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OLG Hamm Beschluss vom 03.03.2005 - 2 Ss OWi 817/04 - Zum Umfang des Begründungszwangs für den Tatrichter, wenn er von einem Fahrverbot nicht absehen will

OLG Hamm v. 03.03.2005: Zum Umfang des Begründungszwangs für den Tatrichter, wenn er von einem Fahrverbot nicht absehen will


Das OLG Hamm (Beschluss vom 03.03.2005 - 2 Ss OWi 817/04) hat entschieden:

   Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Fahrverbot


Gründe:


I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach §§ 41 II, 49 StVO in Verbindung mit §§ 24, 25 StVG kostenpflichtig zu einer Geldbuße in Höhe von 150 EURO verurteilt" und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dazu hat es folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

   "Am 18.02.2004 gegen 10.25 Uhr befuhr der Betroffene mit seinem Pkw, Fabrikat Ford, mit dem amtlichen Kennzeichen ... die BAB ..., Fahrtrichtung E, in I. Zu dieser Zeit führten Beamte der Autobahnpolizei N bei KM 42,35 mit dem Messgerät MU VR 6 F der Firma S, das bis zum 31.12.2005 geeicht war, eine gezielte Geschwindigkeitsüberwachung über die Einhaltung der an dieser Stelle durch Verkehrszeichen 274 (mit Zusatz: "werktags von 6 bis 19 Uhr") angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h durch. Dabei wurde der von dem Betroffenen gesteuerte Pkw mit einer Geschwindigkeit von 154 km/h, nach Abzug der Messwerttoleranz, gemessen.

Der Betroffene hat die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in Abrede gestellt."

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen das Regelfahrverbot und die Regelgeldbuße festgesetzt. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene insbesondere gegen die Festsetzung des Fahrverbots. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.





II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat - zumindest vorläufig - teilweise Erfolg.

1. Soweit der Betroffene die formelle Rüge erhoben hat, war diese allerdings unzulässig, das sie nicht ausreichend im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet worden ist.

2. Die Sachrüge hat hingegen Erfolg.

a) Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen allerdings die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß den §§ 41 Abs. 2 (Zeichen 274.1), 49 StVO, 24 StVG. Es ist nicht zu beanstanden, dass das angefochtene Urteil sich hinsichtlich der Feststellungen zur Geschwindigkeitsmessung darauf beschränkt mitzuteilen, dass die Geschwindigkeitsmessung mit einem Messgerät MU VR 6 F durchgeführt worden ist. Bei dieser Art der Geschwindigkeitsmessung handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung aller Bußgeldsenate des OLG Hamm um ein sog. standardisiertes Messverfahren. Damit sind, wenn - wie hier - keine Besonderheiten vorliegen, die vom Amtsgericht gemachten Angaben ausreichend (vgl. OLG Hamm NStZ 1990, 546; Beschluss des Senats vom 20. Januar 1999, 2 Ss OWi 1/99 = NZV 1999, 215 = VRS 96, 382 sowie Beschluss des Senats vom 24. Juni 1999 - 2 Ss OWi 509/99 = NStZ-RR 1999, 374 = VRS 97, 449 = NZV 2000, 9; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 3 StVO Rn. 59 m.w.N.). Der Betroffene hat zudem auch weder die Geschwindigkeitsüberschreitung an sich noch deren Höhe bestritten (vgl. insoweit Senat VRS 96, 458 = NZV 1999, 391). Damit ist die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs wirksam. Es ist im Übrigen zu beanstanden, dass das Amtsgericht einen konkreten Toleranzwert nicht genannt hat. Der Senat hat bereits früher darauf hingewiesen, dass bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung die Angabe des Toleranzabzugs jedenfalls dann entbehrlich ist, wenn sich aus sonstigen Umständen ergibt, dass es sich bei der vom Amtsgericht der Verurteilung zugrunde gelegten Geschwindigkeit bereits um die um einen Toleranzabzug verminderte Geschwindigkeit handelt (vgl. Senat in VA 2004, 137 (Ls.) = DAR 2004, 464 = ZAP EN Nr. 572/2004 = VRS 107, 114). Dem wird das angefochtene Urteil gerecht, da es mitteilt, dass es sich bei der der Verurteilung zugrunde gelegten Geschwindigkeit um die "nach Abzug der Messwerttoleranz" ermittelte handelt. Es kann daher dahinstehen, ob es der Angabe des Toleranzwertes möglicherweise überhaupt nicht mehr bedarf (so 3. Senat für Bußgeldsachen im Beschluss vom 18. März 2004, 3 Ss OWi 11/04, http://www.burhoff.de).

