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OLG München Beschluss vom 13.03.2006 - 4St RR 199/05 - Der analytische Grenzwert, ab dem sicher mit einer Einschränkung der Fahrtüchtigkeit zu rechnen ist, beträgt für Amphetamin 25 ng/ml

OLG München v. 13.03.2006: Der analytische Grenzwert, ab dem sicher mit einer Einschränkung der Fahrtüchtigkeit zu rechnen ist, beträgt für Amphetamin 25 ng/ml




Das OLG München (Beschluss vom 13.03.2006 - 4St RR 199/05) hat entschieden:

  1.  Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine Verurteilung nach § 24a Abs. 2 StVG nur dann in Betracht kommt, wenn eine Konzentration des Rauschmittels festgestellt wird, die es möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war, ist auch auf Amphetamin anzuwenden.

  2.  Eine Ahndung nach § 24a Abs. 2 StVG setzt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht voraus, dass bestimmte Grenzwerte erreicht werden.

  3.  Der analytische Grenzwert, ab dem sicher mit dem Auftreten von Ausfallerscheinungen, also mit einer Einschränkung der Fahrtüchtigkeit im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen ist, beträgt für Amphetamin 25 ng/ml.

  4.  Wird dieser Grenzwert nicht erreicht, kommt eine Verurteilung nach § 24a Abs. 2 StVG nur in Betracht, wenn Umstände festgestellt werden, aus denen sich ergibt, dass die Fahrtüchtigkeit des Angeklagten trotz der verhältnismäßig niedrigen Betäubungsmittelkonzentration zwar nicht aufgehoben, aber doch eingeschränkt war.


Siehe auch
Amphetamine - Speed - Crystal - Meth - im Fahrerlaubnisrecht
und
Stichwörter zum Thema Drogen

Zum Sachverhalt:


Mit Strafbefehl verhängte das Amtsgericht gegen den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe. Dem Angeklagten wurde die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein wurde eingezogen. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihm vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Auf seinen Einspruch hin verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit des Fahrens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24a StVG genannten Mittels zur Geldbuße von 250 €; außerdem wurde ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Dem Urteil liegen u.a. folgende Feststellungen zugrunde:

   Der Angeklagte führte am 23.5.2004 gegen 4.05 Uhr seinen Pkw auf öffentlichem Verkehrsgrund in M., obwohl er unter der Wirkung eines der in der Anlage zu § 24a StVG genannten berauschenden Mittel stand, was er bei Anwendung der erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen können. Bei der Untersuchung einer dem Angeklagten am 23.5.2004 um 4.52 Uhr entnommenen Blutprobe wurden 5,0 µg/l THC-Carbonsäure und 0,01 mg/l Amphetamin festgestellt.

Mit der Revision rügte der Verteidiger die Verletzung materiellen Rechts. Auf die im Blut nachgewiesene THC-Carbonsäure könne eine Verurteilung nicht gestützt werden, da dieser Stoff nicht in der Liste der berauschenden Substanzen gemäß § 24a Abs. 2 Satz 2 StVG enthalten sei. Auch der festgestellte Amphetaminwert trage eine Verurteilung nicht. Er liege unterhalb des von der Grenzwertkommission bestimmten analytischen Grenzwerts und sei daher nicht geeignet, die Fahrtüchtigkeit zu beeinträchtigen. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels kann zum einen eine Straftat nach § 316 StGB und zum anderen eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG darstellen.

1. Die Strafbarkeit nach § 316 StGB setzt voraus, dass sich der Täter zum Tatzeitpunkt in einem Zustand befindet, in welchem er nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. § 316 StGB sanktioniert als abstraktes Gefährdungsdelikt die von fahruntüchtigen Fahrzeugführern ausgehende potentielle Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs (Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 316 Rn. 2, 3). Die Fahruntüchtigkeit muss beim Konsum von Betäubungsmitteln anhand konkreter Umstände durch eine umfassende Würdigung der Beweisanzeichen im Einzelfall nachgewiesen werden. Die so genannte absolute Fahruntüchtigkeit als Beweisregel, die keinen besonderen Nachweis verlangt, spielt ausschließlich im Zusammenhang mit der Wirkung von Alkohol (ab der Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰) eine Rolle. Für die Fahruntüchtigkeit infolge Betäubungsmittelkonsums ist in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor die Meinung vorherrschend, dass sich derzeit keine „absoluten“ Wirkstoffgrenzen festlegen lassen (Tröndle/Fischer § 316 Rn. 39 m.w.N.).

Eine Strafbarkeit nach § 316 StGB hat das Amtsgericht hier rechtsfehlerfrei verneint, da der Nachweis einer Fahruntüchtigkeit infolge Betäubungsmittelkonsums nicht zu führen war.

