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BGH Urteil vom 26.11.1985 - VI ZR 149/84 - Zum sofortigen Spurwechsel nach dem Einfahren in die Autobahn

BGH v. 26.11.1985: Zum sofortigen Spurwechsel nach dem Einfahren in die Autobahn




Der BGH (Urteil vom 26.11.1985 - VI ZR 149/84) hat zum Einfahren in die Autobahn und zum sofortigen Wechsel auf die Überholspur entschieden:schieden:

   Wer von der Beschleunigungsspur auf eine befahrene Autobahn auffährt, darf nicht "in einem Zug" auf die Überholspur fahren. Er muss sich vielmehr zunächst in den Verkehrsfluss auf der Normalspur einfügen, um sich selbst in die konkrete Verkehrssituation auf der Autobahn einzufühlen und sich zu vergewissern, dass er durch das beabsichtigte Überholen auch solche Fahrzeuge nicht gefährdet oder behindert, die - für ihn kurzzeitig durch andere Fahrzeuge verdeckt - sich ihm auf der Normalspur mit hoher Geschwindigkeit von hinten nähern.

Siehe auch
Einfahren in die Autobahn
und
Stichwörter zum Thema Autobahn

Zum Sachverhalt:


Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 24. März 1982 gegen 16 Uhr auf der Bundesautobahn A 3 ereignet hat. Von der Rastanlage Haidt bogen (in Richtung Nürnberg) dicht hintereinander zwei Lastzüge auf die Autobahn ein. Der Fahrer M. des hinteren Lastzuges setzte nach kurzer Fahrt auf der Normalspur der Autobahn zum Überholen des vor ihm eingebogenen Lastzuges an. Zu diesem Zeitpunkt näherte sich dem Lastzug von hinten H. mit dem von dem Kläger geleasten Jaguar-PKW mit einer Geschwindigkeit von etwa 200 km/h. Wann er auf die Überholspur ausgeschert war, ist streitig. H. gab Lichthupzeichen und nahm eine Gefahrenbremsung vor, wodurch sein Fahrzeug ins Schleudern geriet, sich quer stellte und rechtsseitig mit voller Wucht gegen die linke hintere Ecke des Anhängers des Lastzuges stieß. Dieser ragte, da M. auf das Lichthupzeichen hin den Lastzug wieder auf die rechte Fahrspur gezogen hatte, im Zeitpunkt des Anstoßes noch 1,25 m in die Überholspur. Der Jaguar wurde total beschädigt. Der Kläger hat den Beklagten als Haftpflichtversicherer des Lastzuges auf Zahlung seines Sachschadens in Höhe von 40.772,87 DM (nebst Zinsen) in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers war erfolgreich.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... Das Berufungsgericht vertritt den Standpunkt, es sei M. nicht zuzumuten gewesen, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sich in einer rückwärtigen Entfernung von rund 700 m kein Fahrzeug auf der Überholspur befand, auch auf Fahrzeuge Rücksicht zu nehmen, die sich eventuell auf der Normalspur befanden und dort möglicherweise für ihn durch vorausfahrende andere langsamere Fahrzeuge verdeckt sein konnten; er habe sich nicht davon zu überzeugen brauchen, dass sich auch kein für ihn zunächst verdecktes Fahrzeug mit sehr hoher Geschwindigkeit näherte, dessen Fahrer beabsichtigte, die auf der Normalspur fahrenden Fahrzeuge zu überholen.

b) Damit stellt das Berufungsgericht aber zu geringe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht desjenigen Kraftfahrers, der unmittelbar nach dem Einfahren auf die Autobahn zum Überholen ansetzen will. Diesen trifft eine doppelte Verpflichtung: Zum einen muss der Kraftfahrer, der - wie hier M. mit seinem Lastzug - von einem Beschleunigungsstreifen aus auf die Autobahn einfahren will, dies mit größter Vorsicht unter Beachtung des Vorfahrtsrechtes (§ 18 Abs. 3 StVO) des sich auf der Autobahn bewegenden Verkehrs tun; der Beschleunigungsstreifen dient nur der zügigen Einfädelung des in die Autobahn einfahrenden Verkehrs und gehört nicht zur "durchgehenden Fahrbahn" im Sinne dieser Vorschrift (s. amtliche Begründung zu § 3 von § 18 StVO - abgedruckt bei Jagusch/Hentschel, StVR, 28. Aufl., hinter § 18 S. 468). Zum andern schreibt § 18 Abs. 4 StVO vor, dass beim Überholen eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen sein muss. Daraus ergibt sich für denjenigen Kraftfahrer, der zum Überholen ansetzt, obwohl er sich gerade erst in den Verkehr auf der Normalspur eingegliedert hat, eine gesteigerte Sorgfaltspflicht.

