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Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil vom 30.12.2020 - B 1 S 20.1308 - Aufklärungsmaßnahmen bei der Behauptung der unwissentlichen Zuführung von harten Drogen

VG Bayreuth v. 30.12.2020: Aufklärungsmaßnahmen bei der Behauptung der unwissentlichen Zuführung von harten Drogen




Das Verwaltungsgericht Bayreuth (Urteil vom 30.12.2020 - B 1 S 20.1308) hat entschieden:

  1.  Die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln setzt grundsätzlich einen willentlichen Konsumakt voraus. Die von einem Betroffenen vorgebrachte unbemerkte Verabreichung durch Dritte und daher unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Daher muss, wer sich auf eine ausnahmsweise unbewusste Aufnahme eines Betäubungsmittels beruft, einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt und der damit auch zumindest teilweise der Nachprüfung zugänglich ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 11 CS 19.9 – juris Rn. 13; B.v. 13.2.2019 – 11 ZB 18.2577 – juris Rn. 18 m.w.N.).

  2.  Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann ein diesbezüglicher Sachvortrag allenfalls dann als beachtlich angesehen werden, wenn der Betroffene überzeugend aufzeigen konnte, dass der Dritte einen Beweggrund hatte, ihm ohne sein Wissen Betäubungsmittel zuzuführen, und dass er selbst die Aufnahme des Betäubungsmittels und deren Wirkung tatsächlich nicht bemerkt hat (BayVGH, B.v. 19.06.2016 – 11 CS 15.2403 – Rn. 12; B.v. 31.5.2012 – 11 CS 12.807 – juris Rn. 12, B.v. 24.7.2012 – 11 ZB 12.1362 – juris Rn. 11 m.w.N.; ebenso OVG NW, B.v. 22.3.2012 – 16 B 231/12 – juris Rn. 6).


Siehe auch
Unbewusster Drogenkonsum - Passivkonsum - Passivrauchen - Konsum ohne Wissen oder Bewusstsein
und
Stichwörter zum Thema Drogen

Gründe:


I.

Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.

Gegen die Antragstellerin wurde von der Polizeiinspektion (PI) ... ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) wegen eines Vorfalls vom 16. April 2019 geführt. Die Antragstellerin wurde an jenem Tag gegen 20:45 Uhr im Rahmen einer Polizeikontrolle angetroffen, wobei ein angerauchter Joint Cannabis festgestellt wurde. Die Antragstellerin gab an, dass sie zwei Züge von dem Joint genommen habe, nicht die Absicht gehabt habe, danach noch Auto zu fahren und es sich um eine einmalige und somit letzte Angelegenheit gehandelt habe. Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft ... vom 8. Juni 2019 wurde von einer Verfolgung gemäß § 45 Abs. 1 JGG abgesehen.

Durch eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft ... nach Nr. 45 MiStra vom 23. März 2020 wurde das Landratsamt darüber in Kenntnis gesetzt, dass gegen die Antragstellerin ein Ermittlungsverfahren wegen eines Vergehens nach § 29 BtMG mit Verfügung vom 18. März 2020 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Das Landratsamt forderte daraufhin die Ermittlungs-/Strafakten zum gegen die Antragstellerin geführten Verfahren (Az. ...) sowie zum Verfahren wegen Vergewaltigung zum Nachteil der Antragstellerin (Az.: ...) bei der Staatsanwaltschaft ... an.

Den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten ist hierzu Folgendes zu entnehmen:

Laut Schlussvermerk der KPI ... vom 11. März 2020 habe Frau B. am 16. Dezember 2019 Anzeige erstattet. Sie habe angegeben, dass sie zusammen mit der Antragstellerin Opfer eines Sexualdelikts in ... im ... geworden sei. Ein Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung sei eingeleitet worden. Bei der chemisch-toxikologischen Untersuchung des Urins und des Blutes der Antragstellerin seien Cannabinoide, Kokain/-metabolite nachgewiesen worden. Die Antragstellerin sei als Beschuldigte belehrt worden, sie habe sich nicht zur Sache geäußert. Laut Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 18. März 2020 im gegen die Antragstellerin geführten Ermittlungsverfahren wegen eines Vergehens nach § 29 BtMG habe ein Tatnachweis hinsichtlich des Verdachts des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nicht geführt werden können. Es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass die Antragstellerin Betäubungsmittel vor dem Konsum in Besitz gehabt habe. Die bloße Entgegennahme von Betäubungsmitteln an Ort und Stelle in verbrauchsgerechter Menge und der sofort anschließende Konsum von Betäubungsmitteln sei nicht strafbar.




Das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität ... vom 5. März 2020 über eine am 16. Dezember 2019 um 9.40 Uhr entnommene Blut- bzw. Urinprobe der Antragstellerin ergab Folgendes:

In der Venenblutprobe wurde THC-Carbonsäure in einer Konzentration von 13 ng/ml und Nortilidin in einer Konzentration von 28 ng/ml nachgewiesen, wobei als therapeutische Blutkonzentration für Nortilidin Werte zwischen 30 und 250 ng/ml angegeben werden. Rückstände von Kokain sowie THC oder dessen psychoaktive Metaboliten 11-Hydroxy-THC hätten in der Blutprobe nicht nachgewiesen werden können.

