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Kammergericht Berlin Beschluss vom 28.12.2018 - 3 Ws (B) 304/18 - 122 Ss 139/18 - Darstellungsanforderungen bei Rotlichtverstoß

KG Berlin v. 28.12.2018: Darstellungsanforderungen an den Tatrichter bei innerstädtischem Rotlichtverstoß


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 28.12.2018 - 3 Ws (B) 304/18 - 122 Ss 139/18) hat entschieden:

   Jedenfalls bei einem innerhalb geschlossener Ortschaft begangenem Rotlichtverstoß sind Urteilsausführungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit sowie seines Abstands zur Ampel regelmäßig entbehrlich, weil hier grundsätzlich von einer nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und von einer Gelbphase von 3 Sekunden ausgegangen werden kann, was eine gefahrlose Bremsung ermöglicht


Siehe auch
Rotlichtverstöße
und
Stichwörter zum Thema Rotlichtverstöße


Gründe:


I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen eines fahrlässig begangenen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt und nach § 25 Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Der Entscheidung liegen die folgenden Feststellungen zugrunde:

   „Am 13.03.2018 um 18.30 Uhr befuhr der Betroffene die Fontanestraße in 12049 Berlin mit dem Kraftfahrzeug der Marke Opel, amtliches Kennzeichen B-​... . An der Kreuzung Fontanestraße/Flughafenstraße fuhr er geradeaus in südlicher Richtung. Dabei überfuhr der Betroffene die Haltlinie der dortigen Ampel bei ihn für Rotlicht abstrahlender Lichtzeichenanlage, fuhr in den Kreuzungsbereich ein und überquerte diesen. In Höhe des kreuzenden Columbiadamm/Flughafenstraße kam es fast zum Unfall mit dem von rechts aus dem Columbiadamm kommenden Fahrzeug der Zeugen X und Y Kia. Der Zeuge X musste eine Vollbremsung einlegen, um eine Kollision zu verhindern, wobei das Fahrzeug des Betroffenen höchstens eine Fahrzeuglänge entfernt war. Bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Betroffene dies vermeiden können.“

Gegen das am 24. Oktober 2018 zugestellte Urteil wendet sich der Betroffene mit einem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.




Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 28. November 2018 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.


II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Unschädlich ist die falsche Bezeichnung des Rechtsmittels als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. § 300 StPO ist sinngemäß (§ 46 Abs. 1 OWiG) auf das Verhältnis zwischen gesetzlich zulassungsfreier Rechtsbeschwerde (§ 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG) und dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG) anzuwenden (vgl. für den umgekehrten Fall der Einlegung der Rechtsbeschwerde bei allein statthaftem Zulassungsantrag BGHSt 23, 233).

2. Die Rüge formellen Rechts weist keine nähere Begründung auf und ist als Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt.

3. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils offenbart weder hinsichtlich des Schuld- noch des Rechtsfolgenausspruchs einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebieten würde.

a) Die Urteilsfeststellungen sind ausreichend. Die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils tragen den Schuldspruch wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes.




Die Urteilsgründe müssen in Bußgeldverfahren so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht ihnen zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen (vgl. OLG Bremen NStZ 1996, 287; Göhler/Seitz, OWiG 17. Aufl., § 71 Rn. 42). Grundsätzlich gilt, dass Ausführungen des Urteils nie Selbstzweck sind (vgl. BGH wistra 1992, 225; 1992, 256) und dass an die Urteilsgründe in Bußgeldsachen von vornherein keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH NZV 1993, 485; Göhler aaO).

Diesen Ansprüchen genügt die angefochtene Entscheidung. Zwar sind grundsätzlich nähere Ausführungen zur Dauer der Gelbphase, zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit, zur Geschwindigkeit des Betroffenen im Zeitpunkt des Umschaltens der Lichtzeichenanlage von Grün auf Gelb und zur Entfernung des Betroffenen von der Lichtzeichenanlage bei Umschalten von Gelb auf Rotlicht erforderlich. Denn nur bei Kenntnis dieser Umstände lässt sich in der Regel entscheiden, ob der Betroffene bei zulässiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung in der Lage gewesen wäre, dem von dem Gelblicht ausgehenden Haltegebot zu folgen, was Voraussetzung für den Vorwurf ist, das Rotlicht schuldhaft missachtet zu haben (vgl. Senat, Beschluss vom 17. April 2018 - 3 Ws (B) 100/18 m.w.N.).

Handelt es sich allerdings - wie hier - um einen Rotlichtverstoß innerhalb geschlossener Ortschaften, sind Ausführungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit sowie seines Abstands zur Ampel jedoch regelmäßig entbehrlich, weil grundsätzlich von einer gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und von einer Gelbphase von 3 Sekunden ausgegangen werden kann, was eine gefahrlose Bremsung vor der Ampel ermöglicht, bevor diese von Gelb auf Rot umschaltet (vgl. Senat a.a.O.).

Wäre die Betroffene schneller als die zulässige Höchstgeschwindigkeit gefahren und hätte deshalb nicht mehr rechtzeitig vor der Kreuzung anhalten können, wofür es im konkreten Fall allerdings keine Anhaltspunkte gibt, so würde bereits die Geschwindigkeitsüberschreitung die Vorwerfbarkeit des Rotlichtverstoßes begründen (OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2014 - 3 Ss OWi 228/14 - [juris]).

b) Auch die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei. Sie ist Sache des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht hat auf die Sachrüge zu prüfen, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung unter anderem dann, wenn sie unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters zwar nicht zwingend zu sein; es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss jedoch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe daher erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen - wenn auch möglicherweise schwerwiegenden - Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat DAR 2005, 634 und Beschluss vom 27. August 2010 - 3 Ws (B) 434/10 [juris]; KG, Beschluss vom 18. Dezember 1996 - (4) 1 Ss 199/96 (129/96) - m. w. N.).

Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils, auch in Bezug auf die vom Rechtsmittelführer vordringlich in Abrede gestellte Gefährdung.

Die Beweiswürdigung trägt die Annahme des Amtsgerichts, dass es durch den Rotlichtverstoß zu einer Gefährdung nach § 1 Abs. 2 StVO gekommen ist. Dabei kann offen bleiben, ob die ganz herrschende Meinung zutrifft, der zufolge der Gefährdungsbegriff in § 1 Abs. 2 StVO demjenigen in § 315b StGB entspricht (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, StVR 44. Aufl., § 1 StVO Rn. 35) und daher einen „Beinahe-​Unfall“ erfordert, also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass „das noch einmal gut gegangen ist“ (vgl. BGH NJW 1995, 3131). Denn die Urteilsfeststellungen belegen auch eine diesen Anforderungen genügende konkrete Gefahr.

Darin heißt es, der Zeuge X habe, um einen Unfall zu vermeiden, eine Vollbremsung einlegen müssen. Das Fahrzeug des Betroffenen habe sich zu diesem Zeitpunkt höchstens eine Fahrzeuglänge entfernt befunden. Weiter heißt es, diese Angaben seien durch den Zeugen X bestätigt worden, der bekundet habe, ohne das starke Abbremsen des Zeugen X wäre es zu einer Kollision mit dem Fahrzeug des Betroffenen gekommen.

4. Auch die auf die allgemeine Sachrüge gebotene weitere Überprüfung des Urteils deckt keine durchgreifenden Rechtsfehler auf. Auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft kann Bezug genommen werden.



Ergänzend ist anzuführen, dass das Amtsgericht unter Bezugnahme auf die gegen den Betroffenen in den zwei Jahren vor der verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeit verhängten Fahrverboten zutreffend von der Anordnung einer Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG abgesehen hat.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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