Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Amtsgericht Kassel Urteil vom 12.07.2019 - 435 C 119/19 - Mietwagenkosten - Mittelwert der Listen von Fraunhofer und Schwacke

AG Kassel v. 12.07.2019: Mietwagenkosten sind nach dem Mittelwert der Listen von Fraunhofer und Schwacke anzusetzen


Das Amtsgericht Kassel (Urteil vom 12.07.2019 - 435 C 119/19) hat entschieden:

   Mietwagenkosten sind nach einem Verkehrsunfall regelmäßig nach dem Mittelwert der Listen von Fraunhofer und Schwacke erstattungsfähig. Der Geschädigte braucht sich dabei nicht alleine wegen des Alters seines Fahrzeuges auf die nächstniedrigere oder noch niedrigere Fahrzeugklassen verweisen lassen; er muss sich lediglich einen Abzug wegen ersparter Eigenaufwendungen gefallen lassen.

Ein Geschädigter kann regelmäßig nicht erkennen, dass die abgerechneten Kosten einer Innenreinigung im Zusammenhang mit der Fahrzeugreparatur nicht erforderlich sind mit der Folge, dass der Schädiger das Risiko einer fehlerhaften Abrechnung durch die Werkstatt trägt.


Siehe auch
Der Unfallersatztarif
und
Einzelne Schadenspositionen in der Unfallregulierung


Tatbestand:


Von der Darstellung wird gem. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.


Entscheidungsgründe:


Nach dem als zugestanden anzusehenden Sachverhalt ist die Klage aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der §§ 7, 17 StVG, 3 PflVersG, 115 VVG begründet.

Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach für den Verkehrsunfall vom 6. 20. 2. 2018 in der A in B, bei dem der Pkw der Klägerin beschädigt wurde, ist zwischen Parteien unstreitig.




Der Einwand der Beklagten, der Klägerin fehle es an der Aktivlegitimation zur Geltendmachung von Kosten der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges für die Dauer der Reparatur Ihres beschädigten PKW, geht bereits im Ansatz fehl. In der Sache meint die Beklagte wohl, die Klägerin könne allenfalls Freistellung statt Zahlung verlangen, solange sie die Mietwagenkostenrechnung nicht ausgeglichen habe. Dies ist jedoch keine Frage der Aktivlegitimation (d.h. der Berechtigung, eine Forderung geltend zu machen), sondern eine Frage des Anspruchsgegenstandes. Die Klägerin kann jedoch jedenfalls im jetzigen Stand der Regulierung der Unfallschäden Zahlung an sich verlangen, da die Beklagte noch im Prozess Ihre Einstandspflicht hinsichtlich der restlichen Mietwagenkosten generell in Abrede gestellt hat. In einer solchen Situation wandelt sich der Freistellungsanspruch automatisch in einen Zahlungsanspruch. Denn § 250 BGB eröffnet dem Geschädigten die Möglichkeit, unabhängig von den §§ 249 Abs. 2, 251 BGB, einen Geldersatz zu gelangen. Nach § 250 S. 2 BGB geht ein Befreiungsanspruch in einen Geldanspruch zwar erst dann über, wenn der Geschädigte dem Schädiger erfolglos eine Frist gesetzt hat. Die Fristsetzung ist jedoch entbehrlich, wenn der Schadenersatzpflichtige die Leistung eindeutig ablehnt, d.h. ernsthaft und endgültig verweigert. Wenn sich der Ersatzpflichtige ernsthaft und endgültig weigert, den Geschädigten von kausal entstandenen Kosten freizustellen oder überhaupt jede Schadensersatzleistung ablehnt (ggf. auch durch sein prozessuales Verhalten, BGH NJW 1999, 1542), kann der Geschädigte unmittelbar auf Zahlung klagen und ist im Hinblick auf § 250 BGB nicht auf die Geltendmachung eines Freistellungsanspruchs beschränkt (OLG Oldenburg NJW-​RR 2012, 927; LG Hamburg SP 2013, 32). Der Befreiungsanspruch wandelt sich folglich spätestens in demjenigen Zeitpunkt in eine Geldforderung um, in welchem der Berechtigte Geldersatz fordert (BGH NJW-​RR 2011, 910; BGH NJW 1992, 2221; AG Kassel, Urteil vom 15.03.2019 - 431 C 3409/18, zit. n. juris, und Urteil vom 28.01.2019 – 435 C 3410/18, zit. n. juris).

