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Landgericht Oldenburg Urteil vom 17.07.2019 - 6 O 871/17 - Unzumutbarkeit des Softwareupdates

LG Oldenburg v. 17.07.2019: Zur Unzumutbarkeit des Softwareupdates bei Fahrzeugen mit unzulässiger Abschalteinrichtung


Das Landgericht Oldenburg (Urteil vom 17.07.2019 - 6 O 871/17) hat entschieden:

  1.  Beim Motor EA 189 liegt eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2. S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 und Art. 3 Nr. 11 VO (EG) Nr. 715/2007 vor (im Anschluss an OLG Karlsruhe, Urt. v. 25. Mai 2019 – 13 U 144/17 und BGH, Beschl. v. 9. Januar 2019 – VIII 225/17). Es handelt sich um eine emissionsmindernde Einrichtung.

  2.  Vertritt der Kraftfahrzeughersteller gegenwärtig die rechtlich kaum nachzuvollziehende Auffassung, die verbaute Abschalteinrichtung sei legal gewesen, begründet dies ausreichende Zweifel, dass das Softwareupdate das vormalige Fehlverhalten vollständig und ohne jegliche Folgen beseitigen wird Dies rechtfertigt es, die Nacherfüllung für den Käufer als unzumutbar erscheinen zu lassen.


Siehe auch
Dieselskandal - Software-Update
und
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal


Tatbestand:


Der Kläger kaufte im März 2015 für 20.471 € bei der Beklagten zu 1), einer VW- Vertragshändlerin, einen gebrauchten Passat, Ez. 03/14, mit einer Laufleistung von rund 31 TKM. Die Beklagte zu 2) ist Herstellerin des Fahrzeuges. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Für diesen Motor hatte die Beklagte zu 2) vormals eine Typengenehmigung u.a. für die Abgasnorm EU5 beantragt und vom KBA erhalten.

Der Kläger ist der Ansicht, in dem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung der „Abgasreinigungsanlage“ verbaut. Er behauptet hierzu, dass das KBA die Typengenehmigung nicht erteilt hätte, wenn bei der Antragstellung von den Mitarbeitern der Beklagten zu 2) über die tatsächliche Funktionsweise der Abgasreinigung informiert worden wäre. Die Beklagte zu 2) habe sich die Typenzulassung durch bewusstes Verschweigen der tatsächlichen Funktionsweise erschlichen (Klageschrift Seite 9). Grund für dieses Handeln sei Gewinnstreben gewesen. Man sei nicht in der Lage gewesen, ohne die Abschalteinrichtung den Motor mit der Abgasnorm EU5 zu den beabsichtigten Herstellungskosten herstellen zu können. Gleichwohl habe man am Markt ein Fahrzeug mit dieser Abgasnorm anbieten wollen, wohlwissend, dass die Fahrzeuge nicht gekauft werden würden, wenn man die Käufer über die Abschalteinrichtung informieren würde.

Der Kläger meint, die tatsächliche Funktionsweise der „Abgasreinigung“ führe im Hinblick auf das Vertragsverhältnis zur Beklagten zu 1) zu einem erheblichen Sachmangel des Fahrzeuges, der ihn nach dem erfolgten Rücktritt zur Rückabwicklung des Vertrages berechtige. Eine Nacherfüllung durch die Beklagte zu 2) in Form eines Software-​Updates sei ihm nicht zumutbar, weil das Vertrauensverhältnis zur Beklagten zu 2) zerstört sei.

Die „Abgasreinigung“ funktioniert folgendermaßen: Wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den gesetzlich vorgegebenen Testlauf (NEFZ) „durchfährt“, werden die Motorabgase in den Motor zurückgeführt (sogen. Prüfstandmodus, „Modus 1“). Dadurch verringern sich die in den Abgasen befindlichen Stickoxide, bevor die verbleibenden Stickoxide mit den Abgasen den Motor verlassen. Die verbleibenden Abgase mit den restlichen Stickoxiden werden anschließend der Abgasnachbehandlung unterzogen. Nach der erfolgten Abgasnachbehandlung erfüllt das Fahrzeug die Grenzwerte EU5. Im Fahrbetrieb („Modus 0“) wird eine geringere Menge der Motorabgase in den Motor zurückgeführt und der Anteil der Stickoxide, die mit den Abgasen den Motor verlassen, ist höher als im Prüfstandmodus („Modus 1“). Das Fahrzeug hält im Fahrbetrieb nach der Abgasnachbehandlung den Grenzwert EU 5 nicht ein. Das Fahrzeug verfügt über eine sog. Fahrzykluserkennung, die - auch im Hinblick auf andere Fahrzeugfunktionen - erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den NEFZ „durchfährt“. Nur dann wird der „Modus 1“ mit der entsprechenden weitergehenden „Vorreinigung“ der Abgase aktiviert. Insoweit wird Bezug genommen auf den Vortrag der Beklagten zu 1), Bd. I Bl. 116, und der Beklagten zu 2, Bd. I Bl. 219 d.A.

Gegenüber der Untersuchungskommission „Volkswagen“ des BMVI räumte die Beklagte zu 2) in der Sitzung am 23. 9. 2015 ein, „dass sich auch in bestimmten in der EU typengenehmigten Dieselkraftfahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen befinden“ (Anlage R6). Am Tag darauf, 24.09.2015, fand im KBA ein Gespräch zwischen Vertretern der Beklagten zu 2) und des KBA statt. In dem Bescheid des KBA vom 15.10.2015 (Anlage R4) wird ausgeführt:

   In diesem Rahmen teilten Sie u.a. mit, dass Sie davon ausgingen, dass es bei dem den o.g. Emissions-​Systemgenehmigungen zugrundeliegenden Messverfahren Manipulationen an den entsprechenden Fahrzeugen durch die Volkswagen AG gegeben habe. ... Daraufhin wurde Ihnen ... ein Anhörungsschreiben übersandt. Darin wurden Sie gebeten mitzuteilen, ob .unzulässige Abschalteinrichtungen gem. Artikel 5 Abs. 2 in Verbindung mit Artikel 3 Ziff. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verbaut und eingesetzt worden sind.

