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Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 14.02.2006 - 11 CS 05.1210 - Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlenden Trennvermögens bei Gelegenheitskonsum bleibt bestehen, auch wenn sie bezogen auf den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung rechtswidrig war

VGH München v. 14.02.2006: Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlenden Trennvermögens bei Gelegenheitskonsum bleibt bestehen, auch wenn sie bezogen auf den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung rechtswidrig war




Der VGH München (Beschluss vom 14.02.2006 - 11 CS 05.1210) hat entschieden:

   Bei § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG handelt es sich um eine Verfahrensvorschrift. Verstöße gegen rein verfahrensrechtliche Bestimmungen sind gemäß Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich, wenn der Verwaltungsakt nicht gemäß Art. 44 BayVwVfG nichtig ist und die Entscheidung in der Sache durch den Fehler nicht beeinflusst worden ist. Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlenden Trennvermögens bei Gelegenheitskonsum bleibt daher bestehen, auch wenn sie bezogen auf den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung im Hinblick auf den Verfahrensfehler rechtswidrig war (4,5 ng/ml THC und 13,8 ng/ml THC-COOH).

Siehe auch
Nachweis von fehlendem Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme - auch durch den aktiven THC-Wert
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Anlässlich einer Polizeikontrolle am 31. Januar 2004 wurde festgestellt, dass der am 10. April 1971 geborene Antragsteller unter dem Einfluss von Cannabis im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug geführt hatte. Der Strafanzeige zufolge hatte er drogentypische Auffälligkeiten gezeigt und angegeben, etwa zwei Stunden zuvor in einer Diskothek einen Joint mitgeraucht zu haben. Der Antragsteller hat nach dem polizeilichen Bericht über die Feststellungen bei der Verkehrskontrolle zugegeben, hin und wieder einen Joint zu rauchen. Eine anschließende Blutentnahme ergab eine Konzentration von 4,5 ng/ml THC und 13,8 ng/ml THC-COOH.

Unter dem 25. Mai 2004 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung an. Mit Bescheid vom 12. Juli 2004, dem Antragsteller zugestellt am 15. Juli 2004, wurde ihm die 1991 erworbene Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 alter Einteilung entzogen (Nr. 1), es wurde angeordnet, dass der Antragsteller seinen Führerschein spätestens drei Tage nach Zustellung des Bescheids bei der Fahrerlaubnisbehörde abzugeben hat (Nr. 2), die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 3) und unter Nr. 6 des Bescheides wurde für den Fall der Nichtablieferung des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von 250,- € angedroht. Die Antragsgegnerin stützte die Fahrerlaubnisentziehung auf Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV und § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV.




Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein.

Bereits am 14. Juli 2004 erhielt die Fahrerlaubnisbehörde eine Mitteilung nach Nr.45 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra), wonach gegen den Antragsteller wegen der Tat vom 31. Januar 2004 ein Strafbefehl nach §§ 316, 69, 69a StGB ergangen sei. Einem Telefax des Amtsgerichts München vom 16. Juli 2004 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller seinen Führerschein am 15. Juli 2004 beim 3. Polizeirevier Augsburg abgeliefert hat, wodurch sich der Vollzugsauftrag hinsichtlich des Beschlusses nach § 111a StPO erledigt habe.

Mit Urteil des Amtsgerichts vom 7. Oktober 2004, der Antragsgegnerin unter Hinweis auf die noch nicht eingetretene Rechtskraft am 26. November 2004 zugegangen, wurde der Antragsteller zunächst wegen einer Tat nach §§ 316, 69, 69a StGB zu einer Geldstrafe und einer Fahrerlaubnisentziehung mit 6-monatiger Sperrfrist verurteilt. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2004 legte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Rücknahme des Widerspruchs gegen die Fahrerlaubnisentziehung nahe, worauf der Antragstellerbevollmächtigte mitteilte, dass die Berufungsverhandlung im Strafverfahren für den 17. Februar 2005 terminiert sei und eine Rücknahme des Widerspruchs für den Antragsteller nicht in Betracht komme. Die Antragsgegnerin gab daraufhin den Vorgang mit Schreiben vom 10. Januar 2005 unter Nichtabhilfe an die Regierung von Schwaben als Widerspruchsbehörde weiter. Diese wies den Widerspruch bereits mit Bescheid vom 28. Januar 2005, dem Antragsteller zugestellt am 2. Februar 2005, zurück. Über die am 2. März 2005 gegen die Fahrerlaubnisentziehung erhobene Klage (Au 3 K 05.192) ist noch nicht entschieden worden.

Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2005 teilte der Antragstellerbevollmächtigte der Antragsgegnerin mit, dass in der Berufungsverhandlung die Verurteilung des Antragstellers nach § 316 StGB aufgehoben worden und dieser lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 800,- € und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden sei.

Am 24. März 2005 schließlich wurde bei dem Verwaltungsgericht Augsburg ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Der Vorwurf, dass der Antragsteller am 31. Januar 2004 fahruntüchtig gewesen sei, habe sich in dem Strafverfahren nicht bestätigt. Die Fahrerlaubnis sei zu Unrecht entzogen worden. Dem Verwaltungsgericht wurden Laborberichte vorgelegt, wonach Urinuntersuchungen keinen Nachweis für die aktuelle Einnahme von Cannabis erbracht hätten.

Die Antragsgegnerin trat dem mit Schreiben vom 31. März 2005 entgegen. Die Tatsache, dass gegen den Antragsteller nun doch nur ein Bußgeld verhängt worden sei, ändere nichts an der fahrerlaubnisrechtlichen Beurteilung. Die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit bestätige das fehlende Trennvermögen des Antragstellers als Gelegenheitskonsument von Cannabis. Insoweit werde auf § 3 Abs. 4 StVG verwiesen.

Mit Beschluss vom 21. April 2005, der Antragsgegnerin zugestellt am 26. April 2005, wurde die aufschiebende Wirkung der Klage vom 2. März 2005 gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 12. Juli 2004 wiederhergestellt und hinsichtlich der Nr. 6 des Bescheids angeordnet. Der Bescheid vom 12. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2005 sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten, da die Behörde § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG missachtet habe.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin war erfolgreich.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... a) Dem Urteil des BVerwG vom 27. September 1995 (BVerwGE 99, 249 ff), das auch vom Verwaltungsgericht Augsburg in dem angegriffenen Beschluss zitiert wird, schließt sich der erkennende Senat an. Für den Bereich der Fahrerlaubnisentziehungen wird daran festgehalten, dass es auf die Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt. Zeitlich danach liegende Umstände - etwa die nachträgliche Vorlage eines für den Betroffenen günstigen Sachverständigengutachtens - sind nicht für die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung maßgebend, sondern können sich ggf. erst in einem Verfahren auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis auswirken. Der Entscheidung des BVerwG (a.a.O.) lag eine andere Fallkonstellation als vorliegend zugrunde. Der Kläger hatte mit einer BAK von 2,32 Promille auf einem Fahrrad am Straßenverkehr teilgenommen und wurde deshalb mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl nach § 316 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Erst danach hatte die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnisentziehung betrieben. Das BVerwG hat hierzu entschieden, dass die Straßenverkehrsbehörde berechtigt war, in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob dem Kläger die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlte, da der Strafrichter nicht im Rahmen des § 69 StGB die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beurteilt hatte, und die Verwaltungsbehörde dementsprechend nicht nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 StVG a.F. an seine Feststellungen gebunden war. Das in dieser Entscheidung vom BVerwG gefundene Ergebnis ist nach den vom BVerwG für die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts entwickelten allgemeinen Grundsätzen auf den zu entscheidenden Fall übertragbar. Nach der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. Urteil vom 27.4.1990, NVwZ 1991, 360 f) gibt § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Frage des richtigen Zeitpunkts zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts nur den prozessrechtlichen Rahmen. Aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgt, dass ein Kläger im verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit auch bei Anfechtungsklagen nur Erfolg haben kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts hat. Ob aber ein solcher Anspruch besteht, d.h. ob ein belastender Verwaltungsakt den Kläger i.S. des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtswidrig in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (stRspr des BVerwG; vgl. Urteil vom 31.3.2004, BVerwGE 120, 246 ff m.w.N.). Den hiernach maßgeblichen Bestimmungen des materiellen Fahrerlaubnisrechts sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass Änderungen der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung zu berücksichtigen wären.

b) § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG als Vorschrift über das behördliche Verfahren ohne materiell-rechtlichen Charakter ändert nichts am maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung. Er bestimmt, dass die Fahrerlaubnisbehörde, solange gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt, den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen darf. Damit wird dem Strafverfahren der Vorrang eingeräumt, um widersprüchliche Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörden und Strafgerichten zu vermeiden. Die Vermeidung einer doppelten Ahndung desselben Sachverhalts ist dagegen nicht Sinn und Zweck der Bestimmung, denn die repressive Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 61 StGB) und als solche Teil der Ahndung einer Straftat. Die sicherheitsrechtliche Fahrerlaubnisentziehung durch die Verwaltungsbehörde gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV ist dagegen eine präventive Maßnahme zum künftigen Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und hat, wenn sie im Einzelfall auch einschneidende Folgen für die Lebensführung des Betroffenen haben mag, keinen strafenden Charakter im rechtlichen Sinne.

§ 3 Abs. 3 Satz 1 StVG sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung nicht auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommen soll, sondern Änderungen der Sach- und Rechtslage bis zur Entscheidung des Gerichts in einem Anfechtungsverfahren berücksichtigungsfähig sein sollen. Auch der Gesichtspunkt der Prozessökonomie führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar könnte die Fahrerlaubnisbehörde, wenn die verfrühte Fahrerlaubnisentziehung im Anfechtungsprozess aufgehoben würde, sie möglicherweise erneut erlassen, mit der Folge, dass der Rechtsweg aufs Neue eröffnet wäre. Dieses Risiko kann aber im Hinblick darauf hingenommen werden, dass sich an das Fahrerlaubnisentziehungsverfahren in der Regel ein Wiedererteilungsverfahren anschließt und der Prüfungsumfang in beiden Verfahren sich inhaltlich zumindest teilweise deckt. So ist nach der Rechtsprechung des Senats (BayVGH vom 9.5.2005 Az. 11 CS 04.2526, VRS 109, 64ff) bereits im Rahmen des Entziehungsverfahrens zu berücksichtigen, ob etwa nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV wegen einjähriger Abstinenz bereits eine Wiedererteilung in Betracht käme. Wird nun die im Sinne von § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG verfrühte Fahrerlaubnisentziehung aufgehoben, erhält die Fahrerlaubnisbehörde vor dem wiederholten Erlass einer Entziehungsverfügung die Gelegenheit, die im Wiedererteilungsverfahren zu prüfenden Umstände zu berücksichtigen. Möglicherweise kommt es dann gar nicht zu der wiederholten Fahrerlaubnisentziehung und somit auch zu keinem erneuten Verwaltungsprozess, weil bereits die Voraussetzungen für eine Wiedererteilung vorliegen. Umgekehrt könnte trotz Abstellens auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bezüglich des Entziehungsverfahrens die Klärung der Fahreignung des Betroffenen im nachfolgenden Wiedererteilungsverfahren einen erneuten Verwaltungsprozess zur Folge haben. Auch die Prozessökonomie zwingt also nicht dazu, auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung abzustellen.


2. Die streitgegenständliche Fahrerlaubnisentziehung war im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung wegen eines Verstoßes gegen § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG rechtswidrig. Eine Aufhebung muss jedoch gemäß Art. 46 BayVwVfG unterbleiben, da die Verletzung der Verfahrensvorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

a) Der Antragsteller hat eingeräumt, gelegentlich Cannabis konsumiert zu haben, und hat mit einer nachgewiesenen THC-Konzentration von 4,5 ng/ml im Blut ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt. Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist deshalb die Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich zu Recht davon ausgegangen, dass er fahrungeeignet ist, weil er zwischen der Einnahme von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs nicht getrennt hat. Für den Verlust der Fahreignung wegen Verstoßes gegen das Trennungsgebot ist entscheidend, ob ein gelegentlicher Konsument von Cannabis objektiv unter dem Einfluss einer THC-Konzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der davon ausgegangen werden muss, dass sich das Risiko einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit durch negative Auswirkungen des Konsums auf den Betroffenen signifikant erhöht (BayVGH vom 25.1.2006, Az. 11 CS 05.1711). Jedenfalls bei einer THC-Konzentration, wie sie bei dem Antragsteller gemessen wurde, ist nach der Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, dass ein solches signifikantes Risiko einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit durch drogentypische Ausfallerscheinungen besteht und deshalb von mangelnder Fahreignung ausgegangen werden muss (vgl. zuletzt Beschluss vom 25.1.2006, a.a.O.) Darauf, ob sich im konkreten Fall nachweislich solche Ausfallerscheinungen gezeigt haben, kommt es im Rahmen von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ebenso wenig entscheidend an wie auf die subjektive Wahrnehmung des Betroffenen von seiner eigenen Leistungsfähigkeit bzw. Fahrtüchtigkeit. Ein Verfahren zur sicherheitsrechtlichen Fahrerlaubnisentziehung zum Schutz der Verkehrssicherheit durfte somit gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV grundsätzlich eingeleitet werden (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflage 2005, RdNr. 18 zu § 3 StVG), weil sich der Antragsteller durch sein Verhalten dem Anschein nach als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hatte.

