dass die bisherige Praxis, sich an vermeintlich vergleichbaren Entscheidungen anderer Gerichte zu orientieren, zu überzeugenderen Ergebnissen führen würde. Denn solche Entscheidungen leiden in ihrer Funktion als Bezugspunkt einer Schmerzensgeldberechnung in anderen Verfahren bereits daran, dass sie nicht Ausdruck eines in sich geschlossenen Systems sind. Dies folgt schon daraus, dass nicht sämtliche Schmerzensgeldentscheidungen veröffentlicht und somit für andere Gerichte einsehbar sind. Auch soweit in Schmerzensgeldtabellen entsprechende Zusammenfassungen der aufgenommenen Entscheidungen enthalten sind, leiden diese Zusammenfassungen daran, dass eine selektive Zusammenfassung an die Stelle einer vollständigen Abbildung des in einem anderen Verfahren zu Grunde liegenden Prozessstoffes tritt. Ob unmittelbar einsehbar oder in einer Schmerzensgeldtabelle aufgeführt, leidet die Orientierung an Entscheidungen anderer Gerichte aber auch daran, dass es nahezu immer an einer brauchbaren Vergleichbarkeit zwischen den Entscheidungen anderer Gerichte und einem zur Entscheidung anstehenden Verfahren fehlt. Denn auch nur ein einzelnes, relevantes Bemessungskriterium, das sich anders darstellt, kann die Angemessenheit eines von einem anderen Gericht zuerkannten Schmerzensgeldes gänzlich in Frage stellen, etwa das Alter des Geschädigten oder das komplexe Zusammenwirken bestimmter, auch in einem anderen Verfahren festgestellter Verletzungen mit einer weiteren, in einem anderen Verfahren nicht festgestellten Verletzung, die die Leiden eines Geschädigten gänzlich anders darstellen kann. LG Frankfurt am Main (Urteil vom 17.07.2019 - 2-24 O 246/16) |
Nicht ausreichend sei es, den konkreten Fall – wie gegenwärtig praktiziert – mit anderen gerichtlichen Entscheidungen zu vergleichen, die insoweit nur eine gewisse Orientierung geben können (OLG München, Urt. v. 24.11.2017 - 10 U 952/17 - ZfSch 2018, 203). Indem die Höhe des Schmerzensgeldes zudem von Vorstellungen des Anwaltes des Geschädigten und der örtlichen Lage des Gerichtes abhängig ist, sei die transparente Vorhersage, welchen Betrag ein Gericht zusprechen würde, speziell außergerichtlich aktuell nahezu unmöglich. Die Tatsache, dass in der Praxis oftmals auch die zeitliche Dauer der Beeinträchtigung des Geschädigten unterschätzt werde, habe immer wieder unzutreffend niedrige Schmerzensgelder zur Folge. Deswegen gebe es dazu heute schon in vielen europäischen Ländern Tabellen zu der Höhe des Schmerzensgeldes für typische Verletzungen, die von Berufsverbänden bzw. Richtern erarbeitet werden (Höke, NZV 2014, 1; Riedmeyer, ZfSch 2014, 304). In Richtung einer solchen Standardisierung sollte auch in Deutschland gearbeitet werden (Scheffen, NZV 1994, 417). Auf Basis der Überlegungen sei die Bemessung des Schmerzensgeldes nach den Kriterien einer „taggenauen Berechnung“ (Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi, Handbuch Schmerzensgeld 2013, S. 13 ff.) vorzugswürdig. Sie berücksichtigten angemessen die verschiedenen Behandlungsstadien und Stufen der Schadensfolgen der Verletzten. Ihr schematisches Vorgehen habe den Vorteil einer einheitlichen außergerichtlichen Regulierung des Schmerzensgeldes, schaffe also die Basis für eine einvernehmliche Schätzung des adäquaten Betrages. Dieses Modell könnte auf Dauer bei sehr schweren Beeinträchtigungen zu einer deutlichen Erhöhung der Schmerzensgelder führen, dem stünde aber die Reduktion bei leichteren Verletzungen gegenüber. (1) Das Modell der „taggenauen Berechnung“ gehe als Prämisse von einem von Einkommen und Status unabhängigen gleichen Schmerz von jedermann aus. Grundlage der Berechnung sei deswegen das vom Statistischen Bundesamt ermittelte Brutto-Durchschnittseinkommen, das vorliegend im maßgeblichen Zeitraum 2.670,16 Euro pro Monat betrug. Hiervon werden Prozentsätze genommen, die sich an den unterschiedlichen Behandlungsstadien orientieren. Während des Aufenthaltes in der Normalstation des Krankenhauses seien das täglich 10%, für eine spätere Arbeitsunfähigkeit noch 7%. Diese Prozentsätze seien aber, so das Oberlandesgericht, nicht zwingend, sondern könnten auch deutlich nach unten korrigiert werden. Vorliegend ergäben sich auf Basis des Modells für elf Tage stationäre Behandlung des Klägers 2.937,11 Euro, für sich anschließende vier Monate Krankschreibung weitere 186,91 Euro pro Tag. (2) Da die Arbeitsunfähigkeit per se nichts über die tatsächliche Beeinträchtigung des Verletzten aussagt, nähmen die Autoren im zweiten Schritt eine Individualisierung vor, indem sie an den in § 2 der Versorgungsmedizin-VO 2008 geregelten Grad der Schädigungsfolgen (GdS) anknüpfen. Dessen Höhe gebe die körperlichen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung wieder, also die konkrete Lebensbeeinträchtigung im Einzelfall. Demnach habe vorliegend bei dem Kläger für die Zeit vom 13.03. bis 27.04.2014 (46 Tage) eine 50%ige Beeinträchtigung vorgelegen, woraus sich 4.298,93 Euro errechnen. Für die Zeit vom 28.04. bis 31.07.2014 (95 Tage) habe eine reduzierte Minderung von 25% bestanden, was den weiteren Betrag von 4.438,40 Euro ausmacht. (3) Auf der dritten Stufe sehe das Modell eventuelle individuelle Zu- und Abschläge aufgrund besonderer Umstände des konkreten Falles vor. Solche könnten hier z.B. in einer weiteren, längerfristigen Beeinträchtigung und der realistischen Gefahr einer Arthrose gesehen werden. Dem könne, so das Oberlandesgericht, aber entgegengehalten werden, dass dieser Abschnitt schon durch die Abstufung nach Behandlungsschritten im ersten Schritt des Vorgehens abgedeckt wurde. |
(siehe LG Frankfurt am Main (Urteil vom 17.07.2019 - 2-24 O 246/16)) |
(siehe OLG Düsseldorf (Urteil vom 28.03.2019 - 1 U 66/18) |
Die „taggenaue“ Bewertungsmethode zur Bemessung des Schmerzensgeldes wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verlangt (vgl. BGHZ 18, 149) und kann insofern auch nach Auffassung des Senats keine tragfähige Grundlage bilden, berücksichtigt sie doch insbesondere den Straf- und Sühnecharakter des Schmerzensgeldes nicht und erwächst sie doch dem Irrglauben, jegliche Art und Intensität körperlicher Einschränkungen sowie Schmerzen objektiviert bemessen zu können; es erscheint jedoch fehlsam anzunehmen, aus entsprechenden Vorgaben erwüchse eine größere Einzelfallgerechtigkeit. |