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OLG Zweibrücken Urteil vom 25.08.1999 - 1 U 199/98 - Zum Mitverschulden des Erwachsenen bei einem Unfall mit einem 7 1/2 Jahre alten radfahrenden Kind

OLG Zweibrücken v. 25.08.1999: Zum Mitverschulden des Erwachsenen bei einem Unfall mit einem 7 1/2 Jahre alten radfahrenden Kind




Das OLG Zweibrücken (Urteil vom 25.08.1999 - 1 U 199/98) hat entschieden:

   Mit 7 1/2 Jahren ist gerade der untere Rand der Altersstufe, bei welcher man von einem fahrradgeübten Kind sprechen kann, erreicht. Wird der Aufsichtspflichtige durch einen Fahrfehler eines solchen Kindes selbst verletzt, trifft ihn ein hälftiges Mitverschulden.

Siehe auch
Die Pflicht von Eltern und sonstigen Aufsichtspersonen zur Beaufsichtigung von Kindern und sonstigen Schutzbefohlenen
und
Die Haftungsprivilegierung von Kindern im Straßenverkehr

Aus den Entscheidungsgründen:


"... In der Sache führt das Rechtsmittel zu einem teilweisen Erfolg.

Der Beklagte haftet für den der Klägerin bei dem Fahrradunfall vom 6. August 1995 entstandenen Schaden gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB. Entgegen der Ansicht des Landgerichts steht dem nicht ein die Haftung des Beklagten gänzlich ausschließendes Eigenverschulden der Klägerin, § 254 BGB, entgegen. Allerdings hält auch der Senat jedenfalls ein hälftiges Mitverschulden auf Seiten der Klägerin für gegeben, was bei dem zugesprochenen Schadensersatzanspruch sowie dem Feststellungsausspruch entsprechend zu berücksichtigen war.

1. Die Haftung des Beklagten ist nicht durch die verwandtschaftliche Beziehung zu der Klägerin - diese ist seine Großmutter - ausgeschlossen. Das Bestehen naher familiären Beziehungen für sich genommen begründet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, noch keinen stillschweigenden Haftungsverzicht (vgl. BGHZ 41, 81; 43, 76). Zum anderen entspricht es in aller Regel weder dem Willen, noch dem wohlverstandenen Interesse der Parteien, wenn ein Haftungsverzicht nicht den Schädiger, sondern einen hinter diesem stehenden Versicherer entlasten würde, für dessen Versicherungsleistung die jährlichen Prämien gezahlt werden (vgl. BGH NJW 1993, 3067; BGHZ 39, 158; Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 254, Rdnr. 80). So liegt der Fall hier: Der Beklagte ist haftpflichtversichert. Der Versicherungsschutz umfasst offensichtlich auch das vorliegende Schadensereignis, nachdem die Parteien nicht in häuslicher Gemeinschaft leben, § 4 II. 2. a) AHB.




2. Die Verantwortlichkeit des Beklagten kann nicht gemäß § 828 BGB verneint werden. Zum Unfallzeitpunkt hatte er das 7. Lebensjahr bereits vollendet. Mit dem Landgericht geht auch der Senat davon aus, dass der Beklagte die gemäß § 828 Abs. 2 BGB zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht besaß. Etwas Gegenteiliges ist nicht vorgetragen. Im Gegenteil hebt die Berufung darauf ab, dass dem Beklagten die Verkehrsregeln bereits geläufig gewesen seien, dieser schon seit seinem 4. Lebensjahr Fahrrad fahre und es sich bei ihm um ein ausgesprochen folgsames und umsichtiges Kind handele. Angesichts dessen kann von einem Fehlen der Zurechnungsfähigkeit des Beklagten nicht ausgegangen werden.

3. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der Senat der Auffassung, dass der Beklagte den Fahrradsturz der Klägerin durch sein Fahrverhalten fahrlässig herbeigeführt hat, § 276 Abs. 1 S. 2 BGB. ... Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen ... Ehemann der Klägerin, vor dem Senat steht zumindest fest, dass der Beklagte zunächst links neben der Klägerin her fuhr, danach unvermittelt seine Fahrt beschleunigte und nach rechts in Richtung der Fahrbahn der Klägerin lenkte. Dabei kam es zur Berührung beider Fahrräder, was letztlich die Ursache dafür war, dass die Klägerin zu Fall kam. Auf welche Art und Weise die beiden Fahrräder miteinander zusammengestoßen sind, ist nach der Beweisaufnahme zwar offen geblieben. Während die Klägerin, befragt gemäß § 141 ZPO, angegeben hat, der Beklagte habe ihr Vorderrad mit seinen Pedalen oder seinem Fuß umgerissen, hat der Zeuge ausgesagt, die beiden Vorderräder seien gegeneinander geraten. Dies kann jedoch auf sich beruhen, weil der Senat nach dem unmittelbaren Eindruck, welchen er von dem Zeugen gewonnen hat, keinen Zweifel daran hat, dass die Klägerin nur deshalb gestürzt ist, weil der Beklagte ihre Fahrspur geschnitten hat und es dadurch zu einer Kollision gekommen ist.