Mit Schreiben vom 07.10.2015 wurde durch ihr Unternehmen erklärt, dass in der Motorvariante EA 189 EU5 keine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne ... verbaut und eingesetzt worden ist. Weiter erklärten Sie, die Abstellung der von Ihnen in Ihrem Schreiben vom 07.10.2015 beschriebenen „Umschaltlogik“ . im Rahmen einer freiwilligen Rückrufaktion durchführen zu wollen.

Mit Bescheid vom 15.10.2015 ordnete das KBA gegenüber der Beklagten zu 2) an,

   Zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der . Aggregate des Typs EA 189 EU5 sind die unzulässigen Abschalteinrichtungen .zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit .nach der Entfernung zu ergreifen.

Das KBA führt sodann in dem Bescheid in der Begründung u.a. aus:

   II. Systemgenehmigungen für Emissionen VO (EG) Nr. 715/2007

II. 1. Eine Abschalteinrichtung ist nach Artikel 3 Nr. 10 dieser Verordnung ein Konstruktionsteil, das .sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines Teiles der Emissionskontrollsystems zu .deaktivieren. . Weiterhin muss die AGR Teil des Emissionskontrollsystems sein, mithin also eine „emissionsmindernde Einrichtung“ sein, welche gem. Art. 3 Nr. 11 der Verordnung die Teile eines Fahrzeuges sind, die die Auspuff- und Verdunstungsemissionen eines Fahrzeuges regeln und/oder begrenzen. (anschließend sind Teile des Bescheides geschwärzt). Die AGR ist dann als eine emissionsmindernde Einrichtung und somit Teil des Emissionskontrollsystems zu verstehen, wenn sie geeignet ist, die Abgasemission zu regeln. (anschließend sind Teile des Bescheides geschwärzt). Die AGR ist demnach als emissionsmindernde Einrichtung, mithin als Teil des Emissionskontrollsystems zu verstehen. . Folglich liegt eine Veränderung von Teilen des Emissionskontrollsystems vor.

Ergebnis zu II 1.: . Es liegt ein solche unzulässige „Abschalteinrichtung“ nach Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 vor.

Gegen diesen Bescheid legte die Beklagte zu 2) keinen Widerspruch ein. Das Fahrzeug des Klägers war von der Anordnung betroffen, was der Kläger auf der von der Beklagten zu 2) eingerichteten Internetseite erfuhr.

Die Beklagten sind der Auffassung, es habe zu keinem Zeitpunkt eine unzulässige Abschalteinrichtung vorgelegen. Die Beklagten tragen - ohne auf die konkrete Subsumtion des KBA in dem v.g. Bescheid einzugehen oder die geschwärzten Bereiche offenzulegen - vor: Die Steuerung der Abgasrückführung im Modus 1 und 0 stelle keine verbotene Abschalteinrichtung dar. Die Software, die den Modus 1 und den Modus 0 steuere, wirke im Ergebnis gerade nicht auf das Emissionskontrollsystem ein. Die Software führe dazu, dass die Abgase das Emissionskontrollsystem beim Durchfahren des NEFZ gerade nicht erreichen und beim Fahren auf das Emissionskontrollsystem nicht einwirken. Die Beklagte zu 2) vertritt die Auffassung, der Rechtsbegriff des Emissionskontrollsystems umfasse lediglich die Maßnahmen der Abgasnachbehandlung und nicht etwa auch die Maßnahmen der Abgasrückführung als sogenannte innermotorische Maßnahme. Das Abgasrückführungssystem beeinflusse nämlich nicht die Kontrolle oder Reduzierung vorhandener Emissionen, weil die Abgase, die in den Motor zurückgeführt würden, zuvor gar nicht in die Umwelt ausgeströmt seien und man die Abgase deshalb nicht als „Emissionen“ bezeichnen könne. Die Steuerung des Abgasrückführungssystems bewirke daher keine Deaktivierung des Emissionskontrollsystems. Der Anwendungsbereich von Art. 3 Nr. 10 der VO sei deshalb nicht gegeben.

Mit Anwaltsschreiben vom 3.12.2015 erklärte der Kläger die Anfechtung des Kaufvertrages gegenüber der Beklagten zu 1), hilfsweise trat er vom Kaufvertrag zurück, wobei er eine Nacherfüllung i.S.v. § 440 BGB für unzumutbar hielt. Für die Rückabwicklung des Kaufvertrages setzte er eine Frist bis zum 18.12.2015. Die Beklagte zu 1) wies mit Schreiben vom 11.12.2015 darauf hin, dass die Beklagte zu 2) nach den Vorgaben des KBA entsprechend dem Zeitplan auf deren Kosten die notwendigen technischen Lösungen im Sinne einer Nacherfüllung durchführen werde, im Übrigen verwies sie auf den Rechtsweg. Am 03.06.2016 bescheinigte das KBA der Beklagten zu 2), dass die vorgeschlagenen technischen Maßnahmen geeignet seien, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge herzustellen. Mit Schreiben vom 30.06.2016 wurde der Kläger von der Beklagten zu 2) darüber informiert, dass die Software-​Lösung für sein Fahrzeug zur Verfügung stehe. Er wurde aufgefordert, einen Termin zum Aufspielen des Software-​Updates bei einem Servicepartner zu vereinbaren. Dem kam der Kläger nicht nach. Die Beklagte 2) behauptet, durch das Software-​Update werde unter anderem bewirkt, dass die Abgasrückführung nur noch in einem einheitlichen Betriebsmodus arbeite: in einem „adaptierten Modus 1 sowohl im Prüfstand als auch auf der Straße“. Das Software-​Update habe keinen Einfluss auf die Dauerhaltbarkeit des Motors und seiner Komponenten. Für diese Behauptung hat sie Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angetreten. Der Kläger bestreitet dies unter Hinweis darauf, dass eine Begutachtung schon deshalb nicht erfolgen könne, weil sich die Beklagte zu 2) die Details der Software nicht offenlege.