Zwar ist nach der Rechtsprechung des Senats (BayVGH vom 9.5.2005 Az. 11 CS 04.2526, VRS 109, 64ff) bereits im Rahmen des Entziehungsverfahrens zu berücksichtigen, ob etwa nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV wegen einjähriger Abstinenz bereits eine Wiedererteilung in Betracht käme. Dies war hier aber nicht der Fall. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchentscheidung lagen der Regierung von Schwaben nur zwei insoweit nicht aussagekräftige Laborbefunde über Urinproben des Antragstellers vom 5. Juli und 7. September 2004 vor, wonach attestiert wird, dass es keinen Anhalt für derzeitigen Cannabiskonsum des Antragstellers gebe (Bl. 5 f der Widerspruchsakte). Über die Umstände der Untersuchung lässt sich den Laborberichten nichts entnehmen, insbesondere geht aus ihnen nicht hervor, ob die Urinproben zu für den Antragsteller nicht vorhersehbaren Zeitpunkten gewonnen wurden. Nur wenn dies der Fall wäre, könnte ihnen aber überhaupt eine Aussagekraft beigemessen werden. Zudem geben Urinuntersuchungen lediglich über einen Cannabiskonsum in den letzten Tagen bis höchstens zwei Wochen davor Aufschluss (Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr RdNr. 148 zu § 3). Die zwei hier vorgelegten Laborberichte sind schon deshalb nicht geeignet, Cannabisabstinenz über einen Zeitraum von einem Jahr zu belegen.




b) § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG greift vorliegend ein. Zwar war ausweislich der Akten ursprünglich in Betracht gezogen worden, die Fahrt des Antragstellers vom 31. Januar 2004 unter Cannabiseinfluss lediglich als Ordnungswidrigkeit in einem Bußgeldverfahren zu ahnden. Der Bußgeldbescheid ist aber offenkundig nicht über das Entwurfsstadium hinausgelangt. Vielmehr wurde ein Strafverfahren nach §§ 316, 69, 69a StGB gegen den Antragsteller eingeleitet, welches auch zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids, am 28. Januar 2005, noch als Strafverfahren anhängig war. Erst in der Berufungsverhandlung am 17. Februar 2005 wurde entschieden, dass die Tat des Antragstellers nur als Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2 StVG zu ahnden sei (§ 82 OWiG). Diese Entscheidung wurde nach Aktenlage am 25. Februar 2005 rechtskräftig. Als der Widerspruchsbescheid erlassen wurde, konnte die Regierung von Schwaben somit nicht wissen, ob es bei der Verurteilung des Antragstellers nach §§ 316, 69, 69a StGB bleiben würde. Auch waren vorliegend im Strafverfahren und im Verwaltungsverfahren identische Sachverhalte zu beurteilen. Sachverhalt ist in diesem Zusammenhang nicht nur die Tat im Sinne des materiellen Strafrechts, sondern der gesamte Vorgang, auf den sich die Untersuchung erstreckt (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflage 2005, RdNr. 17 zu § 3 StVG). Ob die rechtliche Bewertung dieses tatsächlichen Vorgangs durch das Strafgericht und die Verwaltungsbehörde an die gleichen Voraussetzungen gebunden ist, spielt dabei entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin keine entscheidende Rolle. Sowohl das strafgerichtliche wie auch das Verfahren der Fahrerlaubnisbehörde hatten die Autofahrt des Antragstellers am 31. Januar 2004 mit einer Konzentration von 4,5 ng/ml THC im Blut und damit den identischen Sachverhalt zum Gegenstand.

