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Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 11.04.2022 - 11 U 49/21 - Keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle für Fußgänger bei durch feuchtes Laub und feuchte Nadeln auf einem Geh- und Radweg in einem ländlichen Waldstück begründete Rutschgefahr

OLG Hamm v. 11.04.2022: Keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle für Fußgänger bei durch feuchtes Laub und feuchte Nadeln auf einem Geh- und Radweg in einem ländlichen Waldstück begründete Rutschgefahr




Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 11.04.2022 - 11 U 49/21) hat entschieden:

   Eine durch -jahreszeittypisch- feuchtes Laub und feuchte Nadeln auf einem Geh- und Radweg in einem ländlichen Waldstück begründete Rutschgefahr kann für jeden Benutzer des Weges gut zu erkennen und bei vorsichtiger Benutzung beherrschbar sein. Auf diesen Zustand hat sich ein Verkehrsteilnehmer einzustellen, er stellt keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar.

Siehe auch
Verkehrssicherungspflicht
und
Stichwörter zum Thema Fußgänger und Fußgängerunfälle


Gründe:


Die Berufung ist zulässig, hat aber nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Auch eine mündliche Verhandlung, von der neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die mit der Berufung gegenüber dem angefochtenen Urteil erhobenen Einwände rechtfertigen weder die Feststellung, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO), noch ergeben sich daraus konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und eine erneute Feststellung gebieten. Die daher nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

Der Klägerin steht wegen ihres Sturzes mit dem Fahrrad am 00.00.20XX gegen 13.25 Uhr auf dem Rad- und Fußweg entlang der L # # # zwischen den Ortsteilen O - F und O - V kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, 9, 9a, 47 StrWG NW als der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage zu.




1. Soweit das Landgericht die Abweisung der Klage darauf gestützt hat, dass der Klägerin ein überragendes anspruchsausschließendes Mitverschulden gemäß § 254 BGB zur Last falle, kann dem allerdings nicht gefolgt werden.

Das Landgericht verkennt, dass die Haftung aus einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht schon dann vollständig entfällt, wenn der Geschädigte bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt eine pflichtwidrig bestehende Gefahrenstelle hätte erkennen und umgehen können. Die haftungsrechtliche Gesamtverantwortung für das Unfallereignis würde damit allein auf den Geschädigten verlagert, obwohl die Verkehrssicherungspflichtige eine maßgebliche Ursache für das Schadensereignis gesetzt hat. Dieses Ergebnis widerspräche dem Schutzzweck der verletzten Verkehrssicherungspflicht, die auch solche Verkehrsteilnehmer vor Schäden bewahren soll, die nicht stets ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Vorsicht walten lassen. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann daher nur angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist (vgl. BGH, Urt. v. 20.06.2013 - III ZR 326/12, Juris Tz. 18 ff.).

Zu einem Sorgfaltsverstoß von diesem Gewicht fehlen ausreichende Feststellungen des Landgerichts, da allein die Erkennbarkeit der Gefahrenstelle und ein sorgfaltswidriges Verhalten der Klägerin noch keinen Vorwurf einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit zulassen. Umstände, die darüber hinaus einen derartigen Vorwurf begründen könnten, sind weder vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich.

2. Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht hingegen davon ausgegangen, dass der Beklagten keine Verletzung gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht zur Last fällt. Es stellt sich nicht als Pflichtwidrigkeit dar, dass die Beklagte am Unfalltage den Befall des Rad- und Fußweges zwischen den Ortsteilen O - F und O - V mit Fichtennadeln und Laub nicht beseitigt hatte.

a) Aus §§ 9, 9a, 47 StrWG NW ergibt sich für die Beklagte grundsätzlich die hoheitlich ausgestaltete Verpflichtung, die von ihr unterhaltenen Verkehrsflächen von abhilfebedürftigen Gefahrenquellen freizuhalten.




Die für die Sicherheit der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen zuständigen Gebietskörperschaften haben deshalb im Rahmen des ihnen Zumutbaren nach Kräften darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesen Bereichen nicht zu Schaden kommen. Allerdings muss der Sicherungspflichtige nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen, da eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, praktisch nicht erreichbar ist. Vielmehr bestimmt sich der Umfang der Verkehrssicherungspflicht danach, für welche Art von Verkehr eine Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist und was ein vernünftiger Benutzer an Sicherheit erwarten darf. Dabei haben Verkehrsteilnehmer bzw. die Straßen- und Wegebenutzer die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen und sich ihnen anzupassen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten, und mit typischen Gefahrenquellen zu rechnen. Ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist erst dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung anderer ergibt (OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006, 9 U 143/05, zitiert nach juris Tz. 9 mit Verweis auf: OLG Hamm, Urteil vom 19.07.1996 zu 9 U 108/96, NZV 1997, S. 43; OLG Hamm, Urteil vom 25.05.2004 zu 9 U 43/04, NJW-RR 2005, S. S. 255, 256). Dies ist der Fall, wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Benutzer bei Beachtung der zu erwartenden Eigensorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (vgl. dazu grundlegend: BGH, Urteil vom 21.06.1979 zu III ZR 58/78, VersR 1979, S. 1055; BGH, Urteil vom 11.12.1984 zu VI ZR 218/83, NJW 1985, S. 1076; OLG Hamm, Urteil vom 03.02.2009 zu 9 U 101/07, NJW-RR 2010, S. 33; OLG Hamm, a.a.O., NJW 2004, S. 255, 256; OLG Hamm, Urteil vom 09.11.2001 zu 9 U 252/98, NZV 2002, S. 129, 130; Zimmerling/Wingler in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 839 BGB Rdn. 511; im Anschluss: OLG Celle, Urteil vom 07.03.2001 zu 9 U 218/00, zitiert nach juris). Die Grenze zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen wird dabei maßgeblich durch die sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt, wobei dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und ihrer Verkehrsbedeutung maßgebliche Bedeutung beikommt (OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006 zu 9 U 143/05, NJW-RR 2006, S. 1100; OLG Hamm, a.a.O., NJW-RR 2005, S. 255, 256).


b) Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass die Beklagte nicht gehalten war, den Geh- und Radweg, auf dem die Klägerin gestürzt ist, von den herunter gefallenen Nadeln und dem Laub zu reinigen.

Das Herabfallen von Laub und Nadeln kann ein Verkehrssicherungspflichtiger ebenso wie Witterungseinflüsse nicht aufhalten und seine Folgen nicht jederzeit beseitigen. Gerade zur Zeit des Herbstes ist es nicht vermeidbar, dass Laub von Bäumen und Sträuchern wie auch Nadeln von Nadelbäumen in nicht geringer Menge auf die Straßen und Wege fallen. Dies gilt erst recht bei einem Rad- und Gehweg, der - wie im vorliegenden Fall - durch ein Waldstück führt und an beiden Seiten mit Bäumen Sträuchern bestanden ist. Die durch das Laub und die Nadeln gerade bei hinzukommender Feuchtigkeit verbundene Rutschgefahr ist für jeden Benutzer eines Weges offenkundig. Auch der Klägerin und dem Zeuge S war nach ihren Bekundungen vor dem Landgericht der Zustand des Weges nicht entgangen.

Eine allgemeine Pflicht für den Sicherungspflichtigen, sämtliche Straßen und Wege frei von jeglicher Verschmutzung einschließlich von Laub zu halten, besteht nicht. Sie wäre mit den begrenzten personellen und sachlichen Mitteln, die einer Kommune zur sachgerechten Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung stehen, nicht erfüllbar. Vielmehr müssen nur außergewöhnliche und für die Verkehrsteilnehmer nicht vorhersehbare Verschmutzungen, die eine Schleuder- oder Rutschgefahr mit sich bringen, vom Verkehrssicherungspflichtigen beseitigt werden. Das Ausmaß der Reinigungspflicht richtet sich dabei nach der Verkehrsbedeutung des Weges (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 13.04.2018, 1 U 4/18, NJW-RR 2018, S. 923; OLG Hamm - 9. Zivilsenat -, Urteil vom 09.12.2005, 9 U 170/04, OLGR 2006, S. 417). Während in städtischen Bereich in von Fußgängern und Radfahrern genutzten Bereichen eine regelmäßige Beseitigung von Laub geboten sein kann (vgl. Nachweise wie vor), kann in ländlichen Bereichen eine mäßige Verschmutzung, mit der jeder Verkehrsteilnehmer rechnen muss, im Allgemeinen nicht beanstandet werden (vgl. Greger in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Aufl. 2021, Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, Rdn. 13.72 m.w.N.).


So liegen die Dinge im vorliegenden Fall. Dass dem Weg als Verbindungsweg zwischen den Ortsteilen F und V eine besondere Verkehrsbedeutung zukommen würde und er stark frequentiert wäre, ist weder vorgetragen worden noch sonst erkennbar. Der Weg zeigt zudem nach den vorgelegten Fotos einen für die Jahreszeit typischen Belag mit Laub und Nadeln auf, ohne dass besonders gefährliche Stellen etwa durch außergewöhnliche Nässe, vermodertes Laub unter einer trockenen Laubschicht oder durch Laub und Nadeln verdeckte Unebenheiten vorgetragen oder sonst erkennbar wären. Die Beklagte durfte daher davon ausgehen, dass der Zustand des Weges und die sich daraus ergebende Rutsch- und Sturzgefahr für jeden Nutzer des Weges ohne weiteres erkennbar sein würde und er dieser - was bei Schnee- und Eisglätte nicht ohne weiteres möglich ist - durch besondere Vorsicht begegnen kann. Von einem Radfahrer, die sich wie die Klägerin beim Befahren des Weges mit einem Rad nicht sicher fühlt, konnte erwartet werden, dass er vom Rad absteigt und das Fahrrad über die mit Laub und Nadeln bedeckte Fläche schiebt.

Weiterer Beweiserhebungen bedarf es nicht. Auf die durch die Zeugin H unter Beweis gestellte Frage, in welchem Zeitraum keine Reinigung des Weges durch die Beklagte erfolgte, kommt es nicht an, weil der Zustand des Weges am Unfalltage hinzunehmen und nicht abhilfebedürftig war. Auch einer Feststellung des Fahrverhaltens der Klägerin durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es nicht.

Die Berufung ist nach Erlass des Hinweisbeschlusses zurückgenommen worden.

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