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BGH Urteil vom 14.07.2020 - VI ZR 268/19 - Einbeziehung von Zuwendungen Dritter bei der Schadensabrechnung

BGH v. 14.07.2020: Einbeziehung von Zuwendungen Dritter bei der Schadensabrechnung




Der BGH (Urteil vom 14.07.2020 - VI ZR 268/19) hat entschieden:

   Der Geschädigte, der im Wege der konkreten Schadensabrechnung Ersatz der Kosten für ein fabrikneues Ersatzfahrzeug begehrt, muss sich einen Nachlass für Menschen mit Behinderung anrechnen lassen, den er vom Hersteller aufgrund von diesem generell und nicht nur im Hinblick auf ein Schadensereignis gewährter Nachlässe erhält (Fortführung von Senatsurteil vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 9 f.).

Siehe auch
Vorteilsausgleichung durch Rabattanrechnug
und
Stichwörter zum Thema Unfallschadenregulierung

Tatbestand:


Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 15. November 2017 in Anspruch, für den die Beklagten unstreitig dem Grunde nach voll einstandspflichtig sind.

Das bei dem Unfall erheblich beschädigte Fahrzeug war am 7. November 2017 auf die Klägerin zugelassen worden und hatte zum Zeitpunkt des Unfalls eine Laufleistung von 356 km. Beim Erwerb des Fahrzeugs hatte die Klägerin einen von dem Fahrzeughersteller generell gewährten Gesamtnachlass für Menschen mit Behinderung von 15 % erhalten. Der Nachlass wird unter der Voraussetzung gewährt, dass das Fahrzeug von dem Erwerber mindestens sechs Monate nach Lieferung gehalten wird. Der Erwerber hat eine Verpflichtungserklärung wie folgt zu unterzeichnen:

   "(...), dass das von mir bestellte, fabrikneue Fahrzeug (...) von mir für mindestens 6 Monate nach Lieferung genutzt wird. Den mir gewährten Nachlass in Höhe von 15 % werde ich zurückzahlen, falls das Fahrzeug nicht bestimmungsgemäß verwendet oder vor Ablauf der 6-monatigen Frist von mir veräußert wird. (...)"

Nach dem Unfall veräußerte die Klägerin das beschädigte Fahrzeug und schaffte ein fabrikneues Ersatzfahrzeug zu einem (Brutto-)Listenpreis von 31.865,01 € an. Sie erhielt erneut einen Nachlass von 15 % und zahlte einen Bruttokaufpreis von 27.085,26 €.

Mit der ursprünglich auch auf andere Schadenspositionen gerichteten Klage macht die Klägerin nach Teilzahlungen der Beklagten und Teilerledigungserklärung sowie Klageerweiterung nunmehr noch einen dem zuletzt gewährten Nachlass einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer entsprechenden Betrag in Höhe von 4.779,75 € (Listenpreis des Ersatzfahrzeugs abzüglich Restwert in Höhe von 9.850 € und der von der Beklagten auf den Fahrzeugwert geleisteten Zahlungen in Höhe von 17.235,26 €) sowie die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe eines Restbetrages von 388,77 € geltend, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Zahlungsansprüche weiter.




Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Klägerin sei auf der Basis der Differenzhypothese durch das Unfallereignis kein Schaden in Höhe des gewährten Rabatts entstanden. Denn sie habe diesen Rabatt sowohl für den kurz vor dem Unfall angeschafften Neuwagen als auch für die durchgeführte Ersatzbeschaffung nach dem Unfall erhalten. Daher habe sie rein rechnerisch keine über die von den Beklagten geleisteten Zahlungen hinausgehende unfallbedingte Vermögenseinbuße erlitten.

Das Gericht habe sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass besondere Wertungsgesichtspunkte es erforderlich machten, in Höhe des erlangten Rabatts eine weitere Entschädigung zuzusprechen. Dabei werde berücksichtigt, dass der Rabatt aufgrund ungünstiger gesundheitlicher Umstände der Klägerin persönlich gewährt worden sei. Es handele sich um die Leistung eines Dritten, die dieser Menschen mit Behinderungen freiwillig und nur unter bestimmten Voraussetzungen erbringe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit müsse mindestens 50 % betragen, der Rabatt könne nur im Neuwagengeschäft beansprucht werden, die Klägerin müsse das Fahrzeug nach der Zulassung mindestens sechs Monate selber halten und könne im Kalenderjahr nur zwei Fahrzeuge mit diesem Rabatt erwerben. Damit hänge die Rabattierung von besonderen persönlichen Merkmalen der Geschädigten ab und sie diene nicht dazu, den Schädiger zu entlasten.

Es sei allerdings auch nicht festzustellen, dass der Rabatt vorrangig eine soziale Funktion habe oder eine freigebige Leistung sei. Es falle zwar auf, dass lediglich zwei große Autohersteller Menschen mit Behinderungen auch ohne Verhandlungsgeschick einen fest voreingestellten Rabatt gewährten. Auch unter Berücksichtigung der Leistungsbeschreibung vermöge das Gericht darin aber keine freigebige Leistung durch einen Dritten zu erkennen. Solche seien dem gewerblichen Warenverkehr regelmäßig wesensfremd. Ebenso naheliegend sei, dass es sich um ein von einer sozialen Komponente mitbestimmtes Element der Absatzförderung und der Kundenbindung handele. Das Gericht ordne den der Klägerin gewährten Rabatt daher rechtsähnlich dem Werksangehörigenrabatt ein, weil die Klägerin den Rabatt ohne weitere Anstrengungen erneut erzielen könne.




II.

Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

1. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters und revisionsrechtlich lediglich daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Acht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19, NJW 2020, 144 Rn. 8 mwN).

