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VGH München Beschluss vom 11.11.2004 - 11 CS 04.2348 - Bei Verkehrsteilnahme mit mindestens 1,0 ng/ml THC im Blut ist bei gelegentlichem Konsum die Fahrerlaubnis zu entziehen

VGH München v. 11.11.2004: Bei Verkehrsteilnahme mit mindestens 1,0 ng/ml THC im Blut ist bei gelegentlichem Konsum die Fahrerlaubnis zu entziehen

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Der VGH München (Beschluss vom 11.11.2004 - 11 CS 04.2348) hat entschieden:

   Auf der Grundlage der ihm derzeit vorliegenden Erkenntnisse hält der Senat es nicht für gerechtfertigt, bereits ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml im Blut von einer Drogenfahrt auszugehen, die bei Vorliegen der weiteren Voraussetzung gelegentlicher Cannabiseinnahme gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung ausschließt. Mangelndes Trennvermögen ist erst von einem aktiven THC-Wert von mindestens 2 ng/ml im Blut anzunehmen.

Siehe auch
Nachweis von fehlendem Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme - auch durch den aktiven THC-Wert
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Der 1977 geborene Antragsteller wendete sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, B, BE, C1, C1E, C, CE, M, L und T.

Nachdem das Landratsamt Rottal-Inn davon Kenntnis erhalten hatte, dass dem Antragsteller mit Verfügung des Straßenverkehrs- und Schiffahrtsamts St. Gallen vom 5. März 2002 wegen Führens eines PKW unter dem Einfluss von Marihuana am 24. Januar 2002 für die Dauer von zwei Monaten das Recht aberkannt worden war, in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein ein Motorfahrzeug zu führen, forderte es den Antragsteller unter dem 7. Juni 2002 auf, ein Gutachten eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation der Fachrichtung Psychiatrie/Psychotherapie über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen. Nach dem daraufhin vorgelegten Gutachten des Bezirkskrankenhauses Landshut vom 29. Juli 2002 ergab die Drogenanamnese, dass der Antragsteller erstmalig im 19. Lebensjahr und weiterhin selten bei besonderen Anlässen Cannabis geraucht hatte. Regelmäßiger Konsum von Cannabis habe nicht bestanden. Härtere Drogen habe er nie eingenommen. Er habe glaubhaft vermitteln können, dass er sich mit der Problematik von Cannabiskonsum und Führen eines Kraftfahrzeugs intensiv auseinandergesetzt habe und dies in Zukunft trennen werde. Aus psychiatrischer Sicht bestünden deshalb keine Bedenken gegen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen.




Am 11. Mai 2004 erhielt das Landratsamt Rottal-Inn durch eine Mitteilung der Polizeiinspektion Pfarrkirchen davon Kenntnis, dass der Antragsteller am 12. März 2004 um 16.20 Uhr im Stadtgebiet Pfarrkirchen durch grundloses Hupen aufgefallen und deshalb angehalten worden sei. Nachdem eine Inpol-Anfrage ergeben habe, dass er bereits als Betäubungsmittelkonsument in Erscheinung getreten sei, sei er einem Mashan-Drogentest unterzogen worden, der auf THC positiv ausgefallen sei. Daraufhin sei ihm um 17.34 Uhr eine Blutprobe entnommen worden. Fahrfehler oder Ausfallerscheinungen hätten beim Antragsteller nicht festgestellt werden können. Die Untersuchung der Blutprobe ergab nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 29. April 2004 einen THC-Wert von 1,2 ng/ml Blut und einen THC-COOH-Wert von 24,0 ng/ml Blut.

Nach Anhörung entzog das Landratsamt Rottal-Inn dem Antragsteller mit Bescheid vom 16. Juni 2004 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1), gab ihm auf, seinen Führerschein unverzüglich nach Erhalt dieses Bescheids beim Landratsamt abzuliefern (Nr. 2), drohte ihm für den Fall, dass er seiner Verpflichtung nach Nr. 2 nicht innerhalb von drei Tagen nach Zustellung dieses Bescheids nachkomme, ein Zwangsgeld von 250 € an und ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 an. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei, weil er nach den Ergebnissen des toxikologischen Gutachtens zumindest gelegentlicher Konsument von Cannabis sei und zwischen Konsum und Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennen könne.

Der Antragsteller erhob Widerspruch und beantragte beim Verwaltungsgericht Regensburg, dessen aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.

Das Verwaltungsgericht gab dem Antrag statt. Hiergegen richtete sich die Beschwe



rde der Antragsgegnerin, die erfolglos blieb.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die gebotene summarische Überprüfung der Erfolgsaussicht des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entziehenden Bescheids des Landratsamts Rottal-Inn vom 16. Juni 2004 ergibt.

