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Landgericht Berlin Beschluss vom 01.04.2020 - 54 S 2/20 - Die Wahrheitspflicht führt zur Unbeachtlichkeit widersprüchlichen Bestreitens

LG Berlin v. 01.04.2020: Die Wahrheitspflicht führt zur Unbeachtlichkeit widersprüchlichen Bestreitens




Das Landgericht Berlin (Beschluss vom 01.04.2020 - 54 S 2/20) hat entschieden:

   Der Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO steht entgegen, sich gegenseitig ausschließende Sachverhalte vorzutragen. Der Partei steht es nicht frei, dem Gericht mehrere miteinander unvereinbare Sachverhalte zu unterbreiten mit dem Ziel, mit einem davon auch rechtlich durchzudringen. Das widersprüchliche und insoweit wahrheitswidrige Bestreiten ist dann insgesamt nicht zu berücksichtigen.

Siehe auch
Die Beweiswürdigung in Zivilsachen
und
Stichwörter zum Thema Beweisführung

Gründe:


I.

Das Amtsgericht hat richtig entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz des aus dem Unfallereignis vom 23. März 2018 resultierenden Sachschadens gemäß §§ 854, 249 BGB, §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, § 2 AuslPflVersG zusteht.

1. Die Klägerin hat als Leasingnehmerin aus ihrem Besitzrecht gemäß § 854 BGB Ansprüche gegenüber der Beklagten.

"Verletzter" im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG und damit Inhaber der aus einem Unfallereignis herrührenden Schadensersatzansprüche kann auch der berechtigte Besitzer eines Fahrzeuges sein (grundlegend BGH NJW 1981, 750), insbesondere der Leasingnehmer. Ihm gegenüber hat der Schädiger denjenigen Schaden zu ersetzen, welcher durch den Eingriff in dessen Recht zum Besitz entstanden ist. Hierzu zählt in erster Linie der Nutzungsschaden; zu diesem zählen auch die Auslagenpauschale sowie die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Der Leasingnehmer kann auch den Substanz-Schaden im eigenen Namen geltend machen, sofern er dem Eigentümer gegenüber für die eingetretene Beschädigung einzustehen hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2015 - I-1 U 158/15 -, juris Rn. 46 ff. m.w.N. im Grundsatz zustimmend auch BGH, Urteil vom 29. Januar 2019 - VI ZR 481/17 -, juris Rn. 19).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, da die Klägerin als Leasingnehmerin des durch den Unfall beschädigten PkW dem Leasinggeber gemäß § 8.1 der AGB des Leasingvertrages verschuldensunabhängig für Verlust, Beschädigung und Wertminderung haftet und gemäß § § 12.2 der AGB verpflichtet war, Beschädigungen des Fahrzeugs auf eigene Rechnung fachgerecht instandsetzen zu lassen. Die Klägerin trägt damit die Sachgefahr. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Zusatzvereinbarung zum Schadenmanagement gemäß Änderungsvereinbarung des Leasingvertrages vom 09.01.2018 (Anlage K9). Die Klägerin hat hinreichend vorgetragen, dass es sich hierbei lediglich um die außergerichtliche Betreuung der Schadensabwicklung und somit lediglich um eine Verauslagung der Reparaturkosten durch den Leasinggeber handelt. Zwar gibt es im Angebot der Leasinggeberin offenbar durchaus ein Full-Service-Leasing, bei dem auch im Schadensfall sämtliche entstehende Kosten von der Leasinggeberin getragen werden. Dies muss jedoch ausdrücklich vereinbart werden (vgl. § 10.4 der AGB), wovon vorliegend nicht ausgegangen werden kann. Denn die Vereinbarung eines Full-Service-Leasings und die einer lediglich außergerichtlichen Schadensabwicklung im Rahmen eines bloßen Schadenmanagements schließen sich gegenseitig aus. Der Vortrag der Klägerin zum Inhalt des Schadenmanagements war insoweit ausreichend. Hätte sie einen Full-Service-Leasing Vertrag abgeschlossen, hätte es der Zusatzvereinbarung des Schadenmanagements nicht bedurft.




