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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss vom 15.05.2007 - L 262/07 - Zu Alkoholproblematik und Alkoholmissbrauch

VG Gelsenkirchen v. 15.05.2007: Zu Alkoholproblematik und Alkoholmissbrauch




Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Beschluss vom 15.05.2007 - L 262/07) hat entschieden:

  1.  Nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Alkoholforschung ist nämlich davon auszugehen, dass Personen, die Blutalkoholkonzentrationen von über 1,6 oder sogar über 2,0 ‰ erreichen können, deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten haben und zur Risikogruppe überdurchschnittlich alkoholgewöhnter Kraftfahrer gehören und regelmäßig an einer dauerhaft ausgeprägten Alkoholproblematik leiden.

  2.  Wenn bestimmte Tatsachen (Konsum eines Flachmanns Weinbrand nach einem alkoholbedingten Unfall trotz Einnahme von Herztabletten und Antibiotika) die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, ist die Anordnung einer MPU rechtmäßig.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema Alkohol
und
Alkohol im Verwaltungsrecht (Führerschein / Fahrerlaubnisrecht und Beamten- und Disziplinarrecht)


Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Anträge,

   die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Antragsgegners vom 7. März 2007 wiederherzustellen sowie den Antragsgegner zu verpflichten, den Führerschein der Antragstellerin wieder an diese herauszugeben,

haben keinen Erfolg.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus, weil die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf die Gründe der Verfügung des Antragsgegners, denen die Kammer folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Mit Rücksicht auf das Vorbringen in der Antragsbegründung wird ergänzend auf Folgendes hingewiesen: Die Gutachtenaufforderung findet ihre Rechtsgrundlage in § 13 Abs. 2 a, 2. Alt der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -, wonach die Anordnung der MPU erfolgen muss, wenn sonstige Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Dies ist vorliegend der Fall. Bei der Antragstellerin wurde am 31. Mai 2005 um 23.02 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 1,85 ‰ und um 23.32 Uhr von 1,77 ‰ festgestellt. Zuvor hatte die Antragstellerin an diesem Abend gegen 21.30 Uhr in alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall verursacht und wurde mit Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 31. August 2006 (33 Ds 560 Js 433/05 - 199/05) wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung infolge Trunkenheit sowie unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt. Weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Blutalkoholkonzentration auf erheblichem Nachtrunk beruhte, ging das Amtsgericht nur von relativer Fahruntüchtigkeit aus. Der Antragsgegner hat dies berücksichtigt und ist nicht von einer Trunkenheitsfahrt mit 1,6 ‰ oder mehr i.S.d. § 13 Nr. 2 c FeV ausgegangen.

Der strafgerichtlich festgestellte Sachverhalt ist indes auch so geeignet, die Annahme von Alkoholmissbrauch i.S.v. § 13 Nr. 2 a, 2. Alt FeV zu begründen. Nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Alkoholforschung ist nämlich davon auszugehen, dass Personen, die Blutalkoholkonzentrationen von über 1,6 oder sogar über 2,0 ‰ erreichen können, deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten haben und zur Risikogruppe überdurchschnittlich alkoholgewöhnter Kraftfahrer gehören und regelmäßig an einer dauerhaft ausgeprägten Alkoholproblematik leiden,

   vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Juli 1988 - 7 C 46/87 -, BVerwGE 80, 43 ff.; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. September 1995 - 11 C 34.94 -, DVBl. 1996, 165 mwN; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Juni 2006 - 16 B 733/06

Der Verdacht auf normabweichendes, unkontrolliertes Trinkverhalten verstärkt sich vorliegend noch durch den Umstand, dass die Antragstellerin nach dem - bereits alkoholisiert verursachten - Unfall vor ihrer Haustür zunächst einen mitgeführten Flachmann Weinbrand getrunken hat (Bl. 12, Bl. 36 des Verwaltungsvorgangs), bevor sie zu ihrem Ehemann ging (und mit ihm eine weitere Flasche Bier trank). Schließlich hat sie den Alkohol an diesem Tage trotz der Einnahme von Herztabletten und Antibiotika zu sich genommen. Darin liegen sonstige Tatsachen, die auf Alkoholmissbrauch hinweisen.

Es ist unschädlich, dass der Antragsgegner in seiner Gutachtenaufforderung vom 4. Januar 2007 auf § 13 Nr. 2 e FeV abgestellt hat, wonach eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen ist, wenn zu klären ist, ob (früherer) Alkoholmissbrauch nicht mehr besteht. Denn aus dem Text der Verfügung ergibt sich eindeutig, dass der Antragsgegner korrekt von einer „Ersttäterin" i.S.v. Nr. 2 a, 2. Alt FeV ausgeht.

Es bleibt der Antragstellerin unbenommen, durch Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im Widerspruchsverfahren zu beweisen, dass Eignungsmängel nicht mehr vorliegen. Soweit die Antragstellerin einwendet, dass das bereits eingeholte Gutachten fehlerhaft sei, weil es fälschlich von einer Trunkenheitsfahrt mit 1,85 ‰ ausgehe, mag sie es zum Zweck der Überprüfung im Widerspruchsverfahren vorlegen. ..."

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