Zur Unzumutbarkeit der Nacherfüllungsarbeiten verweist der Kläger darauf, dass die Beklagte zu 2) die Software nicht offenlege und dass deshalb niemand - weder das KBA noch die Beklagte zu 1) - nachvollziehen und kontrollieren könne, welche Änderungen konkret erfolgen sollen und welche Folgen die Software habe. Er müsse der Beklagten zu 2) deshalb in besonderem Maße vertrauen (S. 107, Bl. 115). Von einem Unternehmen, das eine Behörde und anschließend dauerhaft die Marktteilnehmer betrogen habe, müsse er keine Nachbesserungsarbeiten an seinem Fahrzeug vornehmen lassen, zumal die Beklagte selbst nach der Aufdeckung des Skandals nur das offengelegt habe, wozu sie faktisch gezwungen gewesen sei. Alle weiteren Informationen würden von der Beklagten zu 2) zurückgehalten. Hinzu komme, dass die beiden Beklagten zwischenzeitlich im Prozess sogar den Mangel selbst, die Unzulässigkeit der „Abschalteinrichtung“, leugneten das Software-​Update gleichsam als bloße Kulanzmaßnahme deklarierten.

Der Kläger beantragt,

  1.  die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an ihn 20.471,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.12.2015 zu bezahlen, Zug-​um-​Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Passat 2,0 TDI, FIN: XXXXXX und Zug-​um-​Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten zu 1) noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des PKW.

  2.  festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, ihm Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeuges VW Passat 2,0 TDI, FIN: ... durch sie, die Beklagte zu 2), resultieren.

  3.  festzustellen, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des in im Klageantrag zu Ziffer 1. genannten Pkw in Annahmeverzug befindet.

  4.  die Beklagten jeweils getrennt, nicht gesamtschuldnerisch zu verurteilen, ihn von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten ihm entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils 1.789,76 € freizustellen.

Die Beklagte zu 2) ist im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aufgetreten, was am 4.7.2019 zu einem noch nicht rechtskräftigen Teilversäumnisurteil gegen sie betreffend den Klageantrages 2. geführt hat.

Die Beklagte zu 1) beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit der Nacherfüllungsarbeiten trägt die Beklagte zu 1 u.a. vor: Auf ein etwaiges Vertrauensverhältnis zu der Beklagten zu 2) komme es nicht an, weil nicht diese, sondern sie, die Beklagte zu 1), die Vertragspartnerin des Klägers sei.

Im Hinblick auf den Vorwurf des Klägers, das KBA sei anlässlich der Beantragung der Typengenehmigung von den Mitarbeitern der Beklagten zu 2) durch Verschweigen belogen worden, trägt die Beklagte zu 2) vor:

   „Die vom Kläger behauptete vermeintliche Täuschung gegenüber Behörden wäre für den hiesigen Rechtsstreit selbst dann irrelevant, wenn sie denn vorläge.“

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


Entscheidungsgründe:


Die Klage gegen die Beklagte zu 1) ist überwiegend begründet.

A. Anspruch gegen die Beklagte zu 1)


I.

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 20.471 € Zug-​um-​Zug gegen Herausgabe des verfahrensgegenständlichen Fahrzeugs und einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.500,00 €.

1. Der Rückzahlungsanspruch folgt aus § 346 Abs. 1 BGB. Dem Kläger steht ein gesetzliches Rücktrittsrecht aus § 323 Abs. 1 BGB i.V.m. § 437 Nr. 2 BGB zu, weil die Beklagte zu 1) ihrer kaufvertraglichen Pflicht zur Lieferung eines mangelfreien Fahrzeuges nicht nachgekommen ist. Das Fahrzeug war bei Gefahrübergang mangelhaft im Sinne von § 434 BGB. Das Fahrzeug des Klägers hat sich bei Gefahrübergang im März 2015 und zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung im Dezember 2015 nicht für die gewöhnliche Verwendung geeignet, so dass es gem. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB mangelhaft war und im Übrigen auch immer noch ist.

Ein Kraftfahrzeug eignet sich für die gewöhnliche Verwendung grundsätzlich nur dann, wenn es eine Beschaffenheit aufweist, die weder seine (weitere) Zulassung zum Straßenverkehr hindert noch ansonsten seine Gebrauchsfähigkeit aufhebt oder beeinträchtigt. Diese Eignung wies das Fahrzeug nicht auf, weil es werkseitig mit einer Software ausgestattet ist, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb reduziert, indem die Abgasrückführung als Teil des Emissionskontrollsystems deaktiviert wird. Damit lag eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung(EG) Nr. 715/2007 vor, aufgrund derer die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Zulassungsbehörde bestand und nach wie vor besteht (ebenso OLG Karlsruhe, Urt. V. 25.05.2019 - 13 U 144/17 im Anschluss an BGH, Beschluss v. 09.01.2019 - VIII 225/17).

a) Die Verordnung sieht die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, als unzulässig an (Art. 5 Abs. 2 Satz 1). Ziel der VO ist die Verbesserung der Luftqualität und Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte, bezogen auf Dieselfahrzeuge im Speziellen unter dem Gesichtspunkt der Stickoxidemissionen. Eine "Abschalteinrichtung" ist gemäß Art. 3 Nr. 10 definiert als

   jedes Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

b) Was zu dem „Emissionskontrollsystem“ gehört, wird zwar nicht näher definiert. Aus einer Auslegung von Sinn und Zweck der Verordnung folgt aber ohne jeden vernünftigen Zweifel, dass darunter nicht nur der Bereich der Abgasnachbehandlung, sondern auch die vorgelagerte Verminderung von Stickoxiden durch die Abgasrückführung zählt. Dem KBA ist i.E. - die Begründung, also die jeweilige Subsumtion des KBA, insbesondere soweit die Argumentation der Beklagten im hiesigen Rechtsstreit tangiert wäre, haben die Beklagten nicht offengelegt - unzweifelhaft darin zu folgen, dass nach Sinn und Zweck des Verbots einer Abschalteinrichtung darauf abzustellen ist, ob eine „emissionsvermindernde Einrichtung“ i.S.v. Art. 3 Nr.11 VO deaktiviert wird und dass zu den „emissionsmindernden Einrichtungen“ bei die AGR zählt. Im Emissionskontrollsystem, werden „Emissionen“ (technisch betrachtet) „kontrolliert“, bevor sie in die Umwelt gelangen. Aus der Verwendung des Terminus „Emissionen“ folgt entgegen der Ansicht der Beklagten deshalb gerade nicht, dass lediglich der Bereich der Abgasnachbehandlung gemeint ist. Das Gegenteil liegt unter diesem Aspekt förmlich auf der Hand: Auch im Bereich der Abgasnachbehandlung geht es um die „Nachbehandlung“ von Abgasen, die zuvor noch nicht „in die Umwelt ausgeströmt“ waren, bevor sie nachbehandelt wurden. Auch diese Abgase wären, wollte man der Argumentation der Beklagten folgen, keine „Emissionen“ i.S.v. Art. 3 Nr. 10 VO und „Umschaltlogiken“, die diesen „Bereich“ betreffen würden, wären dann auch keine „unzulässigen Abschalteinrichtungen“. Davon gehen ernsthaft wohl selbst die Beklagten nicht aus. Abzustellen ist vielmehr unzweifelhaft auf alle technischen „Einrichtungen“, die die Auspuffemissionen regeln und insoweit gibt es in dem Fahrzeug zwei technische Systeme: Die AGR und die Abgasnachbehandlung als jeweils „emissionsmindernde Einrichtungen“

