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OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 15.02.2008 - 1 S 186.07 - Der einmalige Konsum von Amphetamin rechtfertigt die Prognose, dass auch künftig harte Drogen konsumiert werden

OVG Berlin-Brandenburg v. 15.02.2008: Der einmalige Konsum von Amphetamin rechtfertigt die Prognose, dass auch künftig harte Drogen konsumiert werden




Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 15.02.2008 - 1 S 186.07) hat entschieden:

   Eine die Kraftfahreignung ausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV ist nicht schon stets dann erfüllt, wenn der Betroffene in der Vergangenheit einmalig nachweislich Betäubungsmittel eingenommen hat, sondern erst wenn zusätzlich die Prognose gerechtfertigt ist, dass sich der Drogenkonsum zukünftig wiederholen wird. Eine für die Vergangenheit nur einmalig nachgewiesene Einnahme von Betäubungsmitteln stellt jedoch nach der normativen Wertung des Verordnungsgebers für den Regelfall eine hinreichende Prognosegrundlage für einen künftigen eignungsausschließenden Drogenkonsum dar, ohne dass es der Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens bedarf.

Siehe auch
Fahreignung als Voraussetzung für die Erteilung bzw. Wiedererteilung oder Verlängerung einer Fahrerlaubnis
und
Stichwörter zum Thema Drogen


Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die gemäß §§ 146 Abs. 4, 147 VwGO zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung vom 24. September 2007, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen wurde, zu Unrecht stattgegeben. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wird sich die Entziehungsverfügung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.

Der Antragsgegner stützt die Entziehung der Fahrerlaubnis darauf, dass der Antragsteller am 10. April 2007 unter dem Einfluss von Amphetamin und Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat. Die chemisch-toxikologische Untersuchung der dem Antragsteller entnommenen Blutprobe ergab Konzentrationen von THC von 1,1 ng/ml, THC-Carbonsäure (THC-COOH) von 11 ng/ml sowie Amphetamin von 13 ng/ml. Das Verwaltungsgericht hält es demgegenüber für zweifelhaft, ob ein lediglich für die Vergangenheit nachgewiesener Konsum einer sog. harten Droge – hier: Amphetamin – ausreiche, um ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen die Fahrerlaubnis zu entziehen. Die angesichts dieser Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung vorzunehmende Interessenabwägung falle zugunsten des Antragstellers aus. Die Wertung des Gesetzgebers, der auf einen gesetzlichen Sofortvollzug verzichtet habe, dürfe nicht unterlaufen werden. Im Hinblick auf den Druck, den das Entziehungsverfahren auf den Antragsteller ausübe, sei nicht damit zu rechnen, dass er bis zu dessen Abschluss erneut unter Drogeneinfluss am Straßenverkehr teilnehme. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.




Das Beschwerdevorbringen, das der Senat für die Frage, ob die Begründung des angefochtenen Beschlusses dessen Ergebnis trägt, allein zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt es, den Beschluss zu ändern und die vom Antragsteller begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches abzulehnen. Der Antragsgegner wendet sich sowohl gegen die von der Vorinstanz vorgenommene Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung als auch gegen die Interessenabwägung. Im Einklang mit der nahezu einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung sei die Wertung des Verordnungsgebers in Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) dahingehend zu verstehen, dass bereits der einmalige Konsum von Betäubungsmitteln (außer Cannabis) die Kraftfahreignung im Regelfall ausschließe und folglich die Fahrerlaubnisentziehung rechtfertige, ohne dass es einer Begutachtung des Fahrerlaubnisinhabers bedürfe. Anhaltspunkte für die Annahme eines Ausnahmefalles bestünden nicht. Da der Antragsteller bereits einmal unter dem Einfluss von Drogen ein Kraftfahrzeug geführt habe, überwiege auch das Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs sein Aussetzungsinteresse.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis stellt sich nach der im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig dar. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel u.a. nach der Anlage 4 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Die Nichteignung muss im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung positiv festgestellt sein. Unter welchen Voraussetzungen der Konsum von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zur Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen führt, wird unter Ziffer 9 dieser Anlage 4 näher bestimmt. Während danach die gelegentliche Einnahme von Cannabis die Eignung insbesondere dann unberührt lässt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber zwischen dem Drogenkonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen kann (Ziffer 9.2.2), schließt die Einnahme anderer Betäubungsmittel – insbesondere auch Amphetamin (Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG) – die Eignung aus (Ziffer 9.1). Da die Frage nach der Kraftfahreignung eine prognostische Einschätzung künftigen Verhaltens darstellt, ist eine die Kraftfahreignung ausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV nicht schon stets dann erfüllt, wenn der Betroffene in der Vergangenheit einmalig nachweislich Betäubungsmittel eingenommen hat, sondern erst wenn zusätzlich die Prognose gerechtfertigt ist, dass sich der Drogenkonsum zukünftig wiederholen wird.




