Das Verkehrslexikon

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Oberlandesgericht Köln Beschluss vom 02.05.2018 - 1 RBs 113/18 - Anwaltspost abholen ist kein Lieferverkehr

OLG Köln v. 02.05.2018: Befahren einer Fußgängerzone zum Abholen von Anwaltspost in einer Postfiliale ist kein Lieferverkehr


Das Oberlandesgericht Köln (Beschluss vom 02.05.2018 - 1 RBs 113/18) hat entschieden:

   Das Zusatzschild "Lieferverkehr frei" erlaubt einem Rechtsanwalt nicht das Befahren einer Fußgänger-Zone mit einem Pkw, um Anwaltspost aus dem bei einer im Zonenbereich gelegenen Postfiliale angemieteten Postfach abzuholen. Der allgemeine Sprachgebrauch versteht darunter in erster Linie den Transport von Waren und Gegenständen von und zu Kunden. Der (mögliche) Irrtum über die Bedeutung des Begriffs des Lieferverkehrs kann dabei nur einen den Vorsatz unberührt lassenden - vermeidbaren - Verbotsirrtum darstellen.


Siehe auch
Verkehrszeichen
und
Zusatzzeichen


Gründe:


I.

Das Amtsgericht Leverkusen hat den Betroffenen wegen "Parkens in einem Fußgängerbereich, der durch Zeichen 242.1., 242,2 gesperrt war", zu einer Geldbuße von 30 € verurteilt.

Zum Schuldspruch enthält das Urteil folgende Feststellungen:

   Der zur Tatzeit 58-jährige Betroffene ist Rechtsanwalt mit geordneten Einkommensverhältnissen. Er ist Partner der Partnerschaft W & Partner Rechtsanwälte.

Am 13.08.2016 um 8:30 Uhr befuhr der Betroffene mit seinem PKW der Marke L mit dem amtlichen Kennzeichen XXX-YY 727 die Cstraße in M und parkte das Fahrzeug auf Höhe der dort befindlichen Postfiliale. Die Partnerschaft W & Partner Rechtsanwälte hat in dieser Postfiliale ein Postfach angemietet. Aus diesem Postfach wollte der Betroffene Post abholen.

Der Bereich der Cstraße, in dem sich die vorgenannte Postfiliale befindet und in dem der Betroffene seinen PKW abstellte, ist mit Zeichen 242.1 Anl. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO (nachfolgend "Zeichen 242.1") als Fußgängerzone ausgewiesen. Das Schild enthält darüber hinaus den Zusatz "Lieferverkehr werktags 6-10, 13-14h frei."




Gegen dieses Urteil hat der Betroffene durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 9. Oktober 2017 "Rechtsbeschwerde" eingelegt. Nach Zustellung des Urteils am 8. November 2017 hat er mit weiterem Schriftsatz vom 4. Dezember 2017 (Eingang beim Amtsgericht am 7. Dezember 2017) die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des sachlichen Rechts beantragt. Er erhebt die allgemeine Sachrüge und beanstandet im Besonderen, das Amtsgericht habe ihn unter Verkennung des Begriffs des Lieferverkehrs zu Unrecht sanktioniert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Schriftsatz Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Vorlageverfügung vom 29. März 2018 beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und als unbegründet zu verwerfen.

II.

Der in formeller Hinsicht unbedenkliche Zulassungsantrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.

In dem angefochtenen Urteil ist ausschließlich eine Geldbuße von nicht mehr als 250,00 € festgesetzt worden. Die Rechtsbeschwerde ist daher nicht nach § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG ohne weiteres statthaft, sondern bedarf gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG der Zulassung. Deren gesetzliche Voraussetzungen sind hier allerdings nicht gegeben.


Nach § 80 Abs. 1 OWiG kann die Rechtsbeschwerde bei weniger bedeutsamen Ordnungswidrigkeiten, bei denen sie grundsätzlich ausgeschlossen ist, nur ausnahmsweise zugelassen werden, soweit dies nämlich geboten ist, um den Oberlandesgerichten im allgemeinen Interesse Gelegenheit zu geben, durch eine Entscheidung zur Rechtsfortbildung oder zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung beizutragen. Sinn der Regelung ist mithin nicht die Herstellung der rechtlich richtigen Entscheidung im Einzelfall (vgl. SenE v. 24.01.2000 - Ss 191/99 Z -; SenE v. 10.11.2000 - Ss 462/00 Z - = VRS 100, 33 = NZV 2001, 137 [138]; SenE v. 08.01.2001 - Ss 545/00 Z - = DAR 2001, 179 = VRS 100, 189 [190]; Göhler/Seitz-Bauer, OWiG, 17. Aufl., § 80 Rdnr. 3 ff.; Hadamitzky, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 80 Rdnr. 1 m. w. Nachw.).

Im Einzelnen sieht die Bestimmung des § 80 Abs. 1 OWiG vor, dass die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden kann, wenn dies entweder zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (Nr. 1) oder wenn die Aufhebung des Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs geboten ist (Nr. 2). Beträgt - wie im vorliegenden Fall - die festgesetzte Geldbuße nicht mehr als 100,00 €, so ist die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde durch § 80 Abs. 2 OWiG noch weiter, nämlich in der Weise eingeschränkt, dass in den Fällen des § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nur noch die Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung bezogen auf das sachliche Recht die Zulassung rechtfertigt.