i.S.v. Art. 3 Nr. 11 VO. Andere Subsumtionsdefizite des KBA zeigen die Beklagten nicht auf; sie sind auch nicht ansatzweise ersichtlich. Der Bescheid ist aus juristischer Sicht gleichsam schulmäßig i.S. vorbildlichen deduktiven Vorgehens bis ins Einzelne nachvollziehbar durchstrukturiert und vermutlich auch ebenso in den geschwärzten Bereichen streng am Sachverhalt unter Berücksichtigung der anwaltlichen Stellungnahme der Beklagten zu 2) vom 07.10.2015 durchsubsumiert. Dafür, dass es insoweit auch aus der Sicht der Beklagten zu beanstanden gab, spricht, dass sie gegen den Bescheid keinen Widerspruch einlegte.

c) Anlässlich der Anhörung der Beklagten zu 2) im Untersuchungsausschuss „Volkswagen“ am 23.09.2015 hatte „VW“ auch eingeräumt, dass eine „unzulässige Abschalteinrichtung“ verbaut sei. Dieser Vortrag des Klägers ist unstreitig. Die Beklagte zu 2) kann kaum ernsthaft behaupten wollen, die seinerzeit für sie in dem Ausschuss auftretenden Repräsentanten (gleichgültig ob von Haus aus Techniker oder Juristen) hätten entweder die tatsächliche Funktionsweise nicht gekannt oder aber nicht zuvor im eigenen Haus unter Beteiligung der Rechtsabteilung und der Motorentechnik geprüft und erörtert, ob die verwendete Abschaltung der Abgasrückführung als defeat-​device („besiegen“ eines Gerätes = „verheimlichen“ der „Umschaltlogik“) einzuordnen war. Das Ergebnis der Erörterungen wird sowohl aus dem Bereich der Technik als auch der Juristen heraus eindeutig gewesen sein, sonst hätte man eine Erklärung mit dieser Tragweite nicht abgegeben. Gleiches gilt für die Äußerungen anlässlich der mündlichen Anhörung vor dem KBA am 24.09.2019. Es hatte seinen Grund, dass die Vertreter von VW davon ausgingen, dass „Manipulationen“ vorlagen.

d) Infolge der im Fahrzeug eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung ist der weitere (ungestörte) Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr nicht gewährleistet. Halter solcher Fahrzeug sehen sich einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt (ebenso OLG Karlsruhe, Urt. V. 25.05.2019 - 13 U 144/17 im Anschluss an BGH, Beschluss v. 09.01.2019 - VIII 225/17).

2. Unzumutbarkeit der Nacherfüllung

Einer Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß § 323 Abs. 1 BGB bedurfte es vorliegend nicht. Eine solche ist nach § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB wegen einer nachhaltigen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses des Klägers zur Beklagten zu 2) unzumutbar. Dies geht zu Lasten der Beklagten zu 1), die sich der Beklagten 2) als ihrer Subunternehmerin zur Mangelbeseitigung bedienen will bzw. vertraglich und öffentlich-​rechtlich bedienen muss und ihre Erfüllungsgehilfin i.S.v. § 278 BGB ist. Die Frage der Unzumutbarkeit ist allein aus der Perspektive des Käufers zu beurteilen, eine Interessenabwägung findet im Gegensatz zu den Regelungen in §§ 281 Abs. 2, 2. Alt, 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht statt.

Der Kläger kann aus seiner Perspektive bei vernünftiger Betrachtung nicht sicher auf die erfolgreiche und zuverlässige Nachbesserung der Beklagten zu 2) vertrauen. Dies folgt insbesondere daraus, dass die Beklagte zu 2) - zumindest deren Rechtsabteilung - jedenfalls gegenwärtig ein - aus Perspektive des Klägers - völlig abwegiges, einseitig interessengeleitetes Verständnis von der Definition einer Abschalteinrichtung, dem Kernthema des Dieselskandals, vertritt und dies zumindest in der ein oder anderen Nuancierung bei der Umsetzung der Nacherfüllung auch auf der Technikebene bei der Beklagten zu 2) durchschlägt (s. nachfolgend unter b) aa). Auf eine zuverlässige Umsetzung der Nacherfüllung in technischer Hinsicht unter strikter Beachtung des rechtlichen Rahmens ist der Kläger jedoch in ganz besonderer Weise angewiesen. Der noch im Fahrzeug „befindliche“ Ausgangsmangel und auch die beabsichtigte Nachbesserung unterfallen im Wesentlichen dem Bereich der Elektronik (Software). Weder das KBA noch die Beklagte zu 1) kennen nach dem unstreitigen Vortrag den Quellcode der jeweiligen Software der Beklagten zu 2). Sie können im Vorfeld der Nachbesserungsarbeiten deshalb nur in begrenztem Umfang die Arbeiten der Beklagten zu 2) unter Heranziehen von Privatgutachtern überprüfen (lassen). Schon dieser Umstand rechtfertigt es, dass die Freigabeerklärung des KBA für das Software-​Update für den Kläger nicht hinreichend zuverlässig die Frage beantwortet, ob die Nacherfüllung erfolgreich und ohne technische Nachteile sein wird. Zu Recht weist das OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.12.2018 - 14 U 60/18, bei juris zu Rdn. 20 ff., darauf hin, der Fahrzeugeigentümer sei an dem Verwaltungsverfahren nicht beteiligt und müsse sich deshalb unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes das Prüfungsergebnis des KBA nicht bindend vorhalten lassen. Nach der Veränderung der Software würde sich jedenfalls die Beweissituation des Klägers verschlechtern, z.B. bei etwaigen Streitigkeiten über Kausalitäten von Folgeschäden. Durch einen Gutachter könnte dann nur unter erschwerten Umständen ein sicheres Ergebnis gefunden werden.

