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Landgericht Potsdam Urteil vom 05.01.2018 - 6 O 226/17) - Anwendbares Recht bei Unfall mit Ausländebeteiligung und Nachweis der Aktivlegitimation des Klägers

LG Potsdam v. 05.01.2018: Nachweis der Aktivlegitimation des Klägers und zur Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage




Das Landgericht Potsdam (Urteil vom 05.01.2018 - 6 O 226/17) hat entschieden:

  1.  Wenn die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, so unterliegt die unerlaubte Handlung dem Recht dieses Staates.

  2.  Zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung, wenn der Tatrichter hinsichtlich der Aktivlegitimation des Klägers von der Aussage des einzigen Zeugen nicht überzeugt ist.


Siehe auch
Die Beweiswürdigung in Zivilsachen
und
Unfälle mit Auslandsberührung / Entschädigungsfonds (Verkehrsopferhilfe) und Büro Grüne Karte


Tatbestand:


Der Kläger begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall am 14. Juni 2016 im Kreisverkehr "Boherterowa" in Stettin, an dem beteiligt waren zum einen ein von dem Zeugen S gefahrener Porsche und zum anderen ein von dem Zeugen B gefahrener Ford Mondeo.

Der Kläger holte ein Gutachten der R Sachverständigen GmbH aus Berlin zu Kosten von 2.416,65 € brutto ein und trat dieser hierfür seinen Schadensersatzanspruch insoweit erfüllungshalber ab. Nach dem Gutachten betragen die Reparaturkosten 25.224,07 € netto bei einem Wiederbeschaffungsaufwand von 45.000 € netto. Mit Anwaltsschreiben vom 7. September 2016 bat der Kläger erfolglos um Regulierung.

Der Kläger macht mit der Klage die Nettoreparaturkosten laut Gutachten in Höhe von 25.224,07 € geltend, die Gutachterkosten von 2.416,65 € brutto und eine Unfallpauschale von 25 €. Er behauptet hierzu, er sei Eigentümer des Porsche, den er am 10. Juni 2016 in Löcknitz von dem Zeugen S des Autohandels B aus Stettin als vormaliger Eigentümerin zu 39.000 € erworben habe. Diesem habe er das Fahrzeug für eine Reklamation zurückgebracht; auf der Probefahrt sei dann der Unfall passiert. Es sei in Polen bei Fahrzeugveräußerungen üblich, dass eine Ummeldung erst nach Ablauf des vom Vorbesitzer bereits bezahlten Versicherungszeitraums von üblicherweise einem Jahr erfolge. Das Fahrzeug habe in Deutschland einem Vollgutachten unterzogen werden sollen, was ebenfalls gegen eine Ummeldung gesprochen habe.




Zum Unfallhergang behauptet er: Der Porsche sei in der rechten Spur des Kreisverkehrs gefahren, als plötzlich der in der linken Spur des Kreisverkehrs fahrende Ford – entgegen dem auch insoweit dem deutschen Straßenverkehrsrecht entsprechenden Ortsrecht – in seine Spur gekommen sei und ihn an den rechten Bordsteinrand gedrückt habe. Dadurch sei der Porsche nicht nur links, sondern auch rechts vorne beschädigt worden. Er müsse auf die Weise und zu dem Aufwand repariert werden wie in dem Gutachten R ausgewiesen bei dem im Gutachten ausgewiesenen Wiederbeschaffungswert von 45.000 €. Er habe das Fahrzeug am 14. November 2016 zu 14.500 € an den Zeugen K verkauft.

Er beantragt,

   die Beklagte zu verurteilen, an ihn 27.665,72 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

und

ihn von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 € freizustellen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet die Aktivlegitimation hinsichtlich des Fahrzeugs wie hinsichtlich der Gutachterkosten. Der Vortrag zur angeblichen Probefahrt sei widersprüchlich. Auch die Angaben zum Restwert seien falsch. Das Fahrzeug, laut Polizeibericht auf eine dritte Person zugelassen, habe im Jahr 2014 in den USA einen Totalschaden erlitten. Der Anspruch betreffend die Gutachterkosten sei an den Gutachter abgetreten, die Anwaltskosten von dem klägerischen Rechtsschutzversicherer zu bezahlen.

Zum Unfall sei es tatsächlich nur gekommen, weil der Porsche den ordnungsgemäß blinkende Ford von rechts überholt und diesen dann an der rechten Seite gerammt habe, ohne selbst an den Bordstein gedrückt worden zu sein. Aus diesem Grunde seien auch die behaupteten Reparaturarbeiten nicht erforderlich, um unfallbedingte Beschädigungen zu beheben. Der Wiederbeschaffungswert liege nur bei etwas über 13.000 € netto = brutto 15.825 €.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen S . Auf das Protokoll vom 15. Dezember 2017 wird Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


1. Die Klage ist zulässig, insbesondere vor dem zuständigen Gericht erhoben. Die Beklagte hat im Sitz des hiesigen Gerichts eine Niederlassung im Sinne des § 21 ZPO.