2. Das Amtsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise das Bestreiten der Beklagten zum Unfallhergang als unbeachtlich angesehen. Nach dem im Zivilprozess geltenden Verhandlungsgrundsatz hat das Gericht seiner Entscheidung die von den Parteien vorgetragenen Tatsachen zugrunde zu legen (§§ 130, 138 ZPO). Gemäß § 138 Abs. 1 ZPO unterliegen die Parteien dabei der Wahrheitspflicht und haben den aus ihrer Sicht der Wahrheit entsprechenden Sachverhalt vorzutragen. Als unwahr erkanntes Vorbringen bleibt im Rahmen der Beweiswürdigung unberücksichtigt (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 138 ZPO Rn. 7). Hilfsvorbringen, welches dem vom Gericht zugrunde gelegten, aber rechtlich erfolglosen Parteivorbringen widerspricht, bleibt ebenfalls unbeachtet (BGH, Urteil vom 04. Juli 2019 - III ZR 202/18 -, juris Rn. 26 ff.). Mit dem Hauptvorbringen unvereinbares Hilfsvorbringen kann nicht für den Fall geltend gemacht werden, dass das Hauptvorbringen nur rechtlich nicht zum Erfolg führt. Der Partei steht es nicht frei, dem Gericht mehrere miteinander unvereinbare Sachverhalte zu unterbreiten mit dem Ziel, mit einem davon auch rechtlich durchzudringen (BGH a.a.O., Rn. 27).

Nach diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht richtig entschieden, dass das Bestreiten der Beklagten unbeachtlich ist: Nachdem das Amtsgericht den Beklagten in der gerichtlichen Verfügung vom 23. April 2019 (Bl. 46 d.A.) aufgefordert hatte, sein Bestreiten näher zu konkretisieren, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Mai 2019 (Bl. 63 d.A.) vorgetragen:

   "... stelle ich auf den Hinweis des Gerichts vom 23.04.2019 klar, dass der Versicherungsnehmer des Beklagtenfahrzeugs eine Unfallbeteiligung bestreitet, so dass eine Kollision zwischen den Fahrzeugen der Parteien in Abrede gestellt wird. Dass das Beklagtenfahrzeug zum Unfallzeitpunkt in Berlin gefahren ist, wurde dort nicht bestätigt. Es wird ferner auch bestritten, dass das Beklagtenfahrzeug an der behaupteten Unfallstelle anwesend war."


Daraufhin hatte das Amtsgericht mit Verfügung vom 13. Mai 2019 den Beklagten darauf hingewiesen, dass der nunmehrige Vortrag, es könne nicht bestätigt werden, dass das Beklagtenfahrzeug zum Unfallzeitpunkt in Berlin gefahren sei und an der behaupteten Unfallstelle anwesend gewesen sei, aufgrund der außergerichtlichen Korrespondenz unzutreffend und damit unbeachtlich sein dürfte. Eine weitere Korrektur bzw. Konkretisierung des Vortrags seitens des Beklagten fand dennoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht statt. Entgegen der Ansicht des Beklagten in der Berufungsbegründung war die Klarstellung im Schriftsatz vom 6. Mai 2019 nicht missverständlich, sondern klar wahrheitswidrig, was auch wenn dies aus prozesstaktischen Gründen geschieht, unzulässig ist (vgl. OLGR Köln 2004, 393; Greger a.a.O. Rn. 6). Laut Schreiben der ...- Versicherung vom 6. Juni 2018 (Anlage K6) hatte die dänische Versicherte bestritten, dass aufgrund der Berührung der Anhängerkupplung des Beklagtenfahrzeugs mit dem Nummernschild des Klägerfahrzeugs ein Schaden entstanden sei. Die Anwesenheit des Beklagtenfahrzeugs am Unfallort und zumindest eine Berührung der beiden Fahrzeuge wurden gerade nicht bestritten. Insofern lässt sich insbesondere vor dem Hintergrund, dass er nach gerichtlichem Hinweis und der Auflage, das unklare Bestreiten zu konkretisieren erfolgte, der Vortrag der Beklagten nicht anders verstehen, als dass bestritten werden sollte, dass das Beklagtenfahrzeug zum Unfallzeitpunkt an der Unfallstelle und überhaupt in Berlin anwesend gewesen sein soll. Sofern die Beklagte - quasi hilfsweise - des Weiteren bestritten hat, dass die geltend gemachten Schäden auf einer Kollision der Fahrzeuge beruhen, hat das Amtsgericht zu Recht entschieden, dass dieser Vortrag widersprüchlich ist zum Vortrag, das Beklagtenfahrzeug habe sich gar nicht an der Unfallstelle befunden, und damit nicht zu berücksichtigen ist. Denn wie oben dargelegt, steht der Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO entgegen, sich gegenseitig ausschließende Sachverhalte vorzutragen.