In der Urinprobe wurden THC-Carbonsäure als inaktiver Hauptmetabolit von THC (Cannabis), die Kokainabbauprodukte Benzoylecgonin und Methylecgonin sowie das psychoaktive Opioidanalgetikum Tilidin, dessen aktive Metaboliten Nortilidin und Bisnortilidin, den Opioidantagonisten Naxolon und den inaktiven Naxolon-Metaboliten Naxolon-Glucuronid nachgewiesen. Die Analyseresultate ließen sich einer Aufnahme von Cannabisprodukten und Kokain sowie von Tilidin mit Naloxon (Wirkstoffe von zum Beispiel dem Medikament Valoron) zuordnen. Darüber hinaus hätten sich keine Anhaltspunkte für die Aufnahme bzw. Beibringung von Medikamenten, Betäubungsmitteln oder von narkotisierend wirkenden Substanzen ergeben.

Die Frau B. am 17. Dezember 2019 um 11:20 Uhr entnommene Blut-/Urinprobe hat keine Rückstände von Drogen ergeben.

Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 22. Mai 2020 wurde das Ermittlungsverfahren gegen A. und D. wegen sexuellen Übergriffs, sexueller Nötigung unter Ausnutzung einer Lage zur mangelnden Willensbildung oder -äußerung nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Aus den Ermittlungen habe sich ein hinreichender Tatverdacht, der die Erhebung einer Anklage rechtfertigen könnte, nicht ergeben. Die Anklage könne sich ausschließlich auf die Aussage der Anzeigeerstatterinnen stützen. Bei Abgleich ihrer Angaben seien diese widersprüchlich, was gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben spreche. Die chemisch-toxikologische Untersuchung des Urins der Antragstellerin habe einen positiven Befund hinsichtlich Cannabinoiden und Kokain/-metaboliten ergeben. Anhaltspunkte für eine ungewollte Verabreichung sowie für die Beibringung von narkotisierend wirkenden Substanzen durch die Beschuldigten hätten sich bei beiden Zeuginnen nicht ergeben. Auch die Chat-Kommunikation beider Anzeigeerstatterinnen am Tag nach der Tat spreche gegen einen sexuellen Übergriff oder eine Vergewaltigung in der Nacht zuvor. Die Antragstellerin habe am Tag danach kommuniziert, sie habe es dem ... (möglicherweise ihr Lebensgefährte) gesagt, woraufhin dieser vermutet habe, die beiden Beschuldigten hätten ihnen etwas ins Trinken getan. Die Zeugin B. habe in einer Sprachnachricht sinngemäß geantwortet, dass dies nicht der Fall gewesen sei, sondern "sie einfach voll besoffen" gewesen seien. Die gesicherten Videoaufzeichnungen des Hotels hätten ergeben, dass sich die beiden Anzeigeerstatterinnen am 15. Dezember 2019 unauffällig im Frühstücksraum des Hotels aufgehalten hätten und sich einer der Beschuldigten mit an den Tisch gesetzt habe, was bei objektiver Betrachtung höchst ungewöhnlich sei bei einem kurz zuvor stattgehabten sexuellen Übergriff. Die beiden Anzeigeerstatterinnen hätten sich dann wieder in das Hotelzimmer zurückbegeben. Die Rezeptionistin und die Servicekraft des Hotels hätten ein Verhalten der Anzeigeerstatterinnen geschildert, das kein nachvollziehbares Verhalten für den Fall einer vorherigen Vergewaltigung darstelle.

Mit Schreiben des Landratsamts vom 25. September 2020 wurde die Antragstellerin darüber informiert, dass gegen sie ein Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis eingeleitet werde. Aufgrund der Begründung der Staatsanwaltschaft ... zur Verfahrenseinstellung des Ermittlungsverfahrens wegen sexuellen Übergriffs, sexueller Nötigung unter Ausnutzung einer Lage zur mangelnden Willensbildung oder -äußerung müsse die Aussage der Antragstellerin, niemals mit Wissen und Wollen die im Blut aufgefundenen Drogen zu sich genommen zu haben, als Schutzbehauptung klassifiziert werden. Gelegenheit zur Äußerung hierzu werde gegeben.




Die Bevollmächtigten der Antragstellerin äußerten sich dahingehend, dass diese mit Ausnahme von Cannabis niemals bewusst und freiwillig Drogen konsumiert habe. Dies beweise auch der von KHK S. zitierte Chat zwischen der Antragstellerin und ihrer Cousine, Frau B. Diese habe sich weitgehend an die Geschehnisse in der Nacht erinnern können, anders als die Antragstellerin. In deren Blut/Urin seien keine Drogenrückstände nachgewiesen worden. Nach der Schilderung der Cousine stehe fest, dass die Antragstellerin so vollständig unter Drogen gestanden habe, die sie nicht freiwillig konsumiert habe, dass sie sich nicht im Ansatz gegen die sexuellen Übergriffe habe wehren können. Am nächsten Morgen habe sie sich so gut wie an gar nichts erinnern können. Erst im Auto im Gespräch mit B. sei ihr ein Licht aufgegangen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Antragstellerin die Blutprobe aus eigenem Antrieb in die Wege geleitet habe. Nach Vorliegen der Blutanalyse sei für die Antragstellerin klar gewesen, dass sie ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen am Wochenende vom 14./15. Dezember 2019 von A. und D. unter Drogen gesetzt worden sei. Im Weiteren führt die Bevollmächtigte der Antragstellerin aus, weshalb die von der Staatsanwaltschaft gezogenen Schlüsse unzutreffend seien.