2. Solche Fehler zeigt die Revision nicht auf und sind auch nicht ersichtlich.

a) Dass der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz der Anschaffungskosten für das fabrikneue gleichwertige Ersatzfahrzeug im Grundsatz zusteht, steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Sie streiten lediglich darüber, ob die Klägerin berechtigt ist, zusätzlich zu den von ihr konkret aufgewendeten Anschaffungskosten die Zahlung eines Geldbetrages in Höhe des ihr gewährten Nachlasses (einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer) von den Beklagten zu verlangen, § 249 Abs. 2 BGB.

b) Zu Recht hat das Berufungsgericht einen solchen weitergehenden Schadensersatzanspruch unter den Umständen des vorliegenden Falles verneint.


aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Frage, ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, nach der sogenannten Differenzhypothese grundsätzlich durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen ist (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 18. Januar 2011 - VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8 mwN). Im Ergebnis zu Recht nimmt es auch an, dass der Klägerin nach der Differenzhypothese kein Schaden entstanden ist.

Allerdings kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts für diese Beurteilung nicht darauf an, ob die Klägerin bei dem vor dem Unfall getätigten Kauf ebenfalls einen Rabatt erhalten hat. In den Blick zu nehmen ist bei dem Vergleich der beiden Vermögenslagen in Bezug auf den Fahrzeugschaden vielmehr nur, dass sich im Vermögen der Klägerin sowohl vor als auch nach dem Unfall ein Neufahrzeug befand. Zwar könnte der Klägerin darüber hinaus ein (weiterer) Schaden dadurch entstanden sein, dass sie nach den Rabattbedingungen zur Rückzahlung des anlässlich des ersten Fahrzeugkaufs gewährten Rabatts an den Hersteller verpflichtet ist oder sie diesen zurückgezahlt hat. Der dadurch (etwaig) eingetretene Vermögensverlust ist aber nicht in die Differenzrechnung wegen des Fahrzeugschadens einzustellen. Es handelt sich dabei um eine weitere (mögliche) Schadensposition, die die Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht hat.

bb) Da die Klägerin an dem Schadensfall nicht verdienen soll (vgl. Senatsurteile vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19, NJW 2020, 144 Rn. 11; vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 6; vom 9. Juni 2009 - VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rn. 14), kann sie Ersatz der Anschaffungskosten für das Neufahrzeug nur in Höhe der ihr tatsächlich entstandenen Kosten beanspruchen. Anderenfalls wäre sie durch den Schadensersatz bereichert. In ihrem Vermögen befände sich nicht nur - wie vor dem Unfall - ein Neufahrzeug, sondern zusätzlich ein Geldbetrag in Höhe des bei der Ersatzbeschaffung gewährten Rabatts. Dem steht nicht entgegen, dass der bei dem Kauf des Ersatzwagens eingeräumte Rabatt auf diese Weise den ersatzpflichtigen Beklagten zugutekommt.



(1) Der im Wege der Differenzhypothese ermittelte Schaden kann "normativ" wertend entsprechend dem Grundgedanken des § 843 Abs. 4 BGB dahin zu korrigieren sein, dass Leistungen von Dritten unberücksichtigt zu bleiben haben. Eine derartige Korrektur der Differenzrechnung kommt in Betracht, wenn die Differenzbilanz die Schadensentwicklung für den Normzweck der Haftung nicht zureichend erfasst. Das ist dann anzunehmen, wenn die Vermögenseinbuße durch überpflichtige Leistungen des Geschädigten oder durch Leistungen von Dritten, die den Schädiger nicht entlasten sollen, rechnerisch ausgeglichen wird. Bei der Beurteilung der Frage, ob die von der Differenzhypothese ausgewiesenen schadensrechtlichen Ergebnisse nach Sinn und Zweck aller in Betracht kommenden Rechtsnormen nicht hinnehmbar sind, ist aber zur Vermeidung einer uferlosen Ausdehnung von Schadensersatzpflichten Zurückhaltung geboten. Eine normativ wertende Korrektur der Differenzrechnung ist daher nur dann angebracht, wenn nach einer umfassenden Bewertung der gesamten Interessenlage, wie sie durch das schädigende Ereignis zwischen dem Schädiger, dem Geschädigten und gegebenenfalls dem leistenden Dritten besteht, sowie unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck aller in Betracht kommenden Rechtsnormen die Differenzbilanz der Schadensentwicklung nicht gerecht wird (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19, NJW 2020, 144 Rn. 15; vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 9 mwN).

(2) Gründe, die hiernach gebieten würden, einen Vermögensschaden auch insoweit zu bejahen, als der Klägerin bei dem Erwerb des gleichwertigen Ersatzfahrzeuges ein Rabatt gewährt worden ist, sind vorliegend nicht gegeben. Dabei kann zugunsten der Revision unterstellt werden, dass der Nachlass aus sozialen und Fürsorgegesichtspunkten gewährt wird. Eine dies zugrunde legende umfassende Bewertung der gesamten Interessenlage ergibt indes, dass eine normativ wertende Korrektur der Differenzrechnung unter den Umständen des Streitfalles nicht geboten ist. Denn der Nachlass für Menschen mit Behinderung wird - wie etwa auch ein Werksangehörigenrabatt - generell und unabhängig von einem Schadensereignis gewährt. Die Klägerin hat ihn nicht im Hinblick auf das Schadensereignis erhalten; ihm kommt keine schadensrechtliche Ausgleichsfunktion zu. Der eingetretene Schadensfall gab lediglich Anlass, von der durch den Hersteller des erworbenen Fahrzeugs eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen (vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 10).

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