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Oberlandesgericht Saarbrücken (Urteil vom 20.05.2021 - 4 U 21/20 - Keine Haftung für nicht ordnungsgemäßen Zustand des Schachtdeckels eines Kanaleinstiegs bei Abheben des Schachtdeckels durch Dritte

OLG Saarbrücken v. 20.05.2021: Keine Haftung für nicht ordnungsgemäßen Zustand des Schachtdeckels eines Kanaleinstiegs bei Abheben des Schachtdeckels durch Dritte




Das Oberlandesgericht Saarbrücken (Urteil vom 20.05.2021 - 4 U 21/20) hat entschieden:

  1.  Die Gemeinde haftet für den nicht ordnungsgemäßen Zustand eines der Gefährdungshaftung für ihre Abwasserkanalisationsanlage unterliegenden, in den öffentlichen Gehweg eingelassenen Schachtdeckels eines Revisionsschachts, wenn sich bei dessen Betreten eine Fußgängerin verletzt.

  2.  Eine Gemeinde ist grundsätzlich, d.h. ohne Auftreten von Sabotageakten, nicht gehalten, Schachtdeckel gegen ein Herausheben durch unbefugte Dritte zu sichern.

  3.  Rechtswidrige Eingriffe außenstehender Personen (hier: behauptetes Abheben eines Schachtdeckels) können als höhere Gewalt zu werten sein, sind allerdings vom Inhaber der Anlage mit dem Beweismaß des § 286 ZPO nachzuweisen.

  4.  Das Betreten eines in den Gehweg eingelassenen, nicht erkennbar schadhaften Schachtdeckels kann einer geschädigten Fußgängerin grundsätzlich nicht als Mitverschulden angelastet werden.


Siehe auch
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gegenüber Fußgängern
und
Verkehrssicherungspflicht

Gründe:


I.

Die Klägerin beansprucht Feststellung der Schadensersatzersatzpflicht der beklagten Gemeinde sowie Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten unter Berufung auf einen in deren Bezirk auf dem Gehweg an einem Revisionsschacht erlittenen Unfall.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht für den öffentlichen Weg verletzt. Die Klägerin hat behauptet, sie habe am 28.03.2018 gegen 11 Uhr den in Richtung H. gesehen rechten Bürgersteig neben der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 423 (B. Straße) im Stadtteil W. der Beklagten benutzt und sei dabei auf den Schachtdeckel des in Höhe des Anwesens Nr. ... des Streithelfers im Gehweg gelegenen Revisionsschachts getreten. Der Deckel habe nachgegeben bzw. sei verrutscht. Dadurch sei sie mit dem rechten Bein in den Schacht geraten und habe sich einen komplizierten Beinbruch zugezogen. Die Einfassung und die Umrandung des Deckels seien derart stark verrostet gewesen, dass der Deckel bei einer ungünstigen Belastung gekippt sei. Dies sei von außen nicht erkennbar gewesen, hätte aber bei notwendigen Kontrollen festgestellt werden können. Die Beklagte habe hier zehn Jahre lang keine Kontrollen durchgeführt. Die Beklagte sei auch Eigentümerin des Grundstücks und habe den Schacht errichtet. Jedenfalls sei die Fläche dem öffentlichen Verkehr gewidmet.

Der Streithelfer der Klägerin hat darüber hinaus vortragen, er sei nicht Eigentümer der Fläche, auf der sich der Unfall ereignet habe.

Nachdem für die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18.06.2019 niemand erschienen ist, hat das Landgericht auf Antrag der Klägerin und des Streithelfers durch Versäumnisurteil vom gleichen Tage sinngemäß festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen aus dem Unfallereignis vom 28.03.2018 resultierenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit nicht ein Forderungsübergang auf einen Sozialleistungsträger erfolgt ist; weiter hat es die Beklagte verurteilt, an die Klägerin vorgerichtlich angefallene Anwaltsgebühren in Höhe von 1.789,76 € zu zahlen (Bd. I Bl. 59 f. d. A.).

Gegen das am 28.06.2019 zugestellte Versäumnisurteil (Bd. I Bl. 61 d. A.) hat die Beklagte am 12.07.2019 Einspruch eingelegt.

Die Klägerin hat beantragt,

   das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte hat beantragt,

   das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie hat eine Verkehrssicherungspflicht in Abrede gestellt. Für die Unterhaltung und Kontrolle des Schachtes, welcher nicht Bestandteil der öffentlichen Abwasseranlage sei, sei der Nebenintervenient zuständig. Eine allgemeine Pflicht, als Träger der Straßenbaulast einen Kanaldeckel auf Schadhaftigkeit zu überprüfen, bestehe nicht. Die Beklagte habe auch keine Veranlassung gehabt, die Schachtabdeckung zu kontrollieren. Bei einer regelmäßigen Kontrolle am 22.03.2018 habe der Kontrolleur keine Gefahrenstelle erkannt. Das Unfallereignis in der beschriebenen Form, die Verletzungsfolgen und eine Kausalität zwischen beiden hat die Beklagte mit Nichtwissen bestritten.

