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Oberverwaltungsgericht Lüneburg Urteil vom 25.07.2018 - 12 LC 150/16 - Schutzstreifen für Radfahrer

OVG Lüneburg v. 25.07.2018: Keine Klagebefugnis eines Radfahrers gegen Schutzstreifen für Radfahrer


Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Urteil vom 25.07.2018 - 12 LC 150/16) hat entschieden:

  1.  Ein durch Leitlinien (Zeichen 340) markierter Schutzstreifen für Radfahrer enthält weder rechtlich Verhaltenspflichten für Radfahrer, noch führt er tatsächlich für sie zu (Gesundheits-)Gefahren, etwa durch zu enge Überholvorgänge.

  2.  § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO eine Radwegebenutzungspflicht ausdrücklich nur für die dort genannten Fälle einschließlich des durch die Verkehrszeichen 237, 295 zu kennzeichnenden Radfahrstreifens, nicht aber für einen Schutzstreifen an. Dass diese Differenzierung gewollt ist, wird durch die Nrn. 8 ff. der VwV-StVO zu § 2 StVO unterstrichen. Zudem bliebe andernfalls unklar, worin sich Radfahrstreifen und Schutzstreifen für Radfahrer noch unterscheiden sollten.

  3.  Radfahrer sind daher gegen die Markierung eines solchen Schutzstreifens nicht klagebefugt.


Siehe auch
Schutzstreifen für Radfahrer - Angebotsstreifen
und
Stichwörter zum Thema Fahrrad und Radfahrer


Gründe:


I. Der Kläger wendet sich als Radfahrer gegen Schutzstreifen für Radfahrer, die weitgehend beidseitig, teilweise an Engstellen auch nur einseitig jeweils am rechten Fahrbahnrand der D. in E., einem Stadtteil der Beklagten, durch Markierungen (Zeichen 340) ausgewiesen sind.

Die D. ist als Teilstrecke einer ehemaligen Bundesstraße in West-​Ost-​Richtung die vorfahrtsberechtigte Hauptverkehrsstraße innerhalb von E., für LKW gesperrt und weist nach dem Stand des Jahres 2011 eine Verkehrsbelastung von rd. 700 Kfz/h auf. Auf einer Teilstrecke (Mitte bis Osten) ist die innerörtliche Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h herabgesetzt.

Nach den – teilweise vom Kläger bestrittenen – Angaben der Beklagten beträgt die Fahrbahnbreite in den Bereichen, in denen sich beidseitig Schutzstreifen befinden, rd. 7,30 m bis 7,39 m. Dabei entfielen jeweils unter anteiliger Einbeziehung der Markierungen 4,50 m auf den für den motorisierten Verkehr bestimmten Teil der Fahrbahn und auf die Schutzstreifen unter zusätzlicher Einbeziehung der nicht besonders abgesetzten Gosse mindestens 1,40 m. Soweit die Fahrbahnbreite nur rd. 6 m beträgt, wurde im Verlauf nur einseitig ein Schutzstreifen markiert. Die Nebenanlagen bieten wegen ihrer geringen Breite von – in weiten Teilen – nur rd. 1,70 m keinen hinreichenden Raum für den Radverkehr.

Auf der Grundlage eines zuvor erarbeiteten Radverkehrskonzepts beschloss die Beklagte als Straßenverkehrsbehörde unter dem 4. März 2015 (vgl. Bl. 285 ff. der Beiakte 1) die Anlegung von Schutzstreifen entlang der D. in dem o. a. Umfang zwischen dem Beginn der Ortsdurchfahrt (im Osten) und der Kreuzung mit der Zollstraße (im Westen). Im Juni 2015 wurden dieser Beschluss umgesetzt und die in Rede stehenden Schutzstreifen entsprechend markiert.

