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OLG Karlsruhe Urteil vom 24.05.2004 -10 U 214/03 - Zum Fahrverhalten bei Begegnung in engen Straßen

OLG Karlsruhe v. 24.05.2004: Zum Fahrverhalten bei Begegnung in engen Straßen




Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 24.05.2004 -10 U 214/03) hat bei einem Begegnungsunfall bei einseitig parkenden Fahrzeugen nur eine Mithaftungsquote von 1/3 zu Lasten desjenigen angenommen, auf dessen Seite sich die parkenden Pkw befanden:

   Wer an einem Hindernis auf seiner Fahrbahn links vorbeifahren will, muss entgegenkommende Fahrzeuge nur dann durchfahren lassen, wenn nicht genügend Platz besteht, die Engstelle – auch durch gemeinsame Benutzung der Gegenfahrbahn - gleichzeitig zu passieren. Ist ein gleichzeitiges Passieren möglich, müssen beide Fahrer mit gebotener Rücksicht und möglichst weit rechts fahren. Auch der Fahrer, auf dessen Seite sich kein Hindernis befindet, muss dem das Hindernis umfahrenden, entgegenkommenden Verkehr rechtzeitig und weit genug nach rechts ausweichen.

Siehe auch
Begegnungsunfall - Annäherung an Engstellen mit Gegenverkehr
und
Schmale Straße - enger Straßenteil




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die den Parteien zur Verfügung stehende Fahrbahn - die K-Straße B. - war durch die auf der Fahrbahnseite des Klägers geparkten Fahrzeuge verengt, so dass von der eigentlichen Fahrbahnbreite von 7,35 m (…) an der Stelle, an der Lkw geparkt waren, noch ca. 5,05 m verblieben, an der Stelle, an der Pkw geparkt waren, ca. 5,35 m. Abzustellen ist im vorliegenden Fall auf eine auf eine verbleibende Fahrbahnbreite von ca. 5,35 m. Aus der polizeilichen Handskizze folgt, dass in Fahrtrichtung des Klägers zunächst nur PKW und erst nach der Unfallstelle LKW geparkt waren. Bis zu den parkenden LKW konnte (und musste) der aus beiden Richtungen kommende Verkehr sich die verbleibenden 5,35 m teilen.

Die Vorschrift des § 6 StVO greift nur dann ein, wenn kumulativ (nicht alternativ) ein vorüber gehendes - Hindernis die Fahrbahn verengt, dass die Benutzung der Gegenfahrbahn erforderlich wird, und wenn links von dem Hindernis so wenig Platz verbleibt, dass sich begegnende Fahrzeuge die Engstelle nicht gleichzeitig passieren können (Geigel/Zieres, Haftpflichtprozess 24. Aufl.27. Kap. Rn. 198; Hentschel, StVR 37. Aufl. § 6 StVO Rn. 3). Dagegen ist § 6 StVO nicht anwendbar, wenn für ein gleichzeitiges Durchfahren der Engstelle durch zwei sich begegnende Kraftfahrzeuge genügend Raum verbleibt (herrschende Meinung, vgl. nur OLG Düsseldorf, DAR 80,187; OLG Schleswig VersR 82, 1106; OLG Köln in Cramer, StVE § 6 StVO Nr. 3; OLG Karlsruhe 10 U 280/99). In einem solchen Fall richten sich die beiderseitigen Verhaltenspflichten nach § 1 Abs. 2 StVO: Der an dem Hindernis Vorbeifahrende darf die Gegenfahrbahn mitbenutzen und der Entgegenkommende ist grundsätzlich verpflichtet, demjenigen, der an dem Hindernis links vorbeifahren will, rechtzeitig und ausreichend weit nach rechts auszuweichen (Geigel/Zieres aaO.). Nur durch solch eine Fahrweise kann auch den Anforderung des fließenden Verkehrs Genüge getan werden, müsste jeder PKW - Fahrer , der wegen eines rechts parkenden Fahrzeugs die linke Fahrbahnseite mitbenutzen muss, trotz ausreichender verbleibender Fahrbahnbreite warten, bis der Gegenverkehr passiert hat, käme der Verkehr in Innenstädten zum Erliegen.