Das Landgericht hat die Klägerin als Partei angehört und Beweis erhoben gemäß dem Beschluss vom 12.11.2019 (Bd. I Bl. 126 f. d. A.). Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 07.01.2020 verwiesen (Bd. I Bl. 136 ff. d. A.). Mit dem am 11.02.2020 verkündeten Urteil hat das Landgericht das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil Bezug (Bd. I Bl. 146 ff. d. A.).

Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung rügt die Beklagte, das Landgericht habe den unter Beweis gestellten Vortrag in dem erstinstanzlichen Schriftsatz der Beklagten vom 27.01.2020 ignoriert, dass ein Hochklappen oder Nachgeben des Schachtdeckels nicht wegen der korrosionsbedingten Fehlstellen möglich gewesen sei, sondern allenfalls dadurch, dass der Schachtdeckel bereits vor dem Betreten durch die Klägerin infolge höherer Gewalt aus seinem Auflager entfernt worden sei. Rechtsfehlerhaft sei das Landgericht zu dem Schluss gekommen, die Beklagte sei hinsichtlich des Schachtbauwerks Leitungsinhaberin gewesen und hafte als solche nach dem Haftpflichtgesetz. Weiter habe das Landgericht den Einwand der Beklagten im Schriftsatz vom 12.08.2019 ignoriert, die Klägerin als aufmerksame Fußgängerin hätte es vermeiden müssen, die Schachtabdeckung überhaupt zu betreten, weil eine solche Abdeckung nicht zum Betreten gedacht sei.

Die Beklagte beantragt (Bd. II Bl. 220 d. A.),

   unter Abänderung des am 11.02.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts mit dem Aktenzeichen 4 O 72/19 das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und der Streithelfer beantragen,

   die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält die Berufung für unzulässig, weil es sich bei dem Berufungsvorbringen der Beklagten um Angriffe gegen die landgerichtliche Beweiswürdigung handele. Im Übrigen verteidigen die Klägerin und der Streithelfer die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Der Senat hat die Klägerin als Partei angehört (Bd. II Bl. 375 f. d. A.) und Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 08.12.2020 (Bd II Bl. 277 ff. d. A.) und vom 25.01.2021 (Bd. II Bl. 361 f. d. A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Tischvorlage des Sachverständigen Dipl.-Ing. W. K. vom 04.01.2021 (Bd. II Bl. 316 ff. d. A.) und die Sitzungsniederschrift vom 23.04.2021 (Bd. II Bl. 373 ff. d. A.) verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 18.06.2019 (Bd. I Bl. 57 ff. d. A.), vom 08.10.2019 (Bd. I Bl. 117 ff. d. A.) und vom 07.01.2020 (Bd. I Bl. 135 ff. d. A.) und des Senats vom 21.01.2021 (Bd. II Bl. 373 ff. d. A.) sowie die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Saarbrücken (Aktenzeichen 63 Js 2323/18), welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.




II.

Das Rechtsmittel hat nur in geringem Umfang Erfolg.

1. Die Berufung der Beklagten ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist mithin zulässig. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt kein zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führender Begründungsmangel vor. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Erforderlich ist eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen werden zwar nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein (BGH NJW-RR 2019, 180, 181 Rn. 10). Diesen Anforderungen ist hier genügt. Die Beklagte hat im Einzelnen dargelegt, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe sie dem angefochtenen Urteil entgegensetzt und sich insbesondere auf übergangenen Sachvortrag nebst Beweisantritten berufen.

2. In der Sache hat das Rechtsmittel nach Maßgabe der §§ 513, 529, 546 ZPO und dem Ergebnis der vom Senat gemäß § 538 Abs. 1 ZPO durchgeführten Beweisaufnahme lediglich in Bezug auf den Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten der Klägerin Erfolg, welcher, was der Senat auch ohne Rüge der Berufung von Amts wegen zu prüfen hatte, bei voller Haftung der Beklagten dem Grunde nach aus materiell-rechtlichen Gründen auf die Regelgebühr zu begrenzen ist (nachfolgend unter c)). Im Rahmen der Entscheidung über den zulässigen Einspruch (§§ 339 ff. ZPO) hat das Landgericht die im Versäumnisurteil enthaltene Entscheidung über die Feststellungsklage mit Recht aufrechterhalten (§ 343 Satz 1 ZPO). Nur in Bezug auf einen Teil der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist die angefochtene Entscheidung teilweise abzuändern, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage teilweise abzuweisen (§ 343 Satz 2 ZPO).

a) Eine Feststellungsklage ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig, wenn die Schadensentwicklung - wie hier - noch nicht abgeschlossen ist und der Kläger seinen Anspruch deshalb ganz oder teilweise nicht beziffern kann (BGH NJW 1984, 1552, 1554; 1996, 2725, 2726). Ist bereits ein Teil des Anspruchs bezifferbar, steht es dem Kläger frei, diesen Teil durch Leistungsklage und den Rest durch einen ergänzenden Feststellungsantrag geltend zu machen. Er darf stattdessen aber auch den gesamten Anspruch im Wege der Feststellungsklage einklagen (BGH NJW 1984, 1552, 1554); NJW-RR 1988, 445). Dies gilt auch dann, wenn der Schaden bereits eingetreten ist, aber noch nicht geklärt ist, auf welche Weise und mit welchen Kosten er behoben werden kann (BGH NJW-RR 2008, 1520 Rn. 6; Bacher in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO 38. Edition Stand: 01.09.2020 § 256 Rn. 27). Diese Voraussetzungen sind auf Grund des in der Klageschrift dargelegten komplizierten Beinbruchs (rechts) und des behaupteten Dauerschadens gegeben (vgl. Bd. I Bl. 3 d. A.). Die Angaben der Klägerin werden gestützt durch die Verkehrsunfallanzeige der Polizeiinspektion B., laut welcher die Klägerin sich bei dem Schadensereignis schwere Verletzungen zuzog, mit dem Krankentransportwagen ins Krankenhaus verbracht wurde und dort eine Operation durchgeführt werden musste (Beiakte Bl. 1).