Am 3. August 2015 hat der Kläger den Verwaltungsrechtsweg beschritten und zur Begründung vorgetragen, auch Schutzstreifen für Radfahrer seien an § 45 (Abs. 9) StVO zu messen; die danach erforderliche besondere Gefahr fehle hier jedoch ebenso wie eine sachgerechte Ermessensausübung. Zudem würden die in den sog. Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (= ERA 2010) vorgesehenen Regel- bzw. Mindestmaße sowohl für die Schutzstreifen als auch für den dazwischenliegenden, für den KfZ-​Verkehr bestimmten Teil der Fahrbahn unterschritten; dabei beruht die zwischen den Beteiligten unterschiedliche Einstufung im Wesentlichen darauf, dass die Beklagte nach Ansicht des Klägers zu Unrecht auch den (nicht befahrbaren) Rinnstein/Gosse sowie die Markierungen mit in die Berechnungen einbezogen habe. Zu Unrecht seien ferner jeweils Mindestmaße kombiniert worden. Die konkrete Ausführung der Schutzstreifen verursache zudem für Fahrradfahrer gefährliche Situationen und verletzte ihn daher in Art. 2 GG. Denn die Schutzstreifen seien nicht auf ganzer Länge der Ortsdurchfahrt beidseitig vorhanden. Außerdem glaubten Kraftfahrer gerade wegen des Schutzstreifens, sie könnten sich trotz Gegenverkehrs noch irgendwie am Radfahrer „vorbeiquetschen“. Schutzstreifen provozierten schließlich Kraftfahrer zum Überholen von Fahrradfahrern ohne genügenden seitlichen Abstand.




Der Kläger hat beantragt,

   die Schutzstreifenregelung (Verkehrszeichen 340) in beiden Richtungen auf der D. in der Ortsdurchfahrt des Stadtteils E. der Beklagten zwischen dem Beginn der Ortsdurchfahrt und der Kreuzung mit der F. aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die entsprechenden Markierungen auf der Fahrbahn zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt,

   die Klage abzuweisen,

und sich zur Begründung auf die dem Kläger als Radfahrer fehlende Klagebefugnis berufen. Im Übrigen entsprächen die markierten Seitenstreifen den Mindestanforderungen der ERA 2010.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Kläger fehle die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis. Denn er könne durch die Schutzstreifenmarkierung in beiden Richtungen auf der D. offensichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt sein. Abzustellen sei dabei auf die von ihm allein geltend gemachte Eigenschaft als Radfahrer. Radfahrer würden jedoch durch einen auf der Fahrbahn befindlichen Schutzstreifen nicht mit einem Ge- oder Verbot belastet.




Zwar handele es sich bei der Anordnung eines Schutzstreifens durch Markierungen nach dem Abschnitt 8 [Nr. 22] der Anlage 3 [zu § 42 StVO] grundsätzlich um ein Richtzeichen i. S. v. § 42 Abs. 1 StVO [und damit nach § 39 Abs. 2 Satz 2 StVO um ein Verkehrszeichen] und habe gemäß § 42 Abs. 2 StVO ein Verkehrsteilnehmer die durch Richtzeichen nach Anlage 3 zur StVO angeordneten Ge- und Verbote zu befolgen. Entsprechende Gebote beinhalte die Markierung eines Schutzstreifens nach ihrem Sinn und Zweck sowie der Systematik und der Entstehungsgeschichte nur für andere Verkehrsteilnehmer, nicht aber für Radfahrer. Zwar heiße es in „Nr. 1 der Erläuterungen“ zu Zeichen 340, wer ein Fahrzeug führe, dürfe Leitlinien nicht überfahren, wenn dadurch der Verkehr gefährdet werde. Daraus könnte sich ein Ge- bzw. Verbot auch für Radfahrer ergeben, die Schutzstreifen nur bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen zu überfahren. Die speziellen Ge- und Verbote, die aus der Markierung von „Schutzstreifen für den Radverkehr“ folgten, seien aber in den „Nrn. 2 und 3 der Erläuterungen zu Zeichen 340“ geregelt. Danach dürfe, wer ein Fahrzeug führe, auf der Fahrbahn durch Leitlinien markierte Schutzstreifen für den Radverkehr nur bei Bedarf überfahren; der Radverkehr dürfe dabei nicht gefährdet werden (Nr. 2). Nach Nr. 3 dürfe, wer ein Fahrzeug führe, auf durch Leitlinien markierten Schutzstreifen für den Radverkehr nicht parken. Nach dem Regelungszusammenhang diene ein Schutzstreifen also ausschließlich dem Zweck, den Radverkehr vor Gefährdungen zu schützen, die von anderen Fahrzeugen ausgingen; Radfahrer unterlägen deshalb nicht dem Gebot nach Nr. 1. Dieses Ergebnis werde durch die Begründung zur Änderungsverordnung vom 7. September 1997 (VkBl 97, 690) bestätigt. Danach müsse der Radverkehr, wenn ein Schutzstreifen markiert sei, diesen (bereits) entsprechend dem in § 2 Abs. 2 StVO normierten (allgemeinen) Rechtsfahrgebot benutzen.

