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BGH Urteil vom 02.12.2004 - III ZR 358/03 - Bei der Geltendmachung eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs richtet sich die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit nach Art. 34 GG

BGH v. 02.12.2004: Bei der Geltendmachung eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs richtet sich die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit nach Art. 34 GG




Der BGH (Urteil vom 02.12.2004 - III ZR 358/03) hat entschieden:

  1.  Die See-Berufsgenossenschaft ist bei der Wahrnehmung der ihr nach § 6 Abs. 1 SeeaufgG zugewiesenen Aufgaben des Bundes nach § 1 Nr. 4 SeeaufgG für Amtspflichtverletzungen ihrer Mitarbeiter haftungsrechtlich verantwortlich.

  2.  Auch bei der Geltendmachung eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs richtet sich die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit nach Art. 34 GG. Der Bund, der gemeinschaftsrechtlich verpflichtet ist, den Ersatz des durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstandenen Schadens sicherzustellen, ist innerstaatlich nur dann Schuldner eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs, wenn ihn zugleich die Verantwortlichkeit nach Art. 34 Satz 1 GG trifft.

Anmerkung:
Sachverhalt und Urteilsgründe wurden gekürzt, sodass nur die Passagen aufgenommen wurden, die sich mit dem gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruch beschäftigen.


Siehe auch
Gemeinschaftsrechtlicher Schadensersatzanspruch wegen strafrechtlicher Verurteilung oder Nutzungsuntersagung gegen die EuGH-Rechtsprechung zum EU-Führerschein
und
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein

Zum Sachverhalt:


Die Klägerin, eine nach dem Recht von Panama gegründete und im dortigen Handelsregister eingetragene Sociedad Anónima, war Reeder des 1971 erbauten, unter der Flagge von Belize fahrenden Bulkcarriers MS "VISVLIET". Sie macht gegen die See-Berufsgenossenschaft (Beklagte zu 1) und die Bundesrepublik Deutschland (Beklagte zu 2) Schadensersatzansprüche in Höhe von 628.790,72 DM, 688.094,85 US-Dollar und 169.685,56 HFL geltend, weil das Schiff in der Zeit vom 3. Oktober 1997 bis zum 25. Februar 1998 im Hamburger Hafen wegen Sicherheitsmängeln festgehalten wurde.

Die Klägerin, die das Festhalten des Schiffes in Hamburg für rechtswidrig angesehen hat, hatte beim Landgericht keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat der Klage wegen einer Verzögerung der Freigabe um drei Wochen gegen beide Beklagte in Höhe von 53.252,59 € nebst Zinsen entsprochen und sie im Übrigen abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Revision der Beklagten zu 1 war erfolglos, die der Beklagten zu 2 hatte Erfolg.




Entscheidungsgründe:


"... 4. Die Klage ist indessen unbegründet, soweit sie gegen die Beklagte zu 2 gerichtet ist. Soweit es um die Amtspflichtverletzungen der Mitarbeiter der Beklagten zu 1 im Sinn des § 839 BGB geht, hat diese nach Art. 34 GG hierfür einzustehen (vgl. oben II 3 a).

Eine Haftung der Beklagten zu 2 kommt daher nur unter dem Gesichtspunkt des vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entwickelten gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs in Betracht. Hiernach ist der Mitgliedstaat zum Ersatz der Schäden verpflichtet, die dem einzelnen durch diesem zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, gleichviel, ob der zur Last gelegte Verstoß dem nationalen Gesetzgeber, seiner Verwaltung oder seinen letztinstanzlich entscheidenden Gerichten zuzuschreiben ist, sofern die verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und den dem einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. Urteil vom 30. September 2003 - Rs. C-224/01 - Köbler - NJW 2003, 3539 zu Rn. 30, 31 m.umfangr.w.N.; aus der Rechtsprechung des Senats BGHZ 134, 30; 146, 153, 158 f; Beschluß vom 28. Oktober 2004 - III ZR 294/03 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Ein Anspruch gegen die Beklagte zu 2 ist hier unter zwei Gesichtspunkten zu prüfen.




a) Zum einen geht es um die Frage, ob die Beklagte zu 2 dafür haftbar zu machen ist, daß sie den Schadensersatzanspruch nach Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 95/21/EG erst lange nach Ablauf der Umsetzungsfrist (30. Juni 1996; Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie) durch Einfügung des § 3e SeeaufgG durch das Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze vom 23. März 2002 (BGBl. I S. 1163) in nationales Recht umgesetzt hat, so daß sich die Klägerin wegen des ihr entstandenen Schadens gegenüber der Beklagten zu 1 nicht auf diese Norm beziehen konnte. Der Senat kann offen lassen, ob die Richtlinienbestimmung nicht nur Gemeinschaftsbürgern, sondern auch Eigentümern und Betreibern aus Drittstaaten, die der Hafenstaatkontrolle unterworfen werden sollen, Rechte verleihen wollte, wie es im Ergebnis auch in § 3e SeeaufgG vorgesehen ist. Der Klägerin ist nämlich aus dieser Säumnis des nationalen Gesetzgebers, der andere Teile der Richtlinie 95/21/EG früher umgesetzt hat, kein Schaden entstanden. Denn ihr stehen - wie ausgeführt - aufgrund des amtspflichtwidrigen Verhaltens der Mitarbeiter der Beklagten zu 1 Amtshaftungsansprüche gegen diese zu, die in ihrem Umfang nicht hinter dem zurückbleiben, was sie bei rechtzeitiger Umsetzung der Schadensersatzregelung in Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie hätte erlangen können.