b) Die Feststellungsklage ist auch begründet, weil nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme die Haftung der Beklagten für sämtliche auf Grund des Schadensereignisses eingetretenen Schäden gegeben und ein unbefugtes Entfernen des Schachtdeckels durch Dritte vor dem Unfall von Seiten der Beklagten nicht nachgewiesen ist (nachfolgend unter gg)). Begründet ist ein Feststellungsantrag, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann. Jedenfalls in Fällen, in denen die Verletzung eines (absoluten) Rechtsguts - wie hier des Körpers und der Gesundheit der Klägerin - und darüber hinaus ein daraus resultierender Vermögensschaden bereits eingetreten sind, gibt es keinen Grund, die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts abhängig zu machen (BGH NJW 2018, 1242, 1248 Rn. 49).

aa) Wird durch die Wirkungen von Elektrizität, Gasen, Dämpfen oder Flüssigkeiten, die von einer Stromleitungs- oder Rohrleitungsanlage oder einer Anlage zur Abgabe der bezeichneten Energien oder Stoffe ausgehen, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Inhaber der Anlage verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 HaftpflG) und für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld zu leisten (§ 6 Satz 2 HaftpflG). Die gemeindliche Abwasserkanalisation gehört zu den Rohrleitungsanlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 HaftpflG (BGH NVwZ 2008, 1157 Rn. 7; Weinland in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016 (Stand: 31.01.2020) § 2 HaftPflG Rn. 10), und zwar einschließlich ihrer Bestandteile wie einem Revisionsschacht (OLG Düsseldorf VersR 2002, 1557; Schulze VersR 2000, 1337). Das gleiche gilt nach Satz 2 der Vorschrift, wenn - was hier in Rede steht - der Schaden, ohne auf den Wirkungen der Elektrizität, der Gase, Dämpfe oder Flüssigkeiten zu beruhen, auf das Vorhandensein einer solchen Anlage zurückzuführen ist, es sei denn, dass sich diese zur Zeit der Schadensverursachung in ordnungsmäßigem Zustand befand. Ordnungsmäßig ist eine Anlage nach § 2 Abs. 1 Satz 3 HaftpflG, solange sie den anerkannten Regeln der Technik entspricht und unversehrt ist, was hier nicht der Fall war.

(1) Nach allgemeinen Beweisgrundsätzen hat der Geschädigte die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Haftung nach § 2 HaftpflG zu beweisen. Hierzu gehört der Nachweis, dass der Schaden durch den Zustand der dort angeführten Anlagen zumindest mitverursacht worden ist, wobei es ausreicht, dass für die behauptete Ursache überzeugende Gründe sprechen (OLG Hamm VersR 1989, 296). Dagegen ist es Sache des Inhabers der Anlage den Nachweis zu erbringen, dass die Ersatzpflicht entfällt, weil einer der in § 2 Abs. 3 HaftpflG angeführten Gründe gegeben ist (OLG Hamm NZV 2006, 540, 541; Kayser in Filthaut/Piontek/Kayser, HaftpflG 10. Aufl. 2019 § 2 Rn. 79).

(2) Das Landgericht ist zutreffend von der Richtigkeit der Unfallschilderung der Klägerin bei der Parteianhörung (Bd. I Bl. 136 f. d. A.) und der Zeugin B. W., einer Taxiunternehmerin, die der Klägerin zu Hilfe kam und Polizei und Krankenwagen verständigte, ausgegangen (Bd. I Bl. 154 d. A. zweitletzter Abs.).

(2.1) Beide Schilderungen sind für sich genommen nachvollziehbar, widerspruchsfrei und überzeugend. Die Klägerin hat sich zwar erstinstanzlich nicht darauf festlegen können, ob der Deckel zur Seite gerutscht oder in den Schacht hineingefallen war. Sie hat aber lebensnah geschildert, sie hätte es wohl gesehen, wenn der Deckel vorher gefehlt oder schief aufgelegen hätte, sie habe beim Passieren auf einmal gemerkt, dass ihre Handtasche im Bereich ihres Kopfes und ihr Bein weg gewesen sei (Bd. I Bl. 137 d. A.). Die Zeugin W. hat nicht nur das Rahmengeschehen in vielen situationstypischen Einzelheiten wiedergegeben (Bd. I Bl. 137 d. A.), sondern detailliert angegeben, dass der Deckel, nicht aber die Auflage in Ordnung war. Unterhalb der Ebene des Deckels sei eine zweite tiefere Ebene gewesen, auf welcher der Deckel gelegen habe (Bd. I Bl. 138 d. A.).