Laut Aktenvermerk wurde von Seiten des Landratsamts am 16. Oktober 2020 ein Telefonat mit dem forensischen Gutachter Dr. Sch zum Inhalt und Ergebnis des Gutachtens vom 5. März 2020 geführt.

Mit Bescheid vom 9. November 2020 wurde der Antragstellerin die Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L entzogen (Nr. 1). Sie wurde aufgefordert, den Führerschein unverzüglich beim Landratsamt abzugeben (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung aus Nr. 2 innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids wurde ein Zwangsgeld von 300 EUR angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4).

Zur Begründung führte das Landratsamt aus, dass durch das chemisch-toxikologische Gutachten der Universität ... vom 5. März 2020 in der Blut- und Urinprobe der Antragstellerin Betäubungsmittel (werden im Einzelnen und in ihrer festgestellten Konzentration genannt) festgestellt worden seien. Nach allgemeiner Lebenserfahrung setze ein positiver Probennachweis typischerweise einen entsprechenden Willensakt voraus. Die Antragstellerin habe zwar vorgetragen, dass sie niemals Kokain oder die anderen genannten Drogen, mit Ausnahme von Cannabis, bewusst und freiwillig konsumiert habe, und sie von zwei ihr bekannten Männern in einem Hotelzimmer in ... planmäßig und ohne ihr Wissen und Wollen unter Drogen gesetzt worden sei um ihren Widerstand zu brechen und sie vergewaltigt worden sei. Es seien demnach Anhaltspunkte vorgetragen, wer und aus welchem Grund ihr Drogen verabreicht haben solle; auf welche Weise, gehe aus dem Sachvortrag nicht konkret hervor, jedoch stehe hierbei am ehesten die orale Aufnahme durch Beimischung in die Gläser alkoholischen Inhaltes im Raum. Andere Gesichtspunkte für eine unbewusste Aufnahme seien nicht ersichtlich. Mit der womöglich stattgefundenen Drogenverabreichung bzw. Beibringung von narkotisierend wirkenden Substanzen habe sich das Strafgericht bereits auseinandergesetzt, so dass das Landratsamt hinsichtlich der abgeurteilten Straftat nicht selbstständig ermitteln müsse. Die Staatsanwaltschaft ... habe das Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Übergriffs, sexueller Nötigung unter Ausnutzung einer Lage zur mangelnden Willensbildung oder -äußerung eingestellt und hierfür auf die widersprüchlichen Angaben der Anzeigeerstatterinnen abgestellt. Maßgeblich für die Prüfung der Fahreignung sei der nachgewiesene Drogenkonsum. Der Vortrag eines unwissentlichen Kokainkonsums sei nicht glaubhaft dargelegt, sodass ein Abweichen von den Feststellungen der Staatsanwaltschaft, wonach sich keine Anhaltspunkte für die ungewollte Verabreichung durch die Beschuldigten ergeben hätten, nicht angezeigt sei und das Landratsamt von diesem festgestellten Sachverhalt ausgehen könne. Nach den ergänzenden telefonischen Angaben des forensischen Gutachters zu seinem Gutachten vom 5. März 2020 sei von einer bewussten Aufnahme der Cannabinoide auszugehen. Tilidin gelte in den meisten Darreichungsformen als Betäubungsmittel. Es könne in Form von Tabletten oder Tropfen verabreicht werden, eine Zugabe in ein Getränk zur Wirkungsverstärkung in Kombination mit Alkohol erscheine insofern zumindest möglich. Kokain müsse, damit es auch in Kombination mit anderen Substanzen zum Beispiel sexuell enthemmend wirken könne bzw. überhaupt eine Wirkung entfalten könne, entweder in der üblichen nasalen Form ("Sniefen"), als Rauchen von Crack oder mittels Spritzen aufgenommen werden. Hingegen entfalte die orale Form (zum Beispiel durch Beimischung in ein Getränk) keine Wirkung, da es hierbei im Magen-Darm-Trakt sofort abgebaut werde. Eine unbewusste Aufnahme dieses sehr hochpreisigen Betäubungsmittels mittels oraler Aufnahme sei äußerst unwahrscheinlich und wirkungslos. Die wirkungsvollen Konsumformen seien in der Regel hinlänglich bekannt.