Zwar kann aufgrund der nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 29. April 2004 in der dem Antragsteller am 12. März 2004 entnommenen Blutprobe festgestellten THC-COOH-Konzentration von 24,0 ng/ml Blut davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert hatte (vgl. BayVGH vom 1.10.2003 Az. 11 ZB 03.2205; vom 14.10.2003 Az. 11 CS 03.2433). Wie das Verwaltungsgericht ist der Senat aber der Auffassung, dass eine mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft des Antragstellers, den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen, derzeit nicht hinreichend belegt ist und der Antragsteller sich deshalb nicht schon gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV als fahrungeeignet erwiesen hat.

Nach der Rechtsprechung des Senats belegt eine Fahrt unter der Wirkung von Cannabis im Sinne des § 24 a Abs. 2 Satz 1 StVG, gemäß § 24 a Abs. 2 Satz 2 StVG also eine Fahrt, bei der THC im Blut des Betroffenen nachgewiesen werden konnte, ein mangelndes Trennen zwischen Cannabiskonsum und Führen von Kraftfahrzeugen nicht erst dann, wenn sich der Betroffene darüber hinaus objektiv in einem drogenbedingt fahruntüchtigen Zustand befunden hat. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob sich der Betroffene beim Führen eines Kraftfahrzeugs subjektiv durch den Einfluss des konsumierten Cannabis beeinträchtigt fühlte (vgl. zuletzt BayVGH vom 14.7.2004 Az. 11 CS 04.1513 m.w.N.). Der Senat hat in einer solchen Fahrt einen Nachweis für fehlendes Trennen von Cannabiskonsum und Fahren vielmehr schon dann gesehen, wenn die bei dieser Fahrt im Blut des Betroffenen festgestellte THC-Konzentration 2,0 ng/ml überstieg (vgl. zuletzt BayVGH vom 14.7.2004 Az. 11 CS 04.1513; vom 27.10.2004 Az. 11 CS 04.2840). Was insoweit bei einer THC-Konzentration zwischen 1,0 ng/ml Blut, dem Grenzwert für THC, auf den sich die sogenannte Grenzwertkommission in ihrem Beschluss vom 20. November 2002 für die Anwendung des § 24 a Abs. 2 StVG geeinigt hat, und 2,0 ng/ml Blut gelten soll, hat der Senat bisher nicht entschieden. In dem dem Beschluss vom 24. August 2004 Az. 11 CS 04.1422 zugrunde liegenden Fall wurden beim Betroffenen anders als hier neben einem THC-Wert von 1,2 ng/ml Blut drogentypische Auffälligkeiten festgestellt. Außerdem beschränkte sich die Fahrerlaubnisbehörde darauf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzufordern.

Auf der Grundlage der ihm derzeit vorliegenden Erkenntnisse hält der Senat es nicht für gerechtfertigt, bereits ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml Blut von einer Drogenfahrt auszugehen, die bei Vorliegen der weiteren Voraussetzung gelegentlicher Cannabiseinnahme gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung ausschließt. Nach dem im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 (NJW 2002, 2378) zitierten Gutachten des Prof. Dr. Krüger vom 15. August 2001 ist für THC-Konzentrationen unter 2,0 ng/ml Blut, insbesondere solchen an der Nachweisgrenze (derzeit 1,0 ng/ml Blut), davon auszugehen, dass keine Risikoerhöhung für den Straßenverkehr stattfindet. Nach diesem Gutachten ist die Formulierung des § 24 a StVG, wonach eine Wirkung vorliege, wenn eine der angegebenen Substanzen nachgewiesen werde, insoweit nur als rechtliche Fiktion zu verstehen, aus naturwissenschaftlicher Sicht aber nicht haltbar. Dem erwähnten Beschluss der Grenzwertkommission lässt sich für eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit von Cannabiskonsumenten schon ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml Blut und damit für eine Risikoerhöhung im Straßenverkehr bereits ab diesem Wert nichts entnehmen. Nach den im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Januar 2004 (ZfS 2004, 188 = DAR 2004, 413) zitierten Ausführungen des von ihm gehörten Sachverständigen kann derzeit im Hinblick auf eine bestimmte Konzentration von THC im Blut kein Grenzwert als wissenschaftlich gesichert angesehen werden, bei dem von einem Drogeneinfluss ausgegangen werden kann, durch den die Verkehrssicherheit beeinträchtigt ist, können jedoch jedenfalls bei einer THC-Konzentration von 2,0 ng/ml Blut bei ca. 50 % der Cannabiskonsumenten Beeinträchtigungen festgestellt werden, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben. Hierbei handele es sich insbesondere um Antriebssteigerungen, die zu einer erhöhten Risikobereitschaft führten, sowie um inadäquate Weitstellung der Pupillen, die mit einer Herabsetzung der allgemeinen Sehschärfe einhergehe und zusammen mit der verzögerten Reaktion auf sich verändernde Lichtverhältnisse bei den betroffenen Kraftfahrzeugführern, insbesondere bei Nachtfahrten, zu ausgeprägten Blendeffekten führe.

