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Verwaltungsgerichtshof München Beschluss vom 06.12.2022 - 11 ZB 22.1662 - Zur Mitwirkungspflicht des Halters bei der Fahrerermittlung im Bußgeldverfahren

VGH München v.06.12.2022: Zur Mitwirkungspflicht des Halters bei der Fahrerermittlung im Bußgeldverfahren




Der Verwaltungsgerichtshof München (Beschluss vom 06.12.2022 - 11 ZB 22.1662) hat entschieden:

   Die Benachrichtigung von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß im Bußgeldverfahren begründet - ungeachtet etwaiger Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte - für den Fahrzeughalter die Obliegenheit, an der Aufklärung so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Foto der Verkehrsüberwachungsanlage erkannten Fahrer, ggf. auch sich selbst, benennt oder zumindest den möglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten fördert. - Ein „doppeltes Recht”, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema Fahrtenbuch
und
Mangelnde Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers und Fahrtenbuchauflage

Gründe:


I.

Die Beklagte wendet sich gegen die erstinstanzliche Aufhebung einer gegen den Kläger verhängten Fahrtenbuchanordnung.

Am 5. April 2021 wurde mit einem auf den Kläger zugelassenen Kraftfahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 46 km/h überschritten, was nach dem Bußgeldkatalog mit einer Geldbuße von 160,- EUR, zwei Punkten im Fahreignungsregister und einem Monat Fahrverbot zu ahnden war.

Mit Schreiben vom 21. April 2021, dem ein Lichtbild mit Halbporträt eines männlichen Fahrers mit Gesichtsmaske beigefügt war, hörte das Polizeiverwaltungsamt den Kläger als Betroffenen an und teilte im Rahmen der rechtlichen Belehrungen mit, dass er ferner gebeten werde, den Fahrzeugführer und dessen persönliche Daten mitzuteilen, falls er selbst nicht das Fahrzeug geführt habe. Zu diesen zusätzlichen Angaben sei er als Betroffener aufgrund seiner Aussagefreiheit nicht verpflichtet; die Verpflichtung treffe ihn aber als Zeugen. Der Betroffenenstatus ende, sobald das Ordnungswidrigkeitenverfahren aufgrund seiner Mitteilung auf dem Betroffenen-Anhörungsbogen bzw. durch eigene Erkenntnisse der Verwaltungsbehörde nicht mehr gegen ihn betrieben werde. Da regelmäßig anzunehmen sei, dass der Betroffene Angaben zum aufzuklärenden Sachverhalt machen könne, werde er in dem Verfahren zum Zeugen und sei als solcher zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet.

Am 5. Mai 2021 ging beim Polizeiverwaltungsamt der vom Kläger in der S. ausgefüllte Anhörungsbogen ein, auf dem er zur Person des Fahrzeugführers ausdrücklich keine Angaben machte und um das Messfoto per Briefpost an seine M. Anschrift bat, damit er sich ein Bild zur Sache machen könne. Versehentlich habe man ihm dasselbe Foto zweimal gesandt. Es fehle das komplette Messfoto, auf dem das Fahrzeug, das Kennzeichen, die Messdaten usw. zu sehen seien.




Daraufhin holte das Polizeiverwaltungsamt beim Passamt der Beklagten ein Vergleichsfoto zur Personalienergänzung ein und lud den Kläger schriftlich zum 21. Juni 2021 vor. Diese Vorladung befindet sich nicht in den vorgelegten Behördenakten.

Mit Telefaxschreiben vom 20. Juni 2021 erklärte der Kläger, er könne der Vorladung keine Folge leisten, da er sich derzeit in der S. aufhalte. Es verwundere ihn, dass er sich zu einer Ermittlungssache bezüglich einer Ordnungswidrigkeit vom 5. April 2021 in B. als Zeuge äußern solle, da der Polizei bereits bekannt sei, dass er sich u.a. am und um den 5. April 2021 aus persönlichen und familiären Gründen bei Verwandten in der S. aufgehalten habe.

Mit Verfügung vom 9. Juli 2021 stellte das Polizeiverwaltungsamt das Ordnungswidrigkeitenverfahren ein.