Eine für die Vergangenheit nur einmalig nachgewiesene Einnahme von Betäubungsmitteln stellt jedoch nach der normativen Wertung des Verordnungsgebers für den Regelfall eine hinreichende Prognosegrundlage für einen künftigen eignungsausschließenden Drogenkonsum dar, ohne dass es der Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens bedarf (vgl. § 11 Abs. 7 FeV). Ein demgegenüber von vornherein einschränkendes Verständnis der Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV unter Einbeziehung von Nr. 2 der Vorbemerkung in dem Sinne, dass die Eignungsbeurteilung regelmäßig eine Begutachtung voraussetzt (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 14. Januar 2002 – 2 TG 3008/01 –, juris), würde der für den Regelfall im Hinblick auf das besondere Gefährdungspotenzial „harter“ Drogen vorgenommenen normativen Wertung nicht gerecht (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 24. Januar 2007 – 3 Bs 300/06 –; VGH München, Beschluss vom 14. Februar 2006 – 11 ZB 05.1406 –; OVG Saarlouis, Beschluss vom 21. Dezember 2004 – 1 W 42/04 –; OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 22. Juli 2004 – 4 B 37/04 –; sämtlich juris). Ein Wertungswiderspruch zu den §§ 24a Abs. 2, 25 Abs. 1 Satz 2 StVG, wonach eine Rauschfahrt in der Regel mit einem Fahrverbot zu ahnden ist, besteht dabei nicht. Das als Sanktion für die Ordnungswidrigkeit vorgesehene Fahrverbot schließt nicht aus, dass dasselbe Vorkommnis zugleich Anlass für eine der Gefahrenabwehr dienende Fahrerlaubnisentziehung ist. Die Maßnahmen verfolgen einerseits einen repressiven und andererseits einen präventiven Zweck und können daher nebeneinander zur Anwendung gelangen. Eine dem Regelfall entsprechende Fallgestaltung kann insbesondere dann angenommen werden, wenn der Betäubungsmittelkonsum für die Vergangenheit feststeht und der Betroffene keinerlei Tatsachen zur Entkräftung (vgl. Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV) der für den Regelfall geltenden Annahmen des Verordnungsgebers vorbringt (vgl. OVG Frankfurt (Oder), a.a.O., m.w.N.). Bestehen indes auf der Grundlage des Vorbringens des Betroffenen oder sonstiger erkennbarer Umstände, etwa des seit dem nachgewiesenen Drogenkonsum verstrichenen Zeitraumes, Zweifel daran, ob ein früherer Drogenkonsum der Kraftfahreignung weiterhin entgegensteht, wird die Fahrerlaubnisbehörde über die Fahrerlaubnisentziehung nicht ohne weitere Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung in Gestalt der Aufforderung zur Vorlage eines Gutachtens entscheiden können (vgl. § 46 Abs. 3 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 FeV) und dabei im Einzelfall die an die Verhältnismäßigkeit einer Gutachtenanordnung zu stellenden Anforderungen zu beachten haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 C 25.04 –, NJW 2005, 3081).


