Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Ansbach Beschluss vom 14.03.2006 - AN 10 S 06.00737 - Es entspricht gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass bei festgestellten THC-COOH-Konzentrationen zwischen 5 und 75 ng/ml wenigstens gelegentlicher Cannabiskonsum und bei einer THC-COOH-Konzentration von als 75 ng/ml von regelmäßigem Cannabiskonsum auszugehen ist

VG Ansbach v. 14.03.2006: Es entspricht gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass bei festgestellten THC-COOH-Konzentrationen zwischen 5 und 75 ng/ml wenigstens gelegentlicher Cannabiskonsum und bei einer THC-COOH-Konzentration von als 75 ng/ml von regelmäßigem Cannabiskonsum auszugehen ist.




Das Verwaltungsgericht Ansbach (Beschluss vom 14.03.2006 - AN 10 S 06.00737) hat entschieden:

   Nach den Forschungen von Daldrup entspricht es gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass bei festgestellten THC-COOH-Konzentrationen zwischen 5 und 75 ng/ml wenigstens gelegentlicher Cannabiskonsum und bei einer THC-COOH-Konzentration von als 75 ng/ml (bzw. von 150 ng/ml bei zeitlich konsumnaher Blutentnahme) von regelmäßigem Cannabiskonsum mit der Folge der sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis auszugehen ist. Bezüglich des Problems des regelmäßigen Konsums werden die Ergebnisse von Daldrup durch die Forschungen von Alderjan nicht in Frage gestellt.

Siehe auch
THC-COOH-Wert und Cannabis-Konsumformen
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Dem am ... geborenen Antragsteller wurde im Dezember 2004 die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt.

Am 8. November 2005 wurde der Antragsteller als Führer eines Kraftfahrzeuges einer Polizeikontrolle unterzogen. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens nach § 24 a Abs. 2 StVG wurde eine Blutprobe entnommen. Diese enthielt gemäß dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität ... vom 27. Dezember 2005 THC in einer Konzentration von 38 ng/ml und THC-Carbonsäure in einer Konzentration von 177 ng/ml.

Mit Bescheid vom 7. Februar 2006 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis mit Sofortvollzug entzogen. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein und beantragte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.

Der Antrag blieb erfolglos.





Aus den Entscheidungsgründen:

"... Nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung ist eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Fahrerlaubnisinhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies ist u. a. der Fall, wenn in der Person des Fahrerlaubnisinhabers Mängel nach Anlage 4 zur FeV vorliegen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV).

...

Nach Ziffer 9.2 der Anlage 4 bzw. 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung (6. Auflage, Februar 2000) ist u.a. derjenige nicht in der Lage den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden und damit ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer regelmäßig Cannabis einnimmt oder Cannabis gelegentlich konsumiert und den Konsum und das Fahren nicht trennen kann, zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe gebraucht oder bei einer Störung der Persönlichkeit oder bei einem Kontrollverlust.

Ein solcher die Fahreignung ausschließender Konsum von Cannabis steht vorliegend aufgrund der Ergebnisse des chemisch-toxikologischen Gutachtens vom 27. Dezember 2005, das der Antragsteller nicht durchgreifend in Zweifel ziehen kann, fest.

In § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV in Verbindung mit der Anlage 4 zur FeV hat der Verordnungsgeber eine Bewertung der Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen auf die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorgenommen, indem er die auf wissenschaftlicher Grundlage gewonnenen und bereits im Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr“ zusammengefassten Erkenntnisse in die Fahrerlaubnisverordnung integriert und damit normativ als für den Regelfall zutreffend gekennzeichnet hat. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV in Verbindung mit Ziffer 9.2 der Anlage 4 zur FeV beinhaltet daher den Erfahrungssatz, dass schon die regelmäßige Einnahme von Cannabis oder eine gelegentliche Einnahme, wenn der Konsum von Cannabis und das Fahren von Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr nicht getrennt werden kann, regelmäßig die Fahreignung ausschließt. An diese normative Wertung sind die Behörden und die Gerichte gebunden, so lange im Einzelfall keine Umstände vorliegen, welche ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen, die Regelannahme also entkräften könnten (vgl. dazu: OVG Koblenz, Urteil vom 23.5.2000 - VRS 99, 238).