Aus den Verwaltungsvorschriften zur StVO (= VwV-​StVO) ergebe sich nichts Anderes. Die in Nr. I 5 Satz 3 und 4 VwV-​StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO (Nr. 12 Satz 3 und 4 VwV-​StVO zu § 2 StVO) enthaltenen Anforderungen an die Mindestbreite des Schutzstreifens und der übrigen Fahrbahn richteten sich an die Straßenverkehrsbehörde.

Von der Anordnung der Schutzstreifen bzw. diesen selbst gehe auch kein der Beklagten zurechenbarer Grundrechtseingriff zum Nachteil des Klägers aus. Denn die von ihm beschriebenen, aus der Enge und der Beschaffenheit der Fahrbahn herrührenden Gefahren für Radfahrer auf dem in Rede stehenden Streckenabschnitt der D. bestünden auch dann, wenn die Schutzstreifen dort nicht markiert wären. Seine weiter gehende Behauptung, die Markierung von einseitigen, alternierenden Schutzstreifen - wie teilweise vorliegend – provoziere Kraftfahrzeugführer zum Überholen ohne den notwendigen Abstand, fände jedenfalls in dem neuesten, vom Kläger angeführten wissenschaftlichen Schrifttum keine Stütze.

Nach Zustellung dieses Urteils am 5. Juli 2016 hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung dort am 3. August 2016 eingelegt und am 24. August 2016 beim erkennenden Gericht begründet. Es sei zwar richtig, dass Radfahrer Schutzstreifen nicht benutzen müssten; diese Ansicht habe sich aber bislang juristisch nicht durchgesetzt. Deshalb habe das Verwaltungsgericht auch die sich aus der Anordnung von Schutzstreifen für Radfahrer ergebenden, von ihm bereits erstinstanzlich beschriebenen Gesundheitsgefahren verkannt; eine Auseinandersetzung hiermit müsse Gegenstand der Begründetheit der Klage sein. Ohne den Schutzstreifen würde und dürfe er als Radfahrer im Übrigen weiter links auf der Fahrbahn fahren. Seine Klagebefugnis ergebe sich aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG. Er werde „durch die streitgegenständliche Anordnung gezwungen, so nah am Kantstein und im Rinnstein zu fahren, dass er dadurch zusätzlich an Leib und Leben gefährdet werde“. Zudem werde er durch die – ihm bußgeldbewehrt aufgezwungene – veränderte Fahrspur Gefahren durch zu nah überholende KfZ ausgesetzt; dürfe er weiter links fahren, gebe es diese Gefahr nicht. Die Beklagte treffe eine Verkehrsregelungspflicht, die sie missachtet habe. Die Klage sei auch begründet, weil es auf der Sprengelstraße als „wenig befahrener E. an jeder Gefahrenlage“ mangele und kein Ermessen ausgeübt worden sei. Beklagte und Verwaltungsgericht hätten die kraft Verweisung in den VwV-​StVO nach den ERA 2010 zur Abwehr von Gefahren geltenden, hier nicht gewahrten Mindest- bzw. Regelmaße zu Unrecht übergangen; Gleiches gelte für bezeichnete, das sichere Befahrbaren ausschließende Mängel der in Rede stehenden Schutzstreifen.

