Das Verkehrslexikon

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Oberlandesgericht Brandenburg Beschluss vom 30.12.2020 - 1 OLG 53 Ss-OWi 630/20 - Ermäßigung eines zweimonatigen Regelfahrverbots bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren

OLG Brandenburg v. 30.12.2020: Ermäßigung eines zweimonatigen Regelfahrverbots bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren




Das Oberlandesgericht Brandenburg (Beschluss vom 30.12.2020 - 1 OLG 53 Ss-OWi 630/20) hat entschieden:

   Bei einem Zeitablauf von zwei Jahren und sechs Monaten seit Begehung der Ordnungswidrigkeit und einem erheblichen vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsverstoß (hier: vorsätzliches Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 63 km/h) kann das an sich verwirkte zweimonatige Regelfahrverbot auf das gesetzliche Mindestmaß von einem Monat ermäßigt werden.

Siehe auch
Lange Verfahrensdauer
und
Stichwörter zum Thema Fahrverbot

Gründe:


I.

Das Amtsgericht Potsdam hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 63 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 880,00 € verurteilt und ein Fahrverbot von zwei Monaten Dauer unter der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG verhängt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung sachlichen und formellen Rechts rügt.




II.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat einen geringen Teilerfolg und führt zur Änderung des Rechtsfolgenausspruchs.

1. Hinsichtlich des Schuldspruchs hält die angefochtene Entscheidung einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht stand. Die Feststellungen zur Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung waren bereits durch Senatsentscheidung vom 25. Februar 2020 ((1 B) 53 Ss-OWi 572/19 (395/19)) in Rechtskraft erwachsen.

Insbesondere begegnet die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung handelt vorsätzlich, wer die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und bewusst dagegen verstoßen hat. Der Grad der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann ein starkes Indiz für vorsätzliches Handeln sein, wobei es auf das Verhältnis zwischen der gefahrenen und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit ankommt. Die Annahme vorsätzlicher Begehung ist vorliegend aufgrund der festgestellten Örtlichkeiten im Messbereich (Baustelle, Geschwindigkeitstrichter, Überholvorgang) und der Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 60 % nicht zu beanstanden.




Die Rechtsbeschwerde war deshalb insoweit nach §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, wobei der Senat umfassend auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 01. Dezember 2020 Bezug nimmt. Das Gegenvorbringen des Betroffenen mit Verteidigerschriftsatz vom 18. Dezember 2020 führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Soweit der Betroffene hier (erstmals) behauptet, entgegen der Urteilsgründe sei ein Hinweis des Gerichts auf eine mögliche vorsätzliche Begehungsweise nicht erteilt worden, hätte dies für die Berücksichtigung dieses Vortrags der Erhebung einer zulässigen, insbesondere fristgerecht erhobenen, Verfahrensrüge bedurft, wovon vorliegend nicht auszugehen ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 28. Juni 2017 – 2 Ss (OWi) 146/17 –). Der Betroffene geht fehl, wenn er meint, beim Unterlassen dieses rechtlichen Hinweises sei eine Verletzung sachlichen Rechts gegeben.

2. Der Rechtsfolgenausspruch konnte auf die Sachrüge hin indes teilweise keinen Bestand haben.

a) Die Verdopplung der Regelgeldbuße, die sich zwanglos aus der rechtsfehlerfrei festgestellten vorsätzlichen Begehungsweise ergibt, erweist sich frei von Rechtsfehlern und wird darüber hinaus nicht angefochten.




b) Indes hält der Ausspruch über das zweimonatige Fahrverbot rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar entspricht das zweimonatige Fahrverbot den Bestimmungen der BußgeldkatalogVO, die für eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 63 km/h außerorts eine solche Dauer vorsieht. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Verfügung vom 01. Dezember 2020 hierzu wie folgt ausgeführt:

   „Allerdings erweist sich die erforderliche Abwägung aller für und gegen den Betroffenen sprechenden Umstände als lückenhaft, weil sich das Amtsgericht mit dem Umstand, dass seit Begehung der Geschwindigkeitsüberschreitung bis zum Zeitpunkt der Verurteilung ein Zeitraum von zwei Jahren und sechs Monaten vergangen ist, nicht genügend auseinandergesetzt. Das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (BVerfGE 27, 36,42). Das Fahrverbot kann deshalb seinen Sinn verloren haben, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Wirksamwerden seiner Anordnung ein erheblicher Zeitraum liegt und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist (vgl. KG StraFo 2007, 518 m. w. N.). Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist eine Frage des Einzelfalles, die dem Tatrichter einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. Nach mittlerweile gefestigter obergerichtlichen Rechtsprechung ist der Sinn des Fahrverbots in Frage zu stellen, wenn die zu ahnende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt (vgl. OLG Bamberg, DAR 2008, 651 m. w. N.). Dieser Zeitrahmen führt jedoch nicht automatisch zu einem Absehen von einem Fahrverbot, sondern ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, dass eine tatrichterliche Prüfung, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann, geboten ist. Bei der Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalls ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind (BayObLG NZV 2004, 210). Dabei kann die Ausschöpfung von Rechtsmitteln und der Gebrauch der in der StPO eingeräumten Rechte dem Betroffenen nicht als eine von ihm zu vertretende Verfahrensverzögerung entgegengehalten werden (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2006, 25). Hierzu ist den Urteilsfeststellungen lediglich zu entnehmen, dass der Betroffene die lange Verfahrensdauer teilweise selbst bewirkt habe. Inwieweit die Dauer auch vom Betroffenen beeinflusst worden ist, etwa durch die mehrfache Stellung von Verlegungsanträgen, bleibt offen.“