Ob der Antragstellerin bei Abgabe der Blutprobe auch die Tragweite in Bezug auf die Fahreignung bewusst gewesen sei, könne dahinstehen. Ein etwaiger Verstoß gegen Verfahrensvorschriften, deren Einhaltung für die Strafverfolgung grundsätzlich erforderlich sei, begründe im vorliegenden Verfahren kein Verwertungsverbot. Es gehe nicht um die Bestrafung der Antragstellerin wegen Kokainkonsums, sondern um den Schutz anderer Verkehrsteilnehmer. Es könne derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin die Kraftfahreignung wiedererlangt habe. Hierzu sei eine mindestens einjährige Betäubungsmittelabstinenz zu fordern und eine dauerhafte und stabile Verhaltensänderung, die im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Begutachtung beurteilt werden müsse. Es lägen keine besonderen Umstände des Einzelfalls vor, die ausnahmsweise nicht zur Regelvermutung des Wegfalls der Fahreignung führen könnten, insbesondere sei ein unwillentlicher Kokainkonsum nicht glaubhaft dargelegt.

Die Ablieferungspflicht des Führerscheins beruhe auf § 47 Abs. 1 FeV, die Anordnung des Zwangsgelds auf Art. 29, 30,31 und 36 VwZVG.

Der sofortige Vollzug werde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse angeordnet. Es sei mit den Belangen der Verkehrssicherheit nicht zu vereinbaren, dass Personen als Führer von Kraftfahrzeugen amöffentlichen Straßenverkehr teilnehmen, obwohl sie sich hierzu als ungeeignet erwiesen hätten. Dieses Interesse am sofortigen Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer überwiege das Interesse der Antragstellerin, bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Entziehungsverfahrens vorläufig weiter von der Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können.




Mit Schriftsatz vom 25. November 2020 erhob die Antragstellerin Widerspruch, über den soweit ersichtlich noch nicht entschieden ist.

Mit Schriftsatz vom 20. November 2020 ließ die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten um Eilrechtsschutz nachsuchen und beantragen,

  1.  Die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 9. Oktober (gemeint wohl: 9. November) 2020 auszusetzen, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 25. November 2020 wiederherzustellen und den Antragsgegner zu bescheiden, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, den Führerschein bis 27. November 2020 abzugeben.

  2.  Die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen.

Es werde die formelle Ordnungsmäßigkeit der sofortigen Vollziehbarkeit bezweifelt. Darüber hinaus stehe entgegen der Behauptung des Antragsgegners im angefochtenen Bescheid gerade nicht fest, dass die Antragstellerin wissentlich Kokain, Tilidin und THC in der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 2019 konsumiert habe. Die Antragstellerin habe am 16. Dezember 2019 auf eigene Veranlassung eine Blutprobe entnehmen lassen und eine Urinprobe abgegeben. Zur Anzeigeerstattung gegen die beiden Männer, die zum Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ... wegen sexuellen Übergriffs, sexueller Nötigung unter Ausnutzung einer Lage zur mangelnden Willensbildung oder -äußerung geführt habe, habe sich die Antragstellerin erst auf massiven Druck ihrer Verwandtschaft durchringen können. Es sei ihr aber schon am Sonntagabend bewusst gewesen, dass sie vergewaltigt worden sein musste. Dies würden auch die Chat-Nachrichten belegen, die die Antragstellerin ihrer älteren Schwester N.M. am späten Sonntagabend (15. Dezember 2019) geschickt habe. Aus diesen gehe hervor, dass sie davon ausgegangen sei dass ihr die beiden Männer KO-Tropfen ins Glas geben hätten. Bis zum Ergebnis der Blut-/Urinanalyse sei sie auch weiterhin davon ausgegangen, dass sie durch die heimliche Gabe von KO-Tropfen willenlos und handlungsunfähig gemacht worden sei. Dies hätte sie nicht angenommen, wenn sie wissentlich Kokain konsumiert hätte. Es sei allgemein bekannt, dass GHB nur sehr kurze Zeit nachweisbar sei, sodass möglichst schnell eine verwertbare Blut- und Urinprobe genommen werden müsse. Lebensnah betrachtet hätte die Antragstellerin niemals eine freiwillige Probe den Justizbehörden überlassen, wenn sie davon ausgegangen wäre, Kokain, Tilidin und THC konsumiert zu haben. Die Antragstellerin könne sich an kaum etwas erinnern, was in der Nacht vorgefallen sei. Sie könne sich vorstellen, dass ihr das Kokain, ohne dass sie das noch mitbekommen habe, vaginal verabreicht worden sei, nachdem ihr vorher, dann am 16. Dezember 2019 um 9:40 Uhr nicht mehr nachweisbare eventuell im Whisky befindliche KO-Tropfen verabreicht worden seien. Dies würde erklären, wieso sie nach wenigen Schlucken Alkohol total erschöpft gewesen sei und auch am nächsten Tag noch unter extremer Übelkeit gelitten habe, was üblicherweise keine Nebenwirkung von Kokain und Tilidin, sondern von GHB sei, ebenso wie der zu konstatierende Erinnerungsverlust.

Den telefonischen Angaben des forensischen Gutachters werde widersprochen (wird näher ausgeführt). Die Antragstellerin sei mit dem vormals Beschuldigten B.D. längere Zeit im Badezimmer gewesen. B.D. hätte der Antragstellerin das Kokain einflößen können, indem er ihr das Zahnfleisch oder die Vagina eingerieben hätte. Denkbar sei auch, dass er Kokain auf seinen Penis aufgebracht und so in den Körper der Antragstellerin verbracht habe. Die Antragstellerin sei wegen ihres "Filmrisses" immer von KO-Tropfen ausgegangen. Sie könne sich an die Geschehnisse in der Nacht so gut wie nicht mehr erinnern.




