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OVG Bautzen Beschluss vom 08.11.2001 - 3 BS 136/01 - Keine MPU-Anordnung bei fachärztlicher Feststellung, dass derzeit kein akuter Cannabiskonsum vorliegt

OVG Bautzen v. 08.11.2001: Keine MPU-Anordnung bei fachärztlicher Feststellung, dass derzeit kein akuter Cannabiskonsum vorliegt




Das OVG Bautzen (Beschluss vom 08.11.2001 - 3 BS 136/01) hat entschieden:

   Aus § 14 Abs 2 FeV folgt nicht, dass zur Klärung der Fragen, ob zum einen ein Betroffener Cannabis einnimmt und des Weiteren Eignungszweifel begründende Tatsachen vorliegen, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden kann.

Siehe auch
MPU-Anordnung nach Cannabiskonsum
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Der Antragsteller hat im Rahmen eines von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19.2.1998 angeordneten Drogenscreenings drei Urinuntersuchungen im Zeitraum vom 25.2.1998 bis zum 28.10.1998 vornehmen lassen. Während bei der ersten dieser Urinuntersuchungen der Nachweis eines Drogenkonsums nicht erbracht werden konnte, wurde bei den folgenden zwei weiteren Untersuchungen ein Drogenkonsum nachgewiesen, wobei die Untersuchungsergebnisse allerdings keine Hinweise auf die Art der festgestellten Drogen enthielten. Der Antragsteller wurde daraufhin mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 9.11.1998 aufgefordert, zur Klärung der Frage, ob die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich sei, ein weiteres Facharztgutachten beizubringen. Nachdem der Antragsteller dieser Anordnung widersprach und vorbrachte, dass wegen des vorgenommenen Drogenscreenings keine Zweifel an seiner Eignung begründet seien, hat die Antragsgegnerin dann zunächst keine weiteren Maßnahmen mehr eingeleitet. Erst am 26.11.1999 - mithin etwa ein Jahr später - hat sie erneut die Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens angeordnet. Dieser Anordnung entsprach der Antragsteller. Das daraufhin erstellte fachärztliche Gutachten vom 2.5.2000 kam zu dem Ergebnis, dass die Kraftfahreignung einschränkende medizinische Befunde nicht hätten festgestellt werden können und sich keine Hinweise auf Abhängigkeit, Missbrauch oder einen gegenwärtigen Konsum von Betäubungsmitteln gefunden hätten. Die entsprechenden Labortests hätten ausnahmslos einen negativen Befund gehabt. Die Auswertung der polytoxikologischen Drogenscreenings habe keine Hinweise für eine Betäubungsmitteleinnahme ergeben. Da jedoch ein Drogenkonsum von Cannabis im Jahre 1998 - nach Auffassung des begutachtenden Facharztes - nachgewiesen sei und der Antragsteller vorbringe, seit drei Jahren drogenabstinent zu leben, deuteten sich "persönlichkeitsabhängige Störungen" des Antragstellers an, "die allerdings der ärztlichen Methodik nur begrenzt" zugänglich seien. Diese Feststellung hat die Antragsgegnerin dann zum Anlass genommen, mit Schreiben vom 12.5.2000 die in Rede stehende Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.

Die Fahrerlaubnisbehörde entzog sodann die Fahrerlaubnis, nachdem der Antragsteller das angeforderte Gutachten nicht vorlegte. Seinen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung lehnte das Verwaltungsgericht ab.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hatte Erfolg.





Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die zugelassene und auch darüber hinaus zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 20.7.2000 ist begründet. Mit diesem Beschluss hat das Verwaltungsgericht einen Antrag des Antragstellers abgelehnt, der auf die Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines mit Schreiben vom 27.6.2000 am gleichen Tag eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.6.2000 gerichtet ist. Durch den genannten Bescheid wurde dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zum einen seine Fahrerlaubnis der Klasse 3 entzogen und ihm aufgegeben, seinen Führerschein bei der Antragsgegnerin abzugeben. Des Weiteren wurde dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 DM für den Fall angedroht, dass er der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins nicht nachkomme. Dem gegen den Wegfall der aufschiebenden Wirkung zum einen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO - hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung und der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins - sowie des Weiteren nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 11 SächsVwVG - hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung - gerichteten Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO hätte das Verwaltungsgericht entsprechen müssen. Denn es spricht viel dafür, dass die Voraussetzungen, auf Grund derer die Fahrerlaubnisbehörde nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen hat, hier nicht vorliegen, weshalb das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt.


Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erweist. Die damit angesprochene Eignung umfasst die körperliche und geistige Fahrtauglichkeit sowie die charakterliche Zuverlässigkeit. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken an dieser Eignung begründen, finden nach § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Nach § 11 Abs. 8 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sich dieser weigert, etwa ein gefordertes Eignungsgutachten beizubringen. Diese Regelung beruht auf der Überlegung, dass bei einer grundlosen Weigerung die Vermutung berechtigt ist, der Betroffene wolle einen ihm bekannten Eignungsmangel verbergen. Demzufolge ist Voraussetzung für die in § 11 Abs. 8 FeV angesprochene Nichteignung wegen der Verweigerung einer Gutachtenbeibringung, dass eine entsprechende Aufforderung rechtmäßig ist. Vorliegend spricht viel dafür, dass die Anordnung der Antragsgegnerin vom 26.11.1999 zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtswidrig ist, weil die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nicht vorliegen.

§ 14 FeV enthält differenzierte Regelungen darüber, ob zur Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel, Arzneimittel oder sonstige Stoffe die Beibringung von ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachten angeordnet werden darf. In § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV ist geregelt, dass ein ärztliches Gutachten sowohl bei begründeter Annahme von Abhängigkeit oder Einnahme von Betäubungsmitteln oder bei missbräuchlicher Einnahme bestimmter Arzneimittel oder sonstiger entsprechender Stoffe wie auch bei dem Besitz von Betäubungsmitteln beizubringen ist. In § 14 Abs. 2 FeV wird die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angesprochen, die zu erfolgen hat, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in Abs. 1 genannten Gründe entzogen ist oder zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder - ohne abhängig zu sein - weiterhin die in Abs. 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt. Hinsichtlich des Betäubungsmittels Cannabis kann schließlich nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn eine gelegentliche Einnahme dieses Betäubungsmittels vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung des Betroffenen begründen.

Aus diesen in § 14 FeV enthaltenen Regelungen wird deutlich, dass sowohl hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen wie auch hinsichtlich der Entscheidung über die Rechtsfolgen in differenzierender Weise die Anordnung von einerseits ärztlichen und andererseits medizinisch-psychologischen Gutachten bei Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel und sonstige psychoaktiv wirkende Stoffe angesprochen werden. Bei angenommener Abhängigkeit, Einnahme oder Besitz von Betäubungsmitteln ist ein ärztliches Gutachten beizubringen. Liegt dagegen eine gelegentliche Einnahme von Cannabis vor, kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, sofern nicht nur wegen des gelegentlichen Konsums von Cannabis, sondern auch wegen weiterer Tatsachen Eignungszweifel begründet sind. Diese hinsichtlich des gelegentlichen Konsums von Cannabis einerseits und sonstigen Betäubungsmitteln andererseits differenzierenden Regelungen sind getroffen worden, weil auch bei einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis regelmäßig gleichwohl von einer Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen ist (Amtliche Begründung zur FeV, BRDRS 443/98, Seite 261) und angesichts des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs, der mit der Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verbunden ist, weitere für einen Eignungsmangel sprechende Tatsachen vorliegen müssen (BVerfG, Beschl. v. 24.6.1993, NZV 1993, 413 (415)).




Kann demnach nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wegen des Konsums von Cannabis angeordnet werden, wenn zum einen dieser Konsum gelegentlich erfolgt und des Weiteren auf Grund darüber hinausgehender Tatsachen Eignungszweifel begründet sind, folgt daraus, dass wegen eines einmaligen Konsums von Cannabis eine solche Anordnung ebenso wenig möglich ist wie auch bei Fehlen sonstiger Eignungszweifel bei einem gelegentlichen Konsum von Cannabis. Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV. Zwar ist danach die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung, ob der Betroffene von den in § 14 Abs. 1 FeV genannten Mitteln abhängig ist oder diese weiterhin einnimmt, anzuordnen. Aus dieser Regelung folgt allerdings nicht, dass zur Klärung der Fragen, ob ein Betroffener Cannabis einnimmt und Eignungszweifel begründende Tatsachen vorliegen, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden kann. Ungeachtet dessen, dass sich insoweit die Frage erheben könnte, ob diese Regelung ohnehin nur Anwendung bei der Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis und damit nicht - wie hier in Rede stehend - bei der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis findet (siehe dazu: OVG Bremen, Beschl. v. 8.9.2000, NJW 2000, 2438 (2439)), hätte eine solche Auslegung nämlich zur Folge, dass schon zur Klärung, ob ein einmaliger oder gelegentlicher Konsum von Cannabis vorliegt, die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zulässig wäre. Dies stünde jedoch in Widerspruch zur Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV, wonach selbst bei einem festgestellten einmaligen Konsum dieses Betäubungsmittels eine solche Anordnung nicht möglich ist und auch bei einer festgestellten gelegentlichen Einnahme von Cannabis die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nur dann rechtmäßig ist, wenn zum einen wegen weiterer Tatsachen Eignungszweifel begründet sind und des Weiteren die Anordnung sich durch rechtmäßige Ermessenserwägungen rechtfertigt. Es spricht daher viel dafür, dass jedenfalls bei einem nicht festgestellten regelmäßigen Konsum von Cannabis die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nur angeordnet werden darf, wenn die in § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV genannten Voraussetzungen vorliegen.