Von den nicht regulierten Mietwagenkosten kann die Klägerin noch weitere 179,96 € geltend machen. Erstattungsfähig sind die Mietwagenkosten der Höhe nach, soweit der geltend gemachte Betrag ortsüblich und angemessen ist. Bei der Ermittlung der ortsüblichen Mietwagenkosten darf sich das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Schätzung gemäß § 287 ZPO an einschlägigen veröffentlichten Tabellen orientieren, beispielsweise anhand der Listen von Schwacke oder Fraunhofer (BGH, Urteil vom 18.12.2012 - VI ZR 316/11, zit. n. juris = MDR 2013, 334). Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts sind danach jedenfalls Mietwagenkosten in Höhe des Mittelwertes der beiden vorgenannten Listen erstattungsfähig (AG Kassel, Urteil vom 17.02.2011 - 414 C 2182/09, zit. n. juris; AG Kassel, Urteil vom 19.09.2013 – 435 C 1898/13, zit. n. juris; AG Kassel, Urteil vom 11.01.2019 – 435 C 3543/18 und Urteil vom 28.01.2019 – 435 C 3410/18, zit. n. juris). Vor dem Hintergrund dieser langjährigen ständigen Rechtsprechung dieses Gerichts (das insoweit mit derjenigen des übergeordneten LG Kassel konform geht) ist eine erneute Auseinandersetzung mit der von der Beklagten angeführten teilweise abweichenden, teilweise auch überholten anderslautenden Rechtsprechung anderer Instanzgerichte entbehrlich.




Die Klägerin braucht sich dabei auch nicht darauf verweisen zu lassen, alleine wegen des Alters Ihres Fahrzeuges die Einstufung der erstattungsfähigen Mietwagenkosten in einer niedrigeren Fahrzeugklasse hinnehmen zu müssen, als es dem durch den Unfall beschädigten PKW entspricht. Denn grundsätzlich hat der Schädiger gemäß § 249 BGB den Geschädigten so zu stellen, wie er ohne den Schadensfall stünde. Dies führt dazu, dass regelmäßig diejenigen Mietwagenkosten erstattungsfähig sind, die entstehen, wenn für die Dauer der Reparatur ein Mietwagen angemietet wird, der aus derselben Fahrzeugklasse stand wie das beschädigte Fahrzeug. Denn der Geschädigte kann vom Schädiger als erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger und wirtschaftlich denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten darf. Das hieraus abzuleitende Wirtschaftlichkeitsgebot erlaubt mithin die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges (BGH NJW 2013, 1870). Das Alter des beschädigten Fahrzeuges kann dabei naturgemäß keine Rolle spielen, weil das Alter nicht die Gleichwertigkeit der Fahrzeuge hinsichtlich ihres Gebrauchs im Alltag bestimmt (so auch OLG Hamm, Urteil vom 26.01.2000 – 13 U 149/99, zit. n. juris).

Allerdings muss sich der Geschädigte für die Dauer der Anmietung einen Abzug wegen ersparter Aufwendungen für sein eigenes Fahrzeug in Abzug bringen lassen. Gemäß § 2. 87 ZPO schätzt das Gericht diese Ersparnis in Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung mit einem Anteil von 10 % der Mietwagenkosten (OLG Hamm, a.a.O. und implizit auch BGH NJW 2013, 1870). Diesem Abzug kann ein Geschädigter dann entgehen, wenn er ein Fahrzeug aus der nächst niedrigeren Fahrzeugklasse anmietet (BGH a.a.O.), was die Beklagte hier jedoch nicht getan hat.




Dies führt dazu, dass die von der Klägerin in der Klageschrift angegebenen Werte der Listen von Fraunhofer und Schwacke bei der Berechnung der erstattungsfähigen Mietwagenkosten unverändert heranzuziehen sind. Folglich ist erstattungsfähig der Mittelwert von 640,11 € netto, von dem dann der Anteil für ersparte Aufwendungen i.H.v. 10 % abzuziehen ist, mithin 64,01 €. Es verbleiben somit 576,10 € netto an erstattungsfähigen Kosten.

Darüber hinaus ist der Aufschlag für Winterreifen erstattungsfähig. Denn der Verkehrsunfall ereignete sich im Winterhalbjahr, so dass jederzeit mit winterlichen Straßenbedingungen zu rechnen war somit der Gebrauch von Winterreifen geboten ist. Somit ist es nicht zu beanstanden, wenn der Winterzeit Fahrzeuge vermietet werden, die entsprechend ausgestattet sind. Soweit diese Winterausstattung in Gestalt von Winterreifen gesondert berechnet wird, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an (BGH NJW 2013, 1870). Damit sind weitere 102,30 € netto wie von der Klägerin vorgetragen erstattungsfähig.

Insgesamt ergibt sich damit auf die Schadensposition Mietwagenkosten ein erstattungsfähiger Betrag von 678,40 € netto bzw. 807,30 € brutto. Unter Berücksichtigung der anteiligen vorprozessualen Zahlung der Beklagten auf dieses Schadensposition i.H.v. 627,34 € sind noch weitere 179,96 € von der Beklagten zu zahlen.