Der Kläger beantragt,

   das auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2016 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover – 7. Kammer – zu ändern und die Schutzstreifenregelung (Verkehrszeichen 340) in beiden Richtungen auf der D. in der Ortsdurchfahrt des Stadtteils E. der Beklagten zwischen dem östlichen Beginn der Ortsdurchfahrt und der Kreuzung mit der „F.“ aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die entsprechenden Markierungen auf der Fahrbahn zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt zur Begründung das angegriffene Urteil. Die Markierung eines Schutzstreifens lege dem Kläger als Radfahrer keine nicht bereits jetzt bestehenden Pflichten auf und gefährde ihn auch nicht zusätzlich. Denn auch ohne Schutzstreifen müsse er rechts fahren und sehe sich den von ihm weiterhin geltend gemachten Gefahren ausgesetzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Beiakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.





II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Denn der Rechtssache kommt für die Beteiligten keine besondere Bedeutung zu und der Fall wirft aus den folgenden Gründen keine entscheidungserheblichen ungeklärten tatsächlichen Fragen auf; die maßgeblichen Rechtsfragen sind schriftsätzlich sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hinreichend erörtert worden sowie nach Ansicht des Senats nicht von grundsätzlicher Bedeutung.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend die nach § 42 Abs. 2 VwGO für die erhobene Anfechtungsklage erforderliche Klagebefugnis des Klägers verneint; eine Entscheidung über den gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Wege gestufter Klage (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.9.1988 - 4 C 26/88 -, juris, Rn. 17) mit dem Anfechtungsbegehren verbundenen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch war damit entbehrlich.

Zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO auch dann erforderlich gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.4.2016 - 1 C 3/15 -, juris, Rn. 16, m. w. N.) – hier aber fehlte –, wenn man den ergänzend gestellten Leistungsantrag des Klägers als eigenständig verstanden hätte.

1. Dem Verwaltungsgericht ist zunächst in der Annahme zu folgen, dass der Kläger nicht bereits als Adressat eines ihn belastenden Verwaltungsaktes klagebefugt ist. Denn die angegriffene Anordnung von Schutzstreifen enthält gegenüber dem ausschließlich in seiner Eigenschaft als Radfahrer klagenden Kläger schon keine Regelung (a), hilfsweise jedenfalls keine ihn vorliegend eigenständig belastende (b).

a) Insoweit wird zur Begründung zunächst auf die Ausführungen auf den Seiten 5 bis 6 oben (1. Absatz) des erstinstanzlichen Urteils verwiesen. Ergänzend sprechen neben dem Wortlaut – „Schutzstreifen für den Radverkehr“ bzw. vormals (inoffiziell) sogar „Angebotsstreifen“ – die folgenden weiteren systematischen und teleologischen Argumente für dieses Verständnis.

So ordnet § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO eine Radwegebenutzungspflicht ausdrücklich nur für die dort genannten Fälle einschließlich des durch die Verkehrszeichen 237, 295 zu kennzeichnenden Radfahrstreifens, nicht aber für einen Schutzstreifen an. Dass diese Differenzierung gewollt ist, wird durch die Nrn. 8 ff. der VwV-​StVO zu § 2 StVO unterstrichen. Zudem bliebe andernfalls unklar, worin sich Radfahrstreifen und Schutzstreifen für Radfahrer noch unterscheiden sollten.