Nach den in den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts München vom 6. Dezember 2002 Az. M 6a K 01.3406 und vom 31. März 2004 Az. M 6b S 04.1161 wiedergegebenen gutachtlichen Äußerungen des Prof. Dr. Drasch soll bereits ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml Blut mit Auswirkungen auf die Teilnahme am Straßenverkehr (vor allem Konzentrationsmängel und träge Reaktion der Pupillen auf Licht) zu rechnen sein, wobei allerdings auch die Gewöhnung eine Rolle spiele. Zur Frage, welcher Anteil der Cannabiskonsumenten von solchen Auswirkungen betroffen sein könnte, ergeben diese Ausführungen allerdings nichts.

Angesichts dieser Erkenntnislage beweist eine beim Führer eines Kraftfahrzeugs festgestellte THC-Konzentration im Blut zwischen 1,0 ng/ml und 2,0 ng/ml für sich allein nach Auffassung des Senats nicht ohne Weiteres, dass dieser Cannabiskonsum und Fahren nicht trennt. Allein aufgrund eines solchen Befunds kann ein gelegentlicher Cannabiskonsument deshalb nicht gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV als fahrungeeignet angesehen werden mit der Folge, dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen ist.

Die Landesanwaltschaft Bayern hat in der Beschwerdebegründung angeregt zu erwägen, das Fehlen des Trennvermögens eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten beim nachgewiesenen Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer THC-Konzentration von mindestens 1,0 ng/ml Blut damit zu begründen, dass er damit unter Berücksichtigung der bestehenden Unsicherheiten über den Abbau des THC offensichtlich nicht alle Vorkehrungen getroffen habe, um das Führen eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung der vorstehend vom Senat für erheblich gehaltenen THC-Konzentration im Blut auszuschließen. Der Senat folgt diesem Gedankengang nicht, weil danach die Frage, ob eine Trennung von Cannabiskonsum und Fahren im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV anzunehmen ist oder nicht, völlig losgelöst davon, ob objektiv eine Gefahr für den Straßenverkehr besteht, nur nach den subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des Betroffenen beantwortet wird. Der Senat verkennt dabei nicht, dass auch nicht jeder gelegentliche Cannabiskonsument, der bei einer Fahrt den THC-Wert von 2,0 ng/ml Blut überschreitet, zwangsläufig die Verkehrssicherheit gefährdet. Nach Auffassung des Senats macht es aber einen Unterschied, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bei einer THC-Konzentration von mindestens 2,0 ng/ml Blut bei 50 % der Cannabiskonsumenten Beeinträchtigungen festgestellt wurden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz vom 13.1.2004 a.a.O.), während für niedrigere THC-Konzentrationen eine Risikoerhöhung für den Straßenverkehr ausgeschlossen wurde (vgl. Krüger a.a.O.) oder jedenfalls eine Quantifizierung der bereits durch sie beeinträchtigten Cannabiskonsumenten nicht ersichtlich ist (vgl. VG München a.a.O.).

Auch der Umstand, dass der Antragsteller bereits am 24. Januar 2002 in der Schweiz ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Marihuana geführt hatte (nach dem vom Antragsgegner übermittelten Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin in St. Gallen vom 30.1.2002 mit einer THC-Konzentration von 8,0 ng/ml Blut), kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Durch das psychiatrische Gutachten des Bezirkskrankenhauses Landshut vom 29. Juli 2002 konnte der Antragsteller die aufgrund dieser Drogenfahrt bei der Fahrerlaubnisbehörde - zu Recht - bestehenden Eignungszweifel ausräumen, wie deren Mitteilung an den Antragsteller vom 2. August 2002 belegt, die Fahreignungsüberprüfung sei aufgrund dieses Gutachtens abgeschlossen. Wegen dieser Fahrt kann die Behörde die Fahreignung des Antragstellers deshalb nunmehr nicht wieder bezweifeln oder gar verneinen. Ob der Antragsteller die positive Prognose des Gutachtens vom 29. Juli 2002 durch die Fahrt vom 12. März 2004 widerlegt hat, wie der Antragsgegner meint, ist gerade die im anhängigen Verfahren zu klärende Frage. Hierfür gibt der Vorfall vom 24. Januar 2002 logischerweise ebenfalls nichts her. ..."

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