Mit Bescheid vom 17. November 2021 verpflichtete die Beklagte den Kläger gestützt auf § 31a StVZO, bis 15. November 2022 ein Fahrtenbuch für das auf ihn zugelassene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... ... und ein etwaiges Ersatzfahrzeug zu führen, dieses bis spätestens 15. Dezember 2022 zur Prüfung vorzulegen und bis 15. Mai 2023 aufzubewahren. Hinsichtlich der Vorlagepflicht drohte sie ein Zwangsgeld von 500,- EUR an.

Am 20. Dezember 2021 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Anfechtungsklage erheben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zum Verwaltungsgericht München stellen.

Dem Antrag und der Klage gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss und Urteil vom 25. Mai 2022 statt. In den Urteilsgründen ist u.a. ausgeführt, der Geschwindigkeitsverstoß stehe zwar zur Überzeugung des Gerichts fest. Die gegen die Messmethode vorgetragenen Einwände, die ohnehin in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren geltend zu machen wären, würden nicht durchgreifen. Dies könne aber letztlich offenbleiben, weil die Polizeiverwaltung jedenfalls nicht alle angemessenen und zumutbaren Ermittlungen zum Fahrzeugführer angestellt habe. Es handle sich um einen nicht zu verallgemeinernden Grenzfall, den das Gericht aus rechtsstaatlichen Gründen zugunsten des Klägers entscheide. Art, Zeitpunkt und Umfang der angemessenen und zumutbaren Ermittlungen stünden im pflichtgemäßen Ermessen der Ermittlungsbehörden. Der zeitnah als Betroffener/Beschuldigter angehörte Kläger habe angegeben, das Fahrzeug nicht selbst gefahren zu haben. Zugleich habe er um Übermittlung der kompletten Messfotos gebeten, was offensichtlich nicht geschehen sei. Wenngleich in dem Anhörungsbogen auch die Bitte enthalten sei, ggf. die Personalien des Fahrzeugführers mitzuteilen, bestand zu diesem Zeitpunkt für den Kläger nicht die (Zeugen-)Pflicht, eine derartige Aussage zu machen, da die Anhörung ausdrücklich als Betroffener/Beschuldigter erfolgt sei und der Kläger als solcher keine Mitwirkungspflicht hinsichtlich weiterer Angaben zur Tat habe. Eine explizite zeitnahe Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens sei nicht erfolgt, sondern erst am 9. Juli 2021. Der Betroffene habe nicht entsprechend der Belehrung der Anhörung davon ausgehen können/müssen, schon durch die Eigenangabe, selbst nicht gefahren zu sein, aus dem Kreis der Beschuldigten auszuscheiden und gleichsam automatisch zum Zeugen zu werden. Im Gegenteil habe die Polizeiverwaltung, da sie offenbar die Fahrereigenschaft des Klägers nach wie vor nicht ausgeschlossen habe, im Anschluss an dessen Angaben bei der Beklagten noch ein Vergleichspassfoto angefordert. Welches Ergebnis der Vergleich des angeforderten Passfotos mit dem des Messfotos erbracht habe, sei in der Akte nicht dokumentiert. Dies sei durch die vom Fahrer getragene Corona-Maske freilich erschwert möglich gewesen. Gehe man davon aus, dass die nachfolgende Beauftragung der Polizeiinspektion mit der Identitätsfeststellung des Fahrzeugführers vom 18. Mai 2021, die Erkenntnis vorausgesetzt habe, dass der Kläger zweifelsfrei nicht gefahren und demzufolge das Ermittlungsverfahren gegen ihn zumindest konkludent eingestellt gewesen sei, sei zwar die explizite Inpflichtnahme des Klägers als Zeuge nicht von vornherein zwingend erforderlich, habe sich vorliegend jedoch aufgedrängt. In der Behördenakte sei nicht dokumentiert, welchen Inhalt die Vorladung des Klägers für den 21. Juni 2021 gehabt habe. Lediglich aus seiner Antwort an die Polizeiinspektion vom 20. Juni 2021, wonach er aufgrund des Auslandsaufenthalts der Ladung nicht folgen könne, zeige sich, dass er sich "als Zeuge [habe] äußern solle[n]". Vor dem Hintergrund des Auslandsaufenthalts des Klägers und der gegenüber der Polizeiverwaltung geäußerten Möglichkeit und Bereitschaft, auf an die M. Adresse gerichtete Schreiben zu reagieren, hätte er sich der Polizeiverwaltung aufdrängen müssen, dem Kläger zumindest noch zeitnah einen verbindlichen und ihn verpflichtenden Zeugefragenbogen zuzuleiten. Dieses Erfordernis gilt insbesondere aufgrund der zutreffenden Feststellung der Polizeiinspektion, wonach weitere Ermittlungen zum Fahrer schon wegen der von diesem getragenen Corona-Maske erfolglos bleiben würden. Da es deswegen ausgeschlossen sein dürfte, den tatsächlichen Fahrer ohne Hilfe des Fahrzeughalters ausfindig zu machen, hätte sich eine schriftliche Zeugeneinvernahme angeboten, ggf. um infolge dann unzureichender Angaben von erfolglosen Ermittlungen und fehlender Mitwirkungsbereitschaft ausgehen zu können, was bei der Schwere der vorliegenden Ordnungswidrigkeit ohne weiteres zur Anordnung eines Fahrtenbuchs für den Zeitraum von einem Jahr geführt hätte. Dies sei jedoch nicht erfolgt, obgleich vor Einstellung des Verfahrens noch Zeit hierfür gewesen wäre. Die vom Kläger monierte Übermittlung der kompletten Messfotos hätte den (möglichen) Ermittlungserfolg durchaus befördern können. Wäre hingegen der damalige polizeiliche Erkenntnisstand gewesen, dass der Kläger entgegen eigener Angabe doch selbst gefahren sei, wäre er damals nach wie vor Beschuldigter und daher zu keiner weiteren Aussage gegenüber der Polizei verpflichtet gewesen. Demzufolge hätten weder Polizei noch Beklagte davon ausgehen dürfen, dass Ermittlungen durch Mitwirkung des Klägers von vornherein erfolglos gewesen wären bzw. sich dieser der Mitwirkung entziehe. Zur Überzeugung des Gerichts könne es ihm daher im Ergebnis nicht angelastet werden, dass die Ermittlungen erfolglos geblieben seien, zumal er bei dem beschriebenen Ermittlungsgang und seines damals nicht eindeutigen Status keine Verpflichtung bei sich habe sehen müssen, in Eigeninitiative noch weiteres zur Klärung beizutragen.




Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Kläger entgegentritt, macht die Beklagte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es sich der Polizeiverwaltung habe aufdrängen müssen, dem Kläger zumindest noch zeitnah einen verbindlichen und ihn verpflichtenden Zeugenfragebogen zuzuleiten, treffe nicht zu. Es sei nicht zu erwarten gewesen, dass der Kläger auf eine zusätzliche schriftliche Zeugenbefragung Angaben zum verantwortlichen Fahrzeugführer gemacht hätte. Bereits durch sein sonstiges Verhalten habe er deutlich gemacht, dass er derartige Angaben nicht machen werde. Auf der Betroffenenanhörung habe er am 2. Mai 2021 ausdrücklich mitgeteilt, zur Person des Fahrzeugführers würden keine Angaben erfolgen. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung begründe die Benachrichtigung über einen mit einem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß für dessen Halter die Obliegenheit, im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren an der Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers mitzuwirken. Dies gelte auch dann, wenn er nicht dazu verpflichtet sein sollte, den Fahrer zu benennen, etwa, weil ihm ein Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht zustehe. Die Anordnung gemäß § 31a StVZO setze weder voraus, dass sich der Fahrzeughalter durch fehlende Angaben zum Fahrzeugführer rechtswidrig verhalte, noch, dass ihn ein Verschulden an der Nichtfeststellbarkeit des Fahrzeugführers treffe. Die mangelnde Mitwirkung könne dennoch unter gefahrenabwehrrechtlichem Blickwinkel als Obliegenheitsverletzung gewürdigt werden, welche den von der Verfolgungsbehörde zu unternehmenden Ermittlungsumfang reduziere, sodass im Rahmen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO von der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers ausgegangen werden könne. Nachdem der Kläger auf die Betroffenenanhörung erklärt habe, nicht selbst gefahren zu sein und keine Angaben zur Person des Fahrzeugführers zu machen, habe ihm die Polizeiinspektion 24 mit Schreiben vom 11. Juni 2021 eine schriftliche Zeugenvorladung übersandt. Auch wenn dieses Schreiben nicht in der Ermittlungsakte abgelegt sei, stehe entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts bereits aufgrund der Antwort des Klägers vom 20. Juni 2021 eindeutig fest, dass er als Zeuge vorgeladen worden sei. Dem Antwortschreiben sei zu entnehmen, dass sich der Zeuge zur Zeit des Verkehrsverstoßes und auch während des Ermittlungsverfahrens offenbar längere Zeit in der S. aufgehalten habe. Aufgrund der räumlichen Distanz habe er sich über die Zeugenvorladung "überaus verwundert" gezeigt. Dazu, wem er in der Zeit seines Auslandsaufenthalts sein Fahrzeug überlassen habe, habe er dabei keinerlei Angaben gemacht, obwohl nichts dafür ersichtlich sei, dass ihm dies nicht bekannt gewesen sein könnte. Anhand seiner Äußerungen und auch seines späteren Verhaltens habe nichts darauf hingedeutet, dass er auf eine anschließende schriftliche Zeugenvernehmung hin den Fahrzeugführer benannt oder zumindest Angaben zum Kreis der in Betracht kommenden Fahrzeugführer gemacht hätte. Auch im Klageverfahren habe der Kläger nicht vorgetragen, dass er bei weiteren Ermittlungen den Fahrzeugführer benannt hätte, sondern hauptsächlich in Zweifel gezogen, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung überhaupt bei seinem Fahrzeug gemessen worden sei. Lediglich "vorsorglich und hilfsweise" habe er ausgeführt, "nicht unkooperativ" gewesen zu sein. Allein die Rückmeldungen auf die Betroffenenanhörung und die Zeugenvorladung könnten weder zur Ermittlung des Fahrzeugführers beitragen noch den Schluss zulassen, dass er bei einer weiteren Kontaktaufnahme doch noch bereit gewesen wäre, Angaben zum Fahrzeugführer zu machen. Lehne der Halter erkennbar die Mitwirkung an der Ermittlung der für den Verkehrsverstoß verantwortlichen Person ab und lägen der Verfolgungsbehörde auch sonst keine konkreten Ermittlungsansätze vor, sei es dieser regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Aufklärungsmaßnahmen zu betreiben. Ohne Angaben des Klägers und wegen der Corona-Maske sei die Feststellung des Fahrzeugführers nicht möglich gewesen.