Aus Nr. 3.4 des Bußgeldkatalogs (Anlage zu § 1 Abs. 1 Bußgeldkatalogverordnung) ergibt sich keine andere Beurteilung. Schon nach der Verordnungsermächtigung (§ 26a StVG) kann der Bußgeldkatalog nur die Folgen eines Verstoßes gegen ein bestehendes Ge- oder Verbot regeln, nicht aber eigenständig neue Ge- oder Verbote enthalten. Allenfalls kann sich daher aus einem im Bußgeldkatalog enthaltenen Tatbestand im Wege der systematischen Auslegung ein Indiz für die Annahme ergeben, der Verordnungsgeber habe aus seiner Sicht bereits anderweitig, also insbesondere in der StVO, ein entsprechendes Ge- oder Verbot geregelt. Auch unter diesem Gesichtspunkt rechtfertigt die o. a. Nr. 3.4 aber nicht die Annahme, die Markierung eines Schutzstreifens für Radfahrer enthalte für diese eine eigenständige (und sie belastende) (Benutzungs-​)Regelung. Denn diese Nummer betrifft ein Verstoß „gegen das Rechtsfahrgebot durch Nichtbenutzen eines markierten Schutzstreifens als Radfahrer“ und nicht gegen einen „markierten Schutzstreifen“; dementsprechend wird als Rechtsgrundlage auch nicht § 42 Abs. 2 StVO, sondern § 2 Abs. 2 StVO angeführt. Wie ein Vergleich mit den Folgen eines allgemeinen Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot durch Nichtbenutzen der rechten Fahrbahnseite nach Nr. 3.1 zeigt, enthält Nr. 3.4 insoweit sogar eine weitere Privilegierung für Radfahrer. Denn ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot bei einem Schutzstreifen für Radfahrer mit Behinderung führt nach Nr. 3.4.1 „nur“ zu einem Regelsatz von 20 EUR und nicht – wie in Nr. 3.1.1 – zu einem solchen von 25 EUR.




Ferner ist in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO ausdrücklich der Schutzstreifen für den Radverkehr (Zeichen 340) – nicht aber der Radfahrstreifen – von den strengen Anordnungsvoraussetzungen des Satzes 1 freigestellt und dies amtlich (vgl. den Abdruck bei König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 45 StVZO, Rn. 8c a. E.). gerade mit der Förderung des Radverkehrs begründet worden. Diese Begründung wäre nicht nachvollziehbar, wenn ein solcher Schutzstreifen vom Normgeber nicht als Begünstigung, sondern als (auch nur potentielle) Belastung für den Radverkehr eingestuft worden wäre.

Schließlich ordnet auch die ebenfalls durch das Zeichen 340 markierte Mittelleitlinie keine Benutzungspflicht an, sondern gilt auch insoweit das Rechtsfahrgebot.

Im Übrigen geht der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter selbst auf Seite 3 Mitte der Berufungsbegründung davon aus, dass es „keine Benutzungspflicht“ eines Schutzstreifens für Radfahrer gebe. Der von ihm stattdessen geltend gemachte vermeintliche Klarstellungsbedarf kann die insoweit gegenüber einem Radfahrer fehlende Regelungswirkung des in Rede stehenden Verkehrszeichens 340 nicht ersetzen.

Die Beklagte vertritt keine gegenteilige Ansicht, sondern sieht eine etwaige Benutzungspflicht eines Schutzstreifens zutreffend nur mittelbar im Rechtsfahrgebot begründet (vgl. bereits S. 33 ihres Radverkehrskonzepts, Bl. 38 der Beiakte 1, sowie ihre Vorlage Bl. 102, 106 der Beiakte 1) und durch dieses auch begrenzt (vgl. König, a. a. O., § 2 StVZO, Rn. 69, m. w. N.). Der Beklagten gegenüber besteht deshalb auch kein Feststellungsinteresse i. S. d. § 43 Abs. 1 VwGO, so dass es nicht sachgerecht gewesen wäre, gemäß § 86 Abs. 3 VwGO eine dahingehende Umstellung des Klageantrages anzuregen.