Beide Voraussetzungen, die danach die Zulassung der Rechtsbeschwerde ermöglichen, liegen hier nicht vor.

Eine Versagung des rechtlichen Gehörs, die mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend zu machen wäre (st. Senatsrechtsprechung; vgl. SenE 04.02.1999 - Ss 45/99 Z - = NZV 1999, 264 = VRS 96, 451; SenE v. 15.04.1999 - Ss 154/99 Z - = VRS 97, 187 = NZV 1999, 436; SenE v. 08.01.2001 - Ss 545/00 Z - = DAR 2001, 179 = VRS 100, 189 [190]; SenE v. 11.01.2001 - Ss 532/00 Z - = VRS 100, 204; OLG Düsseldorf VRS 97, 55 = NZV 1999, 437 L.; OLG Hamm VRS 98, 117 f.), ist weder dargetan noch sonst erkennbar.




Der vorliegende Fall gibt entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft darüber hinaus auch keine Veranlassung, allgemeine Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. BGH VRS 40, 134 [137]).

1. Der Senat folgt der Auffassung des Amtsgerichts, wonach der Betroffene die Fußgängerzone nicht befahren durfte. Die Entscheidung steht im Einklang mit der zum Begriff des Lieferverkehrs ergangenen und vom Tatrichter herangezogenen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung. Darüber hinaus zulassungsbedürftige Fragen in dieser Hinsicht wirft die Sache daher nicht auf.

Es stößt bereits an die Grenzen des Wortsinns, die Erledigung postalischer Geschäfte für die Anwaltskanzlei unter den Begriff des Lieferverkehrs zu fassen. Der allgemeine Sprachgebrauch versteht darunter in erster Linie den Transport von Waren und Gegenständen von und zu Kunden (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1993 - 11 C 38/92 - = NJW 1994, 1080; KG, Beschl. v. 14.08.1981 - 3 Ws (B) 362/89 = VRS 62, 65 ff.). Jedenfalls dienen Fußgängerzonen dem Schutz der Fußgänger, die Gelegenheit haben sollen, unbehindert und unbelästigt von Kraftfahrzeugen in Muße - ohne dass sie dabei erschreckt, gefährdet oder überrascht werden (BVerwG, a.a.O., S. 1080) - Einkäufe zu tätigen und sich die Auslagen der Geschäfte anzusehen; grundsätzlich findet deshalb dort ein motorisierter Straßenverkehr nicht statt. Ausnahmen sind nur in eng begrenztem Rahmen zulässig, um die Aufrechterhaltung eines ordnungsmäßen Geschäftsbetriebs zu gewährleisten - dazu kann etwa auch die Bestückung von Schaukästen gehören (vgl. OLG Thüringen, Beschl. v. 17.07.2012 - 1 Ss Rs 67/12 (146) - bei juris) - oder die Belieferung von in der Fußgängerzone gelegenen Geschäften zu ermöglichen (BayObLG, Beschluss vom 27.09.1990 - 1 Ob OWi 259/90 - = NZV 1991, 164 [KG Berlin 06.12.1990 - 2 Ss 252/90]). Nicht Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift ist es hingegen, den Gewerbetreibenden bei der Vornahme von Allerweltsgeschäften zu privilegieren, wie sie bei jedem anderen Geschäftstätigen aber auch bei Privaten anfallen und die - wie hier - in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Geschäftstätigkeit stehen (vgl. VG Gelsenkirchen Urt. v. 10.6.2016 - 17 K 4420/13, BeckRS 2016, 48220 zum vergleichbaren Fall des Haltens in einer Lieferzone).


2. Da der hier zu beurteilende Sachverhalt - wie ausgeführt - keine Veranlassung bietet, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, sieht sich der Senat an der an sich gebotenen Änderung des Schuldspruchs in vorsätzliche Begehungsweise gehindert. Der Betroffene ist wissentlich in die Fußgängerzone eingefahren. Der (mögliche) Irrtum über die Bedeutung des Begriffs des Lieferverkehrs kann dabei nur einen den Vorsatz unberührt lassenden Verbotsirrtum darstellen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 02.11.1989 - 3 Ss (OWi) 229/89 - = NJW 1990, 589 [BVerwG 03.11.1989 - BVerwG 1 B 131.89]), dessen Folgen sich nach § 11 Abs. 2 OWiG richten. Gem. § 11 Abs. 2 OWiG handelt (nur) derjenige nicht vorwerfbar, der seinen Verbotsirrtum nicht vermeiden konnte. Ein Verbotsirrtum ist vermeidbar, wenn der Täter bei Anwendung derjenigen Sorgfalt, die ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seinem Lebens- und Berufskreis zuzumuten war, das Unerlaubte seines Tuns hätte erkennen können, wobei er alle seine geistigen Erkenntniskräfte einzusetzen und etwaige Zweifel durch Nachdenken und erforderlichenfalls durch Einholung von Rechtsrat zu beseitigen hat (BGHSt 21, 18 [20]). Ein Irrtum über die Bedeutung einer Verkehrsregelung ist dabei in aller Regel als vermeidbar anzusehen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 11.07.2007 - 3 Ss OWi 924/07 - = NJW 2007, 3081). Insbesondere mit Blick auf den beruflichen Hintergrund des Betroffenen hätte dieser entsprechende Informationen einholen und erkennen können, dass der erforderliche Zusammenhang mit seiner Geschäftstätigkeit fehlte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1 StPO, 46 OWiG.

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