Die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Schuldspruchs war daher zu verwerfen.




2. a) Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs lässt jedoch einen Rechtsfehler erkennen, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit und zur Zurückverweisung führt. Die vom Amtsgericht dazu bislang getroffenen Feststellungen sind nämlich lückenhaft und rechtfertigen (noch) nicht die Anordnung des verhängten Fahrverbots.

Das Amtsgericht hat die Verhängung des Fahrverbotes gegen den Betroffenen, der angestellter Außendienstmitarbeiter ist, bislang wie folgt begründet:

   "Den Betroffenen trifft die Verhängung des Fahrverbotes nicht als eine erhebliche Härte. Eine drohende Gefährdung der beruflichen Existenz konnte nicht festgestellt werden. Aufgrund der dem Betroffenen zugebilligten Möglichkeit, das Fahrverbot binnen vier Monaten nach Eintritt der Rechtskraft zu verbüßen, ist es ihm möglich, etwaige Auswirkungen auf seine berufliche Tätigkeit durch die Inanspruchnahme eines Teils des Jahresurlaubs von insgesamt 30 Tagen für das Jahr 2005 abzumildern.

Der weitere Umstand, dass der Betroffene als sogenannter Vielfahrer in überdurchschnittlichem Umfang am Straßenverkehr teilgenommen hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung, denn gerade für einen erfahrenen Verkehrsteilnehmer ist zum einen wegen der vom Gesetzgeber vorgenommenen Konkretisierung in der BKatV, nach der für bestimmte Verstöße regelmäßig die Verhängung eines Fahrverbotes vorgesehen ist, und zum anderen aufgrund der durch hohe Fahrpraxis gewonnenen Erfahrung die Verhängung eines Fahrverbotes vorhersehbar und berechenbar geworden (OLG Hamm, NZV 2003, 103, 104)."

Diese Feststellungen sind lückenhaft (§ 267 StPO). Sie ermöglichen es dem Senat nicht zu überprüfen, ob die vom Amtsgericht getroffene Fahrverbotsentscheidung zutreffend ist oder nicht. Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. 3. Senat für Bußgeldsachen JMBl. 1996, 246; zuletzt in VA 2004, 173). Zwar ist die Entscheidung des Tatrichters vom Rechtsbeschwerdegericht im Zweifel "bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (vgl. u.a. Senat in zfs 1996, 35 = DAR 1996, 68 = VRS 91, 138 sowie in VRS 92, 40, jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Tatrichter muss jedoch - nach ebenfalls übereinstimmender Rechtsprechung der Obergerichte und, wie auch der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. u.a. Senat in VRS 95, 138), - für seine Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben.


Dem wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Das Amtsgericht teilt lediglich mit, dass eine drohende Gefährdung der beruflichen Existenz nicht festgestellt werden konnte. Es ist zwar in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen hat. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur erhebliche Härten, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. OLG Hamm VRS 90, 210; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366). Dass die Verhängung eines Fahrverbotes vorliegend nicht mit derartig schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbunden ist, lässt sich den amtsgerichtlichen Feststellungen gerade nicht entnehmen, Es wird lediglich eine "drohende Gefährdung der beruflichen Existenz" verneint, ohne näher darzulegen, worin diese Gefährdung ggf. besteht bzw. bestehen könnte.