b) Selbst wenn man jedoch entgegen den vorherigen Ausführungen annähme, die Markierung eines Schutzstreifens enthalte auch für Radfahrer ein Ge- oder Verbot, so könnte es sich allenfalls um das aus Spalte 3 Nr. 1 zur Lfd. Nr. 22 (zum Zeichen 340) in der Anlage 3 zu § 42 StVO aufgeführte Verbot handeln, diese Markierung (nach links) zu überfahren, wenn dadurch der Verkehr gefährdet wird. Auch dann gilt also kein vom Kläger in den Raum gestelltes allgemeines Verbot, als Radfahrer stets nur rechts von der Markierung zu fahren oder auch bei einem schlechten Zustand des Schutzstreifens oder unter sonstiger Selbstgefährdung nach links auszuweichen. Dass er bei einem solchen Überschreiten den Verkehr nicht gefährden darf, ergibt sich im Übrigen bereits aus der Grundregel des § 1 Abs. 2 StVO sowie dem Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO und belastete den Kläger als Radfahrer demnach nicht (zusätzlich), so dass es ihm auch dann an der Klagebefugnis, zumindest aber am Rechtsschutzbedürfnis für die Klage mangelte.

2. Eine rechtliche Regelung zum Nachteil des Klägers ergibt sich auch nicht aus Nr. 12 Satz 3 und 4 sowie Nr. 13 VwV-​StVO zu § 2 StVO. Schon wegen des Vorbehalts des Gesetzes reicht für eine solche belastende Regelung eine Verwaltungsvorschrift wie die VwV-​StVO nicht aus, und erst recht nicht die in den Nr. 13 ergänzend in Bezug genommenen ERA 2010. Satz 3 der genannten Nr. 12 kann daher nicht so verstanden werden, dass der Schutzstreifen, der danach „einschließlich des Sicherheitsraumes einen hinreichenden Bewegungsraum für den Radfahrer bietet“, von einem Radfahrer auch zwingend zu benutzen ist; ebenso wenig lassen sich aus diesem und dem folgenden Satz, wonach der abzüglich des Schutzstreifens verbleibende Fahrbahnanteil einen Begegnungsverkehr von zwei PKW ermöglichen muss, verbindliche Regelungen zu Lasten der Radfahrer über den von PKW zu ihnen einzuhaltenden Mindestabstand entnehmen.

Den Nrn. 12 und 13 VwV-​StVO zu § 2 StVO kann allenfalls über Art. 3 GG Außenwirkung hinsichtlich der hier nicht streitigen Frage zukommen, unter welchen Voraussetzungen zugunsten von Radfahrern ein Schutzstreifen verwirklicht werden kann.

Deutlich wird die fehlendende rechtliche Belastungswirkung des Schutzstreifens auch dadurch, dass sich die Rechtslage des Klägers als Radfahrer bei dem Wegfall des Schutzstreifens nicht verbesserte, sondern eher verschlechterte. Dann entfielen die in Spalte 3 Nrn.2 und 3 zur Lfd. Nr. 22 (zum Zeichen 340) in der Anlage 3 zu § 42 StVO aufgeführten Verbote zu Lasten von anderen, d. h. motorisierten, Fahrzeugen und zugunsten der Radfahrer; erkennbare Vorteile entstünden dem Kläger als Radfahrer hingegen nicht.

Schließlich würde auch eine Änderung des Antrags hin zu einem Verpflichtungsbegehren auf Einrichtung eines breiteren Schutzstreifens oder einer stärkeren Separation des Radverkehrs nicht dem Begehren des Klägers entsprechen. Vielmehr rügt er, dass ein den Vorgaben der ERA 2010, so wie er sie versteht, genügender Schutzstreifen mangels hinreichender Breite auf der Sprengelstraße nicht umsetzungsfähig sei, und ist er auch nicht dem Vorbringen der Beklagten entgegengetreten, dass es an hinreichendem Platz für getrennte Radwege mangelt. Außerdem sind nach seinem Vorbringen die dafür gemäß § 45 StVO erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben.

3. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht seiner weiteren Prüfung zugrunde gelegt, dass sich die Klagebefugnis auch aus einem Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.4.2016, a. a. O., Rn. 17 f.) und ein solcher in faktischen Wirkungen der Schutzstreifen liegen kann.