(2.2) Die Schilderungen überzeugen auch in der gebotenen Gesamtschau (§ 286 Abs. 1 ZPO) nach erfolgter Beweiserhebung zu dem von der Beklagten behaupteten Entfernung des Schachtdeckels durch Dritte (nachfolgend unter gg)). Der Sachverständige hat vor dem Senat nachvollziehbar erläutert, dass die Schilderung der Klägerin aus seiner technischen Sicht - entgegen dem Vortrag der Beklagten - "auf gar keinen Fall auszuschließen" ist (Bd. II Bl. 378 d. A.).

bb) Der Geschädigte hat auch die Passivlegitimation des Anspruchsgegners, also nachzuweisen, dass dieser Inhaber der Anlage ist (Kayser in Filthaut/Piontek/Kayser, aaO). Inhaber der Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftpflG ist, wer die tatsächliche Herrschaft über ihren Betrieb ausübt und die hierfür erforderlichen Weisungen erteilen kann (BGH NJW-RR 2007, 823, 824 Rn. 10; Kaufmann in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 26 Rn. 62). Wer die für die Inhaberstellung erforderliche tatsächliche Verfügungsgewalt über eine Rohrleitungsanlage besitzt, lässt sich bei einem der Versorgung oder Entsorgung dienenden Rohrleitungsnetz vielfach nicht ohne Blick auf die rechtlichen Grundlagen einschließlich der von den Beteiligten hierzu getroffenen Abreden feststellen. Das Eigentum an der Anlage kann zwar ein Indiz sein, ist aber allein nicht entscheidend (BGH NJW 1989, 104; NJW-RR 2008, 771 Rn. 19). Der Bundesgerichtshof hat es deswegen bei Anschlussleitungen zu den Abnehmern einer Versorgungsanlage wesentlich von den Regelungen in den Satzungen oder Versorgungsbedingungen der Unternehmen abhängig gemacht, wo die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Versorgungsunternehmen endet und die des Anschlussnehmers beginnt (BGH NVwZ 2008, 1157, 1158 Rn. 12).

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, im Streitfall die Beklagte Inhaberin der Anlage einschließlich des auf dem unstreitig - und überdies durch Lichtbilder (Bd. I Bl. 141 d. A.) und den Ergänzungsplan (Bd. I Bl. 21 d. A.) belegt - dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Gehweg liegenden Revisionsschachts. Laut § 1 Abs. 1 der Satzung über die Entwässerung der Grundstücke, den Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage und deren Benutzung (Abwassersatzung) vom 25.03.1993 betreibt die Beklagte in ihrem Gebiet die Abwasserbeseitigung als städtische Pflichtaufgabe nach § 50 des Saarländischen Wassergesetzes. Gemäß § 1 Abs. 4 der Abwassersatzung sind und werden zur Erfüllung der Abwasserbeseitigungspflicht öffentliche Abwasseranlagen hergestellt, die ein einheitliches System bilden und von der Beklagten als öffentliche Einrichtung im Trennverfahren (getrennte Leitungen für Schmutzwasser jeglicher Art und für die Aufnahme von Niederschlagswasser) und im Mischverfahren (gemeinsame Leitungen für die Aufnahme von Niederschlagswasser und Schmutzwasser jeglicher Art) betrieben und unterhalten werden. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 der Abwassersatzung führt die Beklagte die Herstellung, Erneuerung und Veränderung, die laufende Unterhaltung (Reinigung, Ausbesserung) sowie die Beseitigung von Grundstücksanschlussleitungen vom

Abwasserkanal bis zur Grundstücksgrenze - vor welcher der hier interessierende Schacht liegt - selbst oder durch einen von ihr beauftragten Unternehmer aus.dd) Die gegen die Inhaberstellung der Beklagten gerichteten Berufungsangriffe gehen fehl. Auch veranlasst der nach Schluss der Berufungsverhandlung eingereichte Schriftsatz der Beklagten vom 29.04.2020 (richtig müsste es heißen: 2021) den Senat nicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

(1) Nach dem Vermerk der Polizeiinspektion B. vom 19.04.2018, dessen Richtigkeit die Beklagte nicht in Frage stellt und der auch aus Sicht des Senats überzeugend ist, erklärte zunächst der Mitarbeiter Herr R. der Beklagten, "dass die Möglichkeit der Verantwortung für diesen Schacht" bei der beklagten Gemeinde liege (Beiakte Bl. 29 unten). Seines Wissens sei auch die Unfallörtlichkeit von der Satzung erfasst, er bitte diesbezüglich um Rücksprache mit dem Amtsleiter der Abwasserwerke der Beklagten. Dieser Amtsleiter, Herr C. G., bestätigte sodann auf Anruf der Polizeiinspektion, dass "hier definitiv" die Beklagte "in der Verantwortung sei" (Beiakte Bl. 30).

