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Landgericht Saarbrücken Urteil vom 01.03.2019 - 13 S 132/18 - Ermittlung ersatzfähiger Mietwagenkosten

LG Saarbrücken v. 01.03.2019: Zur Ermittlung ersatzfähiger Mietwagenkosten auf der Grundlage des „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2017“ des Fraunhofer Instituts


Das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 01.03.2019 - 13 S 132/18) hat entschieden:

  1.  Zur Ermittlung ersatzfähiger Mietwagenkosten auf der Grundlage des „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2017“ des Fraunhofer Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation.

  2.  Die bei gleicher Fahrzeugklasse anzurechnende Eigenersparnis in Höhe von 10% ist von den reinen Grundmietwagenkosten in Abzug zu bringen.

  3.  Kosten für eine Winterbereifung sind nicht ersatzfähig, da mittlerweile eine jeweils an die Jahreszeit angepasste Bereifung in den seitens des Fraunhofer Instituts ermittelten Preisen enthalten ist.


Siehe auch
Der Unfallersatztarif
und
Ersatz der unfallbedingten Mietwagenkosten


Gründe:


I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Ausgleich von Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls in Anspruch, für den die Beklagte unstreitig allein haftet. Für die Dauer der Reparatur des unfallbedingt beschädigten klägerischen Fahrzeugs BMW X1 mietete der Kläger ein Ersatzfahrzeug der Klasse 8. Hierfür wurden dem Kläger 3.296,74 € in Rechnung gestellt, worauf die Beklagte 1.588,65 € zahlte.

Mit der Klage hat der Kläger neben offenen Reparaturkosten in Höhe von 128,64 € auf der Grundlage eines nach der Schwacke-​Liste abzüglich 3 % Eigenersparnis zuzüglich Zusatzkosten berechneten Mietzinses von 3.197,70 € Ersatz der restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 1.609,05 € nebst Zinsen gefordert.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Sie hat die Vereinbarung der in der Rechnung enthaltenen Positionen für die Haftungsreduzierung, Zustell- und Abholgebühren sowie den Zusatzfahrer bestritten und unter Verweis auf die Werte des Marktpreisspiegels Mietwagen Deutschland 2016 des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation zuzüglich eines Aufschlags von 15 % den bereits gezahlten Betrag schon für übersetzt und damit für ausreichend gehalten.




Das Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat nach Beweisaufnahme der Klage in Höhe von 1.310,24 € stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass neben den geltend gemachten Reparaturkosten (128,64 €) Mietwagenkosten in Höhe von insgesamt 2.770,25 € abzüglich geleisteter 1.588,65 € = 1.181,60 € erstattungsfähig seien. Zugrunde zu legen sei der sich aus der Fraunhofer Tabelle ergebende Normaltarif, der bezogen auf den arithmetischen Mittelwert innerhalb des Intervalls der dreifachen Standardabweichung anzusetzen sei.

Mit der Berufung richtet sich die Beklagte unter Aufrechterhaltung ihrer erstinstanzlichen Argumentation gegen die Verurteilung die Mietwagenkosten betreffend. Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.


II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweisen Erfolg. Die nach § 529 ZPO zugrunde zulegenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. Zutreffend hat das Amtsgericht allerdings für den Ersatz der Mietwagenkosten auf den Normaltarif als den nach § 249 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand abgestellt (vgl. BGHZ 160, 377, 383 f; Urteil vom 02.02.2010 - VI ZR 139/08, VersR 2010, 545). Bei der Ermittlung des Normaltarifs hat der Erstrichter vom Grundsatz her die Erhebung „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2016“ des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation herangezogen. Dies hält sich im Rahmen tatrichterlichen Ermessens nach § 287 ZPO, maßgeblich ist allerdings die Fraunhofer Tabelle für das Jahr 2017, da sich der Verkehrsunfall am 04.01.2017 ereignete. In gefestigter Rechtsprechung, die höchstrichterlich gebilligt ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2012 - VI ZR 316/11, VersR 2013, 330), nimmt die Kammer insoweit an, dass sich die Erhebung „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland“ als geeignete Schätzungsgrundlage zur Ermittlung des Normaltarifs auf dem hier maßgeblichen regionalen Markt erwiesen hat (vgl. z.B. Kammerurteil vom 15.09.2017 - 13 S 59/17, DAR 2017, 711; ebenso OLG Düsseldorf, VersR 2015, 1396; OLG München, Urteil vom 09.03.2018 - 10 U 3204/17, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 03.03.2016 - 4 U 164/15, juris).




