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OVG Saarlouis Beschluss vom 22.11.2000 - 9 W 6/00 - Steht nur einmaliger Cannabis-Konsum fest, muss zunächst durch ein ärztliches Gutachten geklärt werden

OVG Saarlouis v. 22.11.2000: Steht nur einmaliger Cannabis-Konsum fest, muss zunächst durch ein ärztliches Gutachten geklärt werden, ob überhaupt gelegentlicher (also mehrmaliger) oder gar regelmäßiger Konsum vorliegt; die Anordnung einer MPU ist nach einmaligem Konsum nicht rechtmäßig




Das OVG Saarlouis (Beschluss vom 22.11.2000 - 9 W 6/00) hat entschieden:

   Steht nur einmaliger Cannabis-Konsum fest, muss zunächst durch ein ärztliches Gutachten geklärt werden, ob überhaupt gelegentlicher, also mehrmaliger (oder gar regelmäßiger) Konsum vorliegt; die Anordnung einer MPU ist nach einmaligem Konsum nicht rechtmäßig.

Siehe auch
Maßnahmen bei einmaligem Cannabiskonsum
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Bei der Rechtmäßigkeitskontrolle des angefochtenen Verwaltungsaktes ist davon auszugehen, daß einem Fahrerlaubnisinhaber bei fehlender Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen die Fahrerlaubnis zu entziehen ist (§§ 3 I 1 StVG, 46 I 1 FeV), daß Eignungszweifel zur Anforderung eines Eignungsgutachtens führen können oder müssen (§ 46 III i.V.m. §§ 11 bis 14 FeV) und daß die Fahrerlaubnisbehörde aus der Nichtbefolgung einer Begutachtungsanordnung auf fehlende Kraftfahreignung des Betroffenen schließen darf (§ 11 VIII FeV), wobei zu berücksichtigen ist, daß die letztgenannte Regelung auf der Erwägung beruht, daß der Betroffene durch die Unterlassung der Beibringung des Gutachtens einen Eignungsmangel verbergen wolle; eine solche Indizwirkung kann allerdings nur einer rechtmäßigen Begutachtungsanordnung zukommen. Für den Fall, daß sich die Eignungszweifel auf die Abhängigkeit oder die Einnahme von Betäubungsmittel gründen, regelt § 14 FeV, wann ein ärztliches und wann ein medizinisch-psychologisches Gutachten eingeholt werden muß oder kann. Ein ärztliches Gutachten ist gemäß § 14 I FeV beizubringen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, daß Abhängigkeit oder Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt (S. 1), und kann für den Fall widerrechtlichen Besitzes von solchen Betäubungsmitteln angeordnet werden (S. 2). Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist nach § 14 II FeV anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in Abs. 1 genannten Gründe entzogen war oder zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder - ohne abhängig zu sein - weiterhin die in Abs. 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt. Nach § 14 I 4 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der (Fahr-)Eignung begründen.


Nach diesem Regelungssystem führt also die Einnahme von Betäubungsmitteln mit Ausnahme von Cannabis zur Nichteignung, während bei Cannabis die Eignung in der Regel ausgeschlossen ist, wenn regelmäßige Einnahme vorliegt; zur Klärung diesbezüglicher Eignungszweifeln sieht die FeV die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens vor. Bei gelegentlichem Cannabis-Konsum ist dagegen die Eignung in der Regel gegeben, und ein medizinisch-psychologisches Gutachten kann nur erforderlich werden, wenn weitere Umstände Zweifel an der Eignung begründen, etwa wenn der Konsum im Zusammenhang mit dem Fahren erfolgt, wenn Kontrollverlust oder Störungen der Persönlichkeit vorliegen oder wenn zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt (vgl. Amtliche Begründung, BR-Drucksache 443/98 S. 261, abgedruckt bei Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage 1999, § 14 FeV Rdnr. 1). Zweifel, die sich aus solchen Umständen ergeben, können also durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten geklärt werden. Hingegen darf ein solches Gutachten nicht zur Klärung der Frage angeordnet werden, ob der Konsum von Cannabis gelegentlich oder regelmäßig erfolgt (vgl. OVG Bremen, Beschluß vom 8.3.2000 - 1 B 61/00 -, zfs 2000, 470 = NJW 2000, 2438; BVerfG, Beschluß vom 24.6.1993 - 1 BvR 689/92 -, E 89, 69 = NJW 1993, 2365, zum früheren § 15b II StVZO).