Bedenken, der Beklagten zu 2) bei der Umsetzung der Nacherfüllung vertrauen zu können, bestehen aus der Sicht des Klägers letztlich sowohl aufgrund früheren Fehlverhaltens als auch aufgrund des Verhaltens der Beklagten zu 2) nach dem Bekanntwerden der Manipulation.

Im Einzelnen:

a) Täuschung des KBA und der Beklagten zu 1)

Aus der Sicht des Klägers besteht der begründete Verdacht, er sei durch die Beklagte zu 2) geschädigt worden, indem ihre Mitarbeiter vor rund 10 Jahren zunächst die Typengenehmigung erschlichen, indem dann das Fahrzeug an die Beklagte zu 1) ausgeliefert wurde ohne über das Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung zu informieren und indem die Beklagte zu 1) das Fahrzeug für rund 20.000 € an den Kläger verkaufte, ohne dass er ahnte, das Fahrzeug könne wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Betriebserlaubnis verlieren. Mitarbeitern der Beklagten zu 2) war bei der Entwicklung des Motors bewusst, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut wurde und dass das KBA bei der Erlangung der Typengenehmigung getäuscht wurde. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts ohne vernünftigen Zweifel fest.

aa) Die Beklagte zu 2) hat zwar bestritten, dass ihren Mitarbeitern bewusst gewesen sei, dass die Umschaltlogik des AGR-​Systems unzulässig war. Dies folgt aus ihrem Vortrag:

   „Die vom Kläger behauptete vermeintliche Täuschung gegenüber Behörden wäre für den hiesigen Rechtsstreit selbst dann irrelevant, wenn sie denn vorläge.“ (SS v. 28.08.2017 S. 38, Bd. I Bl. 249 d.A.).

Es ist auch davon auszugehen, dass die Beklagte zu 1) sich das Bestreiten der Beklagten zu 2) sinngemäß zu eigen macht.

Es kann dahinstehen, ob das Bestreiten hinreichend substantiiert ist, immerhin wurde nicht i.S. sekundärer Darlegungslast vorgetragen, dass die Mitarbeiter z.B. in der Ausbildung, bei Schulungen oder Dienstbesprechungen/Erörterungen in rechtlicher Hinsicht - wenn auch rechtlich fehlerhaft - darauf hingewiesen wurden, dass die Funktionalität der Umschaltlogik erlaubt sei i.S.v. Art. 3 Nr. 10 VO. Zumindest hierzu konkret vorzutragen wäre die Beklagte zu 2) auch in der Lage. Es ist abwegig anzunehmen, dass insoweit z.B. jegliche Materialien (Dokumente) aus jener Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen. Zumindest kann jedenfalls mangels Vortrages dazu unterstellt werden, dass diese Frage - rechtlicher Ausgangspunkt - weder in die eine oder andere Richtung firmenintern gebündelt entschieden bzw. vorgegeben wurde. Damit oblag es jedem Mitarbeiter, der mit der Funktionalität der Umschaltlogik befasst war, selbst zu beurteilen, ob dies eine zulässige/unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der gesetzlichen Vorgaben war.

Unter der Prämisse eines wirksamen Bestreitens, ist das Gericht ohne jeden vernünftigen Zweifel (§ 286 ZPO) davon überzeugt, dass den beteiligten Mitarbeitern der Beklagten zu 2) die Unzulässigkeit der Umschaltlogik bewusst war und dass die Typengenehmigung vom KBA nicht erteilt werden würde, wenn die Funktionalität der Umschaltlogik offenbart werden würde. Deshalb bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob schon das Bestreiten mangels hinreichender Substanz unwirksam ist.

bb) Das Gericht ist überzeugt, dass jedem Ingenieur, der sich bei der Beklagten zu 2) mit der Entwicklung eines Motors unter dem Aspekt „Abgase“ beschäftigte, die Regelung Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO i.V.m. Art. 3 Nr. 10/11 VO zum Beispiel aus Schulungsmaßnahmen oder aus dem Studium bekannt war, dass er schon aus Gründen des Selbstschutzes bzw. der Interessen der Firma ganz genau wusste, was eine technische Funktion zu einem defaet-​device machte und welche rechtliche Konsequenz dies hatte. Ohne die betreffenden Normen im Einzelnen zu kennen, musste jedem Beteiligten Ingenieur zumindest in Sinne einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ klar sein, dass die verbaute Software die Zielsetzung der gesetzten Abgasgrenzwerte (hier EU5) ad absurdum führen würde, wenn die „Umschaltlogik“ zulässig sein würde. Von dem - eindeutigen, s.o. - Regelungsgehalt in Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO i.V.m. Art. 3 Nr. 10/11 VO konnte also keiner der beteiligten Mitarbeiter überrascht sein. Wenn er/sie die Regelung kannte und sich seinerzeit die Mühe machte, diese Regelung selbst durchzusubsumieren, wäre er/sie erst Recht zwanglos zu dem identischen Subsumtionsergebnis gekommen, wie das Kraftfahrtbundesamt in seinem Bescheid vom 15.10.2015.

