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Landgericht Potsdam Urteil vom 16.12.2003 - 27 Ns 188/03 - Wenden vor einer Polizeikontrolle

LG Potsdam v. 16.12.2003: Abgrenzung für vorsätzliche oder nur fahrlässig begangene Trunkenheitsfahrt: Wenden vor einer Polizeikontrolle


Das Landgericht Potsdam (Urteil vom 16.12.2003 - 27 Ns 188/03) hat entschieden:

  1.  Den Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB verwirklicht auch derjenige vorsätzlich, der sich im Verlaufe der Fahrt der Möglichkeit seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bewusst wird und dennoch die Fahrt fortsetzt.

  2.  Zur Feststellung des Vorsatzes reicht alleine die Blutalkoholkonzentration nicht aus; vielmehr müssen weitere Indizien hinzutreten, die darauf schließen lassen, dass dem Täter zumindest die Möglichkeit seiner Fahruntüchtigkeit bewusst ist. Solche Indizien ergeben sich beispielsweise aus dem Fahrverhalten des Täters oder seines Verhaltens bei einer polizeilichen Kontrolle. Ein solches Indiz liegt etwa darin, dass der Täter angesichts einer polizeilichen Verkehrskontrolle ein Wendemanöver ausgeführt und diese Kontrolle zu umgehen versucht.

  3.  Das gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vermutete Fehlen der charakterlichen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen kann nicht (mehr) festgestellt werden, wenn der Täter aus seiner Trunkenheitsfahrt deutliche Konsequenzen gezogen und seine Lebensführung - insbesondere seinen Alkoholkonsum - nachhaltig verändert hat. Von einer nachhaltigen Veränderung der Alkoholgewohnheiten des Täters kann etwa dann ausgegangen werden, wenn dieser unter erheblichem Einsatz von Geld und Zeit erfolgreich an einer intensiven Rehabilitationsmaßnahme für alkoholauffällige Kraftfahrer teilgenommen hat, ihm eine positive Verkehrsprognose erteilt und ein guter Rehabilitationserfolg bescheinigt wurde sowie eine laborärztliche Blutuntersuchung ergeben hat, dass auf Grund der untersuchten relevanten klinisch-chemischen Laborwerte keine Hinweise auf einen akuten oder chronischen Alkoholabusus bestehen.


Siehe auch
Schuldform - Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Alkoholtaten
und
Stichwörter zum Thema Alkohol

Gründe:


(abgekürzt gemäß §§ 332, 267 Abs. 4 StPO)

Das Amtsgericht K.... W..... hat den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr kostenpflichtig zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 40,00 Euro verurteilt, die Fahrerlaubnis Entzogen, den Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Erteilung der Fahrerlaubnis von 4 Monaten angeordnet. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufung hat teilweisen Erfolg.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte ist verheiratet und hat keine Unterhaltsverpflichtungen. Er ist von Beruf Koch und derzeit noch als Küchenchef tätig. Seine Anstellung endet jedoch auf Grund einer betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers zum 15. Dezember 2003. Nach diesem Zeitpunkt ist der Angeklagte arbeitslos. Sein Arbeitslosengeld ist noch nicht festgesetzt; es wird sich voraussichtlich auf 750 Euro monatlich belaufen. Die Ehefrau des Angeklagten verfügt über ein eigenes Einkommen. Die Miete in Höhe von 250 Euro wird jeweils zur Hälfte vom Angeklagten und seiner Ehefrau getragen.

Der Angeklagte hat früher regelmäßig alkoholische Getränke zu sich genommen. Nach seinen eigenen Angaben hat er vor der hier gegenständlichen Tat wöchentlich etwa einen Kasten Bier getrunken und darüber hinaus bei entsprechenden Gelegenheiten auch Wein oder Sekt oder andere Getränke konsumiert. Aufgerüttelt durch die hier gegenständliche Tat und das Strafverfahren hat der Angeklagte an einer intensiven Rehabilitationsmaßnahme für alkoholauffällige Kraftfahrer teilgenommen und - seinen eigenen Angaben zufolge - sein Trinkverhalten verändert. Er hat mitgeteilt, dass er derzeit fast abstinent lebe und maximal etwa ein Glas Bier in der Woche konsumiere.




Ausweislich der in der Berufungsverhandlung verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 24. November 2003 ist der Angeklagte nicht vorbestraft. Er ist auch verkehrsrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten.

