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Amtsgericht Kehl Beschluss vom 8.07.2023 - 2 Cs 308 Js 17340/22 (2) - Zur Befugnis des Amtsgerichts, einen Strafbefehl mit einer vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichenden Kostenentscheidung zu erlassen

AG Kehl v. 8.07.2023: Zur Befugnis des Amtsgerichts, einen Strafbefehl mit einer vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichenden Kostenentscheidung zu erlassen




Das Amtsgericht Kehl (Beschluss vom 8.07.2023 - 2 Cs 308 Js 17340/22 (2)) hat entschieden:

   Die Kostenentscheidung ist – selbst wenn sie bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten ist – nicht Teil des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls im Sinne der §§ 407 ff. StPO; vielmehr umfasst der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat im Sinne des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs. Das Gericht ist deshalb nicht gezwungen, nach § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen, wenn es eine andere als die von der Staatsanwaltschaft beantragte Kostenentscheidung treffen will, sondern kann den Strafbefehl mit einer abweichenden Kostenentscheidung erlassen.

Siehe auch
Strafbefehl und Strafbefehlsverfahren
und
Stichwörter zum Thema Verfahrenskosten / Prozesskosten

Gründe:


I.

Am 23.03.2023 beantragte die Staatsanwaltschaft Offenburg gegen den Angeklagten einen Strafbefehl mit dem Vorwurf des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit versuchter Körperverletzung und mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen und mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 114 Abs. 1, 113 Abs. 1, 223 Abs. 1 und 2, 241 Abs. 2, 185, 194, 230, 22, 23, 52 StGB zu erlassen, weil er sich am 03.07.2022 gegen 0:55 Uhr tätlich der Ingewahrsamnahme durch die Polizei wegen Trunkenheit widersetzt und die Polizeibeamten dabei beleidigt habe.

Da der Angeklagte nach den Feststellungen der Polizei „volltrunken“ auf dem Gehweg gelegen sei und sich in „einem, die freie Willensausübung ausschließenden Zustand“ befunden habe, gab das Gericht die Sache wegen Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten an die Staatsanwaltschaft zurück und regte an, den Vorwurf auf (fahrlässigen) Vollrausch umzustellen, was die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die Blutalkoholkonzentration, die für die um 3:48 Uhr entnommene Blutprobe 1,77 ‰ betrug, ablehnte.


Das daraufhin vom Gericht eingeholte Gutachten des Universitätsklinikums Freiburg Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,54 ‰ und einer erheblichen Minderung des Steuerungsvermögens auszugehen sei, wobei ihre vollständige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden könne.

Der erneuten, nunmehr zusätzlich auf das Gutachten gestützten Anregung des Gerichts, den Vorwurf auf Vollrausch umzustellen, kam die Staatsanwaltschaft zwar mit dem Antrag vom 06.06.2023 unter Vorlage eines entsprechend neu gefassten Entwurfs des Strafbefehls nach. Der Auffassung des Gerichts, dass es hinsichtlich der Kostenentscheidung im Strafbefehl angezeigt erscheine, die Auslagen für das Gutachten gemäß § 465 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen, verschloss sie sich indes, sodass der von der ihr vorbereitete Strafbefehlsentwurf hinsichtlich der Kosten vorsieht, dass der Angeklagte „die Kosten des Verfahrens und [seine] notwendigen Auslagen zu tragen“ habe; eine Kostentragungspflicht des Angeschuldigten einschließlich der Kosten für das rechtsmedizinische Gutachten sei nicht zu beanstanden, weil vorliegend keine abweichende Entscheidung aus Gründen der Billigkeit geboten sei, wie es bei einem sogenannten fiktiven Freispruch oder bei Reduzierung des Tatvorwurfs auf ein minder schweres Delikt der Fall sei.




II.

1. Dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls war zu entsprechen, weil keine Bedenken entgegenstehen, insbesondere hinreichender Tatverdacht besteht, wobei das Gericht eine vom Entscheidungsentwurf abweichende Kostenentscheidung treffen durfte.

Zwar bestimmt § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO, dass der Richter nicht eigenmächtig einen Strafbefehl mit einem vom Antrag abweichenden Inhalt erlassen darf, sondern Hauptverhandlung anberaumt, wenn er eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharrt. Die Kostenentscheidung ist aber nicht Rechtsfolge in diesem Sinne, selbst wenn sie – wie hier – bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten ist. Vielmehr umfasst der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat im Sinne des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs.

Ursprünglich bestimmte § 408 StPO in der § 448 der Strafprozessordnung vom 01.07.1877 (RGBl. S. 253) entsprechenden Fassung (RGBl. I 1924 S. 322), dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine bestimmte Strafe zu richten (Abs. 1 Satz 1) und die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen ist, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrage beharrt (Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1); zugleich bestimmte § 464 Abs. 1 Satz 1 StPO, wie immer noch, dass jeder Strafbefehl darüber Bestimmung treffen muss, von wem die Kosten des Verfahrens tragen sind. An dieser inhaltlichen Trennung zwischen Strafbefehlsantrag und – im Übrigen auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu treffenden (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464 Rn. 1) – Kostenentscheidung hat sich seitdem nichts geändert. Lediglich der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens wurde durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) um die Festsetzung bestimmter Nebenfolgen sowie Maßregeln der Sicherung und Besserung neben der Strafe erweitert, wobei diese Aufzählung später zur sprachlichen Anpassung unter Übernahme des Begriffes aus dem Strafgesetzbuch (BTDrs. 7/550, S. 300, 306) mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 02.03.1974 (BGBl. I S. 469) durch „Rechtsfolge“ ersetzt wurde.




III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO. Wegen seiner Verurteilung hat der Angeklagte grundsätzlich die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen. Ihn mit den Auslagen für das Gutachten zu belasten wäre jedoch – jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand – unbillig, weil diese Auslagen nur entstanden sind, um die Staatsanwaltschaft, die trotz gewichtiger Anhaltspunkte für die rauschbedingte Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit zunächst bei ihrem Strafbefehlsantrag beharrte, davon zu überzeugen, dass lediglich hinreichender Tatverdacht wegen Vollrauschs besteht.



IV.

Die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist für die Staatsanwaltschaft gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 StPO unanfechtbar, weil ihr – jedenfalls bei antragsgemäßem Erlass des Strafbefehls wie hier – kein eigenes Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung zusteht (MüKoStPO/ Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 410 Rn. 41; Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2022, § 408, Rn. 40; KK-StPO/Maur, 9. Aufl. 2023, StPO § 408 Rn. 16).

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