Bei dem Differenzierungsversuch der Beklagten zur Auslegung von Art. 3 Nr. 10 VO handelt es sich, wie Führ/Below, FUR 2018, 259, zu Recht mit weiterer Begründung betonen, um eine „semantische Differenzierungskunst“. Das Landgericht Heidelberg, Urteil vom 09. November 2017 - 4 O 123/16, sieht den Grund in einer „interessengeleiteten Auslegung“. Anders umgangssprachlich gewendet: Es handelt sich gleichsam um eine „juristische Nebelkerze“, in der Hoffnung, die maßgeblichen Entscheidungsträger rechtlich möglichst in die Irre zu führen, um eine für sich günstige Entscheidung zu erlangen. Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass jedem Techniker (Ingenieur), der sich von Berufs wegen mit diesen Normen zu beschäftigen hat, zu dem Auslegungsergebnis wie das KBA kommt bzw. gekommen wäre. Kaum denkbar ist es z.B., dass Herr Dr. D. als Ingenieur mit seinem unzweifelhaft vorzüglichen strukturierten Scharfsinn von sich ernsthaft behaupten würde, dass er - unterstellt er wäre auf der Arbeitsebene als Ingenieur an der Entwicklung des Motors beteiligt gewesen - nicht zu dem Auslegungsergebnis wie das KBA gekommen wäre. Selbst jeder Laie mit gewöhnlichen geistigen Fähigkeiten, der weder Techniker oder Jurist ist, käme - bei unterstellten sprachlichen und deduktiven Fähigkeiten und nicht verblendetem Blick - zu dem identischen Ergebnis. Erst Recht kann dies bei den Ingenieuren und Ingenieurinnen angenommen werden, die als Mitarbeiter bei der Beklagten zu 2) an der Entwicklung des Motors, dem Zukauf von Komponenten, der Implementierung von Software oder der Antragstellung beim KBA vor rd. 10 Jahren beteiligt waren; das Gericht unterstellt, dass sie in ihrer Berufsgruppe zu den besser Qualifizierten zählten.

Um welche Mitarbeiter es sich dabei namentlich handelte, ist für die von dem Kläger zu beweisende Tatsache (Kenntnis von „irgendwelchen“ Mitarbeitern) nicht maßgeblich. Fest steht, und das ist ausreichend, dass es Mitarbeiter gegeben haben muss, die von der unzulässigen Software wussten und die auch davon wussten, dass diese „implementiert“ wurde um anschließend unter Verheimlichung der Deaktivierung der „emissionsmindernden Einrichtung AGR“ im Fahrmodus den Antrag beim KBA zu stellen, wohl wissend, dass das KBA in Kenntnis der Software die Typengenehmigung nicht erteilt hätte.

cc) Die Beklagten haben gegenbeweislich keinen Mitarbeiter als Zeugen benannt, bezogen auf den sie darlegen, dass dieser seinerzeit an dem Projekt EA 189 in Kenntnis der Funktionsweise der Software beteiligt war und in dessen Zeugnis sie stellen, dass dieser seinerzeit von der Zulässigkeit der „Umschaltlogik“ ausgegangen sei. Insbesondere wurde kein Gebrauch davon gemacht, Mitarbeiter zu benennen, bei denen die Beklagte zu 2) zwar Erkenntnisse hat, dass sie an dem „Betrug“ beteiligt waren, von denen sie aber - legitim i.S.v. § 138 IV - berechtigte Anhaltspunkte hat, dass es tatsächlich an einem deliktischen Vorsatz fehlte.

dd) Soweit die Beklagte zu 2) ihren Mitarbeiter D., Manager im Bereich Fahrzeugentwicklung, dafür benennt, dass es sich bei der Abgasrückführung um eine sogenannte innermotorische Maßnahme handele, die von den nachgelagerten Maßnahmen der Abgasreinigung zu unterscheiden sei, kann dieser Tatsachenvortrag unterstellt werden. Selbst im Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ wird auf Seite 6 ausgeführt:

   „Bei den Maßnahmen zur Reduzierung der NOx-​Emissionen wird zwischen innermotorischen Maßnahmen und Abgasnachbehandlung unterschieden.“

Die Beklagte schiebt vor ihrem Beweisantritt allerdings in ihrem Vortrag hinterher:

   „Die Abgasrückführung ist damit kein Teil der Abgasreinigungsanlage bzw. des Emissionskontrollsystems“ (SS v. 28.08.2017 S. 8, Bd. I Bl. 219).

Dieser Beweisantritt sagt nichts darüber aus, ob Herr D. bereits an der Entwicklung des Motors EA 189 gerade unter dem Aspekt der Verwendung der Umschaltlogik beteiligt war (nur auf das Vorstellungsbild jener Mitarbeiter kommt es an) und welchen Blick die Mitarbeiter jener Zeit auf die rechtliche Fragestellung hatten. Es fehlt an konkretem Vortrag dazu, dass die rechtliche Schlussfolgerung, die in das Zeugnis von Herrn D. gestellt wird, allgemein im Zeitpunkt der Entwicklung des Motors bei den Ingenieuren das Vorstellungsbild von „zulässig/unzulässig“ prägte. Vor diesem Hintergrund musste das Gericht dem Beweisantritt nicht nachgehen. Inhalte von Schulungsmaßnahmen oder Informationsveranstaltungen, die sich mit dem Thema „Vermeiden eines defaet-​device“ beschäftigten, werden, wie bereits betont, nicht vorgetragen.

ee) Die Überzeugung des Gerichts, wird im Hinblick auf die Auslegung des Gesetzes bestätigt durch die Äußerungen der Vertreter der Beklagten zu 2) vor dem Untersuchungsausschuss. Dass diese sich in der Sitzung am 23. 9. 2015 im Sinne einer unzulässigen Abschalteinrichtung äußerten ist unstreitig. Es ist abwegig anzunehmen, dies sei geschehen, ohne dass zuvor mit Technikern im Hause die verwendete „Umschaltlogik“ in diesem Sinne zuvor eingeordnet worden war. Immerhin richtet sich Art. 5 der VO in erster Linie an die Ingenieure. Sie mussten bei der Entwicklung neuer Produkte die einzuhaltenden gesetzlichen Vorgaben eruieren und im Lichte von Sinn und Zweck der Norm auslegen und anschließend technisch umsetzen. Dafür bedurfte es im konkreten Fall nicht der Einschaltung von Juristen, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass das, was tatsächlich zur Ausführung kam, eine Abschalteinrichtung zur Deaktivierung des „Emissionskontrollzentrums“ des Motors war.

ff) Ob die Äußerung von Herrn Dr. D.