Zwar wird weder in der Fahrerlaubnisverordnung noch in der Anlage 4 zu dieser Vorschrift definiert, wann ein gelegentlicher Konsum von Cannabis vorliegt. Die obergerichtliche Rechtsprechung und das erkennende Gericht orientierten sich bisher hierzu jedoch an den als gesichert geltenden wissenschaftlichen Erkenntnissen von Daldrup u. a. (Blutalkohol Vol. 37/2000, S. 43, 44), wonach bei festgestellten THC-COOH (Carbonsäure-) Konzentrationen zwischen 5 und 75 ng/ml wenigstens gelegentlicher Cannabiskonsum vorliegt und bei einer THC-COOH-Konzentration von mehr als 75 ng/ml (bzw. von 150 ng/ml bei zeitlich konsumnaher Blutentnahme) von regelmäßigem Cannabiskonsum ausgegangen werden kann.

Auf Grund der beim Antragsteller festgestellten THC-Carbonsäure-Konzentration von 177 ng/ml (chemisch-toxikologisches Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität ... vom 27.12.2005) konnte die Behörde - wie im Bescheid vom 7. Februar 2006 ausgeführt - daher grundsätzlich davon ausgehen, dass der Antragsteller zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert hat.

Zwar werden die genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse von Daldrup auf Grund des vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in einem anderen Verfahren eingeholten Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin im Universitätsklinikum Heidelberg, Prof. Dr. rer. nat. R. Aderjan vom 29. August 2005 maßgeblich in Zweifel gezogen.

Diesem Gutachten kann jedoch eine Einschränkung der oben genannten Aussagen von Daldrup nur insoweit entnommen werden, dass auch bei einer Verdoppelung des „unteren“ Wertes von 5 ng/ml (wegen konsumnaher Blutentnahme) dies nunmehr nicht mehr den sicheren Schluss zulässt, der Betroffene habe mehr als einmal vor der Kontrolle Cannabis konsumiert (dieses allerdings jedoch auch nicht ausgeschlossen werden kann).




Nach Ansicht des Gerichts stellt das Gutachten Aderjan die Erkenntnisse von Daldrup jedenfalls insoweit nicht in Frage, als es um die Aussagekraft von Werten von mehr als 150 ng/ml THC-COOH geht.

Daldrup geht davon aus, dass nach seinen Forschungen beim Vorliegen einer THC-COOH-Konzentration von mehr als 150 ng/ml ein regelmäßiger Konsum gesichert ist. Dieser Ansatz wird vom Gutachten Aderjan jedoch nicht in Frage gestellt, sondern lediglich die auf einer Rückrechnung unter Zugrundelegung bestimmter Halbwertzeiten beruhende Annahme von Daldrup, dass ein gelegentlicher Konsum (als eine Steigerung gegenüber einem einmaligen Konsum) dann ab einem Wert von 5,00 ng/ml THC-COOH anzunehmen sei. Das Gutachten Aderjan hat dem gegenüber nämlich lediglich die Annahme in Frage gestellt, dass ein Wert von sogar 10 ng/ml und mehr nicht auch durch einen einmaligen Cannabiskonsum erreicht werden könnte.

Um diese Fragestellung geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht.

Vorliegend hätte die Behörde deshalb (sogar) von einem nachgewiesenen regelmäßigen Cannabiskonsum ausgehen können. Die Nichteignung des Antragstellers würde dann schon nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV anzunehmen sein.

Die Entziehungsentscheidung der Antragsgegnerin ist aber selbst dann nicht zu beanstanden, wenn man nur von einem nachgewiesenen gelegentlichen Cannabiskonsum des Antragstellers ausginge, denn die dann weitere nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu fordernde Zusatztatsache, hier das fehlende Trennen von Konsum und Fahren, liegt ebenfalls vor:


Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung - welcher sich die Kammer angeschlossen hat - davon aus, dass ein fehlendes Trennungsvermögen dann vorliegt und auch nachgewiesen ist, wenn ein gelegentlicher Konsument von Cannabis ein Fahrzeug unter fahreignungsrelevantem Einfluss von Cannabis führt (vgl. BayVGH vom 11.11.2004 Az.: 11 CS 04.2348).