b) Eine Haftung ist auch unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, daß durch das Verwaltungshandeln der Beklagten zu 1 nicht nur Amtspflichten verletzt sind, die das innerstaatliche Recht betreffen, sondern zugleich Normen des Gemeinschaftsrechts, die eine gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung auslösen. Eine solche Konstellation wird insbesondere dann auftreten, wenn die Verstöße Gebiete betreffen, in denen das nationale Recht gemeinschaftsrechtlich harmonisiert worden ist (vgl. aus der Senatsrechtsprechung etwa BGHZ 146, 153, 158). Das Berufungsgericht hat angenommen, in einer solchen Konstellation trete neben die Haftung des nationalen Organs immer auch ein gegen den Mitgliedstaat selbst gerichteter Staatshaftungsanspruch. Dies ist jedoch nach der im Folgenden zu erörternden Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften gemeinschaftsrechtlich nicht geboten.

In seinem Urteil vom 1. Juni 1999 (Rs. C-302/97 - Konle - Slg. 1999, I-3122, 3140 zu Rn. 61 bis 64) hat der Gerichtshof entschieden, ein bundesstaatlich aufgebauter Mitgliedstaat könne seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen auch dann erfüllen, wenn nicht der Gesamtstaat den Ersatz der einem einzelnen durch gemeinschaftsrechtswidrige innerstaatliche Maßnahmen entstandenen Schäden sicherstellt, sondern - wie zu ergänzen ist - das einzelne Bundesland. Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 4. Juli 2000 (Rs. C-424/97 - Haim II - Slg. 2000, I-5148, 5158 ff zu Rn. 25 bis 34) auf die Frage des vorlegenden Gerichts, ob die Haftung einer rechtlich selbständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft neben der Haftung des Mitgliedstaates gegeben sein könne, dahin fortentwickelt und präzisiert, daß dies auch für Mitgliedstaaten gilt, in denen - unabhängig davon, ob sie bundesstaatlich aufgebaut sind oder nicht - bestimmte Gesetzgebungs- oder Verwaltungsaufgaben dezentralisiert von Gebietskörperschaften mit einer gewissen Autonomie oder von anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, die vom Staat rechtlich verschieden sind (in casu eine Kassenärztliche Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland), wahrgenommen werden. In diesen Mitgliedstaaten könnten die Schäden, die eine öffentliche Einrichtung unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verursacht habe, daher von dieser ersetzt werden (aaO S. 5160 zu Rn. 31). Zwar findet sich in beiden Entscheidungen des Gerichtshofs (Konle Rn. 62; Haim II Rn. 28) die Wendung, ein Mitgliedstaat könne sich seiner Haftung nicht dadurch entziehen, daß er auf die Aufteilung/interne Verteilung der Zuständigkeit(en) und der Haftung auf Körperschaften verweise, die nach seiner Rechtsordnung bestünden. Diese Formulierung legt für sich genommen den Schluß nahe, daß der Mitgliedstaat selbst den durch den Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht eingetretenen Schaden zu ersetzen hat. Einer entsprechenden Deutung tritt der Gerichtshof jedoch nach Auffassung des Senats in beiden Entscheidungen entgegen. Zwar muß jeder Mitgliedstaat sicherstellen, daß dem einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht entstanden ist, gleichgültig, welche staatliche Stelle diesen Verstoß begangen hat und welche Stelle nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats diesen Schadensersatz grundsätzlich zu leisten hat (Haim II Rn. 27). Hieraus folgt jedoch nach Auffassung des Gerichtshofs nicht, daß der Mitgliedstaat seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nur erfüllt, wenn er selbst den entstandenen Schaden ersetzt (Haim II Rn. 29). Vielmehr hat der Gerichtshof konzediert, daß der Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, die Aufteilung der Zuständigkeit und der Haftung auf die öffentlichen Körperschaften in seinem Gebiet zu ändern, und daß den Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts genügt ist, wenn die innerstaatlichen Verfahrensregelungen einen wirksamen Schutz der Rechte ermöglichen, die dem einzelnen aufgrund Gemeinschaftsrechts zustehen, und die Geltendmachung dieser Rechte nicht gegenüber derjenigen solcher Rechte erschwert ist, die dem einzelnen nach innerstaatlichem Recht zustehen (Konle Rn. 63; Haim II Rn. 30). Dann aber liegt es nahe, die Folgen eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs - unter Beachtung seiner Zielsetzung und seiner Voraussetzungen - weitgehend mit den nach innerstaatlichem Recht geltenden Regeln in Einklang zu bringen.



Der Senat sieht daher angesichts des Umstandes, daß der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch aufgrund der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in die innerstaatliche Rechtspraxis selbstverständlichen Einzug gehalten hat, keine Bedenken, die Bestimmung des Haftungssubjekts für diesen Anspruch nach denselben Grundsätzen zu beurteilen, die für die Übernahme der Haftung nach Art. 34 GG gelten (so auch Staudinger/Wurm, aaO Rn. 544). Insbesondere ergibt sich auch aus diesen Grundsätzen, wen in Fällen eines Verstoßes des Gesetzgebers oder der Rechtsprechung gegen das Gemeinschaftsrecht - hier wird nach Amtshaftungsgrundsätzen nicht oder nur eingeschränkt gehaftet - die Verantwortlichkeit trifft. Insoweit liegt eine gefestigte Rechtsprechung vor, so daß für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich und mit Verfassungsrang gewährleistet ist, daß für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht gehaftet wird. Die Beklagte zu 1 hat daher auch für die nachteiligen Folgen ihres Verwaltungshandelns einzustehen, soweit es Gemeinschaftsrecht verletzt hat. ..."

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