Die Berufungsverhandlung hat zu folgenden Feststellungen geführt: Am 10. Februar 2003 befuhr der Angeklagte nach vorangegangenem Alkoholgenuss gegen 19.50 Uhr mit dem Pkw Audi, u. a. die Friedensstraße in Pr., obwohl er zu diesem Zeitpunkt unter erheblicher alkoholischer Beeinflussung stand. Als der Angeklagte auf die Bundesstraße B 246 einbiegen wollte, bemerkte er, dass an der nächsten Straßenkreuzung eine Verkehrskontrolle der Polizei stand. Der Angeklagte legte den Rückwärtsgang ein, wendete sein Fahrzeug und versuchte die Verkehrskontrolle durch die Benutzung anderer Straßen zu umgehen. Er wurde von den Polizisten, die das Fahrverhalten des Angeklagten bemerkt hatten, gestellt. Der Angeklagte wusste, dass er unter alkoholischer Beeinflussung stand. Die Untersuchung der dem Angeklagten um 20.45 Uhr entnommenen Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,46 Promille. Dem Angeklagten wurde die Fahrerlaubnis vorläufig am 10. Februar 2003 entzogen.

Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf der teilweise geständigen Einlassung des Angeklagten sowie dem Ergebnis der in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme, deren Umfang sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt. Der Angeklagte räumt das äußere Geschehen ein und hat seine Alkoholisierung erstinstanzlich damit erklärt, dass er am Tattag in seiner Tätigkeit als Koch mehrere Soßen mit Alkohol zubereitet und abgeschmeckt habe. Ferner hat der Verteidiger die Auffassung vertreten, dem Angeklagten sei eine vorsätzliche Tatbegehung nicht nachgewiesen.


Der Angeklagte hat sich der vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt gem. § 316 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, indem er ein Fahrzeug geführt hat, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Zum Tatzeitpunkt hat der Angeklagte mindestens soviel Alkohol im Körper gehabt, dass sich bei der um 20.45 Uhr - also nahezu eine Stunde nach der Tat - entnommenen Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,46 Promille ergab. Der Angeklagte handelte auch in Hinblick auf seine Trunkenheit mit Vorsatz. Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Angeklagte den Alkohol aufgenommen hat, ohne dies zu bemerken, ist davon auszugehen, dass er sich des vorangegangenen Genusses alkoholischer Getränke bewusst war. Spätestens in dem Zeitpunkt, als er die Polizeikontrolle sah, und dieser durch sein Wendemanöver auszuweichen versuchte, hat der Angeklagte auch mit der Möglichkeit seiner Fahruntüchtigkeit gerechnet und diese in Kauf genommen. Die vorsätzliche Begehung einer Trunkenheitsfahrt im Sinne von § 316 Abs. 1 StGB erfordert das Vorliegen des Vorsatzes auch in Hinblick auf die mangelnde Fahrtüchtigkeit des Fahrers. Der Vorsatz setzt in diesem Zusammenhang voraus, dass sich der Täter der Tatsache oder zumindest der Möglichkeit seiner Fahruntüchtigkeit bewusst ist und sich dennoch zur Fahrt entschließt oder die Fahrt fortsetzt, obwohl ihm die Tatsache oder die Möglichkeit seiner Fahruntüchtigkeit im Verlaufe der Fahrt bewusst geworden ist (Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 316, Rz 9a m.w.N.). Zur Feststellung des Vorsatzes reicht alleine die Blutalkoholkonzentration nicht aus; vielmehr müssen weitere Indizien hinzutreten, die darauf schließen lassen, dass dem Täter zumindest die Möglichkeit seiner Fahruntüchtigkeit bewusst ist. Solche Indizien ergeben sich beispielsweise aus dem Fahrverhalten des Täters oder seines Verhaltens bei einer polizeilichen Kontrolle (Tröndle/Fischer, a.a.O., § 316, Rz 9 b). Ein solches Indiz liegt im hier zur Aburteilung anstehenden Fall darin, dass der Angeklagte angesichts der polizeilichen Verkehrskontrolle ein Wendemanöver ausgeführt und diese Kontrolle zu umgehen versucht hat. Jedenfalls in diesem Zeitpunkt ist dem Angeklagten zum Bewusstsein gelangt, dass er auf Grund seiner Alkoholisierung die Fähigkeit verloren haben könnte, das Fahrzeug sicher zu führen. Das Wendemanöver des Angeklagten kann nur in dieser Überlegung seinen Grund gefunden haben. Dabei war dem Angeklagten keine Differenzierung möglich, ob seine Alkoholisierung die für eine Ordnungswidrigkeit maßgebliche Grenze von 0,5 Promille oder die für die absolute Fahruntüchtigkeit maßgebliche Grenze von 1,1 Promille überschritten haben kann. Mit seinem Verhalten hat der Angeklagte zum Ausdruck gebracht, dass er seiner Alkoholisierung eine erhebliche Bedeutung beigemessen hat, dass er mit anderen Worten nicht darauf hoffte, dass seine Alkoholisierung bei einer Verkehrskontrolle unentdeckt bleiben könnte. Damit ist der Angeklagte von einer erheblichen eigenen Alkoholisierung ausgegangen, die ihm im Falle einer Verkehrskontrolle Probleme bereiten könnte.

