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BayObLG Beschluss vom 29.11.1994 - 2St RR 212/94 - Auch bei einem mittleren BAK-Wert von lediglich 0,72 Promille darf nicht nur eine Stunde rückrechnungsfrei bleiben

BayObLG v. 29.11.1994: Auch bei einem mittleren BAK-Wert von lediglich 0,72 Promille darf nicht nur eine Stunde rückrechnungsfrei bleiben




Das Bayerische Oberste Landesgericht (Beschluss vom 29.11.1994 - 2St RR 212/94) hat entschieden:

   Auch bei einem mittleren BAK-Wert von lediglich 0,72 Promille darf nicht nur eine Stunde rückrechnungsfrei bleiben, wenn sich mangels sonstiger für die Resorptionsdauer maßgeblicher Umstände (insbesondere Getränkeart, Trinkmenge, Trinkzeit und -ende) eine vom Richtwert (120 Minuten) abweichende Resorptionszeit nicht ermitteln lässt.

Siehe auch
Rückrechnung / Hochrechnung der alkoholischen Beeinflussung aus der BAK oder aus Trinkmengen
und
Stichwörter zum Thema Alkohol

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Hinsichtlich des Alkoholisierungsgrades zum Unfallzeitpunkt hat das Landgericht, ausgehend von dem für 19.48 Uhr ermittelten BAK- Mittelwert von 0,72 Promille, ausgeführt:

   "Der als Sachverständige zugezogene Landgerichtsarzt Dr. B. bekundete dem Gericht zur Frage der Alkoholisierung des Angeklagten im Unfallzeitpunkt um 17.55 Uhr, dass in Anbetracht der gemessenen Blutalkoholkonzentration von einer geringen Alkoholmenge auszugehen sei, wobei eben wegen dieser geringen Menge von einer kürzeren Resorptionszeit auszugehen sei. Im vorliegenden Fall sei daher, um jeder Benachteiligung des Angeklagten hinsichtlich möglicher verlängerter Resorptionsvorgänge, für die keinerlei Anhaltspunkt bestehe, auszuschließen, eine Stunde rückrechnungsfrei zu belassen, weshalb sich, bei Zugrundelegung eines Mindestabbauwerts von 0,1 Promille/Std. ein Zuschlag zum ersten Analysenergebnis von 0,9 Promille ergebe, was zu einer Mindesttatzeit-BAK für 17.55 Uhr von 0,81 Promille führe."


3. Diese Darlegungen des Sachverständigen, denen sich das Landgericht angeschlossen hat, halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Jede Rückrechnung von der Blutalkoholkonzentration zur Zeit der Blutentnahme auf den Wert zur Tatzeit setzt voraus, dass das Ende der Resorptionsphase feststeht. Als Richtwert für die mögliche Dauer der Resorption ist in der gerichtlichen Praxis ein Zeitraum vom maximal 120 Minuten anerkannt (BGHSt 25, 246/250). Bei normalem Trinkverlauf, d.h., wenn eine Alkoholbelastung von 0,5 - 0,8 g Alkohol pro kg Körpergewicht innerhalb einer Stunde nicht überschritten wird, dürfen daher die ersten beiden Stunden nach Trinkende nicht in die Hochrechnung einbezogen werden, wenn nicht im konkreten Fall ein früherer Abschluss der Resorption nachweisbar ist (vgl. BGHSt aaO). Die Annahme einer kürzeren Resorptionsdauer bedarf näherer Darlegungen im Urteil und der Feststellung der Anknüpfungstatsachen. Auch ein Sachverständiger kann das Invasionsende nur bei Kenntnis von Trinkzeit und Trinkende, Trinkmenge, Getränkeart, etwaiger Nahrungsaufnahme, Tatzeit, Zeitpunkt der Blutentnahme, Körpergewicht und Konstitutionstyp bestimmen. Wenn nähere Feststellungen über den Trinkverlauf nicht getroffen werden können und deshalb das Ende der Resorptionsphase nicht exakt feststeht, ist zugunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass die Resorption nicht früher als 120 Minuten nach Trinkende abgeschlossen war (vgl. OLG Köln VRS 65, 217/218; 367/368; Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 32. Aufl. § 316 StGB Rn. 59).

b) Die im angefochtenen Urteil festgestellten Anknüpfungstatsachen rechtfertigen-nicht die Annahme des sachverständig beratenen Landgerichts, es genüge, e i n e Stunde rückrechnungsfrei zu belassen, so dass sich unter Zugrundelegung eines stündlichen Abbauwerts von 0,1 Promille eine Tatzeit-BAK von 0,81 Promille errechne.

Zutreffend ist lediglich der Ausgangspunkt, wonach der gemessenen Blutalkoholkonzentration (0,72 Promille) eine "geringe Alkoholmenge" entspricht. Von dieser "geringen Alkoholmenge" im Zeitpunkt der Blutentnahme kann jedoch nicht auf die Länge der Resorptionszeit geschlossen werden. Diese hängt vielmehr von den genannten Faktoren ab, die als Anknüpfungstatsachen Grundlage für die Ermittlung einer vom Richtwert abweichenden Resorptionsdauer sind.



Auch die Feststellung des Landgerichts, es sei von einem "normalen Trinkverlauf" auszugehen - wobei nicht nachvollziehbar ist, wie eine solche Feststellung ohne Kenntnis von Getränkeart, Trinkmenge und - zeit getroffen werden kann rechtfertigt nicht den Schluss auf eine kürzere Resorptionszeit; dem in der Rechtsprechung anerkannten Richtwert von 120 Minuten liegt nämlich ein "normaler Trinkverlauf" zugrunde.

Wesentliche Anknüpfungstatsachen, insbesondere Trinkzeit und -ende, konnte das Landgericht nicht feststellen, weil der Angeklagte "hinsichtlich Art, Umfang, Zeit und Ort der Alkoholaufnahme sowie des Antritts der Fahrt" keine Angaben machte.

Da sich somit nicht ausschließen lässt, dass die letzte Alkoholaufnahme erst kurz vor Fahrtantritt stattfand, die Resorption somit erst im Zeitpunkt der ersten Blutentnahme knapp 2 Stunden später abgeschlossen war, ist aus Rechtsgründen ein Zurückrechnen in der Form einer Hochrechnung nicht zulässig (vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 73, 470/472). Sollte eine zweite Blutentnahme einen niedrigeren BAK- Mittelwert ergeben haben - hierzu fehlen konkrete Angaben im Urteil -, könnte daraus nur geschlossen werden, dass diese Blutentnahme bereits in der Eliminationsphase stattfand; Rückschlüsse auf die Resorptionsdauer könnten daraus aber nicht gezogen werden. ..."

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