(2) Unabhängig davon übt nach Aktenlage die Beklagte die tatsächliche Herrschaft über den Revisionsschacht aus und kann sie die insoweit erforderlichen Weisungen erteilen. Die Beklagte hat selbst behauptet, bei der letzten regelmäßigen Straßenzustandskontrolle vor dem Unfall am 22.03.2018 habe ihr Straßenkontrolleur keine Gefahrenstelle erkannt (Bd. I Bl. 83 d. A.). Ferner hat die Beklagte die Abdeckung einschließlich Rahmen erneuert (Bd. II Bl. 256, 310 d. A.) und die ausgebaute Schachtabdeckung entsorgt (Bd. II Bl. 309 d. A. unten). Ein solches offenkundig ohne Rücksprache mit dem anwaltlich vertretenen Streithelfer der Klägerin erfolgtes Vorgehen einer Gemeinde während eines laufenden Rechtsstreits wäre kaum zu erklären, wenn sie nicht auch die tatsächliche Verfügungsgewalt, also die eigenverantwortliche und wirtschaftliche Herrschaft über die Anlage und ihr Zubehör sowie die zur Herrschaftsausübung erforderliche Anweisungsbefugnis innehätte. Dass die Beklagte, wie die Berufung mit dem am 29.04.2021 eingegangenen Schriftsatz geltend macht, keine Unterhaltung des Revisionsschachts ausgeführt hat, entlastet sie nicht; denn die Nichtausführung gebotener Unterhaltungsmaßnahmen ändert an der auf Grund der Inhaberschaft bestehenden Gefährdungshaftung nichts.


ee) Anders als die Berufung meint, ist die Senatsrechtsprechung im Zusammenhang mit Baumscheiben nicht auf das Betreten eines im Gehweg eingelassenen Revisionsschachts zu übertragen. Zu Baumscheiben hat der Senat entschieden (NJW-RR 2016, 919, 920 Rn. 17), dass die Maßstäbe der Verkehrssicherungspflicht auf öffentlichen Straßen grundsätzlich nur für Unebenheiten auf den eigentlichen Laufflächen von Gehwegen mit einheitlicher und durchgehender für den Fußgängerverkehr bestimmter Pflasterung gelten. Wird zur Bewässerung und zum Schutz eines Baums in einer Fußgängerzone eine Baumscheibe eingelassen, die sich optisch von der Pflasterung abhebt, dient das Metallgitter der Baumscheibe nicht als Gehfläche für Fußgänger, sondern erkennbar der Freihaltung der Baumwurzeln und der Bewässerung. Im Unterschied dazu entspricht es der berechtigten Erwartung des allgemeinen Verkehrs, einen in den Bürgersteig eingelassenen Revisionsschacht gefahrlos betreten und im zulässigen Umfang, etwa mit Rollstühlen, Rollatoren, Kinder- und Einkaufswägen überfahren zu können; Letzteres ist im Bereich von Grundstückseinfahrten sogar durch den Anlieger- und Liefer-Kraftverkehr zu erwarten.


ff) Wird der Inhaber aufgrund der Zustandshaftung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HaftpflG in Anspruch genommen, obliegt ihm der Nachweis, dass sich die Anlage zum Zeitpunkt der Schadensverursachung in ordnungsgemäßem Zustand befunden hat, was sich schon aus dem Wortlaut der Norm ("es sei denn") ergibt (Kayser in Filthaut/Piontek/Kayser, aaO § 2 Rn. 80). Dass sich der Revisionsschacht in ordnungsgemäßem Zustand befunden habe, ist weder der Berufungsbegründung (Bd. II Bl. 221 ff. d. A.) noch dem dort in Bezug genommenen Schriftsatz vom 27.01.2020 (Bd. I Bl. 160 f. d. A.) zu entnehmen. Die Berufung trägt vor, dass die Klägerin in den Schacht geraten sei, könne nur daran gelegen haben, dass entweder die Abdeckung beim Betreten gekippt sei oder schon vor dem Unfall nicht im Rahmen gelegen habe (Bd. II Bl. 221 d. A. zweitletzter Abs.). Zwar behauptet die Berufung im Weiteren, der Unfall könne nur auf eigenmächtiges Eingreifen Dritter zurückzuführen sein, weil der Schachtdeckel, selbst wenn er trotz dreier (von vier) vorhandener Auflagerflächen des Rahmens hätte kippen können, am Drehen um die Achse gehindert worden wäre (Bd. II Bl. 222 d. A. Abs. 1 bis 3). Dieses Vorbringen genügt jedoch den Anforderungen an die Darlegung eines ordnungsgemäßen Zustands nicht, weil demnach eine verkehrssichere Auflage des Schachtdeckels nicht gegeben gewesen wäre.

gg) Die Ersatzpflicht nach § 2 Abs. 1 HaftpflG ist vorliegend nicht gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 HaftpflG ausgeschlossen, weil der Schaden durch höhere Gewalt verursacht worden wäre.