Mit Schreiben vom 22. und 24. November 2022 erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit wegen Zeitablaufs für erledigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.




II.

Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3, § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO einzustellen und deklaratorisch festzustellen, dass das erstinstanzliche Urteil wirkungslos geworden ist.

Über die Kosten des Verfahrens entscheidet der Berichterstatter (§ 87a Abs. 1 Nr. 3, Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 VwGO) gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre oder der das erledigende Ereignis aus eigenem Willensentschluss herbeigeführt hat (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 8.1.2019 - 1 C 42.18 - juris Rn. 2). Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage, die sich im Verfahren auf Zulassung der Berufung befand, ist darauf abzustellen, ob die Berufung zuzulassen gewesen wäre und ob und in welchem Umfang die Berufung im Falle ihrer Zulassung Erfolg gehabt hätte, soweit dies im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses überblickt werden kann (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 161 Rn. 18b; BayVGH, B.v. 18.8.2015 - 15 ZB 13.418 - juris Rn. 3 m.w.N.; BVerwG, B.v. 20.10.2021 - 2 VR 5.21 - juris Rn. 1). Dabei befreit der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit das Gericht in einem rechtlich nicht eindeutigen Streitfall jedoch davon, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden, Beweise zu erheben oder schwierige Rechtsfragen zu klären (Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 161 Rn. 15 f.; Schübel-Pfister, a.a.O. Rn. 15 m.w.N.; vgl. BVerwG, B.v. 24.6.2008 - 3 C 5.07 - juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 16.11.2010 - 20 BV 10.2130 - juris Rn. 2 u. B.v. 11.11.2016 - 15 B 16.1239 - juris Rn. 2).