   „Das was wir gemacht haben war Betrug“

ebenfalls für die Richtigkeit der Behauptung des Klägers spricht, weil dieser Äußerung bei verständiger Auslegung zumindest zu entnehmen ist, dass ihm Informationen vorliegen, wonach es Mitarbeiter gab, die von der Unzulässigkeit ausgegangen waren, kann dahinstehen. Für die Überzeugungsbildung des Gerichts bedarf es dieses zusätzlichen Aspektes nicht, sie folgt bereits aus den v.g. Aspekten.

b) Verhalten nach September 2015

Weil die Vorgänge anlässlich der ursprünglichen Typengenehmigung und des anschließenden Inverkehrbringens von Fahrzeugen zum Teil mehr als 10 Jahre zurückliegen, kommt es für die Zumutbarkeit der Nacherfüllung vornehmlich auf das den Konzern der Beklagten zu 2) gegenwärtig prägende Personal an, vom Ingenieur bzw. Ingenieurin auf unterer Hierarchieebene bis hin zu den Vorständen. Dem Gericht ist bekannt, dass die Beklagte zu 2) erhebliche compliance Anstrengungen unternimmt und insoweit versucht, Maßstäbe zu setzen. Im Geschäftsbericht 2018 heißt es auf S. 62 im Corporate-​Governance-​Bericht u.a.:

   [Es folgen mehrere auszugsweise Abbildungen

Auch verkennt das Gericht nicht, dass die Beklagte zu 2) von dem Monitor Mr. Larry Thomson gleichsam unter ständiger Kontrolle ihrer compliance Anstrengungen steht (s. hierzu SPIEGEL vom 23.03.2019, S. 68 ff.: „Einen zweiten Dieselskandal würde VW nicht überleben“). Gleichwohl kann der Kläger berechtigte Zweifel daran haben, dass ihm gegenüber integer, regelkonform und mit dem richtigen Kompass für richtig und falsch agiert wird und für Fehlverhalten eingestanden wird.
Im Einzelnen:

aa) Abschalteinrichtung ist legal

Bei dem Kläger besteht ferner der begründete Verdacht, dadurch, dass die Beklagte zu 2) im Prozess und in der Öffentlichkeit die Auffassung vertritt, die eingebaute Abschalteinrichtung sei zulässig bzw. legal, werde auf der Ebene der Technik im Rahmen der Nacherfüllungsarbeiten nicht alles dafür getan, dass das vormalige Fehlverhalten vollständig und ohne jegliche Folgen beseitigt wird.

(1) Die Beklagte hat in den Zivilrechtsstreitigkeiten bei dem Unterzeichner bis in die jüngste Zeit (zuletzt in einer Klageerwiderung vom 15.03.2019) mit völlig identischem Wortlaut durch verschiedene Rechtsanwaltsfirmen die Auffassung vertreten, eine unzulässige Abschalteinrichtung liege nicht vor. Im Handelsblatt vom 09.07.2019, S. 21, wird (offenkundig i.S.v. § 291 ZPO) ein VW-​Sprecher wörtlich zitiert:

   „Die in Deutschland und der EU verwendete Umschaltlogik ist ... nach unserer Rechtsauffassung legal.“

Würde eine Ingenieurin oder ein Ingenieur der Beklagten zu 2) das ernst nehmen und bekäme sie/er den Auftrag, die Abgasreinigungsanlage eines neuen Verbrennungsmotors zu planen, müsste sich der Vorstand der Beklagten zu 2) nicht wundern, wenn in ein paar Jahren ein zweiter Abgasskandal auf die Beklagte zu 2) zukäme. Das gegenwärtige Verhalten der Beklagten in diesem Punkt (völlig verqueres Verständnis von Art. 3 Nr. 10 VO) scheint - jedenfalls aus der Sicht des Klägers - verantwortungslos, nicht integer und von eigenen ökonomischen Zielen geprägt zu sein, statt davon, zu Fehlern zu stehen und die Interessen der Kunden hinreichend ernst zu nehmen. Es gibt Kunden der Beklagten, die sich vor dem Dieselskandal mit der Kernmarke nachhaltig verbunden fühlten und selbst nach der sog. adhoc-​Mitteilung Ende 2015 sich nicht im Ansatz hätten vorstellen können, (erst) nach rund 3 Yz Jahren im Fernsehen von Herrn Dr. D. hören zu müssen, VW habe betrogen, um dann aber wiederum wenige Tage später in der Zeitung lesen zu müssen (Handelsblatt vom 09.07.2019, S. 21), die Abschalteinrichtung sei legal gewesen. Mit den angestrebten compliance Zielen, die ja auch und gerade für Nachbesserungen bedeutsam sind, dürfte das Verhalten aus der Sicht des Klägers jedenfalls nicht in Einklang zu bringen sein. Bezogen auf die angebotene Nachbesserung anders gewendet: Nur wer einsieht, einen Fehler gemacht zu haben, hängt sich bei der Fehlerbeseitigung auch „voll rein“; jemand, der das Gefühl hat, zu Unrecht zur Fehlerbeseitigung herangezogen zu werden, wird dazu neigen, an der ein oder anderen Stelle - unerkannt - kostensparend nicht das zu erwartende Optimum anzustreben oder sogar „bißchen zu schummeln“. Der Kläger nimmt insoweit zu Recht die Entscheidung des Landgerichts Krefeld (Urteil vom 14.09.2016 - 2 O 83/16, dort zu Ziff. 41 a.E., abzurufen bei juris) in Bezug.

(2) Im Untersuchungsausschuss „Volkswagen“ hat die Beklagte zu 2) eingeräumt, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung gehandelt habe. Obwohl dies für jedermann in dem öffentlich abrufbaren Bericht der Untersuchungskommission dokumentiert ist, hält sich die Beklagte zu 2) - zivilprozessual zulässig, weil es sich um eine Rechtsansicht handelt - nicht an ihr Wort und vertritt in den tausenden von Prozessen die Rechtsauffassung, dass alles legal gewesen sei. Vergleichbares gilt für den kaum aufzulösenden Widerspruch zwischen der Äußerung von Herrn Dr. D. „Das was wir gemacht haben war Betrug“ und der 180 Grad Kehrtwende des VW-​Sprechers „das was wir gemacht haben war legal“.

bb) Versuchter Prozessbetrug

Bei dem Kläger besteht der begründete Verdacht, die Beklagte zu 2) bestreite im Prozess unter Verletzung der Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) wider besseres Wissen, die früheren Mitarbeiter hätten gewusst, dass die Abschalteinrichtung unzulässig sei und sie hätten bewusst das KBA bei der Beantragung der Typengenehmigung getäuscht.