Den Kläger als Radfahrer nachteilige faktische Wirkungen in Gestalt eines „provozierten“ Überholens mit unzureichendem Sicherheitsabstand hat das Verwaltungsgericht vorliegend aber zutreffend verneint.

Es kann deshalb offen bleiben, ob zur Begründung der Klagebefugnis unter dem Gesichtspunkt der faktischen Gesundheitsgefährdung von Radfahrern überhaupt eine Gefahrerhöhung bei einzelnen Überholvorgängen ausreichend oder nicht stattdessen eine bilanzierende Gesamtgefahrbetrachtung angezeigt wäre, bei der auch die in der Literatur beschriebenen Vorteile von Schutzstreifen wie die geringere Unfallschwere, die bessere Sichtbarkeit von Radfahrern und die Möglichkeit, etwa an Ampeln besser an wartenden Autos vorbei und aus deren „Toten Winkel“ fahren zu können (vgl. dazu S. 39 des Radverkehrskonzepts der Beklagten, Bl. 44 der Beiakte 1), einzubeziehen wären.

Soweit der Kläger eine Gefahr des zu engen Überholens durch PKW darin begründet sieht, dass er ohne den Schutzstreifen weiter links fahren dürfe, trifft diese Annahme aus den o. a. Gründen nicht zu. Damit hat er es selbst in der Hand, so begründeten Gefahren zu begegnen.

Eine relevante Gefahrerhöhung könnte sich demnach nur dadurch ergeben, dass gerade die zusätzliche Markierung andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere also Fahrer von PKW, dazu veranlasse, nunmehr Radfahrer gefährdend zu überholen. Hiervon kann jedoch aus den folgenden Gründen ersichtlich nicht ausgegangen werden.


a) Den anderen Verkehrsteilnehmern kann kein rechtswidriges Verhalten unterstellt werden kann (vgl. nur Sächs. OVG, Beschl. v. 3.3.2015 - 3 B 275/14 -, juris, Rn. 11 f., sowie B., NZV 2017, 89, wonach der sich rechtswidrig verhaltende Verkehrsteilnehmer als Störer in Anspruch genommen werden müsse).

Die Markierung von Schutzstreifen enthält keine Regelung zum erforderlichen Sicherheitsabstand beim Überholen von Radfahrern und bestimmt insbesondere nicht, dass ein Überholen außerhalb des Schutzstreifens stets zulässig sei. Sie lässt vielmehr die spezielle Regelung in § 5 Abs. 4 Satz 2 und 4 StVO unberührt. Danach bleibt ein Überholvorgang ohne hinreichenden Sicherheitsabstand auch außerhalb des Schutzstreifens rechtswidrig. Im Übrigen muss nach Nr. 12 Satz 4 VwV-​StvO zu § 2 StVO „der abzüglich Schutzstreifen verbleibende Fahrbahnanteil“ (nur) „so breit sein, dass sich zwei PKW gefahrlos begegnen können“, nicht aber noch weiter gehend auch ein Überholen von Radfahrern trotz Gegenverkehrs möglich sein. Der Normgeber geht also davon aus, dass PKW-​Fahrer bei der Markierung eines Schutzstreifens ggf. länger als ohne einen solchen mit dem Überholen von Radfahrern warten.

Sollten insoweit die vom Kläger geltend gemachten Unklarheiten bei PKW-​Fahrern bestehen, wäre es daher Aufgabe der zuständigen Behörden, hier zunächst aufklärend tätig zu werden; einer bewussten Missachtung ist repressiv mit den Mitteln der Verkehrsüberwachung zu begegnen (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 18.6.2014 - 7 LA 168/12 - juris, Rn. 20, und v. 27.3.2014 - 7 KS 177/11 -, juris, Rn. 46).

aa) Die Beklagte hat selbst trotz der inzwischen mehrjährigen Erfahrungen keine entsprechenden Verstöße festgestellt. Ihr liegen auch keine dahingehenden Meldungen von der Polizei vor. Dies kann nicht pauschal der „Windschutzscheibenperspektive der Sachbearbeiter“ zugeschrieben werden – wie es der Kläger tut.

 bb) Ebenso wenig reicht der Verweis auf die vermeintlich eine solche Gefahr, allgemein oder bei Straßen mit geringer Breite, belegende Fachliteratur zur „Verkehrsunfallforschung“ aus; entsprechende hinreichend konkrete Belege für diese These fehlen nämlich.

