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Kammergericht Berlin Urteil vom 24.10.2002 - 12 U 50/01 - Haftungsverteilung 3/4 zu 1/4 zu Lasten eines ausschwenkenden Sattelzuges, wenn der geschädigte Pkw-Führer zu nah an den bereits stehenden Lkw-Zug herangefahren war

KG Berlin v. 24.10.2002: Haftungsverteilung 3/4 zu 1/4 zu Lasten eines ausschwenkenden Sattelzuges, wenn der geschädigte Pkw-Führer zu nah an den bereits stehenden Lkw-Zug herangefahren war




Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 24.10.2002 - 12 U 50/01) hat entschieden:

  1.  Der Führer eines Sattelzuges, an dessen Heck sich eine gelbe Rundleuchte sowie ein Warnschild {"Achtung, Anhänger schwenkt aus") befindet, darf nicht darauf vertrauen, dass dies andere Verkehrsteilnehmer so hinreichend warnt, dass er von den Sorgfaltspflichten beim Abbiegen nach rechts aus § 9 Abs. 1 StVO befreit wäre.

  2.  Kommt es beim Abbiegen nach rechts durch einen derartigen Sattelzug zu einer Kollision mit einem links daneben befindlichen Pkw, der in nicht ausreichendem Seitenabstand von hinten neben den Sattelzug gefahren ist, so kommt eine Haftungsverteilung von 1/4 zu 3/4 zu Lasten des Führers des Sattelzuges in Betracht, der den links neben seinem Fahrzeug befindlichen Pkw bei ordnungsgemäßer Rückschau hätte erkennen können.


Siehe auch
Ausschwenken von größeren Fahrzeugen beim Ab- bzw. Einbiegen
und
Stichwörter zum Thema Unfallschadenregulierung

Aus den Entscheidungsgründen:


Die Beklagten haften dem Kläger nach einer Quote von 3/4 für die in unstreitiger Höhe entstandenen materiellen Schäden an seinem Mercedes 400 (HEI-M a ) aus den Unfall vom 10. November 1998, denn der Fahrer UH SBBB des vom Beklagten zu 1) gehaltenen und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten LKW (OB-B mm ) hat den Unfall in diesem Umfang verschuldet.

Der Kläger muss sich allerdings ein Mitverschulden von 1/4 anrechnen lassen, denn der Fahrer des Klägerfahrzeuges, L R, hat diesen Wagen pflichtwidrig zu nah neben den stehenden LKW gestellt und dadurch die Voraussetzung für die spätere Kollision geschaffen.

A.

Beruht ein Unfall für keinen der Beteiligten auf einem unabwendbaren Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 StVG, bestimmt sich die Haftung nach den Verursachungs- und Verschuldens Anteilen der Beteiligten, §§ 17, 18, 9 StVG i.V.m. §§ 823, 254 BGB. Bei der Bildung der Haftungsquote werden allerdings nur bewiesene Umstände berücksichtigt, die sich tatsächlich unfallursächlich ausgewirkt haben.




B.

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich im vorliegenden Fall die genannte Haftungsquote.

l. Keine der Parteien hat dargelegt, dass für sie der Zusammenstoß am 10. November 1998 ein unabwendbares Ereignis war, so dass es auf die Verursachungs- und Verschuldensanteile der Beteiligten ankommt.

1) Unabwendbar mit der Folge eines Haftungsausschlusses nach § 7 Abs. 2 StVG ist ein unfallursächliches Ereignis, wenn es durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, also die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 7 StVG, Rn. 30 m.w.N.).

2) Eine derartige Unabwendbarkeit hat insbesondere der Kläger nicht dargelegt. Seine Ausführungen dazu, der Mercedes sei so von anderen Fahrzeugen umgeben gewesen, dass er dem ausscherenden Anhänger des LKW nicht mehr habe ausweichen können, betreffen die Lage nach dem Stillstand des Mercedes neben dem LKW und nicht die für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten entscheidende Frage, ob der Fahrer L R bei Heranfahren und Anhalten neben dem LKW den gebotenen Abstand eingehalten hat: Dass er sich hierbei die überdurchschnittliche Vorsicht eines "Idealfahrers" eingehalten hat, hat der Kläger nicht behauptet.