Diese Ausführungen entsprechen der Sach- und Rechtslage, weshalb sich der Senat ihnen anschließt.


3. Der genannte Fehler nötigen jedoch nicht dazu, die Sache erneut zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Bußgeldrichter des Amtsgerichts Potsdam zurückzuverweisen, da der Senat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nach § 79 Abs. 6 OWiG selbst entscheiden kann.

Im Hinblick auf den Zeitablauf seit Begehung der Ordnungswidrigkeit und den erheblichen vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsverstoß ermäßigt der Senat das an sich verwirkte zweimonatige Regelfahrverbot auf das gesetzliche Mindestmaß von einem Monat (§ 25 Abs. 1 S. 1 StVG).

Dafür, die Regelbuße aufgrund des Zeitablaufs zum Zeitpunkt der bußgeldrichterlichen Entscheidung gänzlich entfallen zu lassen, bestand vorliegend kein Anlass.

Aufgrund der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme bedarf (vgl. BGHSt 38, 125; 231; BayObLG VRS 104, 437/438; ständige Rspr. des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (vgl. BVerfG NZV 1996, 284; OLG Zweibrücken DAR 2003, 531; KG NZV 2002, 47). Hierzu zählt jedoch nicht nur die Frage, ob gegen einen Betroffenen ein Fahrverbot zu verhängen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV), sondern auch - wie sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 BKatV ergibt - die „in der Regel“ festzusetzende Dauer des verwirkten Fahrverbots (vgl. OLG Bamberg, DAR 2014, 332 m.w.N.; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2020 – (1 B) 53 Ss-OWi 708/19 (405/19) –). Ein völliger Verzicht auf die Verhängung eines Fahrverbots war nicht geboten, da dies auf eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung schwererer Verkehrsverstöße, für die zur Ahndung ein mehrmonatiges Fahrverbot geboten ist, mit leichteren, bei denen als Ahndung ein einmonatiges Fahrverbot ausreichend ist, hinauslaufen würde (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 19.01.2007 - 2 Ss OWi 1653/05 m. w. N.).

Anhaltspunkte dafür, dass dieses Fahrverbot den Betroffenen unzumutbar hart treffen würde, sind dem Urteil nicht zu entnehmen und werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht behauptet. Die Bestimmung über das Wirksamwerden dieses Fahrverbots beruht auf § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG.



4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG. Für eine Anwendung der Billigkeitsregelung nach §§ 473 Abs. 4 StPO, 46 Abs. 1 OWiG ist kein Raum, weil der Betroffene die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt hat und das Rechtsmittel zur Überzeugung des Senats auch eingelegt hätte, wenn das amtsgerichtliche Urteil der jetzt getroffenen Entscheidung bereits entsprochen hätte. Im Übrigen hatte das Rechtsmittel auch nur in einem geringen Umfang Erfolg.

Eine Änderung der amtsgerichtlichen Kostenentscheidung war nicht geboten. Heranwachsende stehen nach dem materiellen Ordnungswidrigkeitenrecht Erwachsenen gleich. § 105 JGG und deshalb § 74 JGG kommen hiernach nicht zur Anwendung (vgl. Göhler/Thoma, OWiG, 18. Auflage, § 12 Rn.7), wobei vorliegend auch sonst weder Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind noch solche von der Rechtsbeschwerde vorgetragen werden, die es rechtfertigen würden, den Betroffenen einem Jugendlichen gleichzustellen.

Auch kam eine abweichende Kostenentscheidung wegen der vorangegangenen Zurückweisung der Sache nicht in Betracht, da die Rechtsbeschwerde im Endergebnis weitgehend erfolglos blieb und zum Zeitpunkt der ersten Entscheidung des Bußgeldrichters am 18. Juni 2019 die Voraussetzungen für eine Herabsetzung des Fahrverbots noch nicht vorgelegen haben.

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