Dies begründet nach dem anzulegenden objektiven Maßstab Fahrlässigkeit des Beklagten, und zwar auch dann, wenn man dem Umstand Rechnung trägt, dass die Sorgfalt eines gerade 7-jährigen Kindes nicht mit demselben Maßstab gemessen werden kann, welcher an das Verhalten eines Erwachsenen anzulegen ist (vgl. BGH NJW 1970, 1038; OLG Düsseldorf, VersR 1996, 1120, 1121). Denn ein normal entwickelter Junge im Alter des Beklagten hätte nach Auffassung des Senats auch bei der ihm zuzugestehenden Unerfahrenheit im Straßenverkehr voraussehen müssen, dass ein unvermitteltes Kreuzen der Fahrbahn einer neben ihm befindlichen Radfahrerin einen Zusammenstoß und Sturz herbeiführen kann.

4. Jedoch ist die Haftung des Beklagten wegen Mitverschuldens der Klägerin, § 254 BGB, um eine Quote von 50 % gemindert. Hierbei ist besonders darauf abzustellen, dass es die Klägerin war, welche die Aufsichtspflicht über den Beklagten innehatte. Würden Dritte Ansprüche wegen eines Verschuldens des Beklagten geltend machen, so führte dies gemäß § 832 Abs. 1 BGB zu der Vermutung der Verletzung dieser Aufsichtspflicht durch die Klägerin.



Im Falle, dass der Aufsichtspflichtige gegen den Aufsichtsbedürftigen selbst Schadensersatzansprüche herleitet und dieser nach § 828 BGB hierfür verantwortlich ist, muss der Aufsichtspflichtige sich eine etwaige Verletzung seiner Aufsichtspflicht als mitwirkendes Verschulden im Rahmen des § 254 BGB anrechnen lassen (vgl. Staudinger/Borges, BGB, 13. Bearb., § 832, Rdnr. 153; Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozess, 22. Aufl., § 16, Rdnr. 45).

Eine diese Rechtsfolge auslösende Aufsichtspflichtverletzung hält der Senat vorliegend für gegeben: Der Beklagte bewegte sich mit ca. siebeneinhalb Jahren zur Unfallzeit am unteren Rand der Altersstufe, bei welcher man von einem fahrradgeübten Kind sprechen kann. Kinder lernen im Allgemeinen erst mit fünf bis sechs Jahren überhaupt sicher die Balance auf einem Fahrrad zu halten. Die Benutzung eines Fahrrades ist deshalb nur von einer gewissen Reife des Kindes an und nach ausreichender Belehrung über die Verkehrsvorschriften sowie die Fahrtechnik mit der Aufsichtspflicht zu vereinbaren (vgl. Ehrmann/ Schiemann, BGB, 9. Aufl., § 832, Rdnr. 7, der - weitergehend - von einer Altersgrenze ab acht Jahren ausgeht). Auch wenn hier angesichts des Vortrages der Klägerin davon auszugehen ist, dass der Beklagte sein Fahrrad bereits technisch beherrschte, reichte dies allein zur Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht nicht aus. Denn die besondere Gefährdung, der sich die Klägerin ausgesetzt hat, wurde hier dadurch geschaffen, dass sie mit dem Beklagten und dem drei bis vier Fahrradlängen dahinter fahrenden Zeugen ... zusammen in einer Gruppe auf engem Raum unterwegs war. Dies erforderte von dem beklagten Kind besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Beibehaltung der Fahrspur und der Einschätzung der Geschwindigkeit der mitradelnden Personen. Dies ist nicht mit einer Situation vergleichbar, in welcher sich ein Kind alleine und mit wesentlich größerem Spielraum bezüglich seiner Fahrspur auf einem Radweg fortbewegt (vgl. BGH VersR 1988, 83 bezüglich des Ausscherens eines siebeneinhalbjährigen Kindes aus einer Radwander-Gruppe). Um dem Rechnung zu tragen, hätte die Klägerin einen größeren Abstand zu dem Beklagten einhalten müssen. Dass sie dies versäumt oder aber mangels entsprechender Aufmerksamkeit zu spät reagiert und dadurch den Zusammenstoß mit verursacht hat, ist ihr im Rahmen eines Mitverschuldens von 50 % anzulasten. ..."

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