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Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 02.02.2023 - I-7 U 121/22 - Zum Rechtsbindungswillen von Erklärungen nach einem (Fahrrad-)Unfall im Hinblick auf ein (Schuld-)Anerkenntnis und zum beweiserheblichen Schuldbekenntnis.

OLG Hamm v. 02.02.2023: Zum Rechtsbindungswillen von Erklärungen nach einem (Fahrrad-)Unfall im Hinblick auf ein (Schuld-)Anerkenntnis und zum beweiserheblichen Schuldbekenntnis.




Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 02.02.2023 - I-7 U 121/22) hat entschieden:

   Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis nach einenḿ Verkehrsunfall muss sich nicht auf einen ziffernmäßigen Betrag beziehen, es genügt, wenn die Ersatzpflicht dem Grunde oder dem Verschulden nach anerkannt wird. Dies setzt allerdings einen entsprechenden Rechtsbindungswillen bei dem Erklärenden voraus.

Siehe auch
Schuldbekenntnis nach einem Unfall und Regulierungsverhalten und Zahlungen der Versicherung als deklaratorisches Schuldanerkenntnis?
und
Stichwörter zum Thema Unfallschadenregulierung

Gründe:


I.

Die zulässige klägerische Berufung hat nach übereinstimmender Ansicht im Senat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg; denn der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aufgrund des Fahrradunfalls vom 22.09.2020 in A, B-Straße/C, zu. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Im Einzelnen:

1. Zunächst ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus einem Schuldanerkenntnis der Beklagten, die vor Ort ihre Personalien angegeben hat und nach dem Vortrag der Klägerin nach der Kollision vor Ort geäußert haben soll, "Es tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt." In dieser - seitens der Beklagten bestrittenen - Aussage ist kein wirksames Schuldanerkenntnis zu sehen.




Ein wirksames abstraktes Schuldanerkenntnis im Sinne des § 781 BGB scheidet schon mangels Einhaltung der Schriftform aus.

Aber auch ein formlos mögliches deklaratorisches Schuldanerkenntnis hat die Beklagte nicht erklärt. Durch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis wird ein bestehendes Schuldverhältnis bestätigt. Es soll ein Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Bestimmungen dem Streit oder der Ungewissheit entziehen, indem es die Berufung auf das Fehlen anspruchsbegründender Tatsachen und das Bestehen rechtshindernder wie -vernichtender Einwendungen und Einreden ausschließt, soweit sie bei Abgabe des Anerkenntnisses bestanden und dem Anerkennenden bekannt waren oder er mit ihnen rechnete (BGH Urt. v. 24.3.1976 - IV ZR 222/74, juris Rn. 17; BGH Urt. v. 1.12.1994 - VII ZR 215/93, juris Rn. 18; BGH Urt. v. 14.10.2004 - VII ZR 190/03, juris Rn. 19). Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis muss sich nicht auf einen ziffernmäßigen Betrag beziehen, es genügt, wenn die Ersatzpflicht dem Grunde oder dem Verschulden nach anerkannt wird. Dies setzt allerdings einen entsprechenden Rechtsbindungswillen bei dem Erklärenden voraus (Senat Beschl. v. 29.12.2020 - I-7 U 90/20, juris Rn. 17; Senat Beschl. v. 26.02.2021 - I-7 U 16/20, juris Rn. 15).

Der erforderliche Rechtsbindungswille liegt vor, wenn die in der Erklärung verwendeten Formulierungen erkennen lassen, dass die Parteien ihre aus dem Haftpflichtfall folgenden Rechtsbeziehungen durch eigene Regelung verbindlich festlegen wollen (Bacher in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kapitel 37 Rn. 11). Ein Indiz für das Vorliegen von Rechtsbindungswillen kann aus den Umständen, unter denen die Erklärung abgegeben worden ist, folgen. Mündliche Äußerungen, die in der ersten Aufregung an der Unfallstelle abgegeben werden, können im Allgemeinen nicht als rechtsverbindliche Anerkenntniserklärung gewertet werden (Rebler, Erklärungen am Unfallort, ZfS 2019, 12). Vielmehr sind solche Äußerungen zur Verursachung oder zum Verschulden des Verkehrsunfalls regelmäßig durch die Aufregung nach dem Unfall veranlasst und nicht Ausdruck des Willens, eine - zudem versicherungsvertragsrechtlich bedenkliche - rechtsverbindliche Erklärung zum Haftpflichtfall abzugeben (Senat Beschl. v. 29.12.2020 - I-7 U 90/20, juris Rn. 18; Senat Beschl. v. 26.02.2021 - I-7 U 16/20, juris Rn. 16; Walter in: Gsell/ Krüger/ Lorenz/ Reymann, beckonline.GROSSKOMMENTAR, Stand 01.01.2022, § 16 StVG Rn. 16).

Gleiches gilt hier. Dass die Parteien bereits vor Ort über die Verantwortlichkeit für den Sturz stritten, haben die Parteien und Zeugen nicht berichtet. Dass die Beklagte in dieser Situation unmittelbar nach dem Vorfall mit Rechtsbindungswillen erklären wollte, der Klägerin auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zu haften, ist ihrer Aussage nicht zu entnehmen. Eine Auslegung der behaupteten Erklärung der Beklagten nach dem Empfängerhorizont ergibt lediglich, dass sie ihr Bedauern darüber ausdrücken wollte, dass die Klägerin sich - bei einer gegebenenfalls möglichen Unfallbeteiligung der Beklagten - verletzt hatte. Dies erfolgte allein deshalb, weil die Klägerin in Gegenwart der Beklagten mit ihrem Pedelec gestürzt war und ist nicht mit der Erklärung der Beklagten, den Vorfall (allein) schuldhaft verursacht zu haben, zu verwechseln.