Wegen eines Verstoßes gegen § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG ist somit die Fahrerlaubnisentziehung vom 12. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2005 rechtswidrig erfolgt.

c) Nach Art. 46 BayVwVfG unterbleibt ungeachtet der Rechtswidrigkeit der Fahrerlaubnisentziehung jedoch deren Aufhebung, da sie von der Behörde sofort in fehlerfreier Weise erneut erlassen werden könnte (vgl. Kopp, VwVfG 9. Auflage 2005, RdNr. 42 zu § 46 VwVfG m.w.N.).

aa) Bei § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG handelt es sich um eine Verfahrensvorschrift. Die Absätze 3 und 4 des § 3 StVG sind hierbei im Zusammenhang zu sehen. § 3 Abs. 4 StVG als materiell-rechtliche Regelung normiert die inhaltliche Bindung der Fahrerlaubnisbehörde im Entziehungsverfahren an Entscheidungen im Straf- und Bußgeldverfahren. Würde bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Straf- oder Bußgeldverfahrens eine behördliche Fahrerlaubnisentziehung erfolgen, wäre nicht sichergestellt, dass sich diese Bindungswirkung praktisch durchsetzt. Um der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen im Rahmen von Ahndung und behördlicher Fahrerlaubnisentziehung entgegenzuwirken, bestimmt § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG, dass die Fahrerlaubnisbehörde erst dann entscheiden darf, wenn ein Strafverfahren abgeschlossen ist, bei dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB inmitten steht. § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG dient daher mit seinem Sinn und Zweck widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern der Durchsetzung des materiellen Rechts, stellt aber selbst keine materiell-rechtliche Vorschrift dar.

bb) Verstöße gegen rein verfahrensrechtliche Bestimmungen sind gemäß Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich, wenn der Verwaltungsakt nicht gemäß Art. 44 BayVwVfG nichtig ist und die Entscheidung in der Sache durch den Fehler nicht beeinflusst worden ist.



Eine Nichtigkeit der Fahrerlaubnisentziehung gemäß Art 44 BayVwVfG ist hier nicht gegeben. In Betracht käme nur die Nichtigkeit nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG, dessen Voraussetzungen sind aber vorliegend nicht erfüllt. Nach der Evidenztheorie (BVerwG 35, 343; 70, 43), die ihren Rückhalt im Gesetzeswortlaut findet, kommt es auf die Schwere und Offenkundigkeit des Fehlers an. Besonders schwerwiegende Fehler, die zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes führen, sind danach solche, die in einem so schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrunde liegenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft stehen, dass es unerträglich wäre, wenn der Verwaltungsakt die mit ihm intendierten Rechtswirkungen hätte (vgl. Kopp, VwVfG 9. Auflage 2005, RdNr. 8 zu § 44 m.w.N. zur Rechtsprechung). Es muss sich grundsätzlich um Fehler handeln, die denen in Art. 44 Abs. 2 BayVwVfG in Tragweite und Schwere vergleichbar sind (vgl. Gesetzesbegründung zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 44 VwVfG des Bundes, BT-Drs. 7/910, S. 64). Die vorliegend im Sinne von § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG verfrühte Entscheidung im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren stellt keinen Fehler dar, der der Entscheidung einer absolut sachlich unzuständigen Behörde oder einer offensichtlichen Gefälligkeitsentscheidung vergleichbar wäre. Eine Nichtigkeit nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG kommt nicht in Betracht.

Gemäß Art. 46 BayVwVfG ist der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 StVG unbeachtlich, da der Fehler sich nicht auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Es konnte nicht zu widersprüchlichen Entscheidungen im Straf- und im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren kommen, da der Antragsteller in der strafgerichtlichen Berufungsinstanz schließlich nur wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG mit einem Bußgeld belegt wurde und eine Entscheidung nach § 69 StGB ganz unterblieben ist. Diese Entscheidung wurde am 25. Februar 2005 rechtskräftig. Die streitgegenständliche Fahrerlaubnisentziehung wäre somit bei Beachtung von § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG ebenso ergangen.

3. Nach alldem war der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. ..."

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