2. Demgegenüber setzt die Ahndung als Ordnungswidrigkeit entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung keine Fahruntüchtigkeit voraus. Auch insoweit handelt es sich um einen abstrakten Gefährdungstatbestand, wobei die Gefahr für den Straßenverkehr darin zu sehen ist, dass der Täter unter der Einwirkung bestimmter Rauschmittel fährt, die im konkreten Fall zwar keine Fahruntüchtigkeit bewirkt haben, aber gleichwohl geeignet sind, die Verkehrs- und Fahrsicherheit zu beeinträchtigen (Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 19. Aufl. § 24a StVG Rn. 5).




Auf die im Blut festgestellte Konzentration von THC-Carbonsäure kann die Verurteilung, wie die Revision zu Recht darlegt, nicht gestützt werden (OLG Zweibrücken NZV 2005, 430). In der Liste zu § 24a Abs. 2 StVG ist lediglich THC, nicht aber das inaktive Abbauprodukt THC-Carbonsäure aufgeführt. Die Wirkung von THC selbst konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Zwar führt das Amtsgericht die THC-Carbonsäure-Konzentration in den Sachverhaltsfeststellungen auf, die Ausführungen auf S. 6 und 7 des Urteils sprechen aber eher dafür, dass es der Verurteilung lediglich das Amphetamin zugrunde gelegt hat, das in einer Konzentration von 0,01 mg/l (= 10 ng/ml = 10 µg/l) nachgewiesen wurde. Dieser Befund reicht jedoch ohne weitere Feststellungen für eine Verurteilung nach § 24a Abs. 2 StVG nicht aus.

a) Zwar spricht § 24a Abs. 2 StVG, der zum 1.8.1998 eingeführt wurde, ein generelles Verbot aus und knüpft anders als § 24a Abs. 1 StVG für das Fahren unter Alkoholeinwirkung nicht an einen Grenzwert an. Dem lag die Überlegung des Gesetzgebers zugrunde, dass es einerseits mangels feststellbarer Dosis-Wirkungs-Beziehungen anders als beim Alkohol nicht möglich war, Grenzwerte festzulegen, und dass andererseits die berauschenden Mittel mit den damaligen Messmethoden nur wenige Stunden im Blut nachgewiesen werden konnten, daher bei einem positiven Befund grundsätzlich von einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Einnahme und Blutentnahme auszugehen war (BT-Drs. 13/3764 S. 4 f.). Da keine Diskrepanz zwischen Nachweis- und Wirkungsdauer erkennbar war, war jeder zuverlässige analytische Nachweis einer der in der Anlage zu § 24a StVG aufgeführten Substanzen unabhängig von der Höhe der Konzentration geeignet, eine Wirkung im Sinn des § 24a Abs. 2 StVG zu belegen (BayObLGSt 2003, 1/3 f.). Zwischenzeitlich haben sich die Messmethoden jedoch infolge des technischen Fortschritts fortentwickelt, so dass auch dann noch ein positiver Drogenbefund bei der Blutuntersuchung festgestellt werden kann, wenn der Konsum des Rauschmittels schon längere Zeit vor der Fahrt erfolgte und dementsprechend die Leistungsfähigkeit möglicherweise gar nicht mehr reduziert war (Bönke BA 2004, 4/6).

aa) Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidung vom 21.12.2004, NZV 2005, 270) ist daher § 24a Abs. 2 Sätze 1 und 2 StVG nur dann mit dem Grundrecht auf Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) vereinbar, wenn der Bußgeldtatbestand verfassungskonform ausgelegt wird. Mit Rücksicht auf die verbesserten Nachweismethoden kann danach nicht mehr jeder Nachweis einer Substanz im Blut eines Verkehrsteilnehmers für eine Verurteilung nach § 24a Abs. 2 StVG ausreichen. Festgestellt werden muss vielmehr eine Konzentration, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war. Zwar betrifft die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar nur den Wirkstoff THC. Da die Messmethoden jedoch allgemein und nicht nur im Hinblick auf THC verfeinert wurden (vgl. Bönke BA 2004, 4/6), ist die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung auch auf die hier zu beurteilende Substanz, das Amphetamin, anzuwenden (vgl. OLG Zweibrücken NZV 2005, 430; OLG Hamm NZV 2005, 428; OLG Köln NStZ-RR 2005, 385; Bönke NZV 2005, 272/273).


bb) Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass eine Ahndung nach § 24a Abs. 2 StVG nur noch dann in Betracht kommt, wenn bestimmte Grenzwerte erreicht sind. Weder setzt die genannte Entscheidung selbst solche Grenzwerte fest noch wird dem Normgeber ein entsprechender Gesetzgebungsauftrag erteilt. Aus ihr ergibt sich lediglich, dass nicht mehr jeder Nachweis eines berauschenden Mittels im Blut für eine Verurteilung ausreicht. Die in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren zu überprüfenden fachgerichtlichen Entscheidungen werden beanstandet, weil sie bei der Auslegung und Anwendung des § 24a Abs. 2 StVG „allein“ darauf abstellen, dass ein THC-Wert von weniger als 0,5 ng/ml festgestellt worden war, und nicht überprüft wurde, ob die Annahme des Gesetzgebers von der Identität der Wirkungs- und Nachweisgrenze für Rauschmittel der in Rede stehenden Art weiterhin zutrifft (BVerfG NZV 2005, 270/272).