Soweit das Amtsgericht die "Gefährdung der beruflichen Existenz" offenbar auch mit dem Hinweis auf § 25 Abs. 2 a StVG verneinen will, sind auch insoweit nicht ausreichende Feststellungen getroffen worden. Zwar hat der Senat in der Vergangenheit bereits darauf hingewiesen, dass ein Absehen vom Fahrverbot dann nicht in Betracht kommt, wenn der Betroffene einen ggf. drohenden Arbeitsplatzverlust mit zumutbaren Mitteln abwenden kann. Das ist z.B. dann bejaht worden, wenn er die Möglichkeit hat, während der Vollstreckung des Fahrverbots Urlaub zu nehmen (vgl. u.a. OLG Hamm NZV 1996, 118, 119), wobei die Vorschrift des § 25 a StVG von erheblicher Bedeutung ist. Allerdings kann der Betroffene, worauf der Senat bereits ebenfalls hingewiesen hat, nur dann auf die Möglichkeit des Urlaubs verwiesen werden kann, wenn feststeht, dass er tatsächlich noch über einen ausreichend langen Jahresurlaub verfügt, den er innerhalb der Frist des § 25 a Abs. 2 StVG auch "an einem Stück" abwickeln kann (OLG Hamm DAR 1999, 417 (Ls.) = NStZ-RR 1999, 313 = VRS 97, 272 = NZV 2000, 96). Das lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Es spricht nur pauschal von einem Teil des Jahresurlaubs, der in Anspruch genommen werden kann.


III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes zusätzlich hin:

Für die neue Fahrverbotsentscheidung wird zu beachten sein, dass der Betroffene sich bei seiner Urlaubsplanung grundsätzlich auf die Möglichkeit der Verhängung des Fahrverbots wird einrichten müssen (vgl. z.B. OLG Köln VRS 88, 392), und zwar spätestens ab Zustellung des Bußgeldbescheides, in dem ein Fahrverbot angeordnet wird. Allerdings muss das Fahrverbot ebenso wie die daraus resultierenden Folgen für den Betroffenen noch verhältnismäßig sein (vgl. dazu nur BVerfG NJW 1996, 2284). Das bedeutet, dass der Betroffene ggf. auf Wünsche seines Arbeitgebers hinsichtlich seiner Urlaubsplanung Rücksicht nehmen muss und seinen Urlaub nicht frei gestalten und wählen kann.




Der Senat hat auch in der Vergangenheit bereits darauf hingewiesen, dass von einem Fahrverbot dann abgesehen werden kann, wenn feststeht, dass die mit dem Fahrverbot gewünschte Erziehungswirkung auch mit einer empfindlicheren Geldbuße erreicht werden kann und ein Fahrverbot nicht erforderlich ist, um ihn zu verkehrsgerechtem Verhalten anzuhalten. Soweit ersichtlich wird von den Oberlandesgerichten bislang - wohl angesichts der erheblich gewachsenen Verkehrsdichte und da es sich bei den Katalogtaten um besonders schwere Verstöße handelt - die Erforderlichkeit des Fahrverbots in der Regel zwar meist nicht verneint. Der Senat weist aber nochmals daraufhin, dass die Höchstgrenzen für Bußgelder inzwischen verdoppelt worden sind und nach §§ 17 Abs. 1 und 2 OWiG bei Vorsatz jetzt 1000 € und bei Fahrlässigkeit 500 € betragen. Zumindest der normale Durchschnittsverdiener mit entsprechenden Unterhaltspflichten dürfte durch die Ausschöpfung der neuen Höchstsätze mehr als in der Vergangenheit auch ohne Fahrverbot von der erneuten Begehung vergleichbarer Verstöße abzuhalten sein (so auch Deutscher NZV 1999, 113; vgl. dazu auch schon OLG Hamm VA 2001, 151 = NZV 2001, 436 = DAR 2001, 519 = VRS 101, 212 = zfs 2001, 567).


IV.

Nach allem sind damit weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen, so dass das angefochtene Urteil - wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße - im Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen war.

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