Demgemäß entspricht es hier billigem Ermessen, die Kosten dem Kläger aufzuerlegen, da die Berufung ohne das erledigende Ereignis wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen gewesen und das Berufungsverfahren voraussichtlich zu Gunsten der Beklagten ausgegangen wäre.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist trotz Erledigung der Nummern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids (Anordnung eines Fahrtenbuchs und deren Erstreckung auf Ersatzfahrzeuge) durch Zeitablauf (Art. 43 Abs. 2 4. Alt. BayVwVfG) zulässig, da eine Erledigung der Hauptsache zwischen den Instanzen die Beschwer nicht entfallen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2019 - 11 ZB 18.1256 - juris Rn. 8). Die Beschwer durch die ungünstige Entscheidung ist vielmehr das Rechtsschutzinteresse für die Rechtsmittelinstanz (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.2014 - 6 B 3.14 - MMR 2014, 780 = juris Rn. 15 f. zur Nichtzulassungsbeschwerde; BayVGH, B.v. 26.3.2019 a.a.O.; B.v. 18.7.2016 - 11 ZB 16.299 - juris Rn. 14). Wer als Beteiligter - wie hier die Beklagte - durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist, kann ein Rechtsmittel allein zu dem Zweck einlegen und fortführen, damit in dem Rechtsmittel die prozessualen Folgerungen aus einer inzwischen eingetretenen Erledigung der Hauptsache gezogen werden können. Er hat ein berechtigtes Interesse daran, dass eine gegen ihn ergangene ungünstige Entscheidung für wirkungslos erklärt wird (BVerwG, B.v. 23.7.2014 a.a.O. Rn. 16; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 338). Daher kann ein beschwerter Beteiligter einen Antrag auf Zulassung der Berufung allein zu dem Zweck stellen und fortführen, in einem Berufungsverfahren die prozessualen Folgerungen aus der inzwischen eingetretenen Erledigung der Hauptsache zu ziehen (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.2014 a.a.O. Rn. 16 u. B.v. 25.6.2015 - 9 B 69.14 - juris Rn. 5 jeweils zur Nichtzulassungsbeschwerde; BayVGH, jeweils a.a.O.; Seibert, a.a.O. Rn. 337; Kopp/Schenke, VwGO, Vorb. § 124 Rn. 43; Roth in BeckOK, VwGO, Stand 1.7.2022, § 124a Rn. 57.1).


Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind immer schon dann anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 - BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16 m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9). Dem genügt der Vortrag der Beklagten (§ 124a Abs. 4 Satz 3 VwGO).

Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassung-Ordnung (StVZO) vom 26. April 2012 (BGBl I S. 679), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

Daran, dass mit dem Fahrzeug des Klägers eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen worden ist, bestehen nach Aktenlage (vgl. insbesondere Bl. 7 d.A. mit Rückseite) keine Zweifel. Die Stellungnahmen des Polizeiverwaltungsamts im Klageverfahren vom 13. und 27. Januar 2022 sind insoweit schlüssig und nachvollziehbar. Laut Messprotokoll ist das klägerische Fahrzeug, das auf dem zweiten Fahrstreifen der Autobahn gefahren ist, im Messbereich in 9 m Entfernung von der Sensoreinheit gemessen worden. Das weitere auf einem Messfoto sichtbare Fahrzeug ist hingegen auf dem ersten Fahrstreifen gefahren, der maximal 7,6 m von der Sensoreinheit entfernt ist. Der Abstand eines Fahrzeugs auf dem zweiten Fahrstreifen beträgt zwischen 7,6 und 11,1 m. Zur Beweissicherung war keine Heckaufnahme erforderlich.

Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleich gelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.1982 - 7 C 3.80 - VRS 64, 466 = juris Rn. 7). Verweigert der Fahrzeughalter seine Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers, sind weitere Ermittlungen in der Regel nicht zumutbar (BVerwG, U.v. 17.12.1982 a.a.O.). Vielmehr darf ein Fahrzeughalter, der unter Vernachlässigung seiner Aufsichtsmöglichkeiten nicht dartun kann oder will, wer im Zusammenhang mit einer Verkehrszuwiderhandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Fahrzeug gefahren hat, grundsätzlich durch das Führen eines Fahrtenbuchs zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten werden (BVerwG, B.v. 23.6.1989 - 7 B 90.89 - NJW 1989, 2704 = juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 6.5.2010 - 11 ZB 09.2947 - SVR 2010, 347 = juris Rn. 8). Allerdings muss die Verfolgungsbehörde auch in solchen Fällen naheliegenden und mit wenig Aufwand durchführbaren Ansätzen zur Fahrerermittlung nachgehen und das Ergebnis ihrer Bemühungen dokumentieren (vgl. zu alldem BayVGH, U.v. 18.2.2016 - 11 BV 15.1164 - DAR 2016, 286 = juris Rn. 17).

Die Beklagte macht zu Recht geltend, dass sich der Polizeiverwaltung weitere Ermittlungen nicht hätten aufdrängen müssen, nachdem der Kläger im Rahmen der Betroffenenanhörung mitgeteilt hatte, zum Fahrzeugführer keine Angaben zu machen. Die Behörde war nicht dazu verpflichtet, dem Kläger noch die verlangten weiteren Messfotos zuzusenden und abzuwarten, ob er daraufhin sachdienliche Angaben machen würde. Mit der Bezeichnung der Art der Verkehrsordnungswidrigkeit, der Tatzeit, des Tatorts und des betreffenden Fahrzeugs war der Gegenstand der Ermittlungen im Anhörungsbogen klar umrissen. Das mit diesem übersandte Foto gab den betreffenden Fahrer wieder. Diese Daten sind grundsätzlich ausreichend, um Angaben zum verantwortlichen (Kreis der) Fahrzeugführer zu machen. Die Behörde ist nicht verpflichtet, dem Fahrzeughalter zunächst die Gelegenheit einzuräumen, sämtliche ihr vorliegenden Beweismittel zu evaluieren, bevor er an der Identifizierung des Fahrers mitwirkt.



Die Benachrichtigung von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß im Bußgeldverfahren begründet - ungeachtet etwaiger Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte - für den Fahrzeughalter die Obliegenheit, an der Aufklärung so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Foto der Verkehrsüberwachungsanlage erkannten Fahrer, ggf. auch sich selbst, benennt oder zumindest den möglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten fördert (vgl. OVG NW, B.v. 30.6.2015 - 8 B 1465/14 - juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 30.11.2022 - 11 CS 22.1813 - juris Rn. 20). Kommt er dem nicht nach, darf auch ein rechtmäßiges Verhalten im Bußgeldverfahren im nachfolgenden Verwaltungsverfahren zur Anordnung eines Fahrtenbuchs unter gefahrenabwehrrechtlichem Blickwinkel als Obliegenheitsverletzung gewürdigt werden, die den angemessenen Ermittlungsaufwand reduziert (vgl. NdsOVG, B.v. 14.1.2019 - 12 ME 170/18 - NJW 2019, 1013 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 30.11.2022 a.a.O.). Ein "doppeltes Recht”, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht (vgl. BVerwG, B.v. 22.6.1995 - 11 B 7.95 - DAR 1995, 459 = juris Rn. 3 f.; B.v. 11.8.1999 - 3 B 96.99 - NZV 2000, 385 = juris Rn. 3; BVerfG, B.v. 7.12.1981 - 2 BvR 1172/81 - NJW 1982, 278 = juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 14.1.2019 a.a.O.). Es ist unerheblich, aus welchen Gründen der Halter keine Angaben zur Sache macht. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2022 a.a.O. Rn. 18; B.v. 22.4.2008 - 11 ZB 07.3419 - juris Rn. 16; OVG LSA, B.v. 5.3.2021 - 3 M 224/20 - juris Rn. 22; OVG Hamburg, B.v. 1.12.2020 - 4 Bs 84/20 - DVBl 2021, 749 = juris Rn. 18; OVG NRW, B.v. 21.3.2016 - 8 B 64/16 - juris Rn. 13 f. jeweils m.w.N.).

Aus denselben Gründen hätte auch die Berufung der Beklagten voraussichtlich Erfolg gehabt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, 2 i.V.m. Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 93 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog, § 152 Abs. 1, § 158 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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