aa) Die Inanspruchnahme der Überholspur setzt bei belebter Autobahn eine gründliche Kenntnis der gesamten Verkehrssituation voraus, über die der gerade erst auf die Autobahn Einbiegende nicht in gleicher Weise verfügt wie der Kraftfahrer, der sich bereits einige Zeit auf der durchgehenden Fahrbahn der Autobahn bewegt und dadurch die Möglichkeit hat, sich vor dem beabsichtigten Überholen mit der erforderlichen Gründlichkeit und Ruhe über die rückwärtige Verkehrslage zu orientieren, insbesondere darüber, ob sich Kraftfahrer mit sehr hoher Geschwindigkeit - wenn zunächst auch auf der Normalspur fahrend - nähern und möglicherweise in Kürze gleichfalls die Überholspur in Anspruch nehmen werden. Da auf den Bundesautobahnen in der Regel - so auch im Streitfall - eine Begrenzung der Geschwindigkeit nicht besteht, muss der Einbiegende, und zwar auch bei lebhaftem Verkehr, jedenfalls bei normalen Straßen- und Sichtverhältnissen, wie sie hier gegeben waren, mit der Möglichkeit rechnen, dass sich ihm Kraftfahrer mit Geschwindigkeiten von 150 bis 200 km/h nähern. Deshalb darf er nicht zum Überholen ansetzen, solange er nicht die Gewissheit hat, dass sich ihm kein derartig schnelles Fahrzeug, auch nicht möglicherweise zunächst durch andere Fahrzeuge verdeckt, nähert und durch sein Überholen gefährdet werden könnte. Vielmehr muss er sich erst einmal in den Verkehrsfluss einfügen, um einerseits sich selbst in die konkrete Verkehrssituation auf der Autobahn einzufühlen und zum andern seine eigene Rolle im Autobahnverkehr für die anderen Verkehrsteilnehmer berechenbar zu machen. Das gilt umso mehr, wenn es sich bei dem Einbiegenden - wie im Streitfall - um den Fahrer eines Lastzuges handelt, der ohnehin nur mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h fahren darf (§ 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO), die Überholspur also verhältnismäßig lange blockiert.


bb) Den dargelegten Anforderungen ist M. nicht gerecht geworden. Zwar trifft das Berufungsgericht keine (ausdrücklichen) Feststellungen dazu, ob M. sozusagen "in einem Zug" auf die Normalspur einbog und zum Überholen ansetzte. Dies ergibt sich aber eindeutig aus der Beweisaufnahme. M. hat bei seiner Vernehmung im Strafverfahren selbst eingeräumt, "er sei nur ganz kurz auf der Fahrspur (gemeint ist Normalspur) gewesen"; "er sei vielleicht so ca. ein bis zwei Sekunden auf der (rechten) Fahrspur gefahren und habe dann auf die Überholspur gewechselt". Dies stimmt mit den vom Berufungsgericht in anderem Zusammenhang (BU S. 8) getroffenen Feststellungen überein, dass M. nach der Auswertung des Fahrtenschreibers und den Berechnungen des Sachverständigen sich mit seinem Lastzug bereits 2,4 Sekunden nach seiner Einfahrt auf die Autobahn mit einer Geschwindigkeit von 68 km/h auf der Überholspur befunden hat. Die Zeit von 2,4 Sekunden reichte aber bei weitem nicht aus, um sich Gewissheit darüber verschaffen zu können, dass sich kein schnelles, möglicherweise kurzzeitig durch den Lastzug des F. verdecktes Fahrzeug auf der Normalspur näherte, dessen Fahrer ebenfalls die Überholspur in Anspruch nehmen wollte, und um diesem Fahrer ein beabsichtigtes Überholen des Lastzugs rechtzeitig und deutlich anzeigen zu können. Vielmehr musste M. damit rechnen, dass ein so schneller Fahrer darauf vertraute, die freie Überholspur werde nicht von einem eben erst auf die Normalspur einfahrenden Lastzug blockiert werden. Hätte M. sich entsprechend der gesteigerten Sorgfaltspflicht verhalten und sich zunächst gründlich und zuverlässig über einen etwaigen nachfolgenden schnelleren Verkehr unterrichtet, hätte ihm das Herannahen des Jaguar auf der unstreitig nach rückwärts auf 700 m einzusehenden Autobahn nicht entgehen können, denn der Jaguar befand sich nach dem Unfallverlauf bei den örtlichen Gegebenheiten innerhalb dieses Sichtbereichs.



c) Jedenfalls ist bei dieser Sachlage auszuschließen, dass der Unfall für M. ein unabwendbares Ereignis im Sinn von § 7 Abs. 2 StVG war. Diese Feststellung genügt, um im Streitfall, in dem es nur um Ersatz des am Jaguar entstandenen Sachschadens geht, die Verpflichtung des nach § 3 Nr. 1 PflVG in Anspruch genommenen Beklagten zur Zahlung des (der Höhe nach nicht mehr streitigen) Betrages von 40.772,87 DM auszusprechen.

Der Beklagte haftet auf den vollen Betrag, weil er sich dem Kläger als Leasinggeber des (dem H. für drei Jahre überlassenen) Fahrzeugs gegenüber nicht mit Erfolg auf eine mitwirkende Betriebsgefahr des Jaguar und damit auf einen Schadensausgleich nach § 17 Abs. 1 S. 2 StVG berufen kann. Nach ständiger Rechtsprechung (s. BGHZ 87, 133, 135 f) wird, wenn ein Kraftfahrzeug durch einen Leasingvertrag einem anderen auf längere Zeit überlassen wird, der Leasing-Nehmer in der Regel für die Leasingzeit dessen alleiniger Halter. Für eine von dieser Regel abweichende Ausnahme ist nichts vorgetragen.

III. Aus den dargelegten Gründen war das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen. ..."

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