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Kammergericht Berlin Beschluss vom 06.03.2018 - 3 Ws (B) 73/18 - 162 Ss 31/18 -

KG Berlin v. 06.03.2018:


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 06.03.2018 - 3 Ws (B) 73/18 - 162 Ss 31/18) hat entschieden:

   Die Erfüllung des Tatbestandes des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. der Tabelle 1 Buchst. c lfd. Nr. 11.3.8 des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs.1 BKatV durch einen Krankentransportfahrer indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vgl. BGHSt 38, 125 (134) und 43, 241 (247)). In solchen Fällen kann die Anwendung der Regelbeispielstechnik des Bußgeldkataloges nur dann unangemessen sein, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich abweicht, dass er als Ausnahme zu werten ist. Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen


Siehe auch
Augenblicksversagen und Geschwindigkeitsverstöße
und
Absehen vom Fahrverbot


Gründe:


Mit Bußgeldbescheid vom 22. Dezember 2016 hat der Polizeipräsident in Berlin gegen den Betroffenen wegen einer am 7. November 2016 um 20:19 Uhr in 13503 Berlin beim Befahren der Bundesautobahn 111 (Fahrtrichtung Nord zwischen Anschlussstelle S und L) begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von dort 60 km/h um 52 km/h eine Geldbuße von 280,00 Euro sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt. Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hatte und diesen in der daraufhin vor dem Amtsgericht Tiergarten anberaumten Hauptverhandlung auf die Rechtsfolge beschränke, hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen aufgrund des im Übrigen rechtskräftigen Bußgeldbescheides eine Geldbuße von 560,00 Euro festgesetzt. Von der Verhängung eines Fahrverbots hat das Amtsgericht abgesehen, weil dessen Verhängung zu einer massiven Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen führen würde, weshalb eine „existenzvernichtende“ außergewöhnliche Härte vorliege, und zur Begründung insoweit (lediglich) Folgendes ausgeführt:




   „Der Betroffene ist als Krankentransportfahrer zwingend auf seine Fahrerlaubnis angewiesen, um seine Tätigkeit ausüben zu können. Ausweislich des in der Hauptverhandlung verlesenen Schreibens des Arbeitgebers des Betroffenen vom 26.1.2017 hat dieser angekündigt, das Arbeitsverhältnis mit dem Betroffenen für den Fall des Führerscheinentzuges zu beenden. Daraus folgt, dass seitens des Arbeitgebers auch keine Bereitschaft besteht, den Betroffenen für die Dauer des Fahrverbotes anderweitig zu beschäftigen. Ausweislich des in der Hauptverhandlung verlesenen Arbeitsvertrages wäre es dem Betroffenen zudem unter Berücksichtigung seines jährlichen Urlaubsanspruches nicht möglich, das Regelfahrverbot von zwei Monaten durch Urlaub zu überbrücken. Darüber hinaus scheiden aufgrund der Art der Tätigkeit des Betroffenen auch grundsätzlich in Betracht zu ziehende Alternativmaßnahmen wie die Beschäftigung eines Fahrers durch, den Betroffenen für die Zeit des Fahrverbotes hier naturgemäß aus. In einer Gesamtwürdigung liegen damit zur Überzeugung des Gerichts besondere Umstände vor die es rechtfertigen hier ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen.“

Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat (vorläufigen) Erfolg.




Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:

   „Die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft vom 22. Dezember 2017, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, wird vertreten. Denn das angefochtene Urteil kann bereits aufgrund der rechtzeitig mit Einlegung der Rechtsbeschwerde erhobenen allgemeinen Sachrüge sowie aus den zutreffenden rechtlichen Erwägungen der Einzelausführungen zur Sachrüge vom 6. Februar 2018, denen ich beitrete, keinen Bestand haben.

1. Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG, da im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot verhängt worden war.

2. Zwar hat die Amtsanwaltschaft innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist, die nach Zustellung des offenbar mit Gründen versehenen Urteils am 21. Dezember 2017 (Bl. 56 d.A.) am 29. Dezember 2017 begann und mit Ablauf des 29. Januar 2018 endete, einen Rechtsbeschwerdeantrag nicht ausdrücklich gestellt. Die Erklärung, inwieweit die Amtsanwaltschaft das Urteil anficht und dessen Aufhebung beantragt, kann jedoch auch bereits in der Einlegungsschrift (§ 341 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs.3 S.1 OWiG) mit der Erhebung der allgemeinen Sachrüge geschehen. Das setzt voraus, dass die Rüge der Verletzung materiellen Rechts angesichts der Umstände des Einzelfalles geeignet ist, den Umfang der Anfechtung zweifelsfrei festzulegen. Auch bei der Revision der Staatsanwaltschaft bedarf es in der Regel dann keines förmlichen Antrages, wenn das Ziel der Revision bereits aus dem Inhalt der Revisionsschrift oder dem Gang des bisherigen Verfahrens eindeutig hervorgeht. So ist nach der Rechtsprechung bei Revisionen des Angeklagten in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge regelmäßig die Erklärung zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde (BGH NJW 2003, 839). Zwar kann eine Revision der Staatsanwaltschaft sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Angeklagten eingelegt sein (BGH, Beschluss vom 05. November 2009 - 2 StR 324/09 -, juris). Da der Betroffene verurteilt wurde, steht diese Auslegung dem jedoch nicht entgegen. Die zugleich mit der Erhebung der allgemeinen Sachrüge rechtzeitig eingelegte Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin vom 22. Dezember 2017 ist daher so zu verstehen, dass das gesamte Urteil angefochten sein soll.

