kläger hier die Fahrbahn von rechts nach links und hatten sie zunächst nur eine Richtungsfahrbahn bis auf den breiten schraffierten Streifen direkt neben der nahegelegenen Querungshilfe zu überqueren (vgl. zur Örtlichkeit nur Anlage A 1 f. zum Gutachten Dipl.-​Ing. T1); dass ein älterer - hier zudem nach eigener Darstellung noch agiler und rüstiger - Mensch eine solche Verkehrsituation nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht mehr voll übersehen und meistern kann, wird man nach Auffassung des Senats kaum sagen können. Der Sachverständige Dipl.-​Ing. T1 hat ferner ebenfalls nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass bei ordnungsgemäßem Verhalten, insbesondere Einhaltung der am Unfallort lediglich erlaubten 70 km/h, der Unfall zwar nicht gänzlich vermeidbar, es dann aber (bei sofortiger Reaktion auf das Erreichen bzw. Überschreiten der Fahrbahnbegrenzungslinie) zu einer deutlich weniger schweren Kollision mit ca. 25 km/h (statt tatsächlich mindestens 60 km/h) gekommen wäre, wobei dann der vorausgehende Kläger zu 1) auch nicht voll, sondern nur streifend erfasst worden wäre. Dass dann deutlich geringere Verletzungen der Kläger eingetreten wären, liegt auf der Hand und ist zudem vom Sachverständigen Dipl.-​Ing. T1 bestätigt und auch vom Beklagtenvertreter im Senatstermin (in den Berichterstattervermerk nicht aufgenommen) konzediert worden. Insoweit hat sich der nach den obigen Ausführungen hier festzustellende Verkehrsverstoß des ursprünglichen Beklagten zu 1) - Überschreitung der zulässigen 70 km/h um mindestens 15 km/h oder Aufmerksamkeits-​/Reaktionsverschulden - mithin auch ursächlich ausgewirkt. Die danach alternativ anzunehmenden, sich ursächlich auswirkenden Verkehrsverstöße des ursprünglichen Beklagten zu 1) sind aus Sicht des Senats schließlich vom Gewicht her als gleichwertig anzusehen.



Soweit die Kläger geltend machen, im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung sei betriebsgefahrerhöhend zusätzlich zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Beklagte zu 1) im Hinblick auf § 3 Abs. 1 StVO unter den hier gegebenen Umständen noch langsamer als 70 km/h hätte fahren müssen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn auf Fußgänger, die - wie hier - ohne Beachtung des Fahrverkehrs unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO unvermittelt von der Seite auf die Fahrbahn treten, musste der ursprüngliche Beklagte zu 1) sein Fahrtempo ohne (hier mangels Aufklärbarkeit des konkreten Annäherungsverhaltens der Kläger nicht hinreichend sicher feststellbare) erkennbare besondere Anhaltspunkte nicht einstellen; insoweit ist das Sichtfahrgebot nicht einschlägig (vgl. dazu allgemein nur Hentschel/König, a.a.O., § 3 StVO, Rn. 25 und auch § 25, Rn. 23, 38 Geigel/Freymann, a.a.O., Kap. 27, Rn. 112 und auch 606 f.).

cc. Bei der Abwägung der oben festgestellten beiderseitigen Verursachungsbeiträge wiegt der gravierende Verkehrsverstoß der Kläger, ohne den ein Unfall zudem gänzlich vermieden worden wäre, deutlich schwerer als die durch das o.g., sich auf die Schwere der Unfallfolgen ursächlich auswirkende Verschulden des ursprünglichen Beklagten zu 1) erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs. Der Senat hält unter Berücksichtigung aller Umstände eine Haftungsquote der Beklagten von 1/3, also eine Mithaftungsquote der Kläger von jeweils 2/3 für angemessen.

2. Auf Basis dieser Haftungsverteilung war den Feststellungsanträgen der Kläger im Wege des Teilendurteils stattzugeben. Das insoweit erforderliche Feststellungsinteresse - sprich die Möglichkeit des zukünftigen Eintritts weiterer materieller bzw. derzeit noch nicht konkret absehbarer immaterieller Schäden aufgrund des streitgegenständlichen Unfalles - kann bei beiden Klägern angesichts der unstreitig bei dem Unfall erlittenen schwersten Verletzungen (u.a. auch diversen, naturgemäß mit Arthrosegefahr einhergehenden Frakturen) unproblematisch schon jetzt und ohne weitere Sachaufklärung bejaht werden.

3. Hinsichtlich der bezifferten Leistungsanträge erschien es angemessen - entsprechend dem klägerischen Hilfsantrag - gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4 ZPO zu verfahren, mithin lediglich eine Grundentscheidung zu treffen und die Sache hinsichtlich des Betragsverfahrens an das Landgericht zurückzuverweisen. Denn insoweit besteht angesichts des diesbezüglichen Bestreitens der Beklagten (vgl. i.e. S. 5 ff. der Klageerwiderung, Bl. 119 ff. GA) noch umfangreicher Aufklärungsbedarf (vor allem bzgl. der Dauerfolgen, insbes. auch psychischer Folgen, aber auch bzgl. der Höhe der materiellen Schäden einschl. des Haushaltsführungsschadens und der Pflegekosten), ist allerdings schon jetzt hinreichend wahrscheinlich, dass in irgendeiner Höhe Schmerzensgeldansprüche und auch Ansprüche auf Ersatz der geltend gemachten materiellen Schäden - einschließlich des Haushaltsführungsschadens - bestehen, was für ein Grundurteil grundsätzlich ausreicht (vgl. dazu nur Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., § 304, Rn. 6 ff.). Im Rahmen des Betragsverfahrens wird bei der (als Einheit zu betrachtenden) Schadensposition "Haushaltsführungsschaden" auch zu klären sein, ob und inwieweit (auch) die insoweit begehrte Schadensrente beansprucht werden kann.




4. Nach alledem war auf die klägerischen Berufungen im Wege des Grund- und Teil-​Endurteils unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel (bzgl. der Haftungsquote) teilweise abändernd zugunsten der Kläger zu entscheiden und die Sache auf den entsprechenden Hilfsantrag der Kläger gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4 ZPO hinsichtlich des Betragsverfahrens zur weiteren Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückzuverweisen. Der zwischenzeitliche Tod des - anwaltlich vertretenen - ursprünglichen Beklagten zu 1) stand im Hinblick auf § 246 Abs. 1 ZPO einer weiteren Verfahrensdurchführung und Entscheidung nicht entgegen; ein Aussetzungsantrag ist nicht gestellt worden.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Eine Revisionszulassung war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die maßgebenden Fragen sind solche des Einzelfalles.

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