Demzufolge ist hier mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die in Rede stehende Anordnung rechtswidrig ist. Zweifelhaft ist hier bereits, ob der Antragsteller i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV gelegentlich Cannabis einnimmt. Der genannten Regelung, wonach Voraussetzung ist, dass die "gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt", dürfte zu entnehmen sein, dass jedenfalls im Zeitpunkt des Ergehens der Anordnung ein Sachverhalt gegeben sein muss, auf Grund dessen sich die Feststellung rechtfertigt, dass eine gelegentliche Einnahme dieses Betäubungsmittels vorliegt. Umgekehrt hätte dies zur Folge, dass ein Betroffener, der zwar früher Cannabis eingenommen, aber diese Praxis bereits beendet hat, zwar gelegentlicher Konsument von Cannabis war, jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr ist. Hier spricht viel dafür, dass im Zeitpunkt des Ergehens der Anordnung der Antragsgegnerin zur Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens kein Sachverhalt vorlag, der die Feststellung einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis gerechtfertigt hat.


...

Bei dieser Sachlage dürfte aber kein Sachverhalt vorgelegen haben, auf Grund dessen die Feststellung veranlasst gewesen sein könnte, dass der Antragsteller i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV Cannabis konsumiert. Im fachärztlichen Gutachten wird insoweit ausgeführt, dass der Antragsteller zwar im Jahre 1998 Betäubungsmittel eingenommen, die Untersuchung im Mai 2000 jedoch keine Hinweise erbracht habe, die für einen gegenwärtigen Konsum von Betäubungsmitteln sprechen könnten. Wenn aber das Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass ein Betroffener zwar vor mehreren Jahren Cannabis konsumiert habe, Hinweise für einen gegenwärtigen Konsum von Cannabis jedoch nicht vorlägen, liegt kein Sachverhalt vor, auf Grund dessen die Feststellung gerechtfertigt sein könnte, dass eine gelegentliche Einnahme von Cannabis i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV vorliegt. Des Weiteren liegen nach den Feststellungen des genannten Gutachtens auch keine die Eignungszweifel begründenden Tatsachen im Sinne dieser Regelung vor. In dem Gutachten wird festgestellt, dass weder im sinnesphysiologischen noch neurologischen Bereich Normabweichungen bei dem Antragsteller hätten festgestellt werden können und sich keine Hinweise ergeben hätten, die dessen Kraftfahreignung in Zweifel ziehen könnten. Solche Eignungszweifel begründenden Tatsachen liegen auch nicht deshalb vor, weil in dem Gutachten abschließend ausgeführt wird, dass sich "persönlichkeitsabhängige Störungen" des Antragstellers andeuteten. Denn hierzu wird weiter ausgeführt, dass diese Störungen "möglicherweise als Folge erheblicher Defizite der Persönlichkeit ... nicht ausgeschlossen" werden könnten, wobei dies "allerdings der ärztlichen Methodik nur begrenzt zugänglich" sei. Damit wird zwar die Vermutung angestellt, dass persönlichkeitsabhängige Störungen des Antragstellers nicht ausgeschlossen werden könnten, zugleich aber ausgeführt, dass dies durch die fachärztliche Untersuchung nicht umfassend geprüft werden könne. Eine solche geäußerte und mittels der ärztlichen Methodik nicht verifizierbare bloße Vermutung ist jedoch keine Tatsache, auf Grund derer Eignungszweifel i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV begründet sein könnten.



Da somit die Voraussetzungen für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nicht vorgelegen haben dürften, konnte die Antragsgegnerin wegen der Weigerung des Antragstellers, dieses Gutachten beizubringen, auch nicht auf dessen Nichteignung schließen, weshalb aus diesem Grund mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von einer Nichteignung des Antragstellers i.S.d. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ausgegangen werden konnte. Da der Bescheid über die Entziehung der Fahrerlaubnis somit rechtswidrig sein dürfte, ist dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers der Vorrang gegenüber dem von der Antragsgegnerin angenommenen sofortigen Vollziehungsinteresse einzuräumen und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen und - hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung - anzuordnen. ..."

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