Bei dem in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angesprochenen Grenzwert von 1 ng/ml für THC handelt es sich nicht um einen Wirkungsgrenzwert, sondern um einen analytischen Grenzwert, ab dem die untersuchenden medizinischen Labors einen sicheren Nachweis der Substanz im Blut gewährleisten können, also um einen Qualitätsstandard (Möller BA 2004, 16/17). Allerdings wird in der fachgerichtlichen Rechtsprechung teilweise davon ausgegangen, dass die von der Grenzwertkommission entwickelten analytischen Grenzwerte zugleich als Wirkungsgrenzwerte herangezogen werden können, dass also eine Wirkung im Sinn des § 24a Abs. 2 StVG nur angenommen werden kann, wenn der jeweilige analytische Grenzwert, der für Amphetamin 25 ng/ml beträgt, erreicht ist (vgl. OLG Zweibrücken NZV 2005, 430).

cc) Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Senat hat zu diesen Fragen ein Sachverständigengutachten eingeholt. Hieraus ergibt sich, dass ein unterer Gefahrenwert für Amphetamin derzeit nicht festgelegt werden kann. Der von der Grenzwertkommission empfohlene analytische Grenzwert von 25 ng/ml für Amphetamin ist nach den Darlegungen der Sachverständigen für die Feststellung einer Wirkung im Sinn des § 24a Abs. 2 StVG insoweit von Bedeutung, als ab diesem Wert sicher mit dem Auftreten von Ausfallerscheinungen, also mit einer Einschränkung der Fahrtüchtigkeit im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen ist. Wird der analytische Grenzwert von 25 ng/ml erreicht, so ist mit Sicherheit anzunehmen, dass der Proband unter der Wirkung von Amphetamin steht; Sicherheitszuschläge sind dabei nicht erforderlich. Nach dem eingeholten Gutachten bedeutet dies jedoch nicht, dass bei niedrigeren Werten eine Ahndung nach § 24a Abs. 2 StVG ausgeschlossen ist. Auch dann können nach den Darlegungen der Sachverständigen psycho-physische Ausfälle auftreten, die nicht mit dem sicheren Lenken eines Fahrzeugs zu vereinbaren sind.

Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. E. und Prof. Dr. von M. an. An der Sachkunde der Gutachter, die beide dem Institut für Rechtsmedizin der Universität M angehören, bestehen keine Zweifel.

b) Für die Beurteilung der angegriffenen amtsgerichtlichen Entscheidung ergibt sich aus den obigen Ausführungen Folgendes:



Das Amtsgericht hat die Ahndung nach § 24a Abs. 2 StVG darauf gestützt, dass beim Angeklagten eine Amphetaminkonzentration von 0,01 mg/l (= 10 ng/ml) festgestellt wurde. Diese liegt unter dem analytischen Grenzwert von 25 ng/ml und kann daher allein die Verurteilung nicht tragen. Zwar ist Fahruntüchtigkeit, wie bereits ausgeführt, nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 24a Abs. 2 StVG. Aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hätte das Amtsgericht jedoch Umstände feststellen müssen, aus denen sich ergibt, dass die Fahrtüchtigkeit des Angeklagten trotz der verhältnismäßig niedrigen Betäubungsmittelkonzentration zwar nicht aufgehoben, aber doch eingeschränkt war. Zwar werden in den Urteilsgründen bei der Wiedergabe der Aussage des Zeugen POM J. Auffälligkeiten erwähnt. So wird auf die glasigen, geröteten Augen, die Notwendigkeit, Anordnungen mehrfach zu wiederholen, und die Unsicherheit des Finger-Finger-Tests hingewiesen. Diese Umstände werden jedoch nur insoweit bewertet, als sie für die Annahme einer Fahruntüchtigkeit nicht als ausreichend angesehen werden. Ob sich hieraus oder aus sonstigen noch feststellbaren Auffälligkeiten trotz einer möglicherweise lange zurückliegenden Betäubungsmitteleinnahme Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 24a Abs. 2 StVG ergeben, hat das Amtsgericht nicht geprüft. Es wird dies im Rahmen der neuen Hauptverhandlung mit sachverständiger Hilfe zu beurteilen haben.

Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 GVG im Hinblick auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 13.4.2005 (NZV 2005, 430) ist nicht veranlasst. Zwar wird in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass für eine Ahndung gemäß § 24a Abs. 2 StVG im Hinblick auf Amphetamin zumindest der von der Grenzwertkommission empfohlene Wert von derzeit 25 ng/ml erreicht sein müsse. Diese Bewertung ist jedoch nicht entscheidungstragend, da im konkreten, vom Oberlandesgericht Zweibrücken zu beurteilenden Fall ein Amphetaminwert von mehr als 25 ng/ml nachgewiesen wurde. ..."

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