2. Die Klage ist aber unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

a) Auf das Rechtsverhältnis der Parteien findet ungeachtet des ihm zugrunde liegenden Unfalls in Polen deutsches Recht Anwendung gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom-​II-VO (EG) 864/2007. Denn abweichend von Absatz 1, der auf den Erfolgsort abstellt (vgl. ausführlich Junker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Rom II-​VO Art. 4 Rdnr. 18 ff), knüpft Absatz 2 dieser Vorschrift an den Staat des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsortes an: Wenn die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, so unterliegt die unerlaubte Handlung dem Recht dieses Staates. Das ist vorliegend Deutschland unabhängig davon, ob hierbei auf die Person des Unfallgegners abzustellen ist oder auf den beklagten Haftpflichtversicherer. Denn beide haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Sitz (vgl. Art. 23 der Verordnung) ebenso in Deutschland wie der Kläger.

b) Der gegenüber der Beklagten allein auf die ohne weiteres zum deutschen Recht im genannten Sinne zählenden (vgl. OLG Brandenburg NJW-​RR 2016, 1083/1041) §§ 7 und 18 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG und § 1 PflVG zu gründende Anspruch besteht nicht. Denn er setzt zunächst die Verletzteneigenschaft des Anspruchsstellers voraus, das heißt dass bei dem Betrieb unter anderem eines Kraftfahrzeugs seine Sache beschädigt worden ist und er deshalb einen Schaden erlitten hat. Bereits dies ließ sich nicht feststellen.

Die Beklagte hat die Eigentümerstellung des Klägers bestritten, für die auch nicht § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB streitet. Nach dieser Vorschrift wird zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache vermutet, dass er Eigentümer der Sache sei. Der Kläger war aber zum Unfallzeitpunkt nicht Besitzer des dabei beschädigten Pkw Porsche. Er selbst fuhr das Fahrzeug nicht, sondern der Zeuge S , der damit unmittelbaren Besitz hatte, und zwar nicht lediglich als Besitzdiener des Klägers im Sinne des § 855 BGB.

Der Kläger hat seine Eigentümerstellung auch nicht zu beweisen vermocht. Der von ihm allein hierzu angebotene und entsprechend vernommene Zeuge hat nicht die Überzeugung des Gerichts von der Übereignung des Fahrzeugs an den Kläger zu begründen vermocht. Zwar hat der Zeuge das von dem Kläger Behauptete auf den ersten Blick bestätigt. Seine Aussage war jedoch nicht glaubhaft. Selbst bei besonders sorgfältig beobachtenden und allem Anschein nach wahrheitsliebenden und objektiven Zeugen kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass der bekundete Sachverhalt mit der Realität übereinstimmt. Die Sicherheit der Aussage ist ebenso wenig ein ausreichender Indikator dafür, dass ihr Inhalt objektiv richtig ist. Es ist deshalb erforderlich, in erster Linie Anhaltspunkte zu finden, die dafür sprechen, dass die Auskunftsperson die Wahrheit sagt. Hierfür muss zunächst im Sinne einer so genannten Nullhypothese angenommen werden, die Aussage sei unwahr. Diese Annahme überprüft man anhand verschiedener Hypothesen. Ergibt sich, dass die Unwahrhypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage handelt. Dies bedeutet, dass jede Zeugenaussage solange als unzuverlässig gilt, als die Nullhypothese nicht eindeutig widerlegt ist. Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man bei der Bewertung von Aussagen von einer neutralen Anfangswahrscheinlichkeit für deren Zuverlässigkeit ausgeht und sodann überprüft, ob anhand von Qualitätsmerkmalen, so genannte Realkennzeichen oder Realitätskriterien, eine (ausreichend) hohe Wahrscheinlichkeit für die Zuverlässigkeit der Aussage erreicht werden kann. Als Realitätskriterien gelten beispielsweise der Detailreichtum einer Aussage, die Schilderung von Komplikationen, geschehenstypische Einzelheiten, individuelle Prägung, Schilderung von gefühlsmäßigen Reaktionen, psychische Folgewirkungen, Verflechtung der Angaben mit anderen Geschehnissen und das Nichtsteuerungskriterium, das auf eine inhaltlich und chronologisch nicht geordnete, sprunghafte Wiedergabe abstellt (vgl. nur OLG Frankfurt, NJW-​RR 2013, 664 m. w. N. auch zur Rechtsprechung des BGH wie etwa in BGHSt 45, 164 und zur Literatur).