2. Gleiches gilt für die Heranziehung des sog. (arithmetischen) „Mittelwerts“. Hiervon abzugehen besteht auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des Erstgerichts kein Anlass. Zum einen handelt es sich bei der Heranziehung des sog. „Mittelwerts“ um die Ausübung des Schätzungsermessens im Sinne des § 287 ZPO. Eine exakte mathematische Schadensermittlung, die gleichsam punktgenau den im Einzelfall verbindlichen Normaltarif festlegt, ist damit weder bezweckt noch möglich (vgl. hierzu allgemein im Rahmen des § 287 ZPO BGH, Urteile vom 15.03.2017 - VIII ZR 295/15, NJW 2017, 2679 m.w.N.; vom 25.01.2013 - V ZR 222/12, VersR 2013, 635; vom 06.12.2012 - VII ZR 84/10, NJW 2013, 525). Zum anderen trägt die Kammer - auch insoweit höchstrichterlich gebilligt (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2012 - VI ZR 316/11 aaO) - etwaigen Bedenken, auch solchen stochastischer Art, hinreichend durch einen pauschalen Aufschlag von 15% Rechnung. Die sich danach ergebenden Werte bieten auch im Hinblick auf die Systematik der Erhebung und deren stochastische Bewertung eine geeignete und insbesondere in der Praxis handhabbare Grundlage zur Bemessung des im Einzelfall ersatzfähigen Schadens.

3. Die Kammer hält hieran auch für den „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2017“ fest (zur stochastischen Bewertung vgl. S. 39 des „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2017“). Dass andere Tatrichter im hiesigen Gerichtsbezirk - wie auch der hier zuständige Erstrichter - abweichende Einschätzungen vertreten, steht dem nicht entgegen und ist auch keine Besonderheit des hiesigen Gerichtsbezirks (vgl. etwa OLG Stuttgart, 7. Zivilsenat, Urteil vom 18.08.2011 - 7 U 109/11 einerseits und OLG Stuttgart, 12. Zivilsenat, Urteil vom 22.06.2010 - 12 U 16/10 andererseits, jeweils zit. nach juris). Die Heranziehung einer geeigneten Schätzgrundlage sowie die Schätzung selbst sind originäre Aufgaben des Tatrichters, weshalb die Kammer keine Veranlassung sieht, von ihrer bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.

4. Ersatzfähig ist daher, ausgehend von der Fraunhofer Tabelle für das Jahr 2017, für das Fahrzeug der Klasse 8 ein Wochenbetrag von 358,13 €, bei 21 Tagen bzw. 3 Wochen - insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Firma ... dem Kläger den Grundmietpreis für den Zeitraum 06.01.2017, 17:00 Uhr bis 27.01.2017, 17:45 Uhr nach einer Dauer von 21 Tagen in Rechnung gestellt hat (Bl. 55 d.A.) - mithin ein Gesamtbetrag von 1.074,39 €, zuzüglich eines Aufschlags von 15 % (161,16 €), insgesamt 1.235,55 €.

5. Hiervon ist, aufgrund gleicher Fahrzeugklasse, eine Eigenersparnis in Abzug zu bringen, die - in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der Kammer - auf 10% zu schätzen ist (Kammer, zuletzt Urteil vom 05.04.2012 - 13 S 15/12, NJW 2012, 2978; gebilligt durch BGH, Urteil vom 02.02.2010 - VI ZR 139/08, VersR 2010, 545, Urteil vom 05. März 2013 - VI ZR 245/11, NJW 2013, 1870, jew. m.w.N.). Die Kammer geht hierbei von einer Anrechnung der Eigenersparnis auf die reinen Grundmietwagenkosten aus (so auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 09. Oktober 2014 - 4 U 46/14, DAR 2014, 703; OLG Hamm, Urteil vom 26. Januar 2000 - 13 U 149/99, NZV 2001, 217, Urteil vom 21. April 2008 - 6 U 188/07, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 01. Februar 2013 - 1 U 130/12, Verkehrsrecht aktuell 2013, 111; zum Meinungsstand und i.E. a.A. KG, Urteil vom 08.05.2014 - 22 U 119/13, juris m.w.N.; ebenso OLG Frankfurt, Urteil vom 03.03.2016 - 4 U 164/15, juris). Denn der auszugleichende Vorteil durch fehlende Abnutzung des eigenen Fahrzeugs etc. korrespondiert mit der Nutzung des Ersatzfahrzeugs selbst, nicht aber mit Nebenkosten, die z.B. für einen Zusatzfahrer oder die Zustellung und Abholung anfallen. Eine weitergehende Entlastung des Schädigers durch eine Ausweitung des Abzugs auch auf etwaige Zusatzkosten ist daher im Rahmen der Vorteilsausgleichung nicht gerechtfertigt. Bei Abzug der Eigenersparnis vom o.g. Grundmietpreis von 1.235,55 € errechnet sich ein ersatzfähiger Mietpreis von 1.112 € (10 % von 1.235,55 = 123,55 €).