(1) Im hiesigen Verfahren und auch in anderen dem Unterzeichner bekannten Verfahren wird von der klagenden Partei vorgetragen, Mitarbeiter hätten die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung erkannt und gleichwohl mit Täuschungsabsicht die Typengenehmigung beantragt. Die Beklagte zu 2) hat dies bestritten, indem sie ausführt:

Die vom Kläger behauptete vermeintliche Täuschung gegenüber Behörden wäre für den hiesigen Rechtsstreit selbst dann irrelevant, wenn sie denn vorläge. (SS v. 28.08.2017 S. 38, Bd. I Bl. 249 d.A.).

Dieses Bestreiten wäre nur dann wahrheitsgemäß, wenn die für den Prozessvortrag der Beklagten zu 2) verantwortlichen Personen keine zuverlässigen Erkenntnisse im Zeitpunkt des Bestreitens und danach hatten, dass Mitarbeiter seinerzeit von der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung wussten. Mit Schriftsatz vom 01.07.2019 hat die Beklagte zu 2) insoweit vorgetragen:

   Bezugnehmend auf die Äußerung des Herrn Herbert D. ... weist sie (die Beklagte zu 2) vorsorglich darauf hin, dass die Aussage außerhalb des Prozesses getätigt wurde und deshalb nicht als Geständnis oder Sachvortrag behandelt werden kann.

Das Bestreiten wurde damit sinngemäß aufrechterhalten. Auch nachdem im Beschluss vom 03.07.2019 unter 5. herausgearbeitet worden war, dass die Äußerung auf die Kenntnis von tatsächlichen Informationen zu deliktischem Handeln einzelner Mitarbeiter schließen lasse, hat die Beklagte zu 2) ihr Bestreiten nicht aufgegeben.

(2) Nach derzeitiger Tatsachenlage dürfte der Verdacht bestehen, dass dieses Bestreiten wider besseres Wissen geschehen ist. Dieser Verdacht gründet auf der Aussage von Herrn Dr. D. in der Fernsehsendung.

(2a) Aus der Äußerung von Herrn Dr. D. in der Talkshow von Herrn Lanz „Das was wir gemacht haben war Betrug, ja.“ und aus seinem bewussten Schweigen auf das anschließende Resümee von Herrn Lanz „Vorsätzlicher Betrug.“ kann geschlossen werden, dass ihm aus internen Ermittlungen oder Dokumenten Namen von Mitarbeitern bekannt sind, denen zumindest

die Implementierung der Abschalteinrichtung bekannt war,

denen die Unzulässigkeit bezogen auf eine EU-​Typengenehmigung bekannt war,

die wussten, dass bei der Antragstellung KBA getäuscht wurde und

die wussten, dass die Typengenehmigung nicht erlangt worden wäre, wenn man die Funktionsweise offengelegt gelegt hätte.

(2b) Auf den Hinweisbeschluss vom 03.07.2017 unter 5. wird als Ausgangspunkt Bezug genommen. Völlig abwegig und in jeder Hinsicht unzureichend ist der Versuch der Beklagten, den tatsächlichen Aussagegehalt der Äußerung mit dem Hinweis darauf, die Bemerkung sei nicht rechtstechnisch gemeint gewesen, zu entkräften. Entscheidend ist für die sich hier stellende Frage nicht, was Herr Dr. D. sich rechtstechnisch vorgestellt hat, sondern von welchem Sachverhalt Herr Dr. D. bei seiner Äußerung ausging. Insoweit ist allein maßgeblich, was die Techniker sich damals bei der Entwicklung/Implementierung/Antragstellung dachten, allein das ist maßgeblich für die Frage, ob wahrheitsgemäß bestritten wurde. Und dazu wird Herr Dr. D. zuverlässige - bislang nicht offen gelegte - Informationen haben, sonst hätte er die Äußerung bei vernünftiger Betrachtung nicht getätigt. Es kann wohl nicht davon ausgegangen werden (und es ist auch nichts dazu vorgetragen), dass Herr Dr. D. die Äußerung aus reiner Profilierungssucht ohne validen Sachverhalt machte und dass er dabei auch noch von seiner bisherigen gebetsmühlenartigen Begründung für die fehlende Haftung der Beklagten zu 2) in Europa abwich (s. dazu Ziff. 4a des Beschlusses vom 03.07.2019). Weder die Beklagte zu 1) noch die Beklagte zu 2) haben zu dem tatsächlichen von dem Gericht im Beschluss vom 03.07.2019 unter 5. herausgearbeiteten Aspekt klarstellend abweichend konkret vorgetragen.

(3) Die v.g. Überzeugung wird gestützt durch die Bemerkung des Herrn P., einen Abschlussbericht der mit den internen Ermittlungen betrauten Kanzlei Jones Day werde es nicht geben, das sei für die Beklagte zu 2) unvertretbar riskant. Diese Aussage macht nur Sinn, wenn mit der Offenlegung von Informationen auch zusätzliche finanzielle Belastungen verbunden wären.

Unter dieser Prämisse steht aus der Sicht des Klägers der Anfangsverdacht für einen versuchten Prozessbetrug im Raum.

3. Kein Ausschluss des Rücktrittsrechts

Der Rücktritt ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Pflichtverletzung unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 BGB ist. Der Mangel hätte den Kläger sogar berechtigt, das Fahrzeug selbst sofort stillzulegen. I.d.R. geschieht dies seitens der klagenden Käufer nur deshalb nicht, weil sie auf das Fahrzeug täglich angewiesen sind und im Normalfall keine weiteren Fahrzeuge im eigenen Bestand haben.

4. Keine Verjährung

Der Anspruch des Klägers aus dem Rückgewährschuldverhältnis ist wegen des bis zum 31.12.2017 erklärten Verjährungsverzichts nicht verjährt.

5. Zug-​um-​Zug Verurteilung

Der Kläger muss neben dem Fahrzeug auch Zug-​um-​Zug die gezogenen Nutzungen herausgeben.

II.

Der Kläger hat darüber hinaus einen Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten zu 1).

III.

Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gegen die Beklagte zu 1) besteht nicht.

IV.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.


B.

C.

Die prozessualen Nebenentscheidungen

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