Auch dem Umstand, dass die Beklagte ihre Personalien angegeben hat, lässt sich kein solcher Erklärungswert beimessen. Denn hierzu war sie verpflichtet, wollte sie sich nicht des Vorwurfs des unerlaubten Entfernens vom Unfallort aussetzen. Gemäß § 142 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat. Unfallbeteiligter i. S. v. § 142 StGB ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls durch ein Verhalten in der konkreten Unfallsituation beigetragen haben kann. Die bloße Möglichkeit ursächlichen Verhaltens und der nicht ganz unbegründete Verdacht genügen (Niehaus in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 142 StGB Rn. 13 (Stand: 20.04.2022). Mit der Angaben ihrer Personalien brachte die Beklagte danach nur zum Ausdruck, als dass die bloße Möglichkeit ursächlichen Verhaltens bestand, nicht jedoch, dass sie tatsächlich einräumte, den Unfall verursacht zu haben.

Ebenso wenig kann die Klägerin aus dem Umstand, dass das gegen die Beklagte eingeleitete Ermittlungsverfahren mit deren Zustimmung gemäß § 153a StPO gegen die Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 200,00 EUR eingestellt worden ist, etwas für sich herleiten, denn in der Zustimmung liegt kein Schuldeingeständnis (BVerfG Beschluss v. 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90, NJW 1991, 1530; Peters in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 153a Rn. 22). Zudem hat die Beklagte im Rahmen ihrer Zustimmung ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass die Zustimmung allein im Erledigungsinteresse erfolge und nicht als zivilrechtliches Schuldanerkenntnis zu verstehen sei (Anlage SR 1, Bl. 38 der erstinstanzlichen elektronischen Akte).

2. Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte folgt zudem weder aus § 823 Abs. 1 BGB, aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB noch aus anderem Grund, denn die Klägerin hat den Nachweis einer Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten nicht zu führen vermocht.

a)Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin eine unfallursächliche schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung darzulegen und zu beweisen hat. Denn in der von der Klägerin behaupteten Äußerung und dem weiteren unstreitigen Verhalten der Beklagten liegt auch kein zu einer Beweislastumkehr führendes Zeugnis der Beklagten gegen sich selbst.

Ein rechtlich nicht bindendes Anerkenntnis kann in der Form eines so genannten Schuldbekenntnisses erfolgen. Typisches Beispiel sind Äußerungen zu tatsächlichen Umständen an der Unfallstelle. Es kann auch in sonstiger Weise erteilt werden. Es genügt jedes tatsächliche Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich das Bewusstsein vom Bestehen der Forderung unzweideutig entnehmen lässt (Bacher in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kapitel 37 Rn. 26 f.). Sowohl ein Schuldbekenntnis als auch ein tatsächliches Anerkenntnis können zu einer Umkehr der Beweislast führen, wenn der Anerkennende im Einzelfall ein "Zeugnis gegen sich selbst" abgegeben hat und später davon abrücken möchte.

Auch ein solches Schuldbekenntnis hat die Beklagte jedoch nicht abgegeben. Insbesondere hat sie sich vor Ort nicht zu tatsächlichen Umständen erklärt. Sie hat nicht eingestanden, ohne Handzeichen plötzlich und unvermittelt nach rechts abgebogen und deshalb mit der Klägerin kollidiert zu sein. Einen solchen Inhalt hat die von der Klägerin behauptete Äußerung nicht. Auch dem übrigen Verhalten der Beklagten (Mitteilen der Personalien, Zustimmung zu einer Einstellung) lässt sich nach dem oben Ausgeführten das Bewusstsein vom Bestehen der Forderung nicht unzweideutig entnehmen. Mehr als die bloße Unfallbeteiligung i. S. d. § 142 StGB hat die Beklagte nicht eingestanden.

b)Die erstinstanzliche Feststellung, dass ein - von der Klägerin zu beweisender - Sorgfaltspflichtverstoß der Beklagten nicht erwiesen ist, ist für den Senat bindend.

aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, die die in dieser Bestimmung angeordnete Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem erstinstanzlichen Gericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH Urt. v. 21.6.2016 - VI ZR 403/14, juris Rn. 10).


bb) Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, sind vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Klägerin, die sich in zweiter Instanz nur noch auf die für sie günstige Wirkung eines vermeintlichen Schuldanerkenntnisses oder Schuldbekenntnisses der Beklagten beruft, geht selbst nicht von einem ihr günstigen Ergebnis der persönlichen Anhörung der Parteien und der Vernehmung des Zeugen D im Rahmen der mündlichen Verhandlung erster Instanz aus. Fehler bei der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme zeigt sie dementsprechend nicht auf. Solche sind auch nicht ersichtlich.

3. Die Nebenforderungen (Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren) teilen das Schicksal der Hauptforderung.

4. Mangels Einstandspflicht der Beklagten (dazu oben unter 1. und 2.), ist auch die mit dem Klageantrag zu 2. erhobene Feststellungsklage unbegründet.

II.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ferner erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Die maßgebenden Fragen sind solche des Einzelfalles.



Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung verspricht sich der Senat angesichts dessen, dass es keiner weiteren Beweisaufnahme bedarf, keine neuen Erkenntnisse. Auch ansonsten erscheint eine mündliche Verhandlung nach einstimmigem Votum des Senats nicht geboten.

III.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens setzt sich zusammen aus dem Streitwert für den Berufungsantrag zu 1. in Höhe von 15.000 EUR und dem Streitwert für den Berufungsantrag zu 2. in Höhe von 3.000 EUR (20 % des Wertes des Antrags zu 1.).

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