Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Oberlandesgericht Brandenburg Beschluss vom 28.02.2019 - (2 B) 53 Ss-OWi 65/19 (33/19) - Nachweis eines qualifizierten Rotlichtverstoßes

OLG Brandenburg v. 28.02.2019: Zum Nachweis eines qualifizierten Rotlichtverstoßes durch Beobachtung aus dem Querverkehr


Das Oberlandesgericht Brandenburg (Beschluss vom 28.02.2019 - (2 B) 53 Ss-OWi 65/19 (33/19)) hat entschieden:

   Soll von Beobachtungen durch Zeugen aus dem Querverkehr auf einen qualifizierten Rotlichtverstoß geschlossen werden, ist diesen nicht von vornherein jeder Beweiswert abzusprechen. Solche Beobachtungen sind jedoch angesichts der in Betracht kommenden Fehlerquellen mit Unsicherheiten behaftet, denen die Beweiswürdigung in nachvollziehbarer Weise Rechnung tragen muss. In diesem Fall ist auf den automatisierten Programmablauf der Lichtzeichenanlage Bezug zu nehmen und aus dem Schaltprogramm der ordnungsgemäß funktionierenden Lichtzeichenanlage auf den Rotlichtverstoß zu schließen.


Siehe auch
Nachweis der Rotlichtdauer - Schätzung durch Polizeibeamte oder sonstige Zeugen
und
Stichwörter zum Thema Rotlichtverstöße


Gründe:


I.

Das Amtsgericht Bernau bei Berlin hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 21. November 2018 wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts eine Geldbuße von 200,- Euro sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt.

Nach den Feststellungen habe der Betroffene am ... 2018 um 00.00 Uhr an der Ampel in der S.... das Rotlicht missachtet und sei in den Bereich der Fußgängerampel hineingefahren, als diese grünes Licht für die Fußgänger zeigte.

Dagegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. Januar 2019 rechtzeitig begründet. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts.




Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt zu entscheiden, wie geschehen.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.


II.

Die Rechtsbeschwerde ist mit der Sachrüge zulässig und begründet. Die Urteilsgründe tragen nicht die festgestellte Verfehlung.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 30. Januar 209 das Folgende ausgeführt:

   „Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch wegen Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, deren Rotphase länger als 1 Sekunde dauert, nicht. Zwar unterliegen die Urteilsgründe in Bußgeldsachen keinen hohen Anforderungen, sie müssen jedoch so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung der Nebenfolge zugrunde liegen (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., 2012, § 71, Rn. 42 m. w. N.).

Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen, wie für den Rechtsfolgenausspruch (KK-​Senge OWiG 3. Aufl., § 71 Rn. 106; Göhler OWiG 15. Aufl. § 71 Rn. 42, 43, jeweils m. w. N.; OLG Bamberg VRS 114, 456/457; OLG Jena VRS 114, 458/459 f.; OLG Karlsruhe NZV 2007, 256/257; OLG Hamm NZV 2003, 295). Im Einzelnen bedeutet dies, dass die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der ordnungswidrigen Handlung gefunden werden, und zwar unter Darlegung des genauen Tatorts und der Tatzeit. Vielmehr müssen hinsichtlich der Beweiswürdigung die Urteilsgründe regelmäßig auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, ob und wie sich die Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder ob und inwieweit er die Einlassung für widerlegt ansieht.




Für die Berechnung der Rotlichtdauer ist der Zeitpunkt maßgebend und in den Urteilsgründen anzugeben, in dem der Betroffene an der Lichtzeichenanlage vorbeifährt (vgl. hierzu OLG Köln VRS 87, 147), bzw. der Zeitpunkt, in dem er die gegebenenfalls vorgelagerte Haltelinie (Zeichen 294 nach § 41 Abs. 3 Nr. 2 StVO) überfährt (vgl. hierzu BayObLG, VRS 87, 151).

Soll von Beobachtungen durch Zeugen aus dem Querverkehr auf einen qualifizierten Rotlichtverstoß geschlossen werden, ist diesen nicht von vornherein jeder Beweiswert abzusprechen. Solche Beobachtungen sind jedoch angesichts der in Betracht kommenden Fehlerquellen mit Unsicherheiten behaftet, denen die Beweiswürdigung in nachvollziehbarer Weise Rechnung tragen muss (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 01.09.2009 - 2 SsOWi 550/09). In diesem Fall ist auf den automatisierten Programmablauf der Lichtzeichenanlage Bezug zu nehmen und aus dem Schaltprogramm der ordnungsgemäß funktionierenden Lichtzeichenanlage auf den Rotlichtverstoß zu schließen. Die tatrichterlichen Schlussfolgerungen dürfen sich nicht so weit von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich nur Vermutungen darstellen. Um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der in Rede stehenden Schlussfolgerung allein anhand der Urteilsfeststellungen zu ermöglichen, muss in den Urteilsgründen daher in aller Regel der Programmablauf der Lichtzeichenanlage mitgeteilt werden; ein logischer Rückschluss allein reicht nicht aus (OLG Hamm, a. a. 0.).




Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Die Amtsrichterin hat in ihren Urteilsgründen nicht dargelegt, warum sie der Meinung ist, dass eine Fußgängerampel erst dann auf Grün umspringt, wenn die Ampel für den Straßenverkehr schon zumindest eine Sekunde lang Rot zeigt. Eine Einbeziehung und Verwertung des automatisierten Programmablaufs der Lichtzeichenanlage in diese Bewertung hat das Amtsgericht nicht vorgenommen. Im Ergebnis stützt es seine Feststellung, die Lichtzeichenanlage habe aus der Sicht des Betroffenen länger als 1 Sekunde rot gezeigt, auf die Vermutung, dass zum Zeitpunkt des Überquerens der Kreuzung durch den Betroffenen die Fußgänger bereits grün hatten (UA S. 4). Das Rechtsbeschwerdegericht kann lediglich anhand der Urteilsgründe nicht überprüfen, ob diese Annahme richtig ist (vgl. zu dieser Konstellation auch Schleswig-​Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 25. November 2016 - 2 SsOWi 160/16 (90/16) -, zitiert nach juris).“

Diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.

- nach oben -







Datenschutz    Impressum