Im Rahmen der Abwägung sei anzuführen, dass die Antragstellerin zurzeit als Sekretärin an der ... tätig sei und werktäglich von ihrem Wohnort nach ... fahren müsse. Wegen der schlechten ÖPNV-Verbindung müsse sie ihre Arbeit werktäglich 2 Stunden später anfangen und sei zwischen einer und 2 Stunden je nach Verbindung für 27 km unterwegs.

Mit weiterem Schriftsatz vom 27. November 2020 ließ die Antragstellerin vortragen, dass ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, das durch Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO, nicht ansatzweise mit einem Strafprozess vergleichbar sei. Der Hinweis des Antragsgegners auf die Entscheidung des BayVGH vom 4. Dezember 2019 - 11 ZB 19.1783 - treffe vorliegend nicht zu. Die Beschuldigten hätten zu den Tatvorwürfen geschwiegen. Im Ermittlungsverfahren sei die Aussage der Cousine der Antragstellerin, Frau B., nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2020, bei Gericht eingegangen am 14. Dezember 2020, beantragte das Landratsamt,

   den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung werde im Wesentlichen auf die Ausführungen im Teil B des Bescheides und ergänzend nochmals auf Folgendes hingewiesen:

Es könne dahinstehen, ob sich die Antragstellerin bei Abgabe der Blut- und Urinprobe "auf eigene Veranlassung" der Tragweite der späteren Kenntniserlangung und Weitergabe an die Fahrerlaubnisbehörde und dem daraus resultierenden Kokainnachweis zum Zeitpunkt der Abgabe bereits bewusst gewesen sei bzw. sein konnte. Ebenso könne dahinstehen, ob ihr überhaupt bewusst gewesen sei, dass noch eine Nachweisbarkeit des Kokainkonsums mittels Urinprobe in Abhängigkeit des Konsums bis zu 4 Tagen gegeben sei, während dies im Serum nur für 6 Stunden möglich sei.

Im Rahmen der Anhörung sei nicht konkret vorgetragen worden, auf welche Weise die Drogen verabreicht worden sein sollen. Auf Basis der Schilderungen stehe allenfalls eine orale Aufnahme durch Beimischung in die Gläser im Raum. Andere Gesichtspunkte für eine unbewusste Aufnahme seien aus den Schilderungen nicht ersichtlich gewesen. Im Rahmen der Antragsschrift werde nun erstmals geschildert, dass der Antragstellerin das Kokain, ohne dass sie das noch mitbekommen habe, vaginal verabreicht worden sei, nachdem ihr vorher, am 16. Dezember 2019 um 9.40 Uhr nicht mehr nachweisbare eventuell im Whisky befindliche KO-Tropfen verabreicht worden seien. Mit dieser womöglich stattgefundenen Drogenverabreichung bzw. Beibringung von narkotisierend wirkenden Substanzen habe sich das Strafgericht infolge der geführten Ermittlungen umfassend auseinandergesetzt. In der abschließenden Verfügung der Staatsanwaltschaft ... im Einstellungsbeschluss nach § 170 Abs. 2 StPO sei der Sachverhalt hinreichend gewürdigt und festgestellt worden. Dabei sei insbesondere auch festgestellt worden, dass sich Anhaltspunkte für die ungewollte Verabreichung durch die Beschuldigten gerade nicht ergeben hätten. Auch die Chat-Kommunikation der beiden Anzeigeerstatterinnen am Tag nach der Tat spreche gegen einen sexuellen Übergriff oder eine Vergewaltigung in der Nacht zuvor.

Nach Aussage des nochmals befragten beauftragten toxikologischen Gutachters sei in jedem Fall von bewusster Aufnahme der Cannabinoide auszugehen. Eine unbewusste Aufnahme des sehr hochpreisigen Betäubungsmittels Kokain mittels oraler Aufnahme habe er als äußerst unwahrscheinlich und wirkungslos eingestuft.

Die von der Bevollmächtigten der Antragstellerin vorgetragenen Fehler im Ermittlungsverfahren als auch die infrage stehende Beurteilungsfähigkeit des Staatsanwalts ergäben keine neuen Tatsachen oder Beweismittel. Der Vortrag eines unwillentlichen Kokainkonsums sei nach alledem nicht glaubhaft dargelegt, sodass ein Abweichen von der Feststellung der Staatsanwaltschaft nicht angezeigt sei und das Landratsamt insofern von diesem festgestellten Sachverhalt habe ausgehen können. Billigkeitserwägungen könnten keine Beachtung finden, da die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen sei, wenn die fehlende Fahreignung aufgrund der hier vorliegenden berücksichtigungsfähigen Tatsachen feststehe.

Auch das Ergebnis einer Interessenabwägung spreche für die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts (wird ausgeführt).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Behördenakten sowie der zum Verfahren beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten ... ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechend).




II.

1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen.