Dass das aktuellste vom Kläger angeführte Gutachten des G. – gerade zu „schmalen Fahrbahnen“ – diese These nicht stützt, hat bereits das Verwaltungsgericht auf Seite 6 unten seines Urteils unter auszugsweiser Zitierung aus diesem Gutachten ausgeführt. In diesem Gutachten finden sich auf Seite 6 ergänzend die folgenden Sätze:

   „Auf Kernfahrbahnen zeigt sich eine Mittenorientierung des Kfz-​Verkehrs, somit verbreitern sich die Überholabstände. Weitere Studien … zeigen, dass bei Schutzstreifen PKW-​Überholungen von Radfahrern bei gleichzeitigem Entgegenkommen von LKW bzw. Bussen vermieden werden. Schutzstreifen führen durch eine optische Verengung der Fahrbahn zu einer Reduktion der Kfz-​Geschwindigkeiten. Die Wahrscheinlichkeit von schwersten Verletzungen im Falle von Kollisionen kann mittels Schutzstreifen somit vermindert werden ...“

Der Kläger hat auf gerichtliche Nachfrage auch mit Schriftsatz vom 17. Juli 2018 keine konkreten Belege bezeichnet, aus denen sich – für die hier gegebenen örtlichen Verhältnisse – Anderes ergebe. Ein solcher Zusammenhang ist überzeugend nur durch Vergleiche der Situationen auf Straßen mit ähnlichen Verhältnissen vor und nach der Markierung von Schutzstreifen zu belegen, soweit solche Vergleiche erfolgt sind. Nach den hierauf bezogenen, bereits von der Beklagten in ihrem Vermerk vom 30. September 2016 (vgl. Bl. 110 der Gerichtsakte) in Bezug genommenen Nrn. 6.5.4 und 6.6.4 des BASt-​Berichts V74 aus dem Jahr 2000 zeigten sich jedoch „in allen Fällen Verbesserungen ... im Überholungsfall Rad-​KfZ“ bzw. „haben die Angebotsstreifen … weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung herbeigeführt“.



Dass bei vorhandenen Schutz-​(oder) Angebotsstreifen der erforderliche Abstand beim Überholen von Radfahrern nicht immer bzw. teilweise sogar überwiegend nicht eingehalten wird – worauf der Kläger verweist –, lässt hingegen keine Aussage zur Ursache für dieses Verhalten zu. Ebenso wenig kann aus den Empfehlungen zur Mindestbreite von Fahrbahnen mit Schutzstreifen in den ERA 2010 mit dem Kläger geschlossen werden, dass die Unterschreitung oder auch nur die Kombination von Mindestbreiten zu den in Rede stehenden Gefahren gerade bedingt durch die Markierung von Schutzstreifen führe. Deutlich wird dies u. a. durch die vom Kläger zitierte Zusammenfassung des BASt-​Berichts V74. Soweit danach von einem Einsatz von (Angebots- bzw. Schutz-​)Streifen bei einer Gesamtfahrbahnbreite von unter 7,50m abgeraten wird, beruht diese Empfehlung auf der Annahme, der Radfahrer könne dann durch die Wahl seines Abstandes zum Fahrbahnrand den Verkehrsablauf zu seinem Vorteil beeinflussen. Eine solche „Wahlmöglichkeit“ wird aber – wie ausgeführt – nicht durch die Markierung eines Schutzstreifens begrenzt, sondern durch das auch ohne einen solchen Streifen geltende Rechtsfahrgebot.

Mangels Erheblichkeit war daher weder zur Breite oder zum Zustand der Sprengelstraße noch zu Einzelheiten der ERA 2010 Beweis zu erheben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

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