Die Aussage des Zeugen S enthält keine ausreichenden entsprechenden Merkmale. Sie bleibt zum einen durchgehend vage. Das einzig Konkrete ist neben der Identität des Fahrzeugs der Unfallort Stettin. Selbst die Preise gab er nur auf Nachfrage an, obzwar sie sich bereits aus den Kaufverträgen ergeben. Schon den Namen des vermeintlichen Verkäufers oder auch nur der vormaligen Halterin – der sich aus ihnen ebenfalls ergab – konnte der Zeuge nicht angeben. Das mag allerdings noch nachvollziehbar sein bei einem Autohändler, der oft Gebrauchtfahrzeuge von den und an die verschiedensten Kunden (ver)kauft. Es korrespondiert aber mit der äußersten Detailarmut im Übrigen. Der Zeuge konnte weder etwas zum Zeitpunkt des angeblichen Ankaufs sagen – er habe nur "vielleicht vier bis sechs Wochen vor dem Weiterverkauf" gelegen – noch zum Ort des Ankaufs, der "in Stettin", "in einer Tiefgarage" gewesen sei. Selbst diese Nicht-​Information gab der Zeuge erst auf mehrmaliges Nachfragen preis, nicht anders als wenn er sie sich erst im Laufe der Befragung zurechtgelegt hätte. Auch den eigentlichen An- und Verkaufsvorgang konnte er nur in ganz allgemeinen Worten skizzieren. Er konnte kein lebendiges Bild dieser Vorgänge zeichnen. Alles ging angeblich glatt mit der einzigen Ausnahme der Papiere, die jeweils noch zu besorgen waren, was aber auch kein größeres Problem war. Eine Untersuchung des Fahrzeugs erfolgte nicht. Viel gesprochen wurde offenbar auch nicht. Im Ganzen kann beides jeweils in ein oder zwei Minuten abgehandelt worden sein wie ein Brötchenkauf, obgleich doch erheblich höhere Summen bzw. Werte in Rede stehen.

Die Suche nach dem Käufer, dem jetzigen vermeintlichen Eigentümer, beschrieb der Zeuge nun vollends allgemein, so sehr, dass es ihm letztlich sogar selbst auffiel. Es ist in keiner Weise erkennbar, dass der Zeuge hier etwas in irgendeiner Weise Erlebnisbasiertes angab, und nicht vielmehr nur das allgemein Übliche als das ausgab, was hier geschehen sein muss. An alles Konkrete konnte er sich nicht erinnern. Das betrifft auch die Nachfrage beim Informationsdienst ... und die Information über die Unfallhistorie des Fahrzeugs. Diese sei ihm zunächst ganz unbekannt gewesen; als ihm der ausdrückliche Vermerk hierüber gezeigt wurde, versuchte er sich zunächst damit herauszureden, dass womöglich nicht er das geschrieben habe, ehe ihm als weitere Variante einfiel, dass er die Information ja zwischenzeitlich habe erlangen können.

Auch ist das Wenige vom ihm Ausgesagte in sich nur wenig nachvollziehbar und daher kaum glaubhaft. Das betrifft vor allem den angeblich komplett unkomplizierten Kauf des Fahrzeugs aus einer Tiefgarage heraus von einem dem Zeugen unbekannten Verkäufer im Namen einer zwar in den Papieren auftauchenden, ihm aber nie begegnenden Halterin, ohne eine nähere technische Untersuchung des Kaufgegenstandes. Der Zeuge will allein auf den äußeren Schein abgestellt haben, seien es die Felgen oder die besondere Farbe des Lacks, obgleich er, wie er selbst erklärte, in Deutschland als Händler die Gewährleistung nicht wirklich beschränken kann. Dies erklärte er mit dem besonders günstigen Preis des Fahrzeugs. Auf der anderen Seite habe er sehr lange gewartet, bis der Preis des lange angebotenen Fahrzeugs so weit gesunken sei, dass er bzw. es interessant genug sei. Kaum glaubhaft erscheint auch eine geradezu magische Wertsteigerung auf nahezu das Vierfache durch die bloße Überführung des Fahrzeugs nach Deutschland und das Besorgen der deutschen Papiere, die aber relativ leicht zu erlangen sei angesichts der Vorzulassung in Polen, einem anderen europäischen Staat.

Nur ergänzend ist anzumerken, dass der Zeuge auch die Übereignung des Fahrzeugs an den Kläger nicht bekundet hat. Nach dem von ihm Geschilderten liegt vielmehr nahe, dass die Übereignung noch bevorstand. Denn er gab an, zu seinen Leistungspflichten habe gehört, das Fahrzeug mit einer deutschen Zulassung zu übergeben. Das habe noch ausgestanden. Dem entspricht, dass der Kaufvertrag vom 10. Juni 2016 angibt, das Fahrzeug werde erst am 16. Juni 2016 übergeben, und der Zeuge von einer noch fehlenden "Vollabnahme" sprach. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das Fahrzeug gleichwohl schon am 10. Juni 2016 übereignet worden sein soll.

Angesichts dessen können die zahlreichen Ungereimtheiten des Unfalls selbst dahinstehen, so der bemerkenswerte Umstand, dass der Unfall zwei Deutschen in Polen geschah, dass der Fahrer eines geschädigten Unfallfahrzeugs Autohändler ist, der gerade dabei ist, das erheblich vorgeschädigte Fahrzeug zu verkaufen, dass der vermeintliche Eigentümer des geschädigten Fahrzeugs keinerlei nachvollziehbare Beziehungen zum Unfallort hatte, und dass das beschädigte Fahrzeug zuvor eine geradezu magische Werterhöhung erfahren haben soll (vgl. nur Franzke/Nugel, NJW 2015, 2071).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 sowie 709 Satz 1 und 2 ZPO. Die Streitwertentscheidung folgt § 43 Abs. 1 GVG.

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