Hiervon ausgehend ist festzustellen, daß die auf § 14 II i.V.m. I 4 FeV gestützte Begutachtungsanordnung in diesen Vorschriften entgegen der Meinung des Antragsgegners keine rechtliche Grundlage findet. Für die von ihm für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob der Antragsteller regelmäßig oder gelegentlich Cannabis konsumiere, reicht die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens aus, da für den Fall regelmäßigen Konsums seine Eignung zur Führung eines Kraftfahrzeugs auch ohne die sich aus einem wesentlich stärker in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers eingreifenden medizinisch-psychologischen Gutachten ergebenden Erkenntnisse verneint werden müßte. Bevor aber nicht festgestellt ist, daß der Antragsteller nicht regelmäßig, sondern gelegentlich Cannabis konsumiert, besteht somit auch kein Bedürfnis für eine Gutachtenerstellung über die weiter vom Antragsgegner für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob er zukünftig die Teilnahme am Straßenverkehr von dem Konsum der Droge trennen könne. Im übrigen läßt § 14 I 4 FeV entgegen der Meinung des Antragsgegners die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht schon dann zu, wenn ein Kraftfahrer überhaupt einmal Cannabis konsumiert hat. "Gelegentlicher" Konsum im Sinne dieser Vorschrift liegt weder bei regelmäßigem Konsum noch bei einmaligem oder experimentellem Genuß vor (vgl. Senatsbeschluß vom 16.10.2000 - 9 V 36/00 -, m.w.N.). Vorliegend hat der Antragsgegner auch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte dafür gewinnen können, daß der Antragsteller gelegentlich, also ab und zu, in unregelmäßigen Abständen Cannabis zu sich nimmt. Fest steht nämlich allein, daß er am 28.10.1999 unter Einfluß von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hatte, wobei er nicht einmal den - aktiven - Konsum eingeräumt hat, sondern nach wie vor Passivrauchen behauptet. Auch wenn insbesondere die Tatsache, daß der Antragsteller trotz wiederholter Aufforderung, nähere Umstände dieses - auch nach dem von ihm selbst vorgelegten ärztlichen Attest - normalerweise nicht zu einem positiven Testergebnis führenden Passiv-Rauchens darzulegen, die insofern einen Ausnahmefall nachvollziehbar machen könnten, dafür spricht, daß diese Behauptung, die festgestellte THC-Konzentration durch Passiv-Rauchen erreicht zu haben, eine bloße Schutzbehauptung ist, ist zu sehen, daß dem Antragsgegner nicht bekannt ist, daß der Antragsteller - dies unterstellt - schon früher Cannabis geraucht hätte. Daß aber jeder belegte Cannabiskonsum den Verdacht auf einen Konsum höherer als der zugestandenen oder sonst nachgewiesenen Frequenz begründe, soweit es sich nicht eindeutig um einen einmaligen Konsum handele (vgl. hierzu auch BVerfG, a.a.O.), wie der Antragsgegner zur Begründung seiner Anordnung ausführt, vermag - bewußte Einnahme des Antragstellers weiter unterstellt - offensichtlich entsprechende tatsächliche Feststellungen nicht zu ersetzen, sondern macht vielmehr die Notwendigkeit eines - insbesondere zeitnahen - ärztlichen Gutachtens zur Gebrauchshäufigkeit nachhaltig deutlich. ..."

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