Der zulässige Antrag ist mit der Maßgabe begründet, dass die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs mit einer Auflage zulasten der Antragstellerin verbunden ist. Zwar hat das Landratsamt die Anordnung des Sofortvollzugs den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend begründet. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 9. November 2020 sind jedoch aus gegenwärtiger Sicht als offen anzusehen. Die Interessenabwägung, auf die es bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ankommt, führt zu dem Ergebnis, dass es vorliegend verantwortet werden kann, der Antragstellerin das Führen von Kraftfahrzeugen einstweilen weiterhin zu gestatten, sofern sie durch die als Auflagen angeordneten Maßnahmen ihre Drogenfreiheit nachweist.

2. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Der Fahrerlaubnisinhaber erweist sich als ungeeignet zum Führen von Kfz, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV bestehen Bedenken insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 hinweisen. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die vorherige Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens.

Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV liegt bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) - mit Ausnahme von Cannabis - keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vor. Auf eine bestimmte Häufigkeit des Konsums kommt es nicht an, ebenso wenig auf die Höhe der nachgewiesenen Betäubungsmittelkonzentration, eine Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und ob konkrete Ausfallerscheinungen im Sinne von Fahruntüchtigkeit beim Betroffenen zu verzeichnen waren. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 - 11 CS 19.9 - juris Rn. 12; B.v. 26.3.2019 - 11 CS 18.2333 - juris Rn. 11; B.v. 25.11.2014 - 11 ZB 14.1040 - juris Rn. 11; B.v. 22.9.2015 - 11 CS 15.1447 - juris Rn. 16).

Ausweislich des Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität ... vom 5. März 2020 wurden im Blut der Antragstellerin die Kokainabbauprodukte Benzoylecgonin und Mehtylecgonin, das Opioidanalgetikum Tilidin, dessen Metaboliten sowie ein Metabolit der Substanz Naloxon nachgewiesen, daneben THC-Carbonsäure als Abbauprodukt von THC (Cannabis). Kokain (Benzoylecgoninmethylester - Methyl[3ß-(benzoyloxy) tropan-2ß-carboxylat]) zählt nach Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG zu den Betäubungsmitteln, bei denen bereits bei erstmaligem Konsum die Fahreignung entfällt (st.Rspr., vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.02.2019 - 11 ZB 18.2577 - juris Rn. 17; B.v. 03.08.2016 - 11 ZB 16.966 - juris Rn. 11; B.v. 19.01.2016 - 11 CS 15.2403 - juris Rn. 11; B.v. 23.02.2016 - 11 CS 16.38 - juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 23.07.2015 - 16 B 656/15 - juris Rn. 5 ff. m.w.N.). Tilidin fällt in bestimmter Konstellation ebenfalls unter die Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG (ausgenommen in festen Zubereitungen mit verzögerter Wirkstofffreigabe, die ohne einen weiteren Stoff der Anlagen I bis III je abgeteilte Form bis zu 300 mg Tilidin, berechnet als Base, und, bezogen auf diese Menge, mindestens 7,5 vom Hundert Naloxonhydrochlorid enthalten). Soweit der Gutachter angibt, die in der Blutprobe gefundenen Substanzen Tilidin und Naloxon könnten mit der Aufnahme des Medikaments Valoron in Einklang zu bringen sein, handelt es sich hierbei - je nach Darreichungsform - um ein verschreibungspflichtiges Präparat bzw. um ein Betäubungsmittel (siehe Beipackzettel Valoron bzw. Valoron retard).

Die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln setzt grundsätzlich einen willentlichen Konsumakt voraus. Die von einem Betroffenen vorgebrachte unbemerkte Verabreichung durch Dritte und daher unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Daher muss, wer sich auf eine ausnahmsweise unbewusste Aufnahme eines Betäubungsmittels beruft, einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt und der damit auch zumindest teilweise der Nachprüfung zugänglich ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 - 11 CS 19.9 - juris Rn. 13; B.v. 13.2.2019 - 11 ZB 18.2577 - juris Rn. 18 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann ein diesbezüglicher Sachvortrag allenfalls dann als beachtlich angesehen werden, wenn der Betroffene überzeugend aufzeigen konnte, dass der Dritte einen Beweggrund hatte, ihm ohne sein Wissen Betäubungsmittel zuzuführen, und dass er selbst die Aufnahme des Betäubungsmittels und deren Wirkung tatsächlich nicht bemerkt hat (BayVGH, B.v. 19.06.2016 - 11 CS 15.2403 - Rn. 12; B.v. 31.5.2012 - 11 CS 12.807 - juris Rn. 12, B.v. 24.7.2012 - 11 ZB 12.1362 - juris Rn. 11 m.w.N.; ebenso OVG NW, B.v. 22.3.2012 - 16 B 231/12 - juris Rn. 6).




Entscheidend ist vorliegend daher, ob der Antragsgegner gestützt auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, insbesondere die Einstellungsverfügung vom 22. Mai 2020 von einer willentlichen Drogeneinnahme durch die Antragstellerin ausgehen und deren Vorbringen von vorneherein als bloße Schutzbehauptung ansehen durfte oder ob es weiterer Aufklärungsmaßnahmen bedarf.