Im vorliegenden Fall folgt aus den Ausführung des Sachverständigen R. in seinem erstinstanzlich schriftlich erstellten Gutachten vom 17.04.03 (I 181 ff.), dass die bestehende Durchfahrtbreite des verbleibenden Straßenraumes von ca. 5,35 m genügend Platz für den Begegnungsverkehr (nämlich sowohl 0.65 cm Seitenabstand zwischen den sich begegnende Fahrzeugen als auch je 0,65 Seitenabstand nach rechts) bei der gebotenen vorsichtigen und langsamen Fahrweise bot. § 6 StVO ist daher hier nicht anwendbar. Vielmehr richteten sich die gegenseitigen Pflichten des Klägers auf der einen und des Beklagten Ziff. 1 auf der anderen Seite nach §§ 1, 2 StVO. Danach müssen beide Verkehrsteilnehmer mit der gebotenen Rücksicht und äußerst weit rechts aneinander vorbeifahren, der Beklagte Ziff. 1 kann sich nicht auf ein ihm zustehendes Vorrecht berufen. Dieser ihm obliegenden Verpflichtung ist der Beklagte Ziff. 1 nicht nachgekommen.

Der Beklagte Ziff. 1 ist aber nicht nur dem Rechtsfahrverbot nicht nachgekommen, sondern hat darüber hinaus auch noch gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, da er offensichtlich unaufmerksam gefahren ist und auf das sich nähernde Fahrzeug des Klägers überhaupt nicht reagiert hat. Da folgt ebenfalls aus der vom Sachverständigen gefertigte Skizze, aus der hervorgeht, dass der Beklagte Ziff. 1 sich in einer Bewegung nach links in Richtung der Fahrbahnmitte befunden hatte (S. 9 des Gutachten, I 197). Das schuldhafte Verhalten des Beklagte Ziff. 1 war demnach ursächlich für den Unfall.



Allerdings hat der Kläger den Unfall (mit)verschuldet. Denn auch der Kläger hätte noch weiter rechts fahren können. Bei der für beide Fahrzeuge verbleibenden Fahrbahnbreite von ca. 5,35 m musste Kläger und Beklagte Ziff. 1 sich diesen Verkehrsraum teilen und mit gebotenen Vorsicht aneinander vorbeifahren. Dass der Kläger nicht äußert rechts gefahren ist, folgt daraus, dass er mit seinem ca.1,70 m breiten Fahrzeug noch 90 cm der Gegenfahrbahn in Anspruch genommen hat und damit nur 80 cm der ihm - bei Abzug des Raumes, den die geparkten Pkw in Anspruch nahmen - auf seiner Fahrbahnhälfte verbleibenden 1,68 m ausgenutzt hat ( die Gesamtfahrbahn beträgt 7.35 m , die Hälfte davon ist 3,68 m, die geparkten Pkw nehmen einen Raum von ca. 2 m ein). Er hat also den ihm zuzubilligenden Seitenabstand nach rechts von 0,65 cm um (1.68 m - 80 cm = 88 cm) mehr als 20 cm überschritten. Wie bereits oben ausgeführt, war auch der Kläger verpflichtet, möglichst weit rechts zu fahren, wobei er zu den geparkten PKW nicht einen Seitenabstand einhalten durfte, wie er an der Stelle, an der die LKW standen, erforderlich gewesen wäre. Vielmehr ist bei der derartigen beengten räumlichen Verhältnissen zu verlangen, dass der jeweils konkret verbleibende freie Raum nach rechts optimal ausgenutzt wird. Damit liegt ein Verstoß des Klägers gegen das Rechtsfahrgebot vor. Weitere Verschuldensvorwürfe können dem Kläger dagegen nicht gemacht werden. § 6 StVO greift - wie oben ausgeführt - nicht ein. Der Kläger durfte auch die Gegenfahrbahn mitbenutzen, ohne dass ihm dies in der konkreten Verkehrssituation zum Verschulden gereicht. Schließlich ist auch nicht dargetan, dass der Kläger gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Vielmehr hat der Kläger noch versucht, nach rechts auszuweichen, als er bemerkte, dass der Beklagte Ziff. 1 mit seinem PKW weiter nach links geriet. Der Kläger durfte auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt davon ausgehen, dass der Beklagte Ziff. 1 auf der übersichtlichen Straße das herankommende Fahrzeug des Klägers bemerkt und dementsprechend möglichst weit rechts fährt.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gem. § 17 StVO ist auf der einen Seite der Verstoß des Beklagten Ziff. 1 gegen § 2 Abs. 2 StVO und gegen § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen, auf der anderen Seite, dass der Kläger ebenfalls nicht äußerst rechts gefahren ist und damit gegen § 2 StVO verstoßen hat. Das Verschulden des Beklagten Ziff. 1, der unmittelbar vor dem Unfall sein Fahrzeug noch nach links gelenkt hat, wiegt schwerer als dasjenige des Klägers, der reagiert und noch versucht hat, nach rechts auszuweichen, so dass eine Quotelung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten angemessen erscheint."

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