Bei der Strafzumessung hatte das Gericht von dem Strafrahmen des § 316 Abs. 1 StGB auszugehen, der bei einer Trunkenheitsfahrt Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe anordnet. Die Voraussetzungen für die Herabsetzung des Strafrahmens gem. § 21 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB liegen nicht vor, da der Angeklagte nicht in einer Weise alkoholisiert war, die eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit zur Folge gehabt hätte. Im übrigen kommt nach der neueren Rechtsprechung des BGH eine Strafrahmenverschiebung nach den genannten Vorschriften regelmäßig nicht in Betracht, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf verschuldeter Trunkenheit beruht (BGH, NJW 2003, 2396). Zu Gunsten des Angeklagten ist zu berücksichtigen, dass sich dieser zum äußeren Hergang geständig eingelassen hat und dass er weder strafrechtlich noch verkehrsrechtlich vorbelastet ist. Zu Gunsten des Angeklagten wirkte sich ferner aus, dass er sich einer intensiven Rehabilitationsmaßnahme für alkoholauffällige Kraftfahrer unterzogen und hierfür viel Geld und Zeit aufgewendet hat. Ferner kann zu seinen Gunsten allenfalls eine alkoholbedingte Enthemmung berücksichtigt werden. Gegen den Angeklagten spricht jedoch die erhebliche Alkoholisierung von (mindestens) 1,46 ‰.. Angesichts dieser Umstände war die Ahndung der Tat mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen tat- und schuldangemessen. Mit Rücksicht auf die sich abzeichnenden verändernden wirtschaftlichen Verhältnisse, die nach der gegenwärtigen Wirtschaftslage nicht nur vorübergehend Bestand haben dürften, hat die Kammer den Tagessatz auf 25,00 Euro festgesetzt.



Gegen den Angeklagten war keine weitere Fahrerlaubnissperre mehr zu verhängen, da die Kammer eine mangelnde charakterliche Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht (mehr) feststellen konnte. Zwar liegt ein Regeltatbestand gem. § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor, in dem der Täter regelmäßig als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Der vorliegende Fall weicht jedoch erheblich von dem Regelfall ab, da der Angeklagte mit erheblichem Einsatz von Geld und Zeit erfolgreich an einer intensiven Rehabilitationsmaßnahme für alkoholauffällige Kraftfahrer teilgenommen hat. Ausweislich der in der Berufungsverhandlung verlesenen Bescheinigung der Gesellschaft für individualpsychologische Verkehrstherapie I-H vom 05. Oktober 2003 hat der Angeklagte zwischen März und Oktober 2003 an einer Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen, die in Form von zweiwöchentlichen Gesprächen in einer therapeutischen Kleingruppe, ergänzt durch Einzeltherapiestunden und während eines dreitägigen Intensivseminars durchgeführt wurde. Dabei hat der Angeklagte 28 Therapiestunden in einer Klein- und Intensivgruppe für drei bis fünf Personen in Berlin, 20 Therapiestunden in einer Kleingruppe (drei bis fünf Personen) während eines in sich abgeschlossenen Intensivseminars in Jüterbog und sechs Einzeltherapiestunden absolviert. Für diese Rehabilitationsmaßnahme hat der Angeklagte mehr als 1.000 Euro aufgewendet. Der Leiter der I-H Berlin/Brandenburg und I-H Aachen/Heinsberg A. H. hat dem Angeklagten eine positive Verkehrsprognose erteilt und einen guten Rehabilitationserfolg bescheinigt. Dieser Erfolg wird unterstützt durch eine ärztliche Blutuntersuchung, auf Grund derer die Praxisgemeinschaft Dr. Li. und Dr. Lo. aus Berlin dem Angeklagten bescheinigt haben, dass auf Grund der untersuchten relevanten klinisch-chemischen Laborwerte keine Hinweise auf einen akuten oder chronischen Alkoholabusus bestehen. Der Angeklagte hat aus dem Vorfall deutliche Konsequenzen gezogen und seine Lebensführung - insbesondere seinen Alkoholkonsum - nachhaltig verändert. Aus diesem Grunde kann das gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vermutete Fehlen der charakterlichen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei ihm nicht festgestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 in Verbindung mit § 473 Abs. 1 und 3 StPO.

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