Das Gericht hält das Vorbringen der Antragstellerin, wonach ihr die Drogen unbemerkt zugeführt worden sein sollen, unter Berücksichtigung der Einlassungen der Antragstellerin sowie von Frau B. im Hinblick auf die konkrete Situation am 14./15. Dezember 2019 zumindest für plausibel, so dass nicht von vorneherein von einer Schutzbehauptung der Antragstellerin ausgegangen werden kann.

Soweit sich der Antragsgegner auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und deren Ergebnis stützt, ist dabei in den Blick zu nehmen, dass diese Ermittlungen wegen eines Sexualdelikts geführt und eingestellt wurden, ohne dass eine Überprüfung der relevanten Vorwürfe in einem strafgerichtlichen Verfahren stattfand, mithin auch die Frage, ob der Antragstellerin und Frau B. narkotisierend wirkende Stoffe bzw. Drogen zugeführt worden sind, einer Überprüfung durch ein Gericht nicht unterzogen wurde. Der Hinweis auf die Entscheidung des BayVGH vom 4. Dezember 2019 (Az.: 11 ZB 19.1783) geht daher insoweit fehl, denn weder die Antragstellerin noch die beiden Männer wurden in einem gerichtlichen Verfahren auf ihre Glaubwürdigkeit hin beurteilt. Nach § 170 Abs. 1 StPO erhebt die Staatsanwaltschaft dann öffentliche Klage, wenn ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist, d.h. wenn nach vorläufiger Bewertung des sich aus dem gesamten Akteninhalt ergebenen Sachverhalts und der Beweisergebnisse eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher als ein Freispruch ist, mithin eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung besteht (vgl. Gorf in: BeckOK StPO, Stand: 1.10.2020, § 170 Rn. 2 ff.). Wenn daher eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft erfolgt, hat dies nicht die einer strafgerichtlichen Entscheidung innewohnende Entscheidungstiefe, sondern stellt lediglich eine Prognose dar, ob nach vorläufiger Bewertung der Sach- und Rechtslage durch die Staatsanwaltschaft am Ende einer Hauptverhandlung wahrscheinlich eine Verurteilung stehen wird. Insofern kann durchaus eine Abweichung von der staatsanwaltschaftlichen Einschätzung angezeigt und weitere Aufklärungsmaßnahmen notwendig sein.

Für die Kammer ergibt sich im Hinblick auf eine vorgetragene unbewusste Verabreichung der Drogen an die Antragstellerin weiterer Aufklärungsbedarf. Denn es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Antragstellerin die Drogen freiwillig zu sich genommen hat. Die Kammer hält das Vorbringen der Antragstellerin nicht von vorneherein für unplausibel und unglaubhaft. Trotz der auf den ersten Blick gegen die Antragstellerin sprechenden Gesamtumstände könnte es sein, dass sich die Antragstellerin völlig blauäugig in diese Situation gebracht hat. Die Antragstellerin hat sich ausführlich mit dem Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft auseinandergesetzt. Ihre Stellungnahme zeigt Argumente auf, die es als möglich - wenngleich keineswegs als gesichert - erscheinen lassen, dass ihr unwissentlich bewusstseinstrübende Substanzen und im Weiteren Kokain und Valoron verabreicht worden sind. Sie hat eine plausible Erklärung dafür gegeben, weshalb ihr während des Aufenthalts in dem Hotel von den beiden Männern, von denen einer ebenfalls bereits wegen Drogendelikten in Erscheinung getreten ist, Drogen verabreicht worden sein könnten, nämlich um sie sexuell gefügig zu machen. Sowohl die Antragstellerin als auch die Zeugin B. haben übereinstimmend vorgetragen, dass ihnen von den Männern deren Getränk angeboten worden sei. Die Zeugin B. hat sinngemäß auch ausgesagt, dass sie hierzu immer wieder gedrängt worden seien und die Antragstellerin, die mehr davon getrunken hat als sie selbst, bereits nach wenigen Schlucken dieses Getränks benommen gewirkt hat. Den Zeugenaussagen der Antragstellerin und ihrer Cousine ist durchgehend zu entnehmen, dass sie sich ihren körperlichen Zustand, die Erinnerungslücken und die Vorfälle jenes Abends nicht erklären konnten. Zwar kann nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, dass ein übermäßiger Alkoholkonsum zu dem von den beiden Frauen geschilderten körperlichen Zustand und den Erinnerungslücken beigetragen haben könnte. Jedoch erscheint es gleichfalls nicht ausgeschlossen, dass den Frauen und insbesondere der Antragstellerin die Drogen verabreicht wurden. Der Vorfall aus dem Frühjahr 2019 mit Cannabis zeigt zwar eine zumindest einmalige Erfahrung der Antragstellerin im Umgang mit dieser Droge, daraus aber den Schluss zu ziehen, dass damit gleichsam auch der Konsum harter Drogen einhergehe, erscheint dennoch zu weitgehend. Das Gericht verkennt nicht, dass die in Rede stehenden Drogen auch bewusst zur sexuellen Stimulation genommen werden können und die vom ärztlichen Gutachter getätigten Aussagen zum gängigen Konsummuster von Kokain auf den ersten Blick gegen eine unbewusste Aufnahme durch die Antragstellerin sprechen. Der von der Antragstellerin vorgetragene mögliche Geschehensablauf, wonach der Antragstellerin das Kokain vaginal verabreicht worden sein soll, entspricht dem nicht, kann aber nicht von vorneherein als völlig abwegig ausgeschlossen werden, wenn man sich die konkrete Situation vor Augen führt. Der Chat-Verlauf zwischen den beiden Frauen am Tag nach dem Vorfall spricht ebenfalls nicht eindeutig dafür, dass sie einen übermäßigen Alkoholkonsum als alleinigen Grund angesehen haben. Die Frauen konnten sich den Ablauf des vorherigen Abends nicht erklären. Zwar hat die Blut-/Urinuntersuchung der Frau B. am 17. Dezember 2019 einen negativen Befund auf Drogen ergeben. Hieraus muss aber ebenfalls nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass die Antragstellerin die Drogen bewusst eingenommen hat. Die Untersuchung der Frau B. ist zeitlich später erfolgt als die der Antragstellerin. Ob evtl. verabreichte Stoffe in Abhängigkeit von ihrer Konzentration und der verabreichten Menge bereits abgebaut worden sein könnten, kann nicht gesagt werden. Die von der Staatsanwaltschaft gegen die Glaubwürdigkeit der Antragstellerin und Frau B. ins Feld geführten Widersprüche bei ihren Zeugenaussagen könnten auch anders gewertet werden, wenn man eine Zuführung bewusstseinstrübender Substanzen nicht von vorneherein ausschließt. Diese sind aber nur relativ kurz nachweisbar, so dass die vorliegende Blut-/Urinuntersuchung für oder gegen eine Verabreichung nicht aussagekräftig ist.

