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Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 20.06.2017 - 4 RBs 169/17 - Nichtüberlassung der Rohmessdaten

OLG Hamm v. 20.06.2017: Keine Gehörsverletzung durch Nichtüberlassung der Rohmessdaten


Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 20.06.2017 - 4 RBs 169/17) hat entschieden:

   Durch die Nichtüberlassung der Rohmessdaten - oder der Lebensakte und der Gebrauchsanweisung des Messgerätes sowie des Messfilms, Messdateien, des Messvideos -, die sich nicht bei den Akten, sondern bei der Verwaltungsbehörde befinden, wird der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) von vornherein nicht beeinträchtigt.


Siehe auch
Akteneinsichtsrecht in die Bedienungsanleitungen
und
Rechtliches Gehör im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:


Der Antrag des Betroffenen vom 23.2.2017 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 30.1.2017, mit welchem er wegen fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 4Abs. 3, 349 StVO i.V.m. § 24 StVG zu einer Geldbuße von 120,00 EUR verurteilt worden ist, ist gem. § 80 Abs. 3 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

In der Sache ist der Antrag aber unbegründet, da es nicht gemäß § 80 Abs. 1 OWiG geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

Das vorliegende Verfahren bietet keinen Anlass, die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde nur dann zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder zur rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken aufzustellen oder zu festigen (Göhler, OWiG, 16. Auflage 2016, § 80 OWiG Rn. 3). Demnach kommt die Fortbildung des Rechts nur bei entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfragen in Betracht. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet der vorliegende Einzelfall keinen Anlass, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG liegt ebenfalls nicht vor. Er ist nur dann gegeben, wenn ansonsten schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen würden, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung insgesamt hat (vgl. Göhler, OWiG, 16. Auflage 2016, § 80 Rn. 4). Solche Unterschiede werden nicht vorgetragen und sich auch nicht ersichtlich.

Das Urteil ist auch nicht gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Es kann dahinstehen, ob die insoweit erhobene Rüge überhaupt den formellen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG gerecht wird (vgl. zu diesem Erfordernis nur Göhler OWiG, 16. Auflage 2016, § 80 Rn. 16a m.w.N.). Denn jedenfalls ist die Rüge unbegründet.

Durch die Nichtüberlassung der Rohmessdaten - oder wie hier der Lebensakte und der Gebrauchsanweisung des Messgerätes sowie des Messfilms, Messdateien, des Messvideos -, die sich nicht bei den Akten, sondern bei der Verwaltungsbehörde befinden, wird der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) von vornherein nicht beeinträchtigt. Denn durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs soll garantiert werden, dass einer Entscheidung nur Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen der Betroffene Stellung nehmen konnte; einen Anspruch auf Aktenerweiterung vermittelt Art. 103 Abs. 1 GG dagegen nicht (OLG Bamberg, Beschluss vom 5.9.2016 - 3 Ss OWi 1050/16 -, Rn. 5). Da das Amtsgericht aber gemäß § 261 StPO ausschließlich auf der Grundlage des in der Hauptverhandlung ausgebreiteten und abgehandelten Tatsachenstoffs entschieden und der Betroffene insoweit hinreichende Gelegenheit hatte, sich zu diesem Tatsachenstoff umfassend zu äußern, ist durch die Nichtüberlassung digitaler Messdateien und sonstiger Unterlagen, die das Gericht zu seiner Überzeugungsbildung gerade nicht herangezogen hat, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gegeben.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn dem Betroffenen keine Möglichkeit gegeben wird, sich zu allen entscheidungserheblichen und für ihn nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, Ausführungen zu machen und Anträge zu stellen. Für das Gericht besteht die Verpflichtung, das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist jedoch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen ausdrücklich in den Entscheidungsgründen zu bescheiden, aus den Ausführungen des Betroffenen die von ihm gewünschten Schlussfolgerungen zu ziehen oder den von ihm gestellten Anträgen zu entsprechen. Die Rüge, dass der Tatrichter nicht alle von der Betroffenen für erforderlich gehaltenen Beweise erhoben habe, vermag in der Regel die Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht zu begründen (vgl. BVerfG NVwZ 1988, 523, 524; ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. u. a. Beschluss vom 28.1.1998 - 5 Ws (B) 47/98).

Der Betroffene war vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und der Verteidiger hat an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen. Der Verteidiger hatte im Vorfeld der Hauptverhandlung mit Schriftsätzen vom 25.8.2016 und vom 30.1.2017 vorgetragen und u.a. Beweisanträge gestellt. Die Rechtsbeschwerde trägt vor, dass eine Berücksichtigung dieser Schriftsätze weder im Hauptverhandlungsprotokoll noch in den Urteilsgründen erfolgt sei. Tatsächlich hat das Gericht die Ordnungsgemäßheit der Messung festgestellt und eine Beweiserhebung durchgeführt. Dies stellt eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verteidigers dar.

Soweit die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang ferner hilfsweise beanstandet, das Gericht habe seine aus § 244 Abs. 2 StPO folgende Aufklärungspflicht verletzt, indem es keine weitere Sachverhaltsaufklärung durchgeführt habe, ist der Rüge nicht zu entnehmen, aus welchem Grund eine weitere Sachverhaltsaufklärung geboten war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 StPO.

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