(1) Ob rechtswidrige Eingriffe außenstehender Personen, insbesondere Attentate oder Sabotageakte, als höhere Gewalt zu werten sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Das Herausheben eines Kanaldeckels durch einen Unbefugten ist ein von außen kommendes Ereignis. Höhere Gewalt setzt jedoch weiter voraus, dass das Ereignis so außergewöhnlich ist, dass es einem elementaren Ereignis gleichkommt (Kayser in Filthaut/Piontek/Kayser, aaO § 2 Rn. 76). Für eine Gemeinde als Inhaberin einer Kanalisationsanlage stellt das Herausheben eines Gullydeckels (Regeneinlaufrostes) durch unbefugte Dritte im Regelfall eine die Gefährdungshaftung aus § 2 Abs. 1 Satz 2 HaftpflG ausschließende höhere Gewalt (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 HaftpflG) dar. Eine Gemeinde ist als Inhaberin einer Kanalisationsanlage grundsätzlich nicht gehalten, die Regeneinlaufroste von Gullys gegen ein Herausheben durch unbefugte Dritte zu sichern (OLG Celle NZV 1992, 239; so auch LG Ingolstadt NZV 2015, 343, 345, doch wurden dort wurden die Voraussetzungen der höheren Gewalt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verneint). (2) Zwar ist es auch nach Auffassung des Senats nicht verkehrsüblich und nicht schon grundsätzlich geboten, z. B. sämtliche Regeneinlaufroste mit schlossartigen Sicherungsvorrichtungen zu versehen, weil dies mit erheblichen Aufwendungen verbunden wäre und laufende Kontrollen sowie Reinigungs- und Wartungsarbeiten erschweren könnte. Ein außergewöhnliches Ereignis und damit höhere Gewalt kann aber im Einzelfall zu verneinen sein, wenn z. B. auf Grund auch nur eines früheren Vorkommnisses Eingriffe Dritter nicht fernliegen. Dann müssen unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Gefährdung (Schachtlänge, -breite und -tiefe) und auch der Lage des Schachts (inmitten des Gehwegs und nicht etwa in der Rinne am äußersten Straßenrand (vgl. zu diesen Kriterien Kayser in Filthaut/Piontek/Kayser, aaO) wirksame Sicherungsvorrichtungen angebracht werden, weil andernfalls nicht von höherer Gewalt gesprochen werden kann. Nach diesem Maßstab ist höhere Gewalt nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Schachtdeckel im vorliegenden Fall offensichtlich nicht mit einer Sicherungsvorrichtung gegen das Herausheben durch unbefugte Dritte versehen war. Dabei ist nicht zu verkennen, dass sich der Schacht zwar mitten auf dem Gehweg befindet und trotz geringer Länge und Breite des Deckels eine Tiefe von circa 1,5 m aufweist, die, wie der vorliegende Fall zeigt, erhebliche Verletzungen hervorrufen kann. Allerdings war es nach Aktenlage bei der Beklagten jedenfalls zuvor zu keinem solchen Sabotageakt gekommen und wäre der Deckel - insoweit einen ordnungsgemäßen Zustand unterstellt - im Unterschied zu einem Regeneinlaufrost, der sich auf Grund seiner Öffnungen bereits mit den bloßen Händen greifen und anheben lässt, ohne ein Hebewerkzeug voraussichtlich nicht wegzunehmen gewesen.

(3) Für die Voraussetzungen des Ausschlusses der Ersatzpflicht nach § 2 Abs. 3 HaftpflG trägt grundsätzlich der Inhaber der Anlage die Darlegungs- und Beweislast (Weinland in Freymann/Wellner, aaO Rn. 53). In dem auf den vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug gestellten Antrag - im Hinblick auf die zur Akte gereichten Lichtbilder - Schriftsatznachlass (Bd. I Bl. 139 d. A.) hin am 27.01.2020 mittels Telefax eingereichten Schriftsatz hat die Beklagte im Einzelnen und unter Beweisantritt durch Sachverständigengutachten dargelegt, dass der Unfall nur damit zu erklären sei, dass die Abdeckung auf Grund eigenmächtigen Eingreifens Dritter nicht mehr in ihrem Rahmen gelegen habe (Bd. I Bl. 161 d. A.). Das Landgericht hat sich mit diesem Vorbringen entgegen § 283 Satz 2 ZPO nicht befasst. Das Telefax vom 27.01.2020 (Bd. I Bl. 160 f. d. A.) ist nach dem am 11.02.2020 verkündeten angefochtenen Urteil (Bd. I Bl. 146 ff. d. A.) abgeheftet.

(4) Auf Grund des Ergebnisses der gemäß § 538 Abs. 1 ZPO durchgeführten zweitinstanzlichen Beweisaufnahme vermag der Senat die Behauptung der Beklagten, die Abdeckung habe auf Grund eigenmächtigen Eingreifens Dritter im Unfallzeitpunkt nicht mehr in ihrem Rahmen gelegen, nicht für wahr zu erachten. Nach § 286 ZPO hat das Gericht ohne Bindung an die Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob es an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Jedoch sieht das Gesetz keine von allen Zweifeln freie Überzeugung vor. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH NJW 2013, 790 Rn. 16 f.; 2015, 2111, 2112 Rn. 11). Diesen Beweisanforderungen ist im Streitfall nicht genügt, weil sich nicht einmal belastbare Anzeichen für ein Eingreifen Dritter feststellen lassen.