... (hier folgen Ausführungen zur Aktivlegitimation)


II.

1. ...

2) Der LKW-Fahrer U S hat den Unfall und damit den Schaden des Klägers am Mercedes pflichtwidrig durch unaufmerksames Abbiegen verursacht.

a) Das unfallursächliche Verschulden des Fahrers U S ergibt sich aus dem Beklagten-Vertrag selbst. Der Fahrer hat nicht die nach § 9 StVO unter besonderer Berücksichtigung der Bauart des LKW gebotene Vorsorge für ein sicheres Abbiegen nach rechts getroffen und hierdurch den Unfall verursacht.

(1) § 9 Abs. 1 StVO verlangt vom Abbieger doppelte Rückschau; insbesondere vor dem Abbiegen muss er auf den nachfolgenden Verkehr achten und so sicherstellen, dass dessen Gefährdung ausgeschlossen ist. In besonderer Weise gilt diese Verpflichtung für Fahrer von Fahrzeugen, die bauartbedingt beim Rechtsabbiegen nach links ausschwenken und so den Verkehr auf dem benachbarten Fahrstreifen gefährden können; sie sind gehalten, notfalls Warnposten aufzustellen (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 9 StVO, Rn. 27 m.w.N., Rn. 25).

(2) Diesen Anforderungen ist der Fahrer U S nicht gerecht geworden und hat so den Unfall verursacht.

Er hat nach dem Beklagtenvorbringen nicht vor dem Rechtsabbiegen zurückgeschaut, sondern allenfalls in den Rückspiegel geblickt und ist losgefahren. Dies ergibt sich aus dem Hinweis der Beklagten, der Mercedes habe sich im "toten Winkel" für den Fahrer befunden. Eine Rückschau war auch deshalb besonders geboten, weil feststand, dass der LKW bauartbedingt beim Rechtsabbiegen in die Alexanderstraße nach links in den benachbarten Fahrstreifen ausscheren würde. Die Beklagten räumen dies ausdrücklich ein. Auf einen "toten Winkel" für den Fahrer können sich die Beklagten nicht mit Erfolg berufen. Er hätte direkt nach hinten blicken müssen, was ihm bei der hier vorliegenden Fahrzeugkonstellation auch ohne weiteres möglich gewesen wäre: Bei geöffnetem Seitenfenster hätte er von seinem Fahrerplatz auf der linken Fahrzeugseite vor dem Beginn des Abbiegens problemlos die gesamte linke Seite seines Zuges einschließlich des benachbarten Fahrstreifens beobachten können.

Der LKW-Fahrer hat auch sonst keine hinreichenden zusätzlichen Maßnahmen zum Schütze des nachfolgenden Verkehres getroffen. Selbst wenn am Heck des LKW eine gelbe Rundleuchte in Betrieb war und sich dort ein Warnschild mit der Aufschrift "Achtung, Anhänger schwenkt aus" befunden hat, durfte der Fahrer des LKW sich nicht darauf verlassen, dass dies andere Verkehrsteilnehmer hinreichend warnen und ihn berechtigen würde, beim Abbiegen unbesehen einen Teil des benachbarten Fahrstreifens zu nutzen.

Gleiches gilt für das vom Zeugen L bekundete Manöver des von ihm gesteuerten nachfolgenden LKW. Auch wenn sich dieser LKW mit dem Heck in der Busspur und der Zugmaschine auf dem links daneben befindlichen - also mittleren - Fahrstreifen befunden und so eine gewisse "Sperre" für nachfolgenden Verkehr gebildet hat, durfte sich der Fahrer U S nicht davon ausgehen, dass von hinten herankommende Fahrer auf den linken Fahrstreifen der Grunerstraße fahren und dort bleiben würden, der mittlere Fahrstreifen also für sein Abbiegen zur Verfügung stehen würde.