Gemessen hieran ist der Antragsteller als zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet anzusehen, da der Regelfall der Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV verwirklicht ist, ohne dass Anhaltspunkte für besondere Umstände eines Ausnahmefalles erkennbar sind. Auf Grund des chemisch-toxikologischen Untersuchungsberichts des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 26. April 2007 über die dem Antragsteller am 10. April 2007 entnommene Blutprobe steht fest, dass der Antragsteller Amphetamin eingenommen hatte. Der Umstand, dass die ermittelte Konzentration von 13 ng/ml den von der Grenzwertkommission beschlossenen Wert von 25 ng/ml unterschreitet (vgl. dazu Eisenmenger, NZV 2006, 24 [25]), steht der Annahme des Eignungsausschlusses nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV nicht entgegen. Dieser Grenzwert hat wegen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 2004 – 1 BvR 2652/03 –, NJW 2005, 349; BbgOLG, Beschluss vom 30. März 2007 – 1 Ss [OWi] 291 B/06 –, juris, m.w.N.) zwar Bedeutung für die Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes des § 24a Abs. 2 StVG, nicht hingegen für die Frage, ob Amphetamin als Betäubungsmittel eingenommen wurde. Die für die Kraftfahreignung relevante Frage der Einnahme eines Betäubungsmittels lässt sich unabhängig von der vorgefundenen Konzentration beantworten, weil es hierfür im Unterschied zum Konsum von Cannabis nicht darauf ankommt, ob der Betroffene unter dem Einfluss des Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug geführt hat und folglich nicht zwischen dem Drogenkonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges zu trennen vermag. Deshalb kann die weitere Frage dahinstehen, ob wegen der vorgefundenen THC-Konzentration von 1,1 ng/ml sowie der einen mindestens gelegentlichen Cannabiskosum nahe legenden THC-Carbonsäure-Konzentration von 11 ng/ml (vgl. Himmelreich, DAR 2002, 26 [29]) und des zusätzlichen Gebrauchs von Amphetamin zudem der die Fahreignung ausschließende Tatbestand von Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV erfüllt ist.

Besondere Umstände, die es im Fall des Antragstellers ausgeschlossen hätten, einen Regelfall im Sinne der Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV anzunehmen, sind nicht erkennbar und insbesondere dem Vorbringen des Antragstellers nicht zu entnehmen. Der Antragsteller hat nichts dazu vorgetragen, weshalb der ihm nachgewiesene Konsum von Amphetamin ausnahmsweise nicht im Sinne der regelmäßigen Bewertung des Verordnungsgebers zu beurteilen sein sollte. Er macht namentlich keinerlei Angaben zu seinem bisherigen Drogenkonsum sowie zu einem möglicherweise seit dem Vorfall am 10. April 2007 veränderten Drogenkonsumverhalten. Der seither verstrichene Zeitraum dauert unter Berücksichtigung der nach Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig zu erfüllenden Voraussetzungen zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung noch nicht so lang, dass unabhängig von den fehlenden Angaben des Antragstellers zu seinen Drogenkonsumgewohnheiten für die Fahrerlaubnisbehörde Anlass bestanden hätte, durch Anordnung einer geeigneten Begutachtung der Frage nachzugehen, ob der Antragsteller seine Kraftfahreignung zwischenzeitlich wiedererlangt haben könnte.



Auch eine von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache losgelöste Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Zugunsten des öffentlichen Vollzugsinteresses gibt den Ausschlag, dass der Antragsteller schon einmal erwiesenermaßen unter der Wirkung von Drogen am Straßenverkehr teilnahm. Hierdurch hat er die Bereitschaft erkennen lassen, das im Drogenkonsum begründete Gefahrenpotenzial für den öffentlichen Straßenverkehr in Kauf zu nehmen. Anhaltspunkte für ein geändertes Drogenkonsumverhalten bestehen nicht. Daher ist bei dem Antragsteller unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr das Risiko, dass er erneut unter dem Einfluss von Drogen ein Kraftfahrzeug führt und dadurch Risiken für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer begründet, als hoch anzusehen. ..."

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