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht weiterhin in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Drogenfahrt im obigen Sinne, die bei Vorliegen der weiteren Voraussetzung gelegentlicher Cannabiseinnahme gemäß Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung ausschließt, dann vorliegt, wenn die bei dieser Fahrt im Blut des Betroffenen festgestellte THC-Konzentration 2,0 ng/ml überstieg (vgl. BayVGH vom 14.7.2004 Az. 11 CS 04.1513; vom 27.10.2004 Az. 11 CS 04.2840; vom 11.11.2004 Az. 11 CS 04.2348; zuletzt vom 21. Februar 2005 Az. 11 CS 04.3526).

Ob sich der Betroffene darüber hinaus objektiv in einem drogenbedingt fahruntüchtigen Zustand befunden oder sich subjektiv durch den Einfluss des konsumierten Cannabis beeinträchtigt gefühlt hat, ist dagegen nicht von Bedeutung (vgl. BayVGH vom 14.7.2004 Az. 11 CS 04.1513; zuletzt vom 21.2.2005, Az. 11 CS 04.3526).

Es ist - trotz der Behauptung des Antragstellers im Widerspruchsschreiben vom 22. Februar 2006, dass er keine Drogen nehme (gemeint wohl: Drogen nicht mehr nehme) - auch nichts ersichtlich dafür, dass der Antragsteller seine Eignung mittlerweile wiedererlangt haben könnte. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof - und ihm folgend dieses Gericht - geht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass eine wegen Betäubungsmittelkonsums verlorengegangene Eignung erst nach mindestens einjähriger, nachgewiesener Betäubungsmittelabstinenz, bei lediglich gelegentlicher Einnahme von Cannabis (in Verbindung mit fehlendem Trennungsvermögen) auch bei nachgewiesenem Übergang zu einem straßenverkehrsrechtlich zulässigen Gebrauch dieses Betäubungsmittels für die Dauer mindestens eines Jahres, wiedererlangt werden kann. Hinzu kommen muss eine Prognose, dass die Verhaltensänderung von Dauer ist, was sich nur bejahen lässt, wenn zu einer positiven Veränderung der körperlichen Befunde ein stabiler, tief greifender Einstellungswandel hinzutritt, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhalten bzw. die besonderen Voraussetzungen beachten wird, bei deren Erfüllung ein Konsument von Cannabis als fahrgeeignet angesehen werden kann. Um einen solchen inneren Wandel eruieren zu können, bedarf es - gegebenenfalls neben ärztlichen Feststellungen - einer psychologischen Bewertung (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend BayVGH vom 9.5.2005 11 CS 04.2526). Auch ein derartiges medizinisch-psychologisches Gutachten liegt (noch) nicht vor.



Mit den vom Antragsteller angebotenen ärztlichen Untersuchungen könnte somit allenfalls eine momentane Abstinenz nachgewiesen werden. Dies ist jedoch nach den obigen Ausführungen für die Wiedererlangung der Eignung nicht ausreichend. Somit kann im Gegensatz zum Antragsvorbringen nicht davon gesprochen werden, dass das Vorgehen der Antragsgegnerin unverhältnismäßig sei.

Die Antragsgegnerin durfte daher von der erwiesenen Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen, so dass es gemäß § 11 Abs. 7 FeV der vorherigen Einholung eines Gutachtens nicht bedurfte und die Fahrerlaubnis gem. §§ 3 StVG, 46 FeV zwingend entzogen werden musste. Raum für eine Ermessensausübung, in deren Rahmen die Wichtigkeit des Führerscheins für den Antragsteller hätte berücksichtigt werden können, blieb daher nicht. Somit kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Antragsteller bei Belassung seiner Fahrerlaubnis nunmehr einen Arbeitsplatz finden könnte und kein Arbeitslosengeld mehr beziehen müsste.

...

Auch wenn man den Vortrag des Antragstellers dahingehend interpretierte, dass er seit dem Vorfall vom 8. November 2005 keine Betäubungsmittel mehr konsumiert haben will und man dies zudem zu seinen Gunsten unterstellte, wäre auch im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzugs der seit dem letzten Konsum verstrichene Zeitraum nicht geeignet, ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug zu verneinen. Das öffentliche Interesse daran, einem ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis mit sofortiger Wirkung zu entziehen, entfällt selbst dann nicht, wenn der Betroffene (lediglich) behauptet, nicht mehr zu konsumieren, da - wie oben bereits dargelegt - bis zum Vorliegen einer fundierten Prognose über das weitere Verhalten des Antragstellers weiterhin von dessen Nichteignung ausgegangen werden muss. ..."

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