In der Gesamtschau erscheint es somit ernsthaft möglich, dass die nlassungen der Antragstellerin zutreffen könnten. Sollte es sich so verhalten, ist nicht davon auszugehen, dass die mangelnde Fahreignung der Antragstellerin i.S.v. § 11 Abs. 7 FeV feststeht. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs sind daher als offen anzusehen.



Das Gericht erachtet es für geboten, dass die Antragstellerin dieEi Testergebnisse zunächst an die Ausgangsbehörde sendet, die diese im Rahmend es Widerspruchsverfahrens an die Widerspruchsbehörde weiterzuleiten hat.

3. Bei der vom Gericht originär zu treffenden Interessenabwägung imEi Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin bisher im Straßenverkehr offensichtlich nicht nachteilig in Erscheinung getreten ist. Zwar wurde gegen sie bereits ein Verfahren wegen Cannabiskonsums (im April 2019) geführt, jedoch ohne dass ein Bezug zum Straßenverkehr vorlag. Dieser Sachverhalt wirkt sich nicht fahreignungsrelevant aus (es sind derzeit keine Anhaltspunkte für einen gelegentlichen Cannabiskonsum im Zusammenhang mit dem Führen von Kfz gegeben), so dass dies nicht zu Lasten der Antragstellerin gewertet werden kann. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass gegen die Antragstellerin nach wie vor der noch nicht ausgeräumte Verdacht im Raum steht, Konsumentin harter Drogen (gewesen) zu sein; sollte sich dieser Verdacht als zutreffend erweisen, ginge die motorisierte Verkehrsteilnahme durch sie mit einem erheblichen Gefährdungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer einher. Es ist daher ermessensgerecht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen bzw. anzuordnen, diesen Ausspruch jedoch gem. § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO mit Auflagen zu verbinden. Damit kann für einen (zeitlich begrenzten) zurückliegenden Zeitraum ein Drogenkonsum nachgewiesen bzw. ausgeschlossen werden. Sollte die Haaranalyse den Nachweis harter Drogen erbringen, wäre die Glaubwürdigkeit der Antragstellerin erschüttert. Gleichzeitig stünde zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, d.h. dem Erlass des Widerspruchsbescheids ein die Fahreignung ausschließender Sachverhalt vor. Durch die unangekündigten Urinuntersuchungen kann ein evtl. zukünftiger Drogenkonsum während des laufenden Widerspruchsverfahrens belegt oder ausgeschlossen werden. Der Widerspruchsbehörde bleibt es im laufenden Widerspruchsverfahren überlassen, die von der Antragstellerin vorgelegten Untersuchungsergebnisse zu würdigen und ggf. weitere Maßnahmen anzuordnen. Zwar ist vorliegend kein Fall gegeben, in dem über die Wiedergewinnung einer nachweislich bereits verloren gegangenen Fahreignung zu befinden ist, dennoch bleibt zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin Drogenfreiheit vorträgt und der letzte nachgewiesene (ungewollte) Konsum über ein Jahr zurückliegt. Durch die Vorlage der Blut-/Urintests besteht je nach Testergebnis die Möglichkeit, einen längeren drogenfreien Zeitraum nachzuweisen, was die Widerspruchsbehörde bei ihrer Entscheidung ebenfalls mit zu berücksichtigen hat. Dieses Vorgehen trägt dem berechtigten öffentlichen Interesse am Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer vor fahrungeeigneten Personen hinreichend Rechnung (vgl. BayVGH, B.v. 13.12.2005 - 11 CS 05.1350 und B.v. 14.09.2016 - 11 CS 16.1467 -, juris).

- 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

- 5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziffern 1.5 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).

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