(5) Zunächst ist festzuhalten, dass ein unmittelbarer Nachweis, dass der Schachtdeckel von Dritten vor dem Schadensereignis entfernt worden ist, nicht geführt wurde. Der Revisionsschacht befindet sich ausweislich der von der Polizei angefertigten Lichtbildaufnahmen im Bereich einer Engstelle auf dem Gehweg neben der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 423 in einer eher ländlichen Region (Beiakte Bl. 9). Anders als Gullydeckel wies der hier interessende vollflächige Deckel, wie bereits bemerkt worden ist, keine Einlauföffnungen auf, die sich auch von Unbefugten mit der Hand umgreifen lassen und ein vergleichsweise leichtes Herausheben ermöglichen. Von der örtlichen Polizeiinspektion B. wurde ein vorheriges Entfernen des Deckels durch Dritte nicht einmal in Betracht gezogen, und es ist auch nicht vermerkt, dass es in der Gemeinde zuvor oder danach zu einem solchen Verhalten Dritter gekommen wäre.

(6) Im Übrigen liegt ein Entfernen des Schachtdeckels durch Dritte bei Betrachtung der Lichtbildaufnahmen fern. Auf den nach dem Sturz angefertigten Aufnahmen ist neben dem geöffneten Schacht liegend ein dazu passender Deckel zu sehen (Bd. I Bl. 141, Bd. II Bl. 324 d. A.). Dass Dritte vergleichsweise aufwändig einen korrodierten Schachtdeckel abgehoben und in unmittelbarer Nähe des Schachts wieder abgelegt hätten und die Klägerin eine solche am Unfalltag vormittags bei beiläufiger Aufmerksamkeit offensichtliche Anomalie nicht bemerkt haben und stattdessen in den offenen Schacht getreten sein sollte, ist unwahrscheinlich. Bei der Anhörung durch den Senat hat die Klägerin plausibel und unwiderlegt erklärt, dass man in dem engen Bereich des Gehwegs sowieso genau sehen müsse, wo man hintrete, und es ihr aufgefallen wäre, wenn der Deckel nicht auf dem Schacht gelegen hätte (Bd. II Bl. 375 d. A.). In dem Vermerk der Polizeiinspektion B., an dessen inhaltlicher Richtigkeit für den Senat keine Zweifel bestehen, heißt es vielmehr, dass sich der Deckel beim Auftreten der Geschädigten Klägerin löste, diese mit dem rechten Bein in den Schacht gelangte und sich offensichtlich eine schwere Knieverletzung zuzog. Der Deckel wurde noch vor dem Eintreffen des Polizeikommissars F. von Passanten wieder aufgelegt, schien dem Kommissar aber nicht stabil zu sein, weshalb der Schacht bis zum Eintreffen des Bauhofs der Beklagten mit Warnschild abgesichert wurde (Beiakte Bl. 14).

(7) Die Zeugin B. W. hat in jeder Hinsicht überzeugend vor dem Senat ausgesagt, dass sie auf Grund der Örtlichkeit aufmerksam fuhr und sah, wie die Klägerin plötzlich zu Fall kam. Da man nur noch ein Bein sehen konnte, nahm die Zeugin, die als Taxiunternehmerin Krankentransporte durchführt, zunächst an, die Klägerin trage eine Prothese. Die Zeugin drehte ihr Fahrzeug, fuhr zurück zur Unfallstelle. Der Mann, der der Klägerin wieder aufhalf, nahm den nach oben stehenden Schachtdeckel heraus und legte ihn zur Seite (Bd. II Bl. 376 f. d. A.). Auf Grund dieser ebenso lebensnahen wie detaillierten Schilderung besteht für den Senat kein Zweifel, dass die Klägerin auf den Deckel getreten war und dieser mangels ausreichender Auflage nachgab und sich mit dem Bein der Klägerin im Schacht verkeilt hatte. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum die erkennbar um eine wahrheitsgemäße Aussage bemühte Zeugin hätte angeben sollen, dass der Deckel aus dem Schacht herausgezogen werden musste, wenn dies nicht der Fall gewesen, der Deckel insbesondere vor dem Unfall von Dritten entfernt worden wäre.

(8) Der Sachverständige Dipl.-Ing. W. K. hat im Rahmen seiner Tischvorlage ausgeführt, ein Hochklappen bzw. Nachgeben der Schachtabdeckung sei nach seinen Feststellungen und Erkenntnissen mit großer Wahrscheinlichkeit möglich (Bd. II Bl. 321 d. A.). Eine Belastung der Schachtabdeckung durch Betreten hätte aller Voraussicht nach zur Folge gehabt, dass der Fuß der Person zwischen dem nach oben geklappten und dem nach unten in den Schacht ragenden Teil der Abdeckung eingeklemmt worden wäre (Bd. II Bl. 319 d. A.). Angesichts des Umstands, dass nach Erklärung der Klägerin auch ein Teil des rechten Beines im Schacht "verschwunden" sei (Bd. II Bl. 319 d. A. unten), ist der Sachverständige (seinerzeit) davon ausgegangen, die Schachtabdeckung habe bereits vor dem Unfallereignis außerhalb der Rahmenkonstruktion gelegen (Bd. II Bl. 320 d. A.), was allerdings den Erklärungen sämtlicher bei und unmittelbar nach dem Unfallereignis Anwesenden widerspricht. Bei der Erstattung des mündlichen Gutachtens vor dem Senat hat der Sachverständige verschiedene mögliche Abläufe demonstriert und dabei erklärt, dass der von der Klägerin geschilderte Unfallmechanismus weder theoretisch noch praktisch auszuschließen ist (Bd. II Bl. 378 d. A.). Erst recht hat die Begutachtung keine Anhaltspunkte für Sabotageakte Dritter zutage gefördert.