Bei pflichtgemäßer Rückschau hätte der Fahrer S ohne weiteres die Unfallträchtigkeit der Situation erkennen können und den Zusammenstoß mit dem Mercedes verhindern können. Der Zeuge L hat plastisch formuliert: "Der Mercedes stand so, dass mir gleich klar war, gleich gibt es was zu lachen. Ob er in voller Fahrzeuglänge neben dem LKW des Herrn S stand, oder nur zu einer halben Fahrzeuglänge, erinnere ich nicht mehr genau. Er stand nur einen Neckermann-Katalog-breiten Abstand neben dem LKW. Als der LKW anfuhr, schwenkte das Heck aus und kam gegen den Mercedes". Dieser Anblick hätte sich auch dem rückschauenden Fahrer geboten und ihn zum Stehenbleiben veranlasst.

Den Klägerfahrer L R trifft am Unfallhergang gleichfalls ein Verschulden, denn er hat den Mercedes in so geringem Abstand neben den bereits stehenden LKW gestellt, dass mit der später eingetretenen Beschädigung beim Abbiegen zu rechnen war.

1) Der Seitenabstand, der beim Vorbeifahren an einem haltenden Fahrzeug oder beim vorübergehenden Anhalten neben ihm zu wahren ist, bestimmt sich nach dem Umständen des Einzelfalles. Bei der Vorbeifahrt an einem PKW etwa ist zu berücksichtigen, dass ein Insasse die Fahrzeugtüre öffnen könnte (vgl. BGH, DAR 1981, 148). Bei einem LKW ist zu beachten, dass er - zumal wenn er mit einem Hänger ausgerüstet ist - gerade auch beim Anfahren quer zur Fahrtrichtung ausschwenken kann.




2) Einen Sicherheitsabstand, der solche möglichen Schwankungen des LKW berücksichtigt hätte, hat der Klägerfahrer hier nicht eingehalten.

a) Der Zeuge L hat als Abstand nur die bereits zitierten "Neckermann-Katalog-Breite" angegeben. Schriftsätzlich hat der Kläger dem nichts entgegengesetzt. Soweit der Kläger, persönlich gehört, in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, er schätze den Abstand auf etwa 1,30 m oder 1 m, handelt es sich um eine Entfernungsangabe, deren Richtigkeit nicht nur nicht durch weitere Anknüpfungstatsachen weiter erläutert ist, sondern die der Kläger selbst durch den Hinweis auf den lang zurückliegenden Zeitpunkt des Geschehens als unsicher gekennzeichnet hat. Die Richtigkeit der Darstellung des Zeugen L stellt das nicht in Frage.

b) Der "Neckermann-Katalog-Abstand" war als Sicherheitsabstand neben dem LKW der Beklagten bei weitem nicht hinreichend. Dabei mag auf sich beruhen, ob der Klägerfahrer Warneinrichtungen am Heck des LKW wahrgenommen hat oder auch nur wahrnehmen konnte: Schon allein bei der Größe des LKW, der zudem mit auffälligen Bildern bemalt ist (vgl. Fotos Bl. 57 d.A.), mußte sich dem Fahrer des Klägerfahrzeuges aufdrängen, dass ein größerer Sicherheitsabstand als nur wenige Dezimeter geboten war.

Dennoch hat er den Mercedes so nah neben den LKW gestellt mit der Folge, dass es zu einer Kollision gekommen ist. Damit hat er in pflichtwidriger Weise zum Zusammenstoß beigetragen.



III.

In Abwägung beider Verschuldensanteile sowie der unfallursächlichen Betriebsgefahren der beteiligten Fahrzeuge ergibt sich eine überwiegende Haftung der Beklagten, die der Senat mit einer Quote von 3/4 bewertet.

Zu Lasten der Beklagten fällt dabei besonders ins Gewicht, dass der Abbiegevorgang des LKW mit Ausscheren des Hängers eine von vornherein erkennbare Standardsituation beim Einsatz dieses Fahrzeuges im Straßenverkehr darstellt, auf die der Fahrer sich ohne weiteres hätte einstellen können und müssen. Die konstruktionsbedingte Notwendigkeit für den LKW, beim Abbiegen besonders viel Raum der benachbarten Verkehrsflächen einzunehmen, erhöht dessen Betriebsgefahr beträchtlich und hat sich hier auch unfallursächlich ausgewirkt.

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