6. Die in der Schadensaufstellung des Klägers (K7, Bl. 60 d.A.) enthaltenen Kosten für eine Winterbereifung sind demgegenüber nicht ersatzfähig. Zwar ist es richtig, dass Nebenkosten - soweit sie tatsächlich angefallen und nicht erkennbar überhöht sind - nach gefestigter Kammerrechtsprechung erstattungsfähig sind (vgl. zuletzt Kammer, Urteil vom 15.09.2017 - 13 S 59/17, Zfs 2018, 263, 266 für Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2016; ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.04.2016 - I-​1 U 114/14, juris m.w.N.). Dies gilt allerdings nur, soweit es sich um „Zusatzkosten“ handelt, mithin solche Kosten, die in den vom Fraunhofer-​Institut ermittelten und der Schadensberechnung zugrunde zu legenden Mietwagenpreisen nicht enthalten sind (vgl. Kammer, Urteile vom 26.03.2010 - 13 S 243/09, juris und vom 06.08.2010 - 13 S 53/10, juris). Mittlerweile ist jedoch eine jeweils an die Jahreszeit angepasste Bereifung, mithin auch eine Ausstattung mit Winterreifen, von den seitens des Fraunhofer Instituts ermittelten Preisen mitumfasst (vgl. das insoweit geänderte Vorwort auf S. 3 rechte Spalte Spiegelstrich 9, Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2017; ebenso LG Mönchengladbach, Urteil vom 26.05.2015 - 5 S 82/14, juris; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-​StrVerkR, 1. Aufl., § 249 BGB Rn. 202), weshalb eine Ersatzfähigkeit nicht anzuerkennen ist.

7. Zustell- und Abholungskosten sind dagegen - soweit sie tatsächlich angefallen und nicht erkennbar überhöht sind - nach gefestigter Kammerrechtsprechung ebenso zusätzlich erstattungsfähig wie Aufpreise für eine berechtigte Haftungsbefreiung oder Kosten für einen Zusatzfahrer.

a) Vorliegend sind ausweislich der Rechnung des Mietwagenunternehmens Zustell- und Abholkosten angefallen. Als Schätzgrundlage gemäß § 287 ZPO orientiert sich die Kammer insoweit an den in der Schwacke-​Liste „Nebenkosten Bundesdurchschnitt AMS 2017“ errechneten Werten, vorliegend 2 x 23 € (brutto) = 46 €. Der Kläger fordert ausweislich seiner Kostenaufstellung K 7 (Bl. 60 d.A.) jedoch lediglich insgesamt 24 €, so dass ein Ausgleich auch nur in dieser Höhe zu erfolgen hat.

b) Ersatzfähig sind weiterhin auch die Mehrkosten für den Zusatzfahrer, der ausweislich der seitens des Amtsgerichts durchgeführten Beweisaufnahme das Fahrzeug mitgenutzt hat. Insoweit schätzt die Kammer den angemessenen Betrag gemäß § 287 ZPO in Anlehnung an die Schwacke-​Liste „Nebenkosten Bundesdurchschnitt AMS 2017“ auf 12 € pro Tag, mithin für 22 Tage - die Firma ... hat ihrer Rechnung insoweit 22 Tage zugrunde gelegt - auf 264 €.

c) Eine Haftungsreduzierung berücksichtigt die Wertermittlung der Fraunhofer Tabelle lediglich im Bereich einer Selbstbeteiligung von ca. 750 € bis 950 € (Seite 37 Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2017). Zusatzkosten für eine darunter liegende Selbstbeteiligung sind dagegen ersatzfähig. Da der seitens des Klägers geltend gemachte Betrag von 191,40 € noch unter dem Durchschnittswert der Schwacke-​Liste „Nebenkostentabelle Bundesdurchschnitt AMS 2017“ von 609 € (29 € für 21 Tage) liegt, ist dieser zusätzlich in Ansatz zu bringen, so dass sich ein Gesamtmietpreis von 1.591,40 € ergibt.



Abzüglich bereits geleisteter 1.588,65 € verbleibt daher ein von der Beklagten noch zu zahlender Betrag von 2,75 €. Daneben sind die restlichen Reparaturkosten in Höhe von 128,64 € ersatzfähig, welche nicht Gegenstand der Berufung waren.

Die Entscheidung wegen der Zinsen folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 ZPO.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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