(9) Die Anträge der Beklagten auf ergänzende Begutachtung (Bd. II Bl. 379 d. A.) waren zurückzuweisen. Wie nach der Beweisaufnahme mit den Parteien eingehend erörtert worden ist, lässt sich bereits die Gehgeschwindigkeit der Klägerin im Unfallzeitpunkt offenkundig nicht rekonstruieren. Ferner sind das Gewicht und das Gangbild der Klägerin am 28.03.2018 - also vor den erlittenen erheblichen Verletzungen - nicht mehr aufzuklären. Die Beklagte hat zwar im Schriftsatz vom 22.06.2020 erklärt, die Begutachtung sei ohne Weiteres möglich, auch nachdem sie den Schacht instandgesetzt habe (Bd. II Bl. 256 d. A.). Auf die Anberaumung des Ortstermins (Bd. II Bl. 295 d. A.) durch den vom Senat im Beweisbeschluss entsprechend angeleiteten (Bd. II Bl. 279 d. A.) Sachverständigen hat die Beklagte indessen ihren Prozessbevollmächtigten erklären lassen, dass die (von ihr) ausgebaute Schachtabdeckung nicht mehr vorhanden sei (Bd. II Bl. 309 d. A. unten). Selbst wenn man vom Fehlen aller wesentlichen Anknüpfungstatsachen absieht, ist weiter offenkundig, dass sich selbst bei einem - angesichts der fehlenden Dokumentation z. B. des genauen Zustands und Gewichts des korrodierten Original-Schachtdeckels schwer möglichen - Nachbau des Schachts (auf einem Versuchsgelände?) angesichts des Verletzungsrisikos keine Testpersonen zu Gehversuchen zur Verfügung stellen würden.

hh) Entsprechend den vorstehenden Ausführungen ist ein Mitverschulden der Klägerin gemäß §§ 4 HaftpflG, 254 BGB nicht nachgewiesen. Nach allgemeinen Beweisgrundsätzen hat der Haftpflichtige die Umstände darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, aus denen sich eine Mitverursachung oder ein Mitverschulden des Geschädigten ergibt (BGH NJW 2014, 217, 218 Rn. 9, zu § 9 StVG; Senatsurteil vom 16.04.2015 - 4 U 15/14, juris Rn. 77; Weinland in Freymann/Wellner, aaO § 4 HaftpflG Rn. 51). Das Betreten des Schachtdeckels kann der Klägerin nicht als Mitverschulden angelastet werden, weil eine Bürgerin grundsätzlich darauf vertrauen kann, in den Gehweg eingelassene Schachtabdeckungen gefahrlos betreten zu können. Dass die Klägerin gegen ein gefahrloses Betreten sprechende Anhaltspunkte hatte, insbesondere der Schachtdeckel im Zeitpunkt des Betretens nicht (scheinbar sicher) auflag, ist von der Beklagten nach dem Vorstehenden nicht nachgewiesen.



c) Die auf Grund der vorgerichtlichen Tätigkeit der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten ohne Zweifel angefallenen und gemäß § 249 BGB als erforderliche Rechtsverfolgungskosten zu ersetzenden außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägerin sind auch ohne Rüge der Berufung auf Grund des vom Berufungsgericht gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigenden materiellen Rechts auf 1.171,67 € zu kürzen.

aa) Entgegen der Aufstellung in der Klageschrift, die von einer 2,0 Geschäftsgebühr ausgeht (Bd. I Bl. 6 d. A.), kann der Rechtsanwalt bei einer durchschnittlichen Unfallregulierung - um eine solche handelt es sich vorliegend - auch unter Berücksichtigung des bestehenden Ermessens keine höhere Gebühr als eine 1,3-Geschäftsgebühr fordern. Die Geltendmachung einer höheren Gebühr kann nicht mehr als billige Ermessensausübung angesehen werden, so dass sie auch nicht verbindlich ist (Senatsurteil vom 24.02.2009 - 4 U 61/08 - 20, juris Rn. 27). Eine höhere Gebühr kann nach Nr. 2300 RVG-VV nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (Senatsurteil vom 01.06.2017 - 4 U 122/16 -, juris Rn. 86). Dies ist vorliegend von Seiten der Klägerin, die in der Hauptsache eine allgemeine Feststellungsklage erhoben hat, weder vorgetragen, noch aus dem Akteninhalt ersichtlich.

bb) Die 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300, 1008 VV RVG aus einem Gegenstandswert von 20.000 € beträgt 964,60 €. Zuzüglich Auslagen gemäß Nr. 7001 u. 7002 VV RVG in Höhe von 20 € und damaliger Umsatzsteuer von 19 v. H. (Nr. 7008 VV RVG) ergibt sich ein Gesamtbetrag von 1.171,67 €.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 101 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen; denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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