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"Die Prüfung der Aufsichtspflichtverletzung anhand einer starren Altersgrenze läuft der übrigen Rechtsprechung zu § 832 Abs. 1 BGB zuwider, die sämtliche Umstände des Einzelfalls zur Bestimmung des gebotenen Aufsichtsmaßes her-anzieht. Es kommt für die Erfüllung der Aufsichtspflicht durch die Eltern grundsätzlich nicht darauf an, ob sie generell ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen sind. Vielmehr ist es entscheidend, ob die Eltern die ihnen obliegende Aufsicht im konkreten Fall und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände erfüllt haben. Die Rechtsprechung verwendet zur Bestimmung der gebotenen Aufsicht folgende, mitunter modifizierte, Aufsichtsformel:
Der Umfang der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Das Maß der gebotenen Aufsicht wird danach durch Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie durch die konkrete Schadenssituation bestimmt.
Neben dem Alter des Kindes geht der grundsätzliche Lösungsansatz der Rechtsprechung somit von der Berücksichtigung der individuellen Eigenschaften, der Fähigkeiten und des Entwicklungsstandes des Kindes aus. Für die Anwendung einer starren Altersgrenze zur Bestimmung der gebotenen Aufsicht ist bei dieser Vorgehensweise kein Raum. Auffällig ist zudem, dass sich in Entscheidungsgründen der neueren Urteilen, welche eine feste Altersgrenze für die unbeaufsichtigte Benutzung von Fahrrädern festlegen, keine Aufsichtsformel zur Bestimmung der gebotenen Aufsicht findet. Des Weiteren ist es bei der Bestimmung des Aufsichtsmaßes anhand fester Altersgrenzen nicht möglich, die konkrete (Unfall-)Situation zu berücksichtigten. Würde man dieser Rechtsprechungsansicht folgen, wäre es letztlich unerheblich, ob sich das 6- bis 7-jährige Kind mit seinem Fahrrad allein auf einem ihm vertrauten Fuß- oder Radweg bzw. einer verkehrsarmen Straße oder aber auf einer ihm unbekannten Straße mit hoher Verkehrsdichte bewegt. Es müsste ständig beaufsichtigt werden. Das widerspricht der übrigen Rechtsprechung zu § 832 BGB, welche sämtliche Umstände des Einzelfalls bei der Prüfung der Aufsichtspflichtverletzung berücksichtigt."
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