Angesichts der mehrfachen ausdrücklichen Hinweise des Amtsgerichts zu dieser Frage war die Entscheidung auch nicht überraschend für den Beklagten.

3. Die Reparaturkostenhöhe ergibt sich aus der Rechnung vom 17. Mai 2018 (Anlage K2). Da vorliegend nicht die fiktiven Herstellungskosten verlangt werden, ist die Rechtsprechung des BGH aus dem Urteil vom 29. Januar 2019 (- VI ZR 481/17 - juris) nicht anwendbar. Die Behauptung des Beklagten, die Leasinggeberin hätte als Großkunde zu einem geringeren Preis die Reparatur durchführen lassen können erscheint vor dem Hintergrund, dass die Leasinggeberin den Reparaturauftrag erteilt hat und Rechnungsempfängerin war, ins Blaue hinein getätigt und ist unbeachtlich.

Die Zuerkennung des Nutzungsausfalls ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Klägerin hatte den PkW ihrer Mitarbeiterin als Firmenwagen zur privaten Nutzung überlassen, so dass der Wagen nicht dem Erwerb, sondern der privaten Mobilität der Mitarbeiterin diente. In dem Fall kann zur Erleichterung der Schadensregulierung eine "abstrakte" Nutzungsausfallentschädigung nach der Tabelle geltend gemacht werden. Dies würde unnötig erschwert, sähe man in dem Ausfall eines betrieblichen Kfz einen nicht erstattungspflichtigen Drittschaden, wenn und soweit der Firmenwagen für private Zwecke genutzt wurde. Wenn ein Firmenwagen einem Angestellten für Privatfahrten zur Verfügung gestellt wird, verlagert sich der Ausfallschaden nur vordergründig auf den Angestellten. Geschädigt ist zumindest auch das Unternehmen, da es einen Ersatzwagen zur Verfügung stellen muss oder - in Ermangelung einer abweichenden Vereinbarung - eine Nutzungsausfallentschädigung zu zahlen hat (vgl. BAG NJW 1995, S. 348). Das vorübergehende Unvermögen, eine entgeltliche Leistung (Naturalvergütung) zu erbringen, wirkt sich so als Schaden auf der Unternehmerseite aus (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.04.2001 - 1 U 132/00 -, juris Rn. 22).



Unbeachtlich ist die erstmals in der Berufungsbegründung aufgestellte Behauptung des Beklagten, der Klägerin sei von der Leasinggeberin im Rahmen des Schadenmanagements ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung gestellt worden. Zwar fehlt es regelmäßig an einer "fühlbaren Beeinträchtigung" des Geschädigten, wenn der Fahrbedarf anderweitig gedeckt werden konnte, etwa durch einen zum "Freundschaftspreis" überlassenen Ersatzwagen oder dem Geschädigten während der Dauer der Reparatur des Unfallwagens von der Werkstatt oder dem Hersteller ein Mietwagen kostenfrei zur Verfügung gestellt wurde (OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.05.2014 - 1 U 34/13 -, juris Rn. 15). Der Klägerin wurde jedoch kein kostenfreies Ersatzfahrzeug zur Verfügung gestellt. Sie hat erstinstanzlich vorgetragen, die Leasinggeberin stelle im Rahmen des Schadenmanagements u.a. Mietwagen zu Verfügung. Es stehe dem Leasingnehmer grundsätzlich frei, einen Mietwagen in Anspruch zu nehmen, wobei die Entscheidung hierfür von den jeweiligen Fahrzeuglenkern getroffen werde. Von dieser Möglichkeit habe die Mitarbeiterin der Klägerin jedoch - was auch der Beklagte nicht bestreitet - keinen Gebrauch gemacht. Die Klägerin hat in der Berufungserwiderung noch einmal konkretisiert, dass von der Leasinggeberin keine kostenfreien Ersatzfahrzeuge zur Verfügung gestellt werden. Der Beklagte trägt für seine gegenteilige Behauptung, der Fahrerin des Klägerfahrzeugs sei ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung gestellt worden, keine Tatsachen vor, so dass der Vortrag erkennbar ins Blaue hinein erfolgt.

II.

Eine Rücknahme der Berufung würde gegenüber einer Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zwei Gerichtsgebühren sparen (vgl. Ziffern 1220, 1222 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Absatz 2 GKG).

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