Darüber hinaus hat die Beklagte die abgerechneten Kosten für die Innenreinigung des verunfallten PKW der Klägerin zu erstatten. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (zuletzt Urteile vom 05.06.2018 – 435 C 923/18 und vom 28.01.2019 – 435 C 3410/18, zit. n. juris) sind im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem diejenigen Abrechnungspositionen der Reparaturrechnung zu erstatten, bei denen vom Geschädigten nicht verlangt werden kann, dass er die fehlende inhaltliche Berechtigung erkennen musste. Denn nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Schädiger verpflichtet, den Geschädigten so zu stellen, als hätte das schädigende Ereignis nicht stattgefunden. Im Falle der Sachbeschädigung bedeute dies, dass die notwendigen Reparaturkosten zu erstatten sind, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen (vgl. BGHZ 115, 364, 369; 160, 377; 162, 161. 165). Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann (BGH, Urteil vom 9. März 2010 - VI ZR 6/09, VersR 2010, 1053 f.). Die Schadensbetrachtung hat sich nicht nur an objektiven Kriterien zu orientieren, sondern ist auch subjektbezogen (BGHZ 54, 82, 85; BGH NJW 1992, 302, 303; BGH NJW 1992, 1618, 1619). Dabei ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (vgl. BGHZ 115, 364, 3681; 132, 373, 3761; 155, 1,41; 162, 161,164 f.; 163. 362, 365).




Hinsicht der Schadensbeseitigung nach einem Verkehrsunfallereignis bedeutet dies, dass unter Berücksichtigung der Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten der Pflicht zur Schadensminderung im Sinne des § 254 BGB hinsichtlich der Höhe einer Reparaturkostenrechnung regelmäßig Grenzen gesetzt sind. Dies gilt vor allem dann, wenn - wie hier die Klägerin - der Geschädigte insbesondere nach Einholung eines Schadensgutachtens den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei der Wiederherstellung des vorherigen Zustandes im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (BGHZ 63, 182, 185, OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995. BeckRS 1995, 01930). Das Werkstattrisiko (wie auch das Prognoserisiko) geht insofern zulasten des Schädigers (BGHZ 63, 182, 185; BGH NJW 1992, 302, 303). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, BeckRS 1995, 01930; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2004, NJW-​RR 2005, 248, 249 ). Es besteht kein Grund dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Denn hätte der Schädiger selbst die Schadensbeseitigung übernommen, hätte er sich in gleichem Maße mit einem entsprechenden Verhalten des Reparaturbetriebes auseinandersetzen müssen. Folglich ist kein anerkennenswerter Grund ersichtlich, der es ermöglichen kann, diese Auseinandersetzung, die der Schädiger aufgrund seiner Verantwortung für das Schadensereignis zu führen hat, auf den insoweit verursachungsbeitragslosen Geschädigten abzuwälzen.

Dies führte dazu, dass die Kosten für die Innenreinigung i.H.v. 35,70 € brutto erstattungsfähig sind, den ein durchschnittlicher Geschädigter kann nicht erkennen, dass diese Reinigungskosten nicht unfallbedingt anfallen. Denn der durchschnittliche Geschädigte kann nicht ausschließen, dass im Zuge der Reparatur Schmutz entsteht, der nach deren Abschluss wieder zu entfernen ist.

Soweit sich die Beklagte mit Nichtwissen dazu erklärt, dass die Reparaturwerkstatt die Reinigung überhaupt durchgeführt hat, ist dies ebenfalls keine Frage, die den Geschädigten zur Last fällt. Die Beklagte wirft hier letztendlich der Reparaturwerkstatt der Firma C ein betrügerisches Verhalten vor, welches die Klägerin nicht notwendigerweise hat erkennen müssen. Sie dürfte im Gegenteil darauf vertrauen, dass eine korrekte Abrechnung erfolgte. Die Beklagte ist deswegen darauf zu verweisen, diese Frage im Verhältnis zur Reparaturwerkstatt zu klären.



Soweit die Rechnung der vorgenannten Firma vom 10.04.2018 nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts weitere Positionen enthält, die wegen des fehlenden Auftrages bzw. der generellen Erkennbarkeit der fehlenden Abrechnungsfähigkeit auch für die Klägerin nicht erstattungsfähig sind (Kosten gutachterliche Beihilfe und Kosten der Probefahrt), spielt dies jedoch für die Entscheidung dieses Rechtsstreits deswegen keine Rolle, weil sich die Beklagte darauf nicht berufen hat.

Soweit die Beklagte weitere 0,08 € von der Reparaturkostenrechnung in Abzug gebracht hat, fehlt es dazu an jedweden Vortrag. Ich mithin kann die Klägerin unter Berücksichtigung der vorprozessualen Zahlungen der Beklagten noch weitere 215,74 € erstattet verlangen.

Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf §§ 280, 286, 288 BGB.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Beschluss
Der Streitwert wird auf 349,22 € festgesetzt.

- nach oben -







Datenschutz    Impressum