3. Die Rechtsbeschwerde ist auf die Sachrüge auch begründet.

a) Der Betroffene hat seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zulässigerweise auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Der Bußgeldbescheid entspricht den Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG. Die Festsetzung der Geldbuße und des Fahrverbotes nach dem Regelbeispiel der Nummer 11.3.8 des Bußgeldkataloges (280 € und 2 Monate Fahrverbot) lässt erkennen, dass fahrlässige Begehungsweise zugrunde gelegt wurde. Für den Fall, dass im Bußgeldbescheid Angaben zur Schuldform fehlen, ist Bedacht darauf zu nehmen, die Regelsätze des Bußgeldkatalogs von fahrlässiger Begehungsweise und gewöhnlichen Tatumständen ausgehen (KG, Beschluss vom 19. Januar 2009 - 3 Ws (B) 30/09 - 2 Ss 327/08 -).

b) Der Rechtsfolgenausspruch kann durch das Rechtsbeschwerdegericht in der Regel zwar nur dahingehend überprüft werden, ob die Rechtsfolgenzumessungserwägungen in sich rechtsfehlerhaft sind, ob der Tatrichter rechtlich anerkannte Ahndungszwecke außer Betracht gelassen oder ob sich die Rechtsfolge soweit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung gelöst hat, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des Spielraums liegt, der dem Tatrichter bei der Rechtsfolgenzumessung eingeräumt ist, wobei im Hinblick auf den Spielraum eine exakte Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen ist, die Rechtsfolgenzumessung des Tatrichters im Zweifelsfall also hingenommen werden muss (vgl. BGHSt 29, 319, 320; KG, Beschluss vom 1. November 2001 - (4) 1 Ss 273/01 (128/01) -). Im Rahmen dieses Prüfungsumfangs sind jedoch Rechtsfehler festzustellen.



Das Amtsgericht hat, nachdem der Betroffene seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat und der Schuldspruch damit in Rechtskraft erwachsen ist, gegen den Betroffenen wegen der ihm im Bußgeldbescheid zur Last gelegten am 7. November 2016 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit der fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts um 52 km/h ein Bußgeld über 560 € - unter Wegfall des Fahrverbots - verhängt. Nach den Urteilsgründen und dem in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des Bußgeldbescheides hat der Betroffene damit den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. der Tabelle 1 Buchst. c lfd. Nr. 11.3.8 des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs.1 BKatV erfüllt, der neben einem Bußgeld in Höhe von 280 € ein Regelfahrverbot von zwei Monaten vorsieht. Die Erfüllung dieses Tatbestandes indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vgl. BGHSt 38, 125 (134) und 43, 241 (247)). In solchen Fällen kann die Anwendung der Regelbeispielstechnik des Bußgeldkataloges nur dann unangemessen sein, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich abweicht, dass er als Ausnahme zu werten ist. Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. KG, VRS 108, 286 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Das Amtsgericht hat von der Verhängung eines Fahrverbotes mit der Begründung abgesehen, dass bei Anordnung eines Fahrverbots eine „existenzvernichtende“ außergewöhnliche Härte vorliege. Den allein maßgeblichen schriftlichen Urteilsgründen sind die tatsächlichen Voraussetzungen für eine solche Härte indessen nicht zu entnehmen. Der Arbeitgeber des Betroffenen hat hiernach nur angekündigt, das Arbeitsverhältnis mit dem Betroffenen für den Fall des Führerscheinentzuges zu beenden. Vorliegend geht es indessen nur um ein zweimonatiges Fahrverbot, nicht um den Entzug der Fahrerlaubnis. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, warum es dem Betroffenen nicht möglich sein soll, das Fahrverbot unter Inanspruchnahme seines jährlichen Urlaubsanspruches zu überbrücken, denn zu dessen Höhe verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Ebenso bleibt unerörtert, ob der Betroffene über seinen Urlaubsanspruch hinaus Mehrarbeit durch Freizeit ausgleichen und ggf. auch unbezahlten Urlaub nehmen könnte. Denn es ist einem Betroffenen zuzumuten, durch - gegebenenfalls unbezahlten - Urlaub die Zeit eines Fahrverbots zu überbrücken und für die finanziellen Belastungen notfalls einen Kredit aufzunehmen (vgl. KG, Beschluss vom 5. November 2014 - 3 Ws (B) 528/14 - 122 Ss 150/14 -). An das Vorliegen einer den Wegfall des Regelfahrverbotes rechtfertigenden Härte ganz außergewöhnlicher Art ist nach der Einführung des § 25 Abs. 2a StVG mit der Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbotes innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten selbst zu bestimmen, zudem ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen (vgl. KG, Beschluss vom 23. Dezember 2008 - 3 Ws (B) 478/08 - 2 Ss 320/08 -).“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Da das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots danach keinen Bestand haben kann und eine Wechselwirkung zwischen der Frage der Anordnung dieser Maßregel und der Bemessung der Höhe der Geldbuße besteht, war das